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KÜNSTE

KUNSTGESCHICHTE
MUSIKGESCHICHTE
TANZGESCHICHTE



KUNSTGESCHICHTE

Die Kunst der frühen Anjouzeit (1300-1350)

Einführung

Für die Künste war die stürmische Geschichte im ersten Viertel des Jahrhunderts wenig vorteilhaft. Wer es sich leisten konnte, wandte sein Vermögen zum Bau von Burgen oder zur Kriegführung auf. Allerdings erstarkten gerade zu jener Zeit die im 13. Jahrhundert entstandenen Hospessiedlungen, wo man massenweise neue, wenn auch einfache Kirchen konservativen Stils erbaute. Erst von den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts an belebte sich das Mäzenatentum seitens der königlichen Familie, der Kirche und der neuen Aristokratie. Als Vorbild in der Baukunst diente die klassische Spätgotik französischer Herkunft, wie man sie im benachbarten Böhmen und Österreich fand. Dasselbe läßt sich auf dem Gebiet der Bildhauerei und zum Teil der Malerei beobachten, wobei in diesen Kunstzweigen, vor allem in der anspruchsvolleren Umgebung des Hofes oder Klerus, auch der Einfluß der italienischen Trecentokunst eine bedeutende Rolle gespielt hat.

Architektur

Burgen

Nutznießer der anarchischen Zustände nach dem Aussterben des Arpadenhauses waren die Provinzherren und ihre Familiares. Bei den zur Jahrhundertwende von ihnen erbauten Burgen handelte es sich um kleine, an einer schwer erreichbaren Stelle stehende Steinfestungen mit Turm, Ringmauer, einem Palast und einer Zisterne (z.B. Márévár, nach 1316). Auf Bequemlichkeit und Prunk gab man wenig. In noch größerer Zahl baute man neben Landhäusern kleinerer Grundbesitzer Holzfestungen, sog. Motten, die aus Graben, Umzäunung und einem Holzturm oder Haus bestanden. Als sich die Macht Karls I. konsolidierte, nahm er einen Teil dieser Burgen in Besitz, ließ viele davon zerstören und gab nur noch selten die Genehmigung zum Bau neuer.

Dorfkirchen und Klöster

In den im 13. Jahrhundert in den Grenzgebieten des Landes neugegründeten Dörfern wurden um die Jahrhundertwende die ersten Steinkirchen errichtet. Dies waren ziemlich einfache Gebäude konservativer Bauweise, wie beispielsweise die Kirchen von Csaroda und Vámosatya in der Szatmárer Gegend, Kakaslomnic und Zs/egra im Zipserland oder Velemér in Westungarn. Damals nahm die Entwicklung des von Ungarn gegründeten Einsiedlerordens der Pauliner einen stärkeren Aufschwung, die ihr Ordenszentrum im St. Laurenzkloster bei Ofen einrichteten. Hauptsächlich für die anspruchslosen Pauliner stifteten Grundherren zahlreiche Kirchen, die aber kaum größer als Dorfkirchen waren (Diósgyõr vor 1304, Dédes vor 1313, Uzsaszentlélek vor 1333, Felnémet 1347). Auch die Kartäuser Eremiten siedelten sich in Ungarn an. Sie erbauten Menedékkõ im Zipserland (vor 1308) sowie das rote Kloster in Lechnitz (1319-1344). Die Einwohner von Siklós errichteten vor 1333 neben ihrer Burg ein Kloster für die Augustiner Domherren.

Kathedralen

In den 1330er Jahren begann man mit dem Wiederaufbau der Kathedralen, die bei den inneren Kämpfen der vorangegangenen Jahrzehnte beschädigt worden waren. Bischof Andreas Szécsi (1320-1356) ließ das im 13. Jahrhundert angefangene Gebäude des Karlsburger Doms fertigstellen. Zu jener Zeit entstanden der einschiffige gotische Dom in Nitra (1333-1335) und auch der Chor der Graner Kathedrale (1336-1351). Unter Bischof Andreas Bátori (1329-1345) erhielt der Großwardeiner Dom in den 1330er Jahren eine monumentale Westfassade mit zwei poligonalen Türmen, einer dazwischen plazierten Empore und einem prunkvollen Portal. Durch ein ähnliches Turmpaar im Westen ließ Bischof Nikolaus Dörögdi (1332-1361) den Erlauer Dom erweitern. In der zwischen den Türmen gelegenen Vorhalle wurde auch er zur letzten Ruhe gebettet. Im Falle der beiden letzgenannten Kathedralen nahm man noch vor Mitte des Jahrhunderts nach französischem Muster den Bau eines Chores mit Umgang und Kapellenkranz in Angriff. Die 1342 begonnenen Bauarbeiten in Großwardein zogen sich bis zum Beginn des 15. Jahrhunderts hin, und der Erlauer Chor wurde vielleicht niemals beendet.

Königliche Zentren

1323 verlegte Karl I. seinen Sitz nach Visegrád. Der Hof richtete sich zunächst in der Visegráder Burg und dann in einem Haus in der Stadt - dem Vorgänger des Visegráder Königspalastes - ein. Um 1340 begann man, neben dem Haus des Königs eine prächtige Kapelle zu errichten. Doch bald wurden die Arbeiten unterbrochen, denn 1347 zog der Hof wieder nach Ofen um. Die frühere Königsburg in Altofen schenkte Ludwig I. 1343 seiner Mutter, Königin Elisabet Piast, die sie zu ihrer Residenz ausgestaltete. Nahe der umgebauten Burg ließ die Königin noch vor 1350 ein Klarissenkloster bauen, und stiftete vor 1348 neben der Peterskirche der Altofner Propstei zu Ehren der Heiligen Jungfrau eine neue Kirche. Am vormaligen Ofner Sitz der Könige, in dem unter Karl I. erbauten Kammerhof, entstand 1349 die Kapelle St. Martin. Erst damit war der Ort nunmehr geeignet, die Rolle einer wirklichen Residenz zu übernehmen. Herzog Stephan, der jüngere Bruder des Königs, ließ am Südende der Stadt seine Ofner Burg ausbauen.

Königliche Sakralbauten

Im Jahr 1318 vernichtete eine Feuersbrunst die Kathedrale in Stuhlweißenburg. Karl I. ließ sie wieder aufbauen: Die Pfeiler wurden verstärkt, das Hauptschiff erhielt ein Gewölbe, und der romanische Bau verwandelte sich nach und nach in eine gotische Kirche. 1327 brach erneut ein Brand aus, wobei allerdings nur das Dach beschädigt wurde. In Kolozsmonostor ließ der König die arpadenzeitliche Benediktinerabtei umbauen. Der mit einfachen Detailformen gestaltete Chor der Kirche steht noch heute. In den Jahren um 1330-1340 errichtete man den neuen Chor in der Kirche des Klosters der Dominikanernonnen auf der Margareteninsel, das nahe bei den neuen Königszentren lag. Etwas später entstand die prächtige, mit Skulpturen geschmückte Chorsperre in der Kirche des Piliser Zisterzienserklosters. Letztgenannte Bauten lassen sich an die Bauhütte der unvollendet gebliebenen Palastkapelle in Visegrád binden. Sie vertreten den mitteleuropäischen Stil der klassischen Spätgotik.

Städte

Zahlreiche Städte beendeten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts den Bau ihrer Statdmauern bzw. Kirchen. Die Dreierstruktur der Stadt Ödenburg wurde 1340 fertiggestellt. Aus der Zeit um 1300 stammen das Schiff und die Chorschranke der Ödenburger Franziskanerkirche, und im ersten Drittel des Jahrhunderts schuf man den Kapitelsaal. Damals entstand auch die erste Synagoge der Stadt. In den 1330er Jahren wurde der Chor der Preßburger Klarissenkirche errichtet, im Stil verwandt mit dem Ödenburger Kapitelsaal. In den Zipser Gemeinden Neudorf und Leutschau baute man große Hallenkirchen. Einen neuen Chor erhielten zu der Zeit die Hermannstädter Pfarrkirche sowie die Kaschauer Elisabetenkirche, und dazu kam in Kaschau noch eine dem hl. Michael geweihte Friedhofskapelle. Auch vor den Gutszentren der Grundherren machte die Entwicklung nicht halt. Thomas von Szécsény z.B. gründete vor 1335 in Szécsény ein Franziskanerkloster.

