ZWÖLFTES BILD • IM PHALANSTER

Der Hof eines großartigen Phalansters in U-Form. Das Erdgeschoß der beiden Flügel bildet eine offene Säulenhalle. In der Halle rechts, an den in Bewegung befindlichen Dampfmaschinen mit Triebrädern sind Arbeiter beschäftigt. In der Halle links arbeitet ein Gelehrter in einem Museum, das die verschiedensten naturgeschichtlichen Gegenstände, mechanische Werkzeuge, astronomische und chemische Geräte enthält. Alle, die zum Phalanster gehören, sind gleich gekleidet. Adam und Luzifer tauchen in der Mitte des Hofes aus der Erde empor. Tag.

ADAM
Was ist das für ein Land und Volk?

LUZIFER
Längst abgetan sind die Begriffe.
Wie kleinlich war es: Vaterland!
Vorurteil schuf einst die Idee,
Engherzigkeit und Eifersucht
Beschützten sie. Jetzt ist bereits
Die ganze Welt: ein Vaterland,
Der Mensch Genosse eines Ziels.
Die hochgeehrte Wissenschaft
Bewacht den Lauf der schönen Ordnung.

ADAM
So scheint mein Ideal erfüllt.
So ist es gut, so wollt ichs auch.
Es fehlt mir doch: das Vaterland.
Auch in der neuen Ordnung hätt es
Bestanden. Menschensinn ersehnt
Beschränkung, scheut Unendlichkeit,
Verliert an Kraft, was er an Raum gewinnt,
Hängt an Vergangenheit und Zukunft;
Ich fürcht, die große Welt begeistert
Ihn nicht wie seiner Eltern Grab.
Wer für die Seinen gern sein Blut vergösse,
Hat für die Freunde kaum noch Tränen.

LUZIFER
Verwirfst du so dein Ideal,
Bevor es sich verkörpern konnte?

ADAM
Durchaus nicht. Doch ich möchte wissen:
Welche Idee verschmelzt in eins
Die weite Welt und leitet endlich
Zu edlerm Ziele die Begeisterung,
Des Menschenherzens ewige Flamme,
Die, oft geschürt mit hundert Nichtigkeiten,
Zu schwärmerischem Kampfe ward mißbraucht?
Doch wo wir stehn, wie heißt der Ort?
Ich will mich an dem Glücke weiden,
Das als verdienten Lohn der Mensch
Nach vielen harten Kämpfen erntet.

LUZIFER
Hier ein Phalanster, von vielen einer.
Hier haust der neue Mensch.

ADAM
So gehn wir.

LUZIFER
      Warte nur, wir wollen
Abwerfen erst die alte Haut.
Bleiben wir Luzifer und Adam,
Dann glaubt die Welt wohl nicht an uns
Und sperrt uns in Retorten ein.

ADAM
Was soll denn wieder dies Gerede?

LUZIFER
So ist es eben bei uns Geistern.

ADAM
Mach, wie du willst, doch mach es schnell
Luzifer verwandelt beide in Phalanstergestalten.

LUZIFER
Nimm diesen Rock. Fort mit den Locken!
Erledigt.

ADAM
      Komm zu dem Gelehrten.

LUZIFER
Heil dir, Gelehrter!

GELEHRTER
      Stör mich nicht
Mit Schwatzen in dem großen Werk.

LUZIFER
Das tut mir leid. Wir sind Studenten
Aus dem Phalanster Nummer tausend.
Uns bringt dein Ruf so weiten Weges.

GELEHRTER
Gar lobenswert ist solcher Eifer.
Ich kann mein Werk ja ruhen lassen.
Wenn die Retorte nur nicht auskühlt,
Fügt meinem Willen sich der Stoff.

LUZIFER beiseite.
Ich dachte richtig. Selbst in dir,
Der Menschen und Natur entgöttert,
Bewahrte sich als letzte Schlacke
Die Eitelkeit.

GELEHRTER
      Ich steh zu Diensten.
Doch welchem Fach gehört ihr an?

ADAM
Kein Fach engt unsern Wissensdrang.
Wir möchten übersehn das Ganze.

GELEHRTER
Wie falsch! Im Kleinen schläft das Große.
Viel Dinge: kurzes Sein.

