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GESELLSCHAFT

Freie und Knechte

Das wichtigste und über jedem anderen stehende Prinzip der arpadenzeitlichen ungarischen Gesellschaftsordnung war der Besitz oder Nichtbesitz der persönlichen Freiheit. Demgemäß zerfiel die Bevölkerung des Landes in die Gruppen der Freien und Knechte. Der Knecht zählte als ein Vermögensgegenstand, über den sein Eigentümer frei verfügen konnte. Dennoch entsprach seine Lage nicht der des antiken Sklaven, da man ihn den christlichen Lehren entsprechend als Person betrachtete. Der Freie hingegen war sein eigener Herr, an ihm hatte niemand Eigentumsrechte. Die Grenze zwischen Freien und Knechten war starr, aber nicht undurchdringlich. Ein Freier konnte seine Freiheit verlieren (z.B. durch Bestrafung), ein Knecht konnte von seinem Herrn aus der Knechtschaft entlassen werden.

Zur Zeit Stephans des Heiligen gehörten die Freien gemäß ihrer Vermögenslage drei Schichten an. Stephans Gesetze nannten die Vornehmen, die aus Resten der alten Schicht der Stammesführer und aus den von Westen eingewanderten Rittern hervorgingen, zumeist "Gespane". Die Mittelschicht bildete die Gruppe der "Krieger", deren Mitglieder die gelegentlich kriegführende Lebensweise miteinander verband. Man fand unter ihnen sowohl anderen dienende Waffenträger als auch Personen, die selbst Vermögen besaßen. Die unterste Schicht der Freien bildeten die "aus dem Volke stammend" oder "Gemeine" Genannten. Doch wie groß die Vermögensunterschiede innerhalb des Standes der Freien auch gewesen sein mögen, ihre Rechtsstellung war identisch: Der besitzlose Freie hatte dieselben Rechte wie der mächtigste Vornehme.

Der Adel und die gebundene Freiheit

Im letzten Viertel des 11. Jahrhunderts traten bedeutende gesellschaftliche Veränderungen ein. Die nunmehr mit Privilegien ausgestattete Schicht der Vornehmen sonderte sich von der früher rechtlich einheitlichen Gruppe der Freien ab. Sie unterschieden sich fortan durch den Namen "Adlige" von den im Vergleich zu ihnen als "nichtadlig" geltenden gemeinen Freien. Ebenso wie nicht alle Adligen ausnahmslos reich waren, bestanden auch bei den gemeinen Freien bedeutende Vermögensunterschiede. Wohlhabende, begüterte Freie schuldeten dem König Militärdienste, weshalb König Koloman ihnen die Zahlung der "Denare der Freien" genannten Steuer erließ. Gemeine Freie aber, die den Acker anderer bestellten, hatten die Steuer weiter zu entrichten. Zu dieser Zeit nahm das Schicksal der begüterten und der vermögenslosen gemeinen Freien einen jeweils anderen Verlauf.

In diesen Jahrzehnten tauchte eine neue Form der Entlassung aus der Knechtschaft auf, die bis dahin unbekannt war. Im Gegensatz zur gleichfalls weiterlebenden stephanszeitlichen Praxis gab sie dem Begünstigten nicht die Rechtsstellung eines frei Geborenen, sondern sicherte ihm innerhalb seines Knechttums eine im Vergleich zum früheren Unterworfensein günstigere Position. Menschen, die auf diese Weise ihre Freiheit erlangten, wurden zwar Freie genannt, doch da sie ihren Dienst nicht willkürlich aufgeben durften, blieben sie dennoch Knechte. Ihre Freiheit war eine gebundene Freiheit, und zwecks Unterscheidung davon erschien zur Zeit Kolomans der Ausdruck "vollständige" oder "goldene Freiheit", der die allgemeine Freiheit ohne jegliche Gebundenheit bezeichnete. Auch die Schicht der Knechte wurde also, ähnlich der der Freien, differenzierter.