Bildende Kunst

Plastik

Im Kloster der Dominikanernonnen auf der Margareteninsel wurde nach dem Bau des neuen Chores, im zweiten Drittel des Jahrhunderts, das von italienischen Meistern gefertigte Grabmal der hl. Margarete aufgestellt. Von denselben Bildhauern stammt der in Visegrád zum Vorschein gelangte Kopf eines Mönchs. Der früheste Flügelaltar Ungarns, dessen mittleren Baldachin reliefierte Flügel flankieren, blieb in Kríg erhalten. Vorbild für die Madonna von Pozsonyszöllõs war der französische Typ des 13. Jahrhunderts. Die erste Madonna von Toporc aus dem zweiten Viertel des Jahrhunderts sowie die Ruszkiner Madonna folgen bereits moderneren süddeutschen Mustern. Neben den Madonnen vertreten hauptsächlich Kruzifixe die Holzplastik des Zeitalters. Charakteristisch für diese Werke ist die verstärkt schmerzensreiche Darstellung des an einem verstümmelten, lebendigen Kreuz hängenden Korpus. Das schönste dieser Denkmäler von der Mitte des Jahrhunderts ist in der Kirche im Zipser Matzdorf erhalten geblieben.

Malerei

Für die Fresken von Szepeshely, Szepesdaróc und Kakaslomnic war der Anfang des Jahrhunderts vorherrschende, byzantinisch beeinflußte Stil bestimmend. Der Freskenzyklus in Tereske dagegen entstand im Zeichen des Sils der mitteleuropäischen Gotik. Ein beliebtes Thema war die Legende des hl. Ladislaus. In den dreißiger Jahren des 14. Jahrhunderts gingen Meister aus Mittelitalien daran, die Kapelle des Erzbischofspalastes in Gran auszumalen, und in den fünfziger Jahren folgten die Kapelle des Agramer Bischofspalastes sowie der Großwardeiner Dom. Auch in der Buchmalerei kam der italienische Einfluß zur Geltung, und zwar durch solche, in erster Linie in Bologna in Auftrag gegebene Kodizi wie die Bibel des Schatzmeisters Demetrius von Nekcse oder das für Herzog Andreas illustrierte Anjou-Legendarium.

Kleinkunst

Ein schönes Denkmal der Goldschmiedekunst des 14. Jahrhunderts ist das Ziborium (Hostiengefäß) von Körtvélyes, an dessen Seiten als Dekoration verschiedene Szenen eingraviert sind. Ähnlicht verziert wurde auch das Kreuz von Zipser Neudorf. Der in Paris entstandene, emaillierte, tragbare Altar gehörte einst Königin Elisabet Piast. Sie schenkte ihn später den Altofner Klarissen. Hortfunde und Grabbeigaben aus diesem Zeitalter beinhalten Gegenstände weltlicher Bestimmung. Die Siegel wurden ebenfalls von Goldschmieden angefertigt. Neben der Serie königlicher Majestätssiegel mit hohem künstlerischen Niveau verdient hier als Besonderheit auch das Siegel des Ritterordens des hl. Georg Erwähnung. Auf den Siegeln der Barone sah man im allgemeinen ihr Wappen, mitunter Ritterdarstellungen, die der Städte zeigten deren Schutzpatron oder die Stadtmauern. Kleriker ließen ihre Siegel häufig mandelförmig, darin mit dem Titularheiligen ihrer Kirche, arbeiten.

Die Kunst der späten Anjouzeit (1350-1400)

Einführung

Zu Beginn des Zeitalters zählten Königinmutter Elisabet, von den 1370er Jahren an König Ludwig I., anschließend dann seine Tochter Maria und sein Schwiegersohn, König Sigismund, als bedeutendste Auftraggeber. Es war die Blütezeit der höfischen Kultur, die sich der im Europa dieser Zeit dominierenden internationalen Gotik lückenlos anpaßte. Italiens Einfluß spielte in jedem Zweig der Kunst eine markante Rolle, doch auch die Kunst des benachbarten Prager Kaiserhofes machte ihren Einfluß mehr und mehr geltend. Der die Bauvorhaben in Prag leitende Peter Parler eröffnete einen neuen Abschnitt der gotischen Architektur, was in Ungarn natürlich nicht ohne Widerhall blieb. Daneben gab es in Mitteleuropa aber auch eine puritane, vor allem von den Bettelorden verbreitete Stilvariante. Die Kunst der Städte war aufgrund enger Handelsbeziehungen durch zahlreiche Bande an Österreich und Klein-Polen geknüpft.

Architektur

Visegrád

Nachdem sich der Königshof 1355 erneut in Visegrád eingerichtet hatte, ließ Ludwig I. das frühere Stadthaus zu einem Palast erweitern. Bis zu den 1370er Jahren war auch der Umbau der Visegráder Hauptburg abgeschlossen, und Ende der siebziger Jahre dürfte man mit dem Neubau des Visegráder Königspalastes begonnen haben, der allerdings erst um 1400 unter Sigismund beendet wurde. Die Marien-Pfarrkirche der Stadt und das Augustinerkloster renovierte man ebenfalls.

Zu seiner königlichen Residenz machte Ludwig I. die Ofner Burg. Vom Ende der 1370er Jahre an hatte er sie durch einen neuen Hof, weitere Palasttrakte und eine Kapelle erweitern lassen. Auf den Zeitpunkt der Fertigstellung des Palastes deutet, daß der frühere Königssitz in Ofen, der Kammerhof, 1382 verschenkt wurde. Die den neuen Hof abschließenden Befestigungen enstanden bereits unter der Herrschaft Sigismunds und seiner Gemahlin Maria. In der Stadt begann man zu der Zeit mit dem Bau der Maria-Magdalenen-Pfarrkirche und des gotischen Chores der Nikolaikirche des Dominikanerordens.

Bischöfliche Bauvorhaben und Burgen

Bischof Koloman von Raab (1336-1375), der uneheliche Sohn Karls I., verschönerte seine Burg in Raab mit einem wappengeschmückten Torturm. In Fünfkirchen gründete Bischof Nikolaus von Poroszló 1355 neben dem älteren Bischofspalast die Kapelle der Goldenen Maria. Hier wurde er im Jahr 1360 bestattet. Sein Nachfolger, Bischof Wilhelm (1361-1374), ließ den Palast umbauen und brachte darin vielleicht sogar die auf seine Initiative gegründete Fünfkirchner Universität unter. Auch er fand seine letzte Ruhestatt in der Goldenen Marienkapelle, in einem prächtigen, mit Skulpturen und Baldachin geschmückten Grabmal. Ludwig I. ließ in den 1370er Jahren die Burg von Diósgyõr mit vier Ecktürmen und die Burg von Sohl ohne Türme, beide mit regelmäßig quadratischem Grundriß, bauen. Sigismunds Burg in Végles entsprach dem Sohler Typ. Eine einfachere, aber ebenfalls über regelmäßig quadratischem Grundriß erbaute Variante mit einem von zwei Wohntrakten umgebenen, geschlossenen Hof war die Burg Gesztes aus der Sigismundzeit.

Die Städte Westungarns und des Oberlandes

Bei den Neubauten der westungarischen Städte folgte man Wiener bzw. Wienerneustädter Mustern. Der Turm der Ödenburger Franziskanerkirche, die Michaelis-Pfarrkirche und die St. Georgskapelle sowie die neue Synagoge vertreten die Baukunst der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts. Zu jener Zeit enstanden in Preßburg der Westteil der Pfarrkirche St. Martin und der Klarissenkriche sowie die Johanneskapelle der Franziskanerkirche. Auch die Pfarrkirche zu Leutschau wurde damals beendet, während man in Tirnau erst mit dem Bau einer Kirche begann. In Leutschau kam dazu noch eine neue, große Franziskanerkirche. An der Pester Pfarrkirche wurde zwecks Erweiterung ein Hallenchor mit Umgang angebaut. Um 1380-1400 erhielt der Veszprémer Dom einen neuen Chor mit einfachen Detailformen und darunter mit einer Krypta.

Städte in Siebenbürgen

Auch in Siebenbürgen kam der Einfluß der österreichischen Architektur des 14. Jahrhunderts zur Geltung: Zum Teil auf dortige Vorbilder sind die Chöre der Pfarrkirche Szászsebes und der Kronstädter Schwarzen Kirche mit Pseudoumgang bzw. der im Hallenschema erbaute dreiteilige Choranfang der Klausenburger Pfarrkirche zurückzuführen. Das Langhaus der Hermannstädter Pfarrkirche hingegen wurde den lokalen sächsischen Traditionen gemäß nach altem basilikalen Schema mit Querschiff fertiggestellt, und vor der Westfassade ein mächtiger Viereckturm errichtet. Dieser Kirchentyp ist in kleinerer Form auch in anderen sächsischen Siedlungen zu finden, beispielsweise in Etzel. Die Franziskanerkirche in Marosvásárhely entspricht dem im ganzen Land verbreiteten einschiffigen Typ mit langem Chor. Ihre Portale zeigen eine in Siebenbürgen allgemein beliebte, etwas antiquierte, aber reich gegliederte Form. Ebenfalls schöne Beispiele für diesen Typ sind die Portale der reformierten Kirche von Altthorenburg.