ADAM
      Gewiß!
Ich weiß, es muß auch Menschen geben,
Den Sand zu schleppen, Stein zu meißeln.
Ohne sie ersteht kein Saal.
Doch diese irren nur im Dunkeln
Und ahnen nicht, woran sie werken.
Der Meister überblickt das Ganze,
Er kann wohl keinen Stein behauen,
Doch er erschafft das Werk: ein Gott.
Der Meister ist auch groß im Wissen.

LUZIFER
Drum kamen wir zu dir, du Großer.

GELEHRTER
Sehr gut. Ich weiß es auch zu schätzen.
Des Wissens reiche Äste sind
Verschiedne Züge eines Organismus
Und nur zusammen schön.

LUZIFER
      Wie Frauen.

GELEHRTER
Trotz allem ist nur die Chemie…

LUZIFER
Die Mitte, wo das Leben wohnt.

GELEHRTER
Erraten!

LUZIFER
      Mathematiker
Behaupten dies von der Mathematik.

GELEHRTER
Aus Eitelkeit hält jeder sich
Für seines Horizontes Mitte.

LUZIFER
Du hast mit Recht als Lieblingsfach
Chemie erwählt.

GELEHRTER
      Ja, zweifellos.
Doch seht mir das Museum an,
Das nirgend seinesgleichen findet.
Hier stehn in echten Exemplaren
Der Urwelt ausgestorbne Tiere,
Gut ausgestopft. Sie lebten zahlreich
Mit unsren Ahnen, den Barbaren,
Mit denen sie die Welt beherrschten.
Es gibt von ihnen manche Mär.
Man sagt, dies war eine Lokomotive.

ADAM
Da ist ein Pferd, doch ganz entartet.
Da war einst Al-borak ein andres Tier.

GELEHRTER
Von dem da heißts, ihn hielt der Mensch
Als Freund und zwang ihn nicht zur Arbeit
Er lauschte treu und konnte selbst
Erfassen, was der Mensch sich dachte.
Noch mehr: er nahm auch seine Schuld
Auf sich: den Eigentumsbegriff,
Und gab als Wächter hin sein Leben.
Ich sag, wie es geschrieben steht,
Doch glaubt nicht alles unbedingt.
Viel Narrheit gibt es und viel Schwärmen,
Wovon auch diese Mär erzählt.

ADAM
Das ist der Hund. Und wahr ist alles.

LUZIFER
Gib acht, du wirst dich noch verraten.

GELEHRTER
Das war der Armen Sklave einst.

ADAM
So wie der Reichen Ochs der Arme.

GELEHRTER
Der Wüstenkönig.

ADAM
      Ach, der Löwe!
Der Tiger, hier das flinke Reh.
Ja, was für Tiere gibt es jetzt?

GELEHRTER
Wie fragst du? Haltet ihr es anders?
Es lebt, was nützlich und bisher
Noch unersetzt von unserm Wissen:
Das Schaf, das Schwein, doch keineswegs
So stümperhaft, wie die Natur
Sie schuf: dies ist lebendig Fett,
Das andre pures Fleisch und Wolle
Und dient uns so wie die Retorte.
Doch sehe ich, du kennst dies alles.
So schaun wir unsre Minerale.
Seht dieses ungeheure Kohlenstück:
Aus solchem Stoff gabs ganze Berge.
Die Menschen fanden fertig vor,
Was jetzt das Wissen aus der Luft
Mit Mühe siebt. Dies Mineral
Hieß Eisen und solang es reichte,
Mußt Aluminium man nicht suchen.
Dies Stück ist Gold, bedeutsam und
Ein unnütz Ding. Denn als der Mensch
In seinem blinden Glauben noch
Schicksalsbefreiten höhern Wesen
Zu Füßen sank, da schien ihm auch
Das Gold ein Gott, er brachte ihm
Zum Opfer Glück und Recht und alles,
Was heilig ist, um nur ein Klümpchen
Voll Zauberkraft sich anzueignen,
Wofür er alles haben konnte,
Selbst Brot, was wunderbar, doch wahr ist,

ADAM
Zeig anderes, ich kenn dies alles.