Bereits im Zeitalter des hl. Stephan ist eine Gruppe von Menschen Teil der ungarischen Gesellschaft, die man in der damaligen ungarischen Sprache "Gäste" und im Lateinischen Hospites nannte. Als Gäste wurden ursprünglich jene Ausländer angesehen, die mit der Absicht ins Land kamen, sich hier niederzulassen. Meist waren es aus verschiedenen Regionen Westeuropas stammende Ackerbauern, die sich unter bestimmten Bedingungen bereit erklärten, bislang unbewohnte Gegenden zu bevölkern und das Land zu bestellen. Ihre Rechtsstellung entsprach der von gemeinen Freien mit speziellen Vorrechten. Auch in der neuen Heimat konnten sie nach ihren eigenen Sitten und Gebräuchen leben, ihre Gemeinschaften verfügten über ein begrenztes Recht zur Selbstverwaltung. Sie bildeten die Elite der bäuerlichen Gesellschaft, und im Laufe des 13. Jahrhunderts kamen auch immer mehr inländische Bauern schon in den Genuß der Hospesprivilegien.

Drei Haupttypen des Grundbesitzes bildeten sich im Ungarn der Arpadenzeit heraus: die königlichen, kirchlichen und weltlichen (privaten) Güter. Im Fall der Krongüter unterscheidet man weiter zwischen der militärische und machtausübende Funktionen erfüllenden königlichen Burgorganisation sowie der zur Versorgung des Königs und seines Hofstaates bestellten Organisation der Hofgüter. Die den Mitgliedern der königlichen Familie vorbehaltenen Besitztümer der Königin und Herzöge ähnelten letzgenannter in vielerlei Hinsicht. Auf all diesen Gütern lebten Knechte und gebundene Freie in großer Zahl. Im Rahmen der gemeinsamen Rechtsstellung als Knechte gestaltete sich die Lage dieser Gruppen sehr unterschiedlich, was überwiegend davon abhing, wessen Eigentum sie waren.

Die Welt der Dienstleute

Sämtliche Dienstleute der Krongüter gehörten dem Stand der Knechte an. Einzelne Gruppen führte man unter dem Namen ihrer Pflichtdienste (z.B. Pferdeknechte, Büffeljäger usw.). Die Dienstleute der typischsten Gruppe der Hofgüter wurden Truchsesse, die der Burgorganisation Burgsassen genannt. Die niedrigsten Steuer- und Verwaltungseinheiten der königlichen Dienstleute waren Zehntschaft und Hundertschaft. Ihre unmittelbaren Vorsteher kamen aus den Reihen der begrenzt freien Truchsesse bzw. Burgjobagionen. Von allen Gruppen der Knechte waren die Letztgenannten am günstigsten gestellt. Ihre Pflichten beschränkten sich auf die Anleitung der Burgsassen und den Militärdienst, in der Mehrzahl waren es wohlhabende und angesehene Grundbesitzer.

Auch alle Dienstleute der Kirchengüter unterstanden der Verfügungsgewalt des Grundherren, und deshalb wurden sie ebenso nach ihren Diensten klassifiziert, wie es auf den königlichen Gütern Brauch war. Die Rangordnung unter den Dienstleuten der Kirche richtete sich danach, ob es sich um geachtete oder für niedrig gehaltene Dienste handelte bzw. wie groß die übernommenen Lasten waren. Am Ende dieser Rangordnung standen die zu Acker- und Weinbaudiensten Verpflichteten. Besser war die Lage der verschiedenen Handwerker, der Zimmerleute, der Gold- oder Eisenschmiede und ihrer Gefährten. Die geachtetste Stellung aber hatten die unmittelbaren Vorsteher der Dienstleute, die man auch auf den Kirchengütern Jobagionen nannte. Ihre Lasten waren am geringsten und aus ihren Reihen rekrutierte sich das bewaffnete Gefolge der Bischöfe und Äbte.

Bei den weltlichen (privaten) Gütern hingegen unterschied man die einzelnen Gruppen der Dienstleute mit Hilfe juristischer Kategorien. Grund dafür war, daß der Grundherr über die auf seinem Boden lebenden Personen keine einheitliche Verfügungsgewalt hatte. Gemeine Knechte wurden diejenigen genannt, über die der Grundherr ohne jede Einschränkung verfügte. Diese Knechte besaßen noch nicht einmal Arbeitsgeräte, sie arbeiteten mit den Tieren und Werkzeugen ihres Herrn. Etwas besser gestellt waren die lateinisch als Libertinus bezeichneten, in selbständigen Bauernwirtschaften arbeitenden Dienstleute. Schließlich lebten auf den weltlichen Gütern auch Freie, unter denen es ebenso Freigelassene mit gebundener Freiheit wie gemeine Freie gab, die nicht über Besitz verfügten.