Klöster

Die Blütezeit des Paulinerordens dauerte auch in der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts an. Ähnlich dem Schema der 1361 eingeweihten Klosterkiche von Csatka mit eingezogenen Strebepfeilern entstand die Kirche des Klosters Tüskevár. In Budaszentlõrinc erbaute man zur Sigismundzeit die neue dreischiffige Hauptkirche, während der Chor der alten Kirche zu einer Kapelle für die Reliquien des hl. Eremiten Paulus umgebaut wurde. Immer häufiger konnte man in den Marktflecken oder der Nähe von Grundherrensitzen beobachten, wie Bettelordensklöster entstanden. Der lange Chor der von Stephan Lackfi in Keszthely gestifteten Franziskanerkirche war schon 1397 fertig. Das überwölbte Schiff konnte erst Anfang des 15. Jahrhunderts beendet werden. Die Kirche des Prämonstratenserklosters zu Lelesz wurde in den 1350-60er Jahren wiederhergestellt.

Bildende Kunst

Plastik

Das Stuhlweißenburger Grabmal der Angeviner ist leider nur fragmentiert auf uns gekommen. Unversehrt erhalten blieben dagegen die Grabsteine zweier Äbte von Pannonhalma aus den Jahren 1365 und 1372. Holzplastiken dieses Zeitalters kann man vorwiegend noch im Oberland finden. Aus der Gegend der Bergstädte stammt die Plastik des hl. Nikolaus von Szelcse. Die reichste Skulpturenserie des Zipserlandes aber sind die am Giebel des späteren Hauptaltars plazierten Apostel der Jakobskirche zu Leutschau. Verschiedene Typen der Madonnenskulpturen repräsentieren die Madonna von Szlatvin bzw. von Kõperény. Schöpfer der - heute in Prag stehenden - Bronzeplastik des hl. Georg (1373) sowie des untergegangenen Großwardeiner Reiterstandbildes Ladislaus des Heiligen und der die drei heiligen Könige darstellenden Standbilder waren Martin und Georg von Klausenburg, die vielleicht bedeutendsten Bildhauer des ungarischen Mittelalters.

Malerei

Eine wichtige Rolle spielten in der Malerei der zweiten Hälfte des Jahrhunderts weiterhin die Einflüsse des italienischen Trecento. Das bezeugen die Fresken im Chor der Keszthelyer Franziskanerkirche vom Ende des 14. Jahrhunderts sowie die aus den 1360er Jahren stammenden Fresken von Zsigra im Oberland. Zum Kreis der linearen Gotik westlicher Herkunft gehört die Dekoration im Chor der Kirche von Somorja auf der Großen Schüttinsel. An den Malereien im Chor der Leutschauer Jakobskirche oder dem St. Dorotheen-Zyklus hingegen sind zum Ausgang des Jahrhunderts bereits die Merkmale der internationalen Gotik wahrnehmbar. Die bedeutendsten Freskenzyklen des Zeitalters wurden von Johannes Aquila geschaffen, dessen Hauptwerke - obwohl er aus der Steiermark stammte - im Gebiet des mittelalterlichen Ungarn erhalten blieben: in den Kirchen von Velemér (1378), Bántornya (1383 bzw. 1389) und Mártonhely (1392).

Buch- und Tafelbildmalerei

Die Bilderchronik, das wichtigste Denkmal der zweiten Hälfte des 14. Jahrhunderts, wurde von einem Meister koloriert, der sein Handwerk in Italien erlernt hatte. Namentlich bekannt ist uns Pfarrer Heinrich von Csukárd, der im Jahr 1377 als Miniaturmaler ein Missale (Meßbuch) schmückte. Ausgangs des Jahrhunderts machte die internationale Gotik ihren Einfluß in immer stärkerem Maße geltend. Sie verbreitete sich auf dem Wege von Handschriften, welche - wie die in den Besitz des Preßburger Kapitels übergegangene Bibel des Wenzel Ganyos - aus Böhmen nach Ungarn gelangten. Ein bereits in Ungarn entstandenes Denkmal dieses Stils ist das Missale des Ladislaus Miskolci (1394). Aus diesem Zeitraum stammen auch die ersten ungarländischen Tafelbilder: Ludwig I. schenkte der ungarischen Kapelle zu Aachen 1367 drei Bilder, davon ist heute allerdings nur noch der Rahmen original. Besser erhalten blieb das als Geschenk nach Mariazell gesandte Madonnenbild, dessen Stil von Vorbildern italienischer Provenienz zeugt.

Kleinkunst

Aus der Hofhaltung Ludwigs I. sind verschiedene Gegenstände der Goldschmiedekunst auf unsere Zeit gekommen. So z.B. das Doppelkreuz des Königs und auch jener Schatz, den er der ungarischen Kapelle in Aachen zum Geschenk gemacht hatte: Altarausstattungen, Reliquienschreine, wappengeschmückte Pluvialeschnallen. Einen damals sehr beliebten Typ des Reliquienschreins vertritt die aus den 1380er Jahren stammende Herme (Kopfreliquiar) von Trentschin. Im Auftrag der aus Bosnien stammenden Königin Elisabet entstand der Silbersarg des hl. Simeon in Zadar. Als ein Geschenk von Königin Maria mag das mit der Gestalt des auferstandenen Christus bestickte Graner Paramentum (Altardecke) ins Paulinerkloster nach Göncruszka gelangt sein. Vom Reichtum der liturgischen Gewänder zeugt die in Raab erhalten gebliebene Mitra (Bischofsmütze). Jahrhundertelang versorgte eine Werkstatt in Zipser Neudorf den größten Teil des Oberlandes mit Glocken und bronzenen Taufbecken. Sie war von Meister Konrad Gaal gegründet worden. Zu dieser Zeit erschienen auch die Kachelöfen.

Die Kunst der späten Sigismundzeit (1400-1437)

Einführung

Für König Sigismund stellte die künstlerische Repräsentation ein wichtiges Mittel der Politik dar. Er strebte in Ofen nach westlichen Vorbildern eine Hofhaltung zu entfalten, die eines Kaisers würdig war. Die aus Frankreich, Süddeutschland und Österreich herbeigerufenen Meister der königlichen Bauvorhaben schufen sowohl auf dem Sektor der Architektur als auch der Plastik Kunstwerke epochaler Bedeutung. Der Stil dieser königlichen Bauten hat in zahlreichen Städten und Gutsherrenzentren der Kunst seinen Stempel aufgedrückt. In Ostungarn entstand an einer der wichtigen Handelsrouten mit dem Zentrum Kaschau eine selbständige Kunstregion. Auch die Malerei der Herrscherresidenz dürfte eine würdige Nachfolgerin der Kunst am Prager Hof Karls IV. gewesen sein. Zwar verschwanden die von Italien geprägten Strömungen in der Malerei nicht ganz, doch wurden sie mehr und mehr in den Hintergrund gedrängt.

Architektur

Burgen und Paläste

Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts gab König Sigismund den Ausbau der Burg von Tata in Auftrag. Sie hatte ähnliche Form wie die Burg von Diósgyõr und eine Arkadenreihe im Hof. Auch die Visegráder Burg wurde um einen äußeren Mauerring und repräsentativen Torturm erweitert. Sigismunds Barone folgten dem Beispiel ihres Königs: Filippo Scolari ließ in Ozora ein Burgschloß norditalienischen Typs mit regelmäßigem Grundriß bauen (1416-1426), und Johannes Maróti tat es ihm in Gyula gleich. Einen unregelmäßigeren Grundriß hatten das mächtige Siklóser Burgschloß der Familie Garai sowie ihre auf einem Berg erbaute Burg Csesznek (1424). Beim Bau der letztgenannten Burg gab es, ähnlich wie im Fall der Bergburg des Woiwoden Stibor in Beckó, keine Möglichkeit, den Grundriß regelmäßig zu gestalten. Auch zahlreiche schwach befestigte, bequeme Kastelle (Schlösser) entstanden in diesem friedlichen Zeitraum, z.B. in Tar, Kisnána und Szászvár.

Ofen

In den Jahren um 1410 begann Sigismund, den Ofner Burgpalast ausbauen zu lassen. Hinzu kamen ein weiterer gewaltiger Gebäudeblock mit einem großen Saal im Obergeschoß sowie ausgedehnte Wehranlagen. In der Nähe des Friss-Palast genannten königlichen Stadthauses im Vorraum zur Burg gründete der König die St. Sigismundpropstei, deren zwischen 1410 und 1424 fertiggestellte Kirche der ebenfalls zu dieser Zeit wiederhergestellten Maria-Magdalenen-Pfarrkirche glich. Parallel zu den Palastbauten gestaltete man die Pfarrkirche der deutschen Bürger von Ofen, die Liebfrauenkirche, in eine Hallenkirche um, mit neuen Nebenchören, einem prunkvollen Südportal und der Kapelle der Familie Garai. Auch die Stadt selbst erlangte damals durch den Bau zahlreicher ein- und zweigeschossiger Steinhäuser ihr bis zum Ende des Mittelalters bestimmendes Äußeres.