GELEHRTER
Dein Wissen, Fremdling, ist erstaunlich.
So laßt uns sehn die alten Pflanzen.
Die letzte Rose, die auf Erden
Erblühte. Unnütz war die Blume.
Mit hunderttausend Schwestern raubte
Den Ähren sie den fetten Boden:
Ein Spielzeug für erwachsne Kinder.
Wie sonderbar: auf solches Spielzeug
War man erpicht. Sogar der Geist
Trieb blumenreiche Sehnsuchtsträume
Der Dichtung und des Glaubens: schaukelnd
Auf ihrem trügerischen Arm,
Verpraßte er die beste Kraft,
Und so war brach sein Lebensziel.
Hier hüten wir zwei solche Werke
Als Raritäten. Ein Gedicht
Das erste: der es schrieb, als sündig
Noch Geltung suchte jedermann,
Hieß Homeros. Malt eine Traumwelt
Und nennt sie Hades. Doch wir konnten
Längst jede Zeile widerlegen.
Das zweite ist Agricola
Von Tacitus, ein lächerliches
Und dennoch tief bedauernswertes
Bild aus der Barbarenwelt.

ADAM
So blieben als Vermächtnis doch
Aus großen Tagen diese Blätter!
Sie können nicht die Zwittererben
Entflammen, nicht zur Tat sie reizen,
Die eure Welt der Mache stürzt?

GELEHRTER
Ganz richtig. Und wir sahn das ein.
Das Gift in ihnen ist gefährlich,
Drum darf sie auch kein andrer lesen
Als wer die Sechzig überschritten
Und sich der Wissenschaft geweiht.

ADAM
Doch wie, der Ammen Feenlieder:
Sie pflanzen keine süße Ahnung
Ins zarte Herz?

GELEHRTER
      Gewiß und darum
Erzählt die Amme unsern Kindern
Von Gleichung und Geometrie.

ADAM beiseite.
Ihr Mörder, habt ihr keine Furcht,
Dem Herzen seine schönste Zeit zu rauben?

GELEHRTER
Kommt weiter. Diese Instrumente,
Wie sonderbar ist ihre Form.
Dies hieß Kanone. Rätselhaft die Aufschrift:
Ultima ratio regum.
Wer kennt die einstige Verwendung?
Dies Schwert hat nur dem Mord gedient
Und kein Verbrechen wars, damit zu töten.
Dies Bild, mit freier Hand gemalt,
Es brauchte wohl ein halbes Leben
Und zeigt ein närrisch Märchen nur.
Die Arbeit macht uns heut die Sonne,
Und während jenes falsch verschönte,
Dient diese uns mit tiefer Treue.

ADAM beiseite.
Doch Kunst und Geist, die sind dahin…

GELEHRTER
Wie bunt sind diese hundert Dinge,
Wie kindlich. Blumen auf dem Becher,
Träumerische Arabesken
Am Stuhl. Verpraßte Menschenarbeit.
Erfrischt aus jenem Becher mehr
Das Wasser? Sitzt man angenehmer
Auf diesem Stuhl? Maschinen schaffen
Dies einfach jetzt und zweckentsprechend,
Und die Vollkommenheit verbürgt,
Daß jeder, der heut Schrauben macht,
Dabei bleibt bis ans Lebensende.

ADAM
Drum fehlt es jedem Werk an Leben,
An Eignem, das den Meister übertrifft.
Wo finden Kraft und Geist den Raum,
Zu zeigen, daß dem Himmel sie entstammen?
Wer kämpfen will und um sich blickt
In dieser Welt der Regelordnung:
Der findet nicht die Wonne der Gefahr,
Auch nicht ein blutbegieriges Tier.
So hat mich auch die Wissenschaft
Getäuscht: ich wollte Glück von ihr
Und finde eine öde Kinderschule.

GELEHRTER
Ist Brüderlichkeit nicht bei uns?
Wo leidet Mangel hier ein Mensch?
Ideen dieser Art verdienten
Strafe.

ADAM
      Sag mir, welches Ideal
Haucht Einheit in ein solches Volk
Und weiß als Ziel es zu begeistern?