Servienten und Adlige

Diese Struktur der arpadenzeitlichen Gesellschaft durchlief im 13. Jahrhundert bedeutende Veränderungen. Zu Beginn des Jahrhunderts bezog sich der Begriff königliche Servienten auf diejenigen unter den Dienstleuten des Königs, die er freigelassen und mit Gütern ausgestattet hatte. Die so gewonnene gesellschaftliche Position war mit der der begüterten Freien identisch, was dazu führte, daß beide soziale Gruppen bald miteinander verschmolzen. Zahlreiche Elemente der Rechte der königlichen Servienten wurden in der Goldenen Bulle des Jahres 1222 schriftlich fixiert. Diese Privilegien beinhalteten auch einzelne der dem Adel zustehenden Vorrechte, als Zeichen dessen, daß die Rechtsstellung der königlichen Servienten im Vergleich zu der immer mehr als bäuerliche Freiheit zählenden allgemeinen Freiheit eine andere, höher Qualität vertritt.

Kleinere Grundbesitzer, die man am Herrscherhof königliche Servienten nannte, hielten sich im Bewußtsein ihrer Privilegien für gleichrangig mit dem vornehmen Adel. Ihre den traditionellen Adelsbegriff auf sich selbst ausdehnende Auffassung wurde mehr und mehr akzeptiert: Der König erkannte den Adelsrang der königlichen Servienten erst in einem Gesetz des Jahres 1267 an. Die gesellschaftliche und Vermögenslage des aus den Edelleuten und den königlichen Servienten entstehenden neuen Adels sowie die daraus hervorgehende Lebensweise waren außergewöhnlich heterogen. Zu ihnen gesellten sich dann noch Personen aus den Reihen der königlichen Dienstleute, die von den Herrschern als Belohnung für ihre Dienste mit Privilegien ausgestattet und geadelt wurden.

Die Herausbildung der Leibeigenschaft

Die andere Hauptrichtung der gesellschaftlichen Umgestaltung im 13. Jahrhundert betraf die Rechtsstellung der Knechte. Ab Mitte des 13. Jahrhunderts verloren die Dienstleute der weltlichen Güter gegenüber den Libertini und Freien mehr und mehr an Bedeutung. Der nach dem Mongolensturm angewachsene Arbeitskräftebedarf ermöglichte die schrittweise Vereinigung dieser drei Schichten: Eine Möglichkeit war, daß die ihrer Rechtsstellung nach als Knechte geltenden Dienstleute ihrem Herren entflohen, um am neuen Wohnort bereits als freie Hospites bäuerliche Dienste zu leisten, eine andere, daß der Gutsherr seine Dienstleute vorausschauend selber freiließ, um sie auf seinen Güter festhalten zu können. So bildete sich zum Ende des 13. Jahrhunderts auf den weltlichen Gütern der Typ des persönliche Freiheit genießenden Fronbauern heraus.

Der Fronbauer hatte als freier Mensch das Recht zur freien Wahl des Wohnortes (Freizügigkeit). Steuern entrichtete er dem Grundherrn nicht nach seiner Person, sondern nach seiner Bauernwirtschaft, an die ihn darüber hinaus Rechte banden - er konnte sie beispielsweise seinen Söhnen vererben. Das bäuerliche Gemeinwesen jeweils einer Siedlung hatte das begrenzte Recht zur Selbstverwaltung, an deren Spitze ein gewählter Richter stand. Gleichzeitig aber blieb als Rest der Verfügungsgewalt über den Stand der Knechte die Jurisdiktion des Gutsherren über seine Fronbauern erhalten, deren Institution die Patrimonialgerichte wurden, und ebenso kann man in den Diensten der Libertini das Vorbild der vom Fronbauern zu leistenden Frondienste erkennen. Im Zeitalter der Arpaden entwickelte sich die Leibeigenschaft nur auf den weltlichen Gütern; die Knechte der Kirchen- und restlichen Krongüter blieben bis zum Ende des 14. Jahrhunderts von der Verfügungsgewalt des Grundherren abhängig.