Preßburg

Die Bautätigkeit in Preßburg stand im ersten Viertel des Jahrhunderts noch unter dem Einfluß Wiens. Beweise dafür sind unter anderem der Turm der Franziskanerkirche oder das Rathaus. Angesichts der von Seiten der Hussiten drohenden Gefahr ließ Sigismund mit Beginn der 1420er Jahre Stadt und Burg stärker befestigen. In den 1430er Jahren wurde die Burg zu einem wichtigen Aufenthaltsort des Monarchen. Man brach die Bautätigkeit in Ofen ab und die Bauhütte unter Leitung von Meister Konrad von Erling zog nach Preßburg um. Beim Bau der Burg mit quadratischen Grundriß und vier Ecktürmen folgte man dem Diósgyõrer Muster. Der prächtige Torturm der äußeren Mauer ist ein an den Brückenturm in der Prager Altstad erinnernder Verwandter der Tortürme von Visegrád und Ofen in dekorativerer Ausführung. Der Stil der in der Burg tätigen Bauhütte bestimmte zugleich die Bautätigkeit in der Stadt. Sein Einfluß kam am neuen Flügel des Preßburger Rathauses, beim Abschluß des westlichen Teils der Preßburger St. Martinskirche, aber auch in den Detailformen mehrerer Stadthäuser zur Geltung.

Ostungarn

Zu Beginn des 15. Jahrhunderts ging man an den Neubau der Kaschauer Elisabetenkirche. Es entstand eine fünfschiffige Kirche mit Querbau und drei prächtigen Portalen. Der Stil des Bauwerkes, insbesondere aber der Portale, zeugt vom gemeinsamen Einfluß der königlichen Bauten in Ofen und der Prager Parler-Werkstatt. Noch vor 1440 beendeten Meister, die ihr Handwerk in Wien erlernt hatten, das Gewölbe der Kirche. Dieser Bau in Kaschau begründete einen so charakteristischer Stil, der von den zwanziger Jahren des 15. Jahrhunderts an von Krakau bis Kronstadt Verbreitung fand. Unter dem Einfluß der Pfarrkirche wurde nicht nur die Kaschauer Franziskanerkirche erbaut, sondern dem Vorbild der Kauschauer Portale folgte man auch in Nordostungarn, in Siebenbürgen beim Langbau der Klausenburger Michaeliskirche, der Kronstädter Pfarrkirche oder der Segesvárer Bergkirche und in Krakau an der Kazimierzer Augustinerkirche.

Die westliche Landeshälfte

Der Raaber Bischof Johannes Hédervári (1386-1415) ließ den hiesigen Dom Anfang des 15. Jahrhunderts grundlegend verändern. An der Südseite des neuen, dreischiffigen Gebäudes mit westlichem Turmpaar erhob sich nun eine reich ausgestaltete Kapelle. In Güns wurde die Pfarrkirche St. Jakob im Auftrag der Familie Garai zu einer dreischiffigen Hallenkirche mit Langchor umgebaut. Gleichermaßen um die Jahrhundertwende entstand die Agramer St. Markuskirche, deren Portal aus dem 15. Jahrhundert Verwandtschaft zur Ofner Garai-Kapelle zeigt. Eberhard Bischof von Agram veranlaßte zwischen 1410 und 1419, mit dem Ausbau des Hallenschiffs der Agramer Kathedrale zu beginnen, der unter seinem Nachfolger Johannes (1421-1433) fortgesetzt wurde. Den Gegenpol in der transdanubischen Baukunst, die Kirchen der kleinen Marktflecken, repräsentiert die Pfarrkirche von Berhida.

Die Architektur des Oberlandes und Oberungarns

Ende des 14. oder besser Anfang des 15. Jahrhunderts begannen die Arbeiten an der neuen Hallenkirche und dem Klostergebäude der Abtei Garamszentbenedek. Die Pfarrkirche von Preschau erweiterte man nach 1391 durch einen ähnlich hallenartigen, aber unregelmäßigeren Choranfang. Die Pfarrkirchen der Marktflecken im Zipserland (z.B. Szepesbéla, Kakaslomnic) erhielten anhand böhmischer und polnischer Vorbilder der Reihe nach auf Mittelpfeiler oder Pfeilerreihen gestützte Gewölbe. Nach diesem Schema entstand das Gewölbe in den Pfarrkirchen von Kremnitz und Tar, und vermutlich auch in der Kaschauer Franziskanerkirche. Einen besonderen Typ unter den in Ungarn als Begräbnisstätten für Aristokratenfamilien erbauten Klöstern vertritt die von dem Woiwoden Stibor gegründete Kirche des Augustinerordens in Vágújhely, die dem Beispiel der Prager Kirche Karls des Großen (und damit indirekt der Aachener Palastkapelle) folgt. Bei den Paulinerkirchen in Kurityán (nach 1419) und Gönc (1429) handelt es sich um herkömmliche Bauten.

Bildende Kunst

Steinplastik

Dem das erste Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts bestimmenden weichen Stil entsprach in der Steinplastik am ehesten die zu jener Zeit sehr beliebte Pieta (Darstellung Mariens mit dem Leichnam Christi auf dem Schoß). Das schönste dieser Denkmäler blieb in Hermannstadt erhalten. Als bedeutendste Skulpturengruppe aus dem zweiten bzw. dritten Viertel des 15. Jahrhunderts zählt der 1974 in Buda (Ofen) zum Vorschein gelangte gotische Skulpturenfund. Die Meister dieser Statuen kamen aus allen Gegenden Europas und vertraten die modernsten Stilrichtungen des Zeitalters. Von ihrer Hand stammen die in der Sigismundkirche gefundenen Skulpturen sowie der Kopf eines Mädchens aus dem Königspalast. Auch aus der Ofner Liebfrauenkirche sind uns einige Anfang des 15. Jahrhunderts entstandene Plastiken bekannt. Zu den bedeutendsten Denkmälern der Grabmalplastik gehören die figürlichen Stibor-Grabmäler aus rotem Marmor.

Holzplastik und Altäre

Das herausragendste Denkmal des weichen Stils in der ungarischen Holzplastik, der Altar von Kislomnic, wurde in den 1410er Jahren angefertigt. Einen ähnlich grazilen Stil vertreten die Statuen der Magdalena aus Dénesfalva und der hl. Dorothea aus Barka. Verwandte Züge zum Stil des Ofner Skulpturenfundes lassen sich an dem Schmerzensreichen Christus von Fonyód entdecken. Die zweite Madonna von Toporc hingegen deutet bereits in Richtung Spätgotik.

Vom Anfang des 15. Jahrhunderts sind auch die ersten bemalten Altäre erhalten geblieben. Die Jeremia-Tafel von Pónik sowie das am Katharinenaltar in Leutschau angebrachte Triptychon, aber auch der von Thomas Kolozsvári 1427 bemalte Kalvarienaltar aus Garamszentbenedek - das bedeutendste Denkmal des weichen Stils in Ungarn - verraten den Einfluß der böhmischen Malerei. Den Stil des Altares in Németújvár (Güssing) bestimmte die Kunst der benachbarten österreichischen Gebiete. Von ihm ist nur ein Ausschnitt mit dem Bild der spinnenden Maria überliefert.

Wandmalerei

Wie Reste von Wandmalereien im Chor der Pester Pfarrkirche oder die Fresken in Rimabrezó belegen, übte die Kunst Italiens zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch immer einen wesentlichen Einfluß aus. Für die Ausschmückung der kleineren Landkirchen sorgten wandernde Malerwerkstätten, deren Stil mitunter stark provinziell geprägt war. Ein bemerkenswertes Beispiel für den weichen mitteleuropäischen Stil ist der 1415 geschaffene Freskenzyklus der Pfarrkirche von Pónik. Höchste Vollkommenheit erlangte dieser Stil mit dem Auferstehungsgemälde in der Kaschauer Elisabetenkirche, das in den 1420er Jahren entstand. Am reichen Freskenschmuck der Kirche im siebenbürgischen Almakerék (Malmkrog) sind die Einflüsse der böhmischen Malerei zu erkennen. Weiterhin beliebt blieb die Darstellung der Legende von Ladislaus dem Heiligen. Ein gutes Beispiel dafür ist das Fresko von Székelyderzs aus dem Jahr 1419.