GELEHRTER
Dies Ideal ist hier: das nackte Dasein.
Die Erde, als der Mensch erschien,
War eine volle Vorratskammer:
Er brauchte nur die Hand zu öffnen
Und fand bereit, wes er bedurfte.
Wie eine Käsemade praßte
Er unbedacht; im süßen Taumel
Fand Muße er, in Hypothesen
Reiz und Poesie zu suchen.
Doch wir, beim letzten Bissen, geizen,
Da wir erkennen, daß der Käse
Ausgeht und wir verhungern müssen.
Viertausend Jahre und die Sonne
Erstarrt und tot sind alle Pflanzen:
Viertausend Jahre sind noch unser,
Um auch die Sonne zu ersetzen:
Wohl Zeit genug für unser Wissen.
Zum Heizen nehmen wir des Wassers
Sauerstoff, das Feuer birgt.
Des Organismus tiefste Rätsel
Sind heut schon der Entdeckung nah.
Wie gut, daß wir darüber reden:
Ich hätte die Retorte fast vergessen,
Wo ich doch grad in dieser Sache forsche.

LUZIFER
Alt muß der Mensch sein, braucht er schon Retorten,
Um Organismen zu erzeugen.
Doch wenn das Werk dir auch gelingt,
Ein Ungetüm wirds, wortloser Gedanke,
Liebe ohne Gegenstand.
Ein Wesen, selbst von der Natur verleugnet,
Dem nichts verwandt, nichts gegensätzlich,
Weil nichts Persönliches es engt.
Woher soll ihm denn dieses werden,
Wenn es, von Aussenwelt und Leid verschlossen,
Im engen Glas erweckt wird zum Bewußtsein?

GELEHRTER
Sieh, sieh doch, wie es kocht und glänzt:
Verschwindende Gestalten regen
Sich in dem warmen, wohlverschloßnen Glas,
Verwandtschaft und Entgegenwirken
Ergänzen sich, wodurch der Stoff
Gezwungen wird, sich meinem Wunsch zu fügen.

LUZIFER
Ich staun dich an, Gelehrter! Aber
Kannst du bewirken, daß das jetzt Verwandte
Sich nicht mehr anzieh, und was gegensätzlich,
Sich nicht mehr stoße?

GELEHRTER
      Dumm gesprochen!
Dies ist ja das Gesetz der Stoffe.

LUZIFER
Ach ja! Doch sag, worauf beruht es?

GELEHRTER
Worauf? Es ist Gesetz, weil es so ist,
Und die Erfahrung zeigt es uns.

LUZIFER
So bist du bloß der Heizer der Natur;
Das andre bringt sie selbst zuwege.

GELEHRTER
Doch ich setz mit dem Glas ihr Schranken
Und zerr sie aus dem Rätseldunkel.

LUZIFER
Ich seh bis jetzt kein Lebenszeichen.

GELEHRTER
Es kann nicht fehlen.
Ich, der es Enträtselt hab den Organismus,
Zergliedert hundertfach das Leben…

ADAM
Doch was dir blieb, war eine Leiche.
Die Wissenschaft folgt immer hinkend
Der jung bestehenden Erfahrung,
Und ist, des Königs Lohnpoeten gleich,
Bereit, zu singen grosse Taten,
Doch blind, sie auch zu prophezein.

GELEHRTER
Was spottet ihr, seht ihr denn nicht,
Ein Funke fehlt und es wird leben?

ADAM
Woher doch nimmst du diesen Funken?

GELEHRTER
Es ist nur noch ein Schritt.

ADAM
Doch wer den einen Schritt nicht tat,
Hat nichts getan und weiß auch nichts.
Die andern Schritte waren draußen,
Der eine führt ins Heiligtum.
Und wird er jemals wohl gelingen?
Unterdes beginnt der über der Retorte schwebende Rauch sich zu verdichten. Donner.

STIMME DES ERDGEISTS aus dem Rauch hervor.
Nein, nie! Zu eng ist die Retorte
Mir und zu weit. Du kennst mich, Adam,
Nicht wahr? die ahnen mich noch nicht.

ADAM
Hörtest du die Geisterstimme?
O sieh, du eitler, schwacher Mensch!
Wie zwingst du jenen, der dort schwebt?

GELEHRTER
Ein Wahnsinn. Ja du machst mir Sorge.
Die Retorte platzt, der Geist verschwindet.
Zerbrochen! Neu muß ich beginnen
Das große Werk. So nah dem Ziele
Stürz ich über eine Erdenscholle,
Dem blöden Zufall.