WIRTSCHAFT

Landwirtschaft

Die überwiegende Mehrzahl der Bevölkerung befaßte sich damals mit landwirtschaftlicher Produktion, und dies war auch die tägliche Beschäftigung eines Großteils der Stadtbewohner sowie jener Dienstleute, die daneben noch irgendeinem Handwerk nachgingen, z.B. der Stellmacher oder Schmied. Das 13. Jahrhundert bedeutete für die arpadenzeitliche Landwirtschaft einen wichtigen Wendepunkt. Zum Ende dieses Jahrhunderts vollzog sich im ganzen Land die Umgestaltung der Agrarproduktion, und gleichzeitig traten in der Gesellschaft und im Siedlungsbild solche Veränderungen ein, die in vielen Fällen bis ins 18. Jahrhundert, ja sogar bis zum Jahr 1848 bestanden. Im 12. Jahrhundert ging in Europa die seit dem 8. Jahrhundert anhaltende trockene, warme Klimaperiode zu Ende, die nur zu Anfang des 10. Jahrhunderts von einer Regenperiode unterbrochen wurde, und für den Zeitraum von rund fünfzig Jahren folgte eine regnerische, kühlere sog. kleine Eiszeit.

Im 13. Jahrhundert tauchte in Ungarn der Rigolpflug auf, der durch gemeinsame Verwendung von asymmetrischer Pflugschar, Karre, Pflugmesser und Lenkstange den Boden, den die früheren Pflüge nur aufgelockert hatten, umbrach und somit eine bessere Nutzung der Nährkraft ermöglichte. Mit den steigenden Ernteerträgen war man in der Lage, eine größere Bevölkerungszahl zu ernähren. In Westeuropa war es schon im 12. Jahrhundert zu einem bedeutenden demographischen Wachstum gekommen, ganze Volksgruppen setzten sich innerhalb und außerhalb des Landes in Richtung der noch brachliegenden Ländereien in Bewegung.

Beim Ackerbau wandte man in der ersten Hälfte des Zeitalters das unregulierte Bodennutzungssystem an, dies verursachte die Wanderung der Siedlungen innerhalb der Dorfgrenzen. Die Dienstleute der weltlichen (privaten) Grundherren wohnten in Praedien, also auf Landgütern. Zu diesen kleinen Siedlungen gehörten außer der Kurie des Gutsherren einige Grubenhäuser als Knechtwohnungen sowie Wirtschaftsgebäude. Mitunter gab es in der Gemarkung eines Dorfes mehrere solcher Praedien. In den zentralen Gebieten des Landes ging man im 13. Jahrhundert zum regulierten Bodennutzungssystem über. Folge davon war, daß sich die Lage der Grundstücke konsolidierte und das Wort Grundstück doppelte Bedeutung erlangte: In engerem Sinn verstand man darunter das Haus und den Hof, in erweitertem Sinn den Garten, den Acker und die Wiese. Die Weiden, Wälder und Gewässer eines Dorfes wurden weiterhin gemeinsam genutzt. Das Hinundherwandern der einzelnen Siedlungsteile hörte auf.

Die verschiedenen Getreidesorten brachten in der ersten Zeit den doppelten Ertrag des Saatgutes, im Folgezeitraum das Drei- bis Vierfache davon. Der Obstanbau hielt sich in Grenzen, hier gingen hauptsächlich die Kirchengüter mit gutem Beispiel voran. Die wichtigste Gartenpflanze war der Kohl. Wein wurde, die Große Tiefebene und höher gelegene Gebirgsregionen ausgenommen, überall angepflanzt. Im 13. Jahrhundert begann man, das Weingut als etwas besonderes zu betrachten: Ähnlich der von den Hospites bestellten Felder zählten alle Weinbauflächen als Rodeland, und den Weinbauern standen diesbezüglich mehr Rechte zu als beispielsweise im Fall der Äcker. Die Rodung und Besiedlung des unbewohnten Grenzstreifens in der Gebirgsregion setzte Anfang des 12. Jahrhunderts ein, nahm aber im 13. Jahrhundert dann einen beschleunigten Fortgang. Hier erfolgte der Getreideanbau anstelle des regulierten Bodennutzungssystems, da es nur wenig Ackerland gab, auf den unmittelbar hinter dem Haus befindlichen, ständig bestellten und gedüngten sog. Tornukfeldern. Diese Felder nutzte immer ein und dieselbe Familie, hier war die Aufteilung der Äcker nicht Brauch. Für die Rodung gab es zweierlei Verfahren: Einmal die Dezimierung der Wälder durch Abschälen der Baumrinde und Austrocknen der Bäume, zum anderen das Abbrennen.