Buchmalerei

Der in Böhmen vorherrschende weiche Stil vom Anfang des 15. Jahrhunderts wirkte sich auch auf die ungarische Buchmalerei aus. Reiche Pflanzenornamentik und daneben mit sanfter Hand gemalte figürliche Initialen zieren das Missale "D" der Propstei Preßburg. Aus einem anderen Preßburger Meßbuch stammt das Blatt mit einer Darstellung der Kreuzigung, einem Kanonbild. Auch der Kodex mit dem Stadtrecht von Kremnitz wurde kunstvoll verziert. Ein Denkmal außergewöhnlicher Schönheit ist das Missale der Waitzener Goldschmiedezunft aus dem Jahr 1423, dessen Anfangsinitiale der Illuminator Johann mit einem Bild des Schutzpatrons der Goldschmiede, des hl. Eligius, geschmückt hatte. Das prachtvolle Breviarium des Graner Erzbischofs Georg von Pálócz (1423-1439) blieb ebenfalls erhalten. König Sigismund ließ im Verlaufe seiner Reisen zahlreiche Wappenbriefe ausstellen, welche immer von den gerade verfügbaren lokalen Malern verziert wurden.

Kunstgewerbe

Von der Textilkunst der Sigismundzeit künden mehrere erhalten gebliebene Meßgewänder mit feinen Stickereien. Als Beweis für die hochentwickelte Ritterkultur am Hof König Sigismunds steht ein Sattel, den Beinschnitzereien und das Zeichen des Drachenordens zieren. Ein frühes Denkmal der typisch ungarischen Drahtemailletechnik ist die Herme des hl. Königs Ladislaus. Zu dieser Zeit verbreiteten sich so kunstvoll gefertigte Hostien wie z.B. das Stück aus Szendrõ. Den Kelch von Torna bedeckt gravierte Verzierung. In Fortsetzung der Traditionen des 14. Jahrhunderts wurden im Oberland und in Siebenbürgen zahlreiche bronzene Taufbecken gegossen. Das Hafnerhandwerk konnte sich zur Sigismundzeit wahrhaft entfalten. Nicht mehr nur am Königshof gab es die verschiedensten Arten von farbenfrohen Kachelöfen, auch in Burgen und Adelssitzen, ja sogar in Stadthäusern waren sie damals schon zu finden.

MUSIKGESCHICHTE

Die Lebensbedingungen der Musik

Nach der Arpadenzeit kam es in Ungarn sowohl im politischen und Wirtschaftsleben als auch in der geistigen Sphäre, so im Bereich der Musik, zu Veränderungen. Die auf Westeuropa ausgerichtete Politik Karls I. brachte den anfänglichen Auflösungsprozeß (Mongolenüberfall, innere Anarchie) zum Stillstand, und im 14. Jahrhundert kann man bereits von einem tatsächlichen kulturellen Aufschwung sprechen. Durch die dynastischen Beziehungen der Angeviner öffnete sich der intellektuelle Gesichtskreis mehr und mehr in Richtung Westen. Bergbau und Handel kamen in Schwung, was zur Entstehung neuer urbaner Zentren führte (hauptsächlich im Oberland und in Siebenbürgen), und das wirtschaftliche Wachstum barg auch für die Musik neue Möglichkeiten. Zwar bildete sich bei uns kein so dichtes Städtenetz heraus wie im Westen, weshalb es auch nicht zu einer so hohen Konzentration von Intellektuellen kam, nicht kommen konnte, wie in den dortigen Zentren. Ungeachtet dessen zählt das Spätmittelalter als die Glanzzeit des musikalischen Lebens in Ungarn, welche im Hinblick auf Breite und Tiefe des Musikunterrichts und der musikalischen Praxis ein gleichermaßen einheitliches Bild zeigt.

Neue Angaben zum Musikleben

Neben einer wachsenden Zahl Musikdenkmäler (Notenhandschriften) belegen Urkunden und Bilanzen aus dieser Zeit, wie beständig und intensiv das kirchliche und öffentliche Musikleben war. Die Schule sorgte nicht nur für die musikalische Ausgestaltung der täglichen Messe und Vesper, sondern auch von Stiftungs- und Marienmessen sowie von Trauermessen und Bestattungen. Das bedeutete jeden Tag mindestens drei- bis vierstündiges Singen in der Kirche selbst. Bestimmte Sätze erwähnen die Stiftungsmessen sogar ihrem Titel nach. Beispielsweise das bekannte Salve Regina oder unter den neueren, moderneren Stücke das Ave verum corpus. Da die Mehrzahl dieser gestifteten Messen aus dem Oberland kommt, hängt ihre steigende Zahl möglicherweise mit der Lebensform wohlhabenderer Bürger zusammen.

Außerhalb der Kirche ließen die singenden Schüler ihre Stimmen ebenfalls erklingen. Sie nahmen beispielsweise an Sonntagsprozessionen oder spektakulären Umzügen teil (Begrüßungen, Wahlen), wo sie außer gregorianischen Gesängen auch mehrstimmige Stücke und muttersprachliche Kanzonen vortrugen. Diese Rekordation (gesangliche Begrüßung) genannte Tätigkeit - die auch Kleriker niedrigeren Ranges und sogar Bauern pflegten - blieb als Volksbrauch (Neujahrsgruß, Gruß zum Namenstag) bis heute erhalten. Und gerade diesem Brauch ist es zu verdanken, daß die Melodien mehrerer mittelalterlicher Begrüßungen überliefert wurden.

Jokulatoren und Instrumentalisten

Während der Begriff Jokulator in früheren Zeiten ebenso den Interpreten von Heldensagen wie den singenden Unterhalter bezeichnet hatte, verschob sich seine Bedeutung später immer mehr in Richtung des Letztgenannten. Anerkannteste Gruppe unter den Instrumentalisten waren die Trompeter (und mit ihnen die Trommler). Sie dürften nahezu klingende Symbole der herrschaftlichen bzw. königlichen Macht gewesen sein (Sigismund z.B. ließ sich von ihnen sowohl auf seinem Frankreichbesuch als auch zur Jagd oder zum Hausenfang begleiten). Als städtische Angestellte ist ihre Teilnahme an Festlichkeiten (z.B. Prozessionen) und ihre Einsatz als Turmwächter erwähnenswert.

Orgeln wurden in ungarischen Kirchen, wie wir wissen, vom 14. Jahrhundert an benützt (meist waren die Organisten gleichzeitig auch Orgelbauer). Die Franziskaner, Dominikaner und Pauliner gingen bei der Verwendung dieses Instruments mit gutem Beispiel voran. Parallel zum Erstarken der Städte gibt es vom 15. Jahrhundert an immer mehr Angaben in bezug auf die Orgelbenutzung. In damaliger Zeit diente die Orgel noch nicht zur Akkordbegleitung des Gesangs. Man nutzte sie entweder zur Ausschmückung der Melodie oder setzte sie der sog. alternatim-Praxis entsprechend von Absatz zu Absatz für den Wechsel von gesanglichem und instrumentalem Vortrag ein.

Die sich vom 14. Jahrhundert an vermehrenden Bezeichnungen für Instrumentalisten - Trommler (Dobos), Dudelsackpfeifer (Dudás), Fiedler (Hegedõs), Leiermann (Kobzos), Lautenspieler (Lantos), Hornbläser (Kürtös), Pfeifer Sípos) - waren damals noch keine ererbten Familiennamen, sondern bezogen sich eher auf die Beschäftigung. Innerhalb dieser Schicht der Instrumentalisten gab es die Gruppen: Dorfmusikanten, im Dienst einer Stadt stehende Musikanten, bei Aristokraten oder Klerikern (eventuell beim König) angestellte Musiker, Wandermusikanten. Sind uns aus dieser Zeit auch keine Denkmäler mit Notenzeichen überliefert worden, ist es angesichts der auf die Musik bezogenen Sekundärangaben "nicht unbegründet..., von einem bis zum 15. Jahrhundert das ganze Land überspannenden Netz von Musikern zu sprechen".

Die Musik der Königshofes

Der königlich Hof war eines der herausragendsten Zentren der Musikkunst, die mit der Annäherung an das Niveau der westeuropäischen Kapellen zur Zeit König Matthias' ihren Höhepunkt erreichte. Den ersten Schritt in dieser Richtung hatten die Angeviner getan, und unter Sigismund gewann die bei Hofe gepflegte Musik eine noch größere Bedeutung. König Sigismund, der den Ofner Palast ausbauen ließ und die königliche Kapelle neu organisierte, hielt es für wichtig, daß ihn auf seinen Reisen auch der berühmte Minnesänger Oscar von Wolkenstein begleitete, mit dem ihn ein fast freundschaftliches Verhältnis verband. Bei diplomatischen Missionen, so dem Konstanzer Konzil, war stets auch seine Kapelle dabei, gleichsam als musikalisches Statussymbol. Die Kapelle hatte eine eigene Schule, einen Organisten sowie Blasmusiker, was sie befähigte, auch moderne, mehrstimmige Musik vorzutragen. Wobei der an die Zeremonie gebundene gregorianische Gesang natürlich weiterhin ihre wichtigste Aufgabe blieb.