LUZIFER
      Schicksal hieß er einst
Und weniger Schande wars, zu stürzen
Von seiner Macht, als nachzugeben jetzt
Dem blöden Zufall. Was bedeutet dies?
Man läutet.

GELEHRTER
Der Arbeit Schluß und den Spaziergang.
Fabrik und Feld entläßt die Werker.
Wer schuldig ist, wird jetzt bestraft.
Man teilt die Frauen ein, die Kinder.
Kommt hin, ich hab dabei zu schaffen.
In langer Reihe kommen Männer, in einer anderen Frauen, einige von ihnen mit einem Kind, darunter auch Eva. Im Hofe bilden alle einen Kreis, ein Greis tritt vor sie hin. Adam, Luzifer und Gelehrter stehen im Vordergrund beim Museum.

DER GREIS
Nummer dreißig.

LUTHER
      Hier.

DER GREIS
      Schon wieder!
Du hast den Kessel überheizt.
Mir scheint, du bist vom Trieb besessen,
Unsern Phalanster zu gefährden.

LUTHER
Wer könnte widerstehn, wenn sprühend
Und brüllend uns das wilde Feuer
Einkreist mit tausend Flammenzungen,
Uns packen und vernichten will:
Dort tapfer stehn und weiter schüren,
Und wissen, daß wir es bezwingen!
Du ahnst der Feuers Zauber nicht,
Du kennst es nur als zahmen Diener.

DER GREIS
Gewäsch! Heut ißt du nicht zu Mittag.

LUTHER tritt zurück.
Das Feuer schür ich morgen weiter.

ADAM
Was seh ich? Kenn ich diesen nicht?
Das war ja Luther!

DER GREIS
      Hundertneun!

CASSIUS tritt hervor.
Hier!

DER GREIS
      Sei gewarnt zum drittenmal,
Weil mutwillig du Händel suchst.

CASSIUS tritt zurück.
Mutwillig, weil ich niemals klage?
Mit heilem Arm sucht Hilfe nur
Der Feigling. War mein Feind denn schwächer?
Warum hat er sich nicht gewehrt?

DER GREIS
Kein Widerspruch. Die böse Neigung
Wird nicht durch deine Schädelform entschuldigt,
Denn die ist edel, ohne Fehl.
Dein Blut jedoch erbraust zu wild!
Man wird dich heilen, bis du zahm bist.

ADAM
Ach Cassius! Wenn du mich kenntest,
Der bei Philippi mitgekämpft!
Kann Theorie, kann schlechte Ordnung
So irren, daß solch edler Geist
Im Weg ihr steht und nicht erkannt wird?

DER GREIS
Vierhundert!

PLATON tritt hervor.
      Hier!

DER GREIS
      Du träumtest wieder
Und das dir anvertraute Vieh
Verlief sich wieder in die Saat.
Um wach zu bleiben, knie auf Erbsen!

PLATON tritt zurück.
Auch auf den Erbsen träum ich schön.

ADAM
Ach, welche Rolle gab dir, Platon,
Der Staat, den du so sehr ersehntest!

DER GREIS
Zweiundsiebzig!

MICHELANGELO tritt hervor.
     
Hier!

DER GREIS
      Du hast
Die Werkstatt vor der Zeit verlassen.

MICHELANGELO
Stuhlbeine mußt ich immer drechseln,
Auch die in miserabler Form.
Ich flehte lang, man möge mich
Sie ändern, sie verzieren lassen:
Ich durfte nicht. Ich wollte Lehnen schnitzen,
Der Arbeit Wechsel: doch vergeblich.
Dem Wahnsinn nahgekommen, ließ ich
Die Qual und auch die Werkstatt stehn.
Er tritt zurück.

DER GREIS
Für diese Störung geh ins Zimmer,
Verlier den schönen warmen Tag.

ADAM
Michelangelo, welche Hölle:

In dir der Gott darf nicht erschaffen!
Wie viel Bekannte überall
Und wie viel Geist und wie viel Urkraft!
Mein Kriegsgefährte der und Märtyrer jener;
Dem dünkte eng die Erdenkugel;
Wie hat zu gleichen Zwergen sie geknetet
Der Staat! Komm, Luzifer, nicht länger
Erträgt den Anblick meine Seele.