Die Tierzucht spielte in der ungarischen Landwirtschaft im Verlauf des Mittelalters eine größere Rolle, als dies im Westen der Fall war. Die Bedeutung der Pferdehaltung ging ständig zurück. In der ersten Hälfte des Zeitalters fußte die Rinderhaltung noch auf den kleinwüchsigen Tieren, die Vorfahren der großen grauen Rinder wurden vermutlich von den Kumanen im Karpatenbecken angesiedelt. Der Anteil des Borstenviehs innerhalb des Tierbestandes wuchs fortlaufend. Meist hielt man die Schweine in lichten Wäldern und fütterte sie mit Eicheln. Schafe bildeten einen wichtigen Bestandteil des Speiseplanes, die verbreitetste Art waren die Vorfahren des Zackelschafes. Die in den südlichen und östlichen Grenzzonen des Landes lebenden Völker betrieben die transhumane Tierhaltung nach dem sog. walachischen Recht. Diese Wirtschaftsweise führte zur Herausbildung verstreut liegender Höhensiedlungen.

Handwerk

Neben Ackerbau und Tierhaltung war das Handwerk der dritte wichtige Zweig der arpadenzeitlichen Wirtschaft. Der Ursprung des ungarischen Handwerks ist mehrschichtig. Wie Lehnwörter bezeugen, ist die Existenz einzelner Gewerke schon vor der Landnahme zu belegen. Demnach gab es auch unter den landnehmenden Ungarn bereits Gemeine, die verschiedenen handwerklichen Tätigkeiten nachgingen. Die archäologischen Funde des 10. Jahrhunderts aber künden nicht nur von den spezifischen Zügen der zur Kriegswirtschaft notwendigen Waffen- und Pferdegeschirrherstellung oder des Goldschmiedehandwerks, sondern verläßliche Spuren deuten auch auf solche Gewerke (z.B. die Töpferei, das Gerber- oder Kürschnerhandwerk), die zu betreiben unter den klassischen Umständen des Reiternomadentums kaum möglich war.

Nach der Staatsgründung änderte sich auch die Struktur des Handwerks. Aus den Schriftquellen des 11.-12. Jahrhunderts geht hervor, daß Handwerksprodukte von den Dienstleuten der königlichen, kirchlichen und weltlichen Güter erzeugt wurden, in erster Linie zur Eigenversorgung der großen Güter. Die Herausbildung dieses Systems läßt sich mit dem unterentwickelten Straßennetz und Handel erklären. Der Gutsherr siedelte die von ihm abhängigen Handwerker gruppenweise an, oftmals nach Dörfern getrennt, und verpflichtete sie neben dem Anbau von Feldfrüchten zur Herstellung handwerklicher Erzeugnisse (Hinweise auf die verschienen Beschäftigungen kann man auch in Ortsnamen entdecken: z.B. Tímár [Gerber], Szakácsi [Koch], Esztergár [Drechsler]). In juristischer Hinsicht unterschieden sich Handwerker damals noch nicht von den übrigen Gruppen der Gemeinen, sie waren ihrer Rechtsstellung nach zumeist Knechte.

Da uns nur wenige Schriftquellen zur Verfügung stehen, blieben zahlreiche Details des Systems der Dienstleute ungeklärt, und auch zwischen den einzelnen Großgrundbesitzen muß es bedeutende Unterschiede gegeben haben. Unabhängig davon dürfte das Betreiben von Gewerken neben der Nahrungsgütererzeugung und den sonstigen Diensten (z.B. Transport- oder Reiterdienste) selbst im Kreis der zu Handwerksdiensten Verpflichteten nur eine ergänzende Tätigkeit gewesen sein. Viele der Handwerker arbeiteten mit eigenen Geräten und Werkzeugen