Die Situation des gregorianischen Gesangs im Spätmittelalter

Seine Vorrangstellung behielt der gregorianische Gesang auch im Spätmittelalter: Noch immer stellte er den grundlegenden Lehrstoff für den schulischen Gesangsunterricht dar, dessen theoretische und praktische Kenntnisse zum Elementarwissen eines mittelalterlichen Intellektuellen gehörten. Daneben entstanden in bestimmten Gattungen auch neue Kompositonen. Bei der Messe kamen zu den Hallelujas und Sequenzen weitere Ordinarium-Sätze, klangvoller ausgeschmückte Stücke wurden geschaffen. Im Psalter erschienen parallel zur wachsenden Zahl der Heiligen neue Gesangszyklen. Doch da man diese meist übernommen (importiert) hatte, dienten sie eher den lokalen spirituellen Ansprüchen. So ist denn in den liturgischen Büchern bei dem betreffenden Heiligen auch vermerkt: "Eigener Psalm - wenn er in deinem Buche steht."

Bücherkultur und Notenschrift

Etwa 30 vollständige Kodizes und mehrere hundert Fragmente blieben aus dem 14.-15. Jahrhundert erhalten. Sie deuten auf die reiche Schreibkultur der damaligen Zeit, von der sie nur ein Bruchteil darstellen. Die Mehrzahl der Handschriften besteht aus kleinformatigen, von nicht allzu hohen Ansprüchen, aber einer sicheren Notenschrift zeugenden sog. Handbüchern, die im nachfolgenden Zeitraum mehr und mehr von großformatigen Prunkkodizes abgelöst werden. Das 14. Jahrhundert ist die Blütezeit der ungarischen Notenschrift, repräsentiert durch das in Preßburg aufbewahrte Graner Missale notatum (Meßbuch mit Notation). Diese Handschrift "erweist sich nicht nur anhand ihrer Notation, sondern auch ihrer Liturgie-Ordnung und der Gesamtheit ihrer Melodienvarianten als verläßlichster Zeuge der zentralen ungarischen Tradition".

Doch neben der ungarischen taucht in den Randgebieten schon im 14. Jahrhundert auch "eine aus dem lothringschen Schrifttyp entwickelte, stark gegliederte, "gotisierte", aus großformatigen Elementen bestehende, moderne Notation auf, die sog. Metzer gotische Notenschrift". Mit diesem Typ der Notenschrift entstand Ende des Jahrhunderts z.B. das aus dem Oberland stammende Graduale, man findet ihn aber auch in den Preßburger Kodizes des 14. Jahrhunderts sowie in Kaschauer, Klausenburger und Kronstädter Handschriften. Daneben erscheint im nordwestlichen Landesgebiet die böhmische Notenschrift - Spuren ihres Einflusses zeigt beispielsweise die Notation des II. Graner Antifonale -, während die ungarische Notenschrift außer von den die Graner Traditionen bewahrenden Zentren vom Paulinerorden weitergegeben wird, wo man später sogar versucht, daraus eine großformatige Kodexschrift zu entwickeln.

Der Einfluß der Metzer gotischen Notation auf die ungarische Notenschrift läßt sich schon im 14. Jahrhundert nachweisen, und er wird im 15. Jahrhundert noch stärker. Die Veränderung der Notenschrift spiegelt zugleich eine Art inneren Wandel der Betrachtungsweise wider, denn mehr und mehr richtete man das Augenmerk auf einzelne Töne, die Zusammengehörigkeit einer Tongruppe (Neuma) hingegen lockerte sich etwas. Auch die Schriftrichtung wurde veränderte: Anstelle der nach unten verlaufenden Punktreihen in der rein ungarischen Notation ist diese Schrift, dem chronologischen Nacheinander gemäß, nach rechts geneigt. Diese Mischnotation kann als einheimische Schöpfung betrachtet werden, welche die klaren, exakten Tonzeichen der Metzer gotischen Notation sowie die Biegsamkeit und zeichnerische Linienführung der ungarischen Notenschrift in sich vereint. Anwendung fand sie vom ersten Drittel des 15. bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts vor allem als Schreibweise für die großen, prächtigen Chorbücher. Daß gerade die zu den wichtigsten Repräsentanten der ungarischen Tradition gehörenden Kodizes (z.B. I. Graner Antifonale, Graduale von Futak) in dieser Schreibweise entstanden, zeigt ihre zentrale Bedeutung.

Die von der Wende des 14./15. Jahrhunderts stammenden Zeremonienbücher der Franziskaner und Dominikaner weichen inhaltlich und in ihrer Notenschrift von der oben geschilderten liturgischen Musiktradition in Ungarn ab. Ihre sog. quadratischen Notenformen entsprechen ebenso wie ihre diatonischen Melodienvarianten den ausländischen Vorbildern ihrer zentralisierten Orden. Im Gegensatz dazu wurden die vier Preßburger Antifonale aus dem 15. Jahrhundert zwar in der Metzer gotischen Notation geschrieben, folgen aber dennoch klar der traditionellen Graner Linie, die das ganze ungarische Mittelalter hindurch als Hauptlinie zählt.

Mittelalterliche Polyphonie

Gering im Vergleich zur Vielfalt der gregorianischen Kodizes ist die Zahl der Denkmäler mit polyphoner Musik. Mehrere Fragmente aus dem 14. Jahrhundert sowie eine die Polyphonie der Pauliner verbietende Konstitution bezeugen aber, daß sie durchaus praktiziert wurde. Vom Anfang des 15. Jahrhunderts stammt eine mehrere Sätze beinhaltende Quelle aus dem Oberland, das sog. Fragment der Sigismundzeit. Die Quellen des 14.-15. Jahrhunderts verbreiten weniger die modernen europäischen Musikstile, sondern mehr eine anonyme Art und Weise des Musizierens, die einige hundert Jahre früher weit verbreitet war und gepflegt wurde. Die eine oder andere dieser Techniken kannte man im Westen schon um die Jahrtausenwende. Als besondere, feierliche Vortragsweise galt zum Beispiel, wenn bei einem gregorianischen Stück die Solos klangvoller untermalt wurden (anfangs vermutlich mittels Improvisation). Grundprinzip bei der Komposition zwei- und dreistimmiger, auf Quarten und Quinten basierender Klänge ist die parallele und Gegenbewegung.

Außer den feierlichen Lesestücken dürfte auch die eine oder andere Trope oder - wie in einem Kodex der Franziskaner - das Halleluja der Messe auf diese Weise ausgeschmückt worden sein. Komponierte man die rhytmische Gegenstimme nicht zu einer liturgischen, sondern freien Melodie, ergab dies einen moderneren Klang, selbst wenn man dabei Intervalle benutzte, die im Grunde auf den alten (von Quarte-Quinte-Oktave ausgehenden) Prinzipien beruhten. Solche beschwingten, mehrstimmigen Kanzonen gehörten natürlich nicht zur liturgischen Musik im engeren Sinne, sondern trugen im Kreis gebildeter Kleriker eher zur Bereicherung des musikalischen Gesellschaftslebens bei. Die Umschreibung einer gregorianischen Melodie durch beweglichere Gegenstimmen hingegen war etwas, das schon genau in die Liturgie paßte, und auch dem "gelehrten" Kompositionsstil des Zeitalters näher kam.

Muttersprachliche Volksgesänge

Unser erster schriftlich überlieferter muttersprachlicher Gesang "Christus ist auferstanden..." war der beliebteste Ostergesang im mittelalterlichen Europa. Man kann ihn im Fragment der Sigismundzeit auf einem Blattrand lesen, und zwar in ungarischer, tschechischer, deutscher und polnischer Sprache (zum Osterfest sang man ihn vermutlich gemeinsam, aber jeder in seiner eigenen Sprache). Dieser Satz wurde ursprünglich entweder in die Sequenz Victimae pashali eingefügt oder in der Osternacht am Ende der Andacht, im Anschluß an das Auferstehungsspiel (Osterspiel), vom Volk angestimmt.

Als zweiten, ebenfalls frühen muttersprachlichen Gesang kann man das ungarischsprachige Te Deum betrachten. Obwohl er erst um 1500 im Peer-Kodex aufgezeichnet wurde, deutet alles darauf hin, daß dieser Gesang damals bereits sehr weite Verbreitung gefunden hatte und aller Wahrscheinlichkeit nach auch im 15. Jahrhundert schon gesungen wurde.