DER GREIS
Zwei Kindern ist die Zeit erfüllt,
Wo sie die Muttersorge brauchten.
Sie kommen in das allgemeine
Bildungshaus. Hervor!
Eva und ein anderes Weib treten mit ihren Kindern vor.

ADAM
      Die Wunderbare!
Lebt auch in dieser öden Welt
Die Poesie?

LUZIFER
      Nun, Adam, gehn wir?

ADAM
Nein! Jetzt bleiben wir erst recht.

DER GREIS
Gelehrter! prüf die Schädelbildung
Der Kinder.
Der Gelehrter untersucht die Kinder.

EVA
      O, was wartet meiner!

ADAM
Die Stimme!

LUZIFER
      Was kann dir sie bieten,
Den einst Semiramis geküßt?

ADAM
Ich kannte damals diese nicht.

LUZIFER
Ach so! Das alte Lied Verliebter!
Ein jeder glaubt, die Leidenschaft
Hab er entdeckt, und keiner hätte
Vor ihm geliebt und also geht es
Seit manchen tausend Jahren fort.

GELEHRTER
Dies Kind hier wird zum Arzt erzogen,
Zum Hirten jenes.

DER GREIS
      Führt sie weg.
Man will die Kinder wegführen, Eva widersetzt sich.

EVA
Rühr ihn nicht an! Das Kind ist mein!
Wer reißt es von der Mutter Brust?

DER GREIS
Fort mit ihm! Was säumt ihr noch?

EVA
Mein Kind! Mit meinem Herzblut hab
Ich dich genährt. Wo ist die Kraft,
Die unser heiliges Band zerreißt?
Soll ich für ewig dir entsagen,
Daß in die Masse du versinkst
Und dich mein Aug vergebens suche
Unter tausend gleichen Fremden?

ADAM
Wenn euch noch etwas heilig ist,
So lasset dieses Kind der Mutter.

EVA
Nicht wahr, du Fremdling? Sei gesegnet!

DER GREIS
Du treibst ein kühnes Spiel. Wenn wir
Den Wahn erneuern der Familie,
Dann stürzen die Errungenschaften
Der heiligen Wissenschaft zusammen.

EVA
Was soll mir eisige Wissenschaft?
Sie falle! Hier spricht die Natur!

DER GREIS
Wirds bald?

ADAM
      Rührt es nicht an! Das Schwert!
Ich lehr euch, wies zu schwingen ist!

LUZIFER
Traumbild, erstarre!
Er legt die Hand auf die Schulter Adams, der erstarrt.
      Fühl meines Armes
Schicksalsmacht!

EVA
      Mein Kind! Mein Kind!
Sie sinkt zusammen, man führt ihr Kind fort.

DER GREIS
Die Frauen hier sind ohne Mann.
Wer sie verlangt, der trete vor.

ADAM
Die will ich.

DER GREIS
      Gelehrter, nun?

GELEHRTER
Er Schwärmer und sie nervenkrank:
Ein schlechtes Paar, zeugt kranke Kinder.

ADAM
Ich weiche nicht, wenn sie mich will.

EVA
Ja, ich bin dein!

ADAM
      Ich liebe dich!

EVA
Ich liebe dich, für ewig, ewig!

GELEHRTER
Ach, Wahnsinn. Sonderbar. Gespenster
Von einst in unserm sonnenklaren
Jahrhundert. Woher mag das kommen?

ADAM
Ein später Strahl vom Garten Eden.

DER GREIS
Wie schad!

ADAM
      Ihr sollt uns nicht bedauern!
Der Wahn ist unser; ungeneidet
Bleib euch die Nüchternheit. Was groß
Und edel war, ist solcher Wahn,
Von enger Sorge unbeschränkt.
Ein Geisterlaut aus edlen Sphären,
Er schwebt uns zu als süßer Schall,
Zum Zeugnis, daß wir ihm verwandt,
Daß wir den Erdenstaub verachten
Und uns den Weg zur Höhe suchen.
Er hält Eva umschlungen.

DER GREIS
Was schwätzt er? Ins Spital mit ihnen!

LUZIFER
Nur Eile hilft. Wir reisen, Adam!
Sie versinken.


VisszaKezdõlapElõre