Außer dem Ostergesang und dem Te Deum verdient hier vielleicht noch der schon früher zitierte Weihnachtsgesang Erwähnung, der mit den Worten "Hirten der Herden" beginnt. Dies war einer der Rekordationsgesänge (Festgruß) der Schüler (in seinem Text findet sich ein Hinweis auf den "Friss-Palast" König Sigismunds). Und möglichwerweise gehörte zu jener Zeit auch der "An diesem Tag ist Christus auferstanden" beginnende Ostergesang schon zum Gesangsrepertoire des Volkes, denn sein lateinischer Text ist im Fragment der Sigismundzeit ebenfalls zu lesen. Wesentlich mannigfaltiger gestaltet sich die Geschichte des muttersprachlichen Volksgesanges erst in den nachfolgenden Jahrhunderten.

Epische Gesänge im Mittelalter

Notenaufzeichnungen unserer epischen Gesänge wurden nicht überliefert. Auch das Lied von Ladislaus dem Heiligen kennen wir lediglich aus einer Quelle des 16. Jahrhunderts, dem Peer-Kodex, wenngleich die Wurzeln seiner Melodie zweifellos ins Mittelalter zurückreichen. Im klagenden Stil der ungarischen Volksmusik wiederum bildeten sich Strophenformen heraus (gebunden an die Texte von Grabreden, Psalmen, Balladen und Klageliedern), welche im Mittelalter eine Art allgemein gebräuchlichen epischen Stil am Leben erhalten haben dürften, und denen man später in den Historiengesängen des 16.-17. Jahrhunderts wiederbegegnet.

Die Schichten der mittelalterlichen Volksmusik

Das im Mittelalter aufblühende reiche Brauchtum - einen wesentlichen Teil davon findet man heute als Volksbrauch wieder - hat sehr viele Melodien überliefert. Einige entwickelten sich zu regelrechten Zyklen, wie beispielsweise die Lieder zur Johannisnacht der Zoborgegend, deren alte Weisen kleinen Tonumfangs eindeutig mittelalterlichen Ursprungs sind. Die gemeinsamen Züge, die sowohl archaische Brauchmelodien als auch gregorianische Gesänge aufweisen, lassen sich nicht mit dem geradlinigen gegenseitigen Einfluß, sondern eher mit dem im Hintergrund verborgenen gemeinsamen Grundstock - der ähnlichen oder identischen musikalischen Denkweise - erklären. Ebenfalls im Mittelalter dürften die Hexachordmelodien in Dur enstanden sein, die zur Begleitung zeremonieller Kinderspiele (Fährmann, Umzug, Paarwechsel) dienten, sowie die Musik für dramatische Spiele (Krippenspiel) kultischer Männergesellschaften oder damaliger Gesangsvereine.

An die mittelalterliche Rekordation erinnern die von Jünglingen oder Kindern gesungenen Kantaten, und als mittelalterlich kann auch die Grundschicht des Gregorganges bezeichnet werden. Zu den grundlegenden akustischen Elementen mittelalterlicher Städte und Dörfer gehörten die Ausrufe der Nachtwächter ebenso wie das Rezitierenlernen von Gedichten in der Schule. Spuren des Letztgenannten findet man heute in den Reimen des siebenbürgischen Betlehemspiels und des Plätzchenaustragens zur Adventszeit.

Die früheste Gruppe unserer Balladen hat die ungarische Volksdichtung, wie Lajos Vargyas meint, im 14. Jahrhundert bereichert. Er fand dazu allerdings nur französische Parallelen, weshalb er annahm, daß der Einfluß durch Vermittlung wallonischer Siedler aus dieser Richtung zu uns gelangt ist.

Eine engere europäische Parallele läßt sich hingegen zu den ungarischen Männertänzen ziehen. Dem Rhythmus dieser Tänze entspricht in Westeuropa der Vagantentanz, und sehr wahrscheinlich ist mit diesen Tänzen das musikalische Material der mittelalterlichen Unterhalter, der Jukulatoren, auf uns gekommen. Mittelalterliche Tanzmusik dürften auch der Tanz der Betlehemer Hirten sowie die Sätze des Pfingsttanzes enthalten.

Schlußendlich zeugen Angaben vom Weiterleben des uralten Klagegesangs (z.B. Klage um Karl I.). Klanglich dürften die damaligen Klagegesänge im wesentlichen mit den heute bekannten übereingestimmt haben. Zu jener Zeit gewannen vermutlich Melodien mit großem Tonumfang das Übergewicht, und ebenso löste sich eine größere Zahl in Strophen gefaßter Volksliedtypen von der Form des Klagegesangs.

TANZGESCHICHTE

Ausblick nach Europa

Die einhundertfünfzig Jahre zwischen 1300 und 1450 brachten ganz Europa eine Blütezeit des sakralen Kunstschaffens, eine weitere Verselbständigung der höfischen Kunst sowie die wahre Entfaltung der urbanen Kultur. In Ungarn vollzog sich diese Entwicklung, da die Stadtentwicklung im Rückstand und die Zahl der zur Pflege der Ritterkultur geeigneten Aristorkatenhöfe gering war, in spezifisch osteuropäischer Art und Weise, hauptsächlich an den Königshof gebunden. Zur Zeit der drei großen Herrscherpersönlichkeiten - Karls I., Ludwigs I. und vor allem Sigismunds - wurde der ungarische Königshof zu einem beachteten Zentrum der Politik und Kultur, und das wiederum ermöglichte die Übernahme der schönsten europäischen Kunstformen. Will man sich von der zeitgenössischen Kultur als ganzes eine Meinung bilden, sollte man die Elemente der lokalen Kultur, die in den Quellen kaum Erwähnung finden, verstärkt berücksichtigen. Das gilt besonders für die Tanzkultur, mit der sich im Vergleich zur Musik, Literatur und bildenden Kunst wesentlich weniger Quellen beschäftigen.

Die Schriftdenkmäler der Tanzkultur

Was die Hinweise zur Tanzkultur des Zeitalters anbelangt, verdienen an erster Stelle die sprachhistorischen Denkmäler Beachtung. Mit der wachsenden Zahl ungarischsprachiger Quellen kommen immer mehr ungarische bzw. international gebräuchliche Wörter vor, die das Tanzen ausdrücken. 1350 erscheint als internationales Wanderwort erstmals das Wort Tanz in unseren Sprachdenkmälern. Dem zeitgenössischen europäischen Sprachgebrauch gemäß dürfte es die mit Instrumentalbegleitung vorgetragenen Paartänze bezeichnet haben. Aus dem Jahr 1405 stammt das Schlägler Vokabular, das dem Wort "tombás" (Unterhalter, Spielmann, Puppenspieler) drei lateinische Ausdrücke zuordnet: Cantatrix, Gestulator, Palpanist. Dies ist nicht etwa ein Zeichen für die Ungenauigkeit des Vokabulars, sondern es zeigt vielmehr, wie vielseitig die Tätigkeit dieser Unterhalter war. Mehrere zeitgenössische Quellen verwenden für den Begriff des Tanzens das Wort "toben", und zwar vermutlich im Sinne von Springtanz.

Himmlische und irdische Liebe

Als typisches Merkmal der europäischen Kultur des 14.-15. Jahrhunderts erlangt die höfische Kunst gegenüber der sakralen Kunst mehr und mehr Selbständigkeit. In der Sphäre des Tanzes wird dieser Prozeß von dem Verbot der als profan abgestempelten Tanzpraxis und gleichzeitigen Propagieren der idealisierten tänzerischen Symbole (Tanz Königs Davids, Tanz der Salome) begleitet. Von einigen Ausnahmefällen abgesehen war der Tanz damals nirgends mehr Teil der kirchlichen Zeremonien, und genoß demzufolge auch nicht dieselben Vorteile wie beispielsweise der religiöse Gesang oder die Dichtung. Kaum jemand befaßte sich damit, ihn zu einer selbständigen Kunst zu gestalten, schriftlich niederzulegen bzw. seine künstlerischen Formen in einen Kanon zu fassen.

Doch der Tanz, als eine der elementarsten Ausdrucksformen der europäischen Kultur, findet auch unter solchen Umständen seinen Platz, und trägt als wesentlicher Bestandteil der höfischen Kultur und ritterlichen Lebensweise reiche Früchte. Die das gesellschaftliche Leben bzw. die europäische Tanzkultur bis heute bestimmende Umgangs- und Bewegungsform bildete sich nach und nach heraus. Ihre Wiege ist die Provence des 12. Jahrhunderts, ihre Erzieher sind Italien und das 14. Jahrhundert, in Burgund reift sie im 15. Jahrhundert aus, und findet dann immer weitere Verbreitung. Ihre Anfänge stehen spürbar noch unter dem Einfluß der antiken griechischen und lateinischen Kultur sowie der späteren syrischen, althebräischen, arabischen und anderen orientalischen Kulturen. Auch die bei den Kreuzzügen gewonnenen Eindrücke tragen zu ihrer Ausformung bei.

Zu den wichtigsten Elementen ritterlicher Tugend gehörten im mittelalterlichen Europa neben der Achtung der Frauen und dem treuen Vasallendienst die Höflichkeit, Dienstfertigkeit, zurückhaltende Liebe, Geschicklichkeit, Selbstbeherrschung, der gute Geschmack und die Verläßlichkeit. Sie wurden beim Tanz durch die in feierlicher, straffer Haltung, mit gemessenen Bewegungen und in züchtiger, zurückhaltender Manier vorgetragenen Rundtänze verkörpert.

Die schönste Seite des Ritterlebens war der Minnedienst (Amor, Joi, Cortesia), ihn durfte in erster Linie die Herrin der Burg beanspruchen. Jeder Ritter hatte seine Auserwählte, die er begleitete, der er diente und deren Herz er besaß. Schauplatz des Minnedienstes, Garten der Liebe (cour d'amour), war die für das gesellige Leben geeignete Burg, wo sich die Ritter im Kreis der Herrin und ihrer Hofdamen durch Tänze und Lieder in den edlen Umgangsformen üben konnten. Typische Gestalten des Cour d'amour waren die Troubadoure, von denen die Kunst des Musizierens, Tanzens und Singens gleichermaßen gepflegt wurde. Sie trugen mit ihren Werken (Lobgesängen, Balladen), die sich häufig auch tänzerisch ausdrücken ließen, sowie mit Lustspielen, Spottliedern, Tadelgesängen oder Romanzen zur Unterhaltung der Anwesenden bei.

Unter der Herrschaft der Anjoukönige, vor allem aber König Sigismunds, eröffneten sich auch in Ungarn Möglichkeiten zu einer ähnlich glanzvollen Hofhaltung und ritterlichen Lebensform wie an westlichen Höfen, deren Schauplätze die königlichen Residenzen in Gran, Visegrád, Ofen und Diósgyõr waren. Die Reihe der von großem Pomp begleiteten Feste, Ritterturniere, Gelegenheiten zum Tanz bietenden Familienereignisse, der Krönungen, Friedensschlüsse, Gesandtenempfänge und diplomatischen Treffen riß nicht ab. Leider gehen die darüber berichtenden Augenzeugen, die offiziellen und privaten Briefe oder Bilanzen nicht gesondert auf den Tanz ein.

Erwähnung verdienen wegen ihrer ungarischen Bezüge die Runkelsteiner Fresken. Die Darstellung zeigt Königin Elisabet, die Mutter Ludwigs I., bei einem Schreittanz mit Herzog Meinhard von Bayern und den Mitgliedern seines Hofstaats. Dieser Tanz mag eine lokale Variante des langsame Schritte verwendenden, beliebten Schreittanzes (Hoftanz, Basse danse) gewesen sein, auf den dann vermutlich eine Art Springtanz - ein lebhafterer, mit pantominischen Elementen durchwobener Tanz - folgte.

In ähnlicher Weise dürfte man auch 1387 auf dem Fest im Anschluß an die Krönung König Sigismunds sowie anläßlich der großen Ofner Heerschau der europäischen Ritter im Jahr 1396 getanzt haben. Daß der Tanz für den Monarchen eine große Anziehungskraft besaß, wird übrigens von mehreren zeitgenössischen Quellen bestätigt. Einer Quelle zufolge warben der König und Herzog Friedrich 1411 in Innsbruck mit einem Tanzwettstreit um die Gunst eines Bürgermädchens. Eine andere Quelle erwähnt, daß er bei einem Bürgervergnügen in Augsburg noch 66jährig das Tanzbein geschwungen hat. Als er 1433 in Rom zum Kaiser gekrönt wurde, fanden glanzvolle Feierlichkeiten statt, und die ungarischen Mitglieder seines Gefolges waren bemüht, diese auf vielfältige Weise so denkwürdig wie möglich zu gestalten.

Darüber hinaus belegen mehrere Angaben, daß die Tracht, Instrumente und Tanzweise der Ungarn - offenbar, weil sie vom Gewohnten abwichen - im Kreis der Zeitgenossen beträchtliches Aufsehen erregten. Von János Hunyadi weiß man, daß sein Tanz allseits Beachtung fand, als er 1433-34 mit König Sigismund in Italien weilte. Die vornehmsten Damen wollten mit ihm tanzen und selbst der König beneidete ihn. Eine ähnliche Wirkung zeitigten die Wallfahrten der Ungarn nach Aachen, wo sie mit spektakulären Umzügen, Bären- und Straßentänzen Berühmtheit erlangten.

Im 14. Jahrhundert begann sich in der westlichen Hälfte Europas der Schauplatz des weltlichen Tanzlebens neben den Königshöfen auch auf die Städte auszudehnen, wo die städtische Bürgerschaft an mit öffentlichen Geldern betriebenen Tanzplätzen und unter strenger Bewachung der Stadtväter ihre eigenen und an den Fürstenhöfen erlernten Tänze tanzte. Das bezeugen unter anderem Darstellungen an florentinischen Brauttruhen vom Anfang des 15. Jahrhunderts, auf denen man vornehme Bürger bei instrumental begleiteten Schreittänzen sieht. Ähnliches zeigt die Szene auf dem Wandgemälde eines zeitgenössischen Bürgerhauses der Ofner Burg; hier folgt den Tänzern ein Narr in schellenbesetzter Kappe.

Profane Tänze

In Dantes Göttlicher Komödie (La Commedia) tanzen die himmlischen Chöre und Stände, die Heerscharen der Seligen, im Paradies den vornehmen Ruota und Gira, während sich die Verdammten in der Hölle im Rhythmus von Ridda und Tresca, also von bäuerlichen Tänzen, wiegen. Hier zeigt sich das Werturteil des Zeitalters über die verschiedenen neuen und herkömmlichen Tänze. (Auch in ungarischen Landen dürfte diese Auffassung bekannt gewesen sein, denn in der Bibliothek Ludwigs des Großen war Dantes Werk ebenfalls zu finden. Die lateinische Übersetzung der Göttlichen Komödie hatte der Übersetzer sogar König Sigismund gewidmet.) Trotz allgemeiner Verachtung und nicht selten auch des Verbots lebten die traditionellen Bauerntänze in Ungarn dennoch weiter. Die neuerlernten europäischen Bräuche gingen in ihnen auf.

Bis zum 15. Jahrhundert hatten sich auch bei uns die verschiedenen Faschings- oder Pfingstbräuche, das Entzünden des Johannisfeuers und die weihnachtlichen Gesänge eingebürgert. Dies waren neben den neuen Formen des Brauchtums im Zusammenhang mit Familienfesten und der Arbeit die Hauptanlässe zum Tanzen. Eine Aufzeichnung aus dem Jahr 1499 - hinter der sich vermutlich eine noch früher geübte Praxis verbirgt - erwähnt in der Predigt von Pelbart Temesvári den Fall der Frauen aus der Gegend des Kapos-Flusses. Sie hatten zur Faschingszeit als Masken verkleidet getanzt, und eine von ihnen wurde zur Strafe von einem Dämon aus dem Kreis der Tanzenden entführt. Anscheinend gab es in den traditionellen bäuerlichen Gemeinschaften damals noch kaum solche der Unterhaltung dienenden Tanzgelegenheiten, wie sie sich an den Fürstenhöfen und im Kreise der städtischen Bürgerschaft so häufig boten.

Ein die Gattungen unterscheidendes System der traditionellen Tänze, wie es für die heutigen Folkloretänze kennzeichnend ist, bildete sich im Laufe des Mittelalters nicht heraus. Alle Anzeichen deuten darauf hin, daß sich die Rahmen zweier Gattungen entfalteten: der hauptsächlich auf schreitenden Bewegungen basierende Gesellschaftstanz, ein Ketten- bzw. Rundtanz mit Gesang (der sowohl von Frauen oder Männern als auch in gemischter Form getanzt worden sein mag) sowie der mehr aus springenden, stampfenden, trampelnden Bewegungen bestehende Tanz, welcher ebenfalls in mannigfaltiger Form (als Solo-, Paar- oder Gruppentanz für Frauen, Männern bzw. in gemischter Form, mit oder ohne Beiwerk, mit oder ohne Masken) bestanden haben dürfte. Diese sich formenden Gattungen wurden von einem jeweils anderen rhythmischen, formsprachlichen und funktionellen Rahmen zusammengefaßt.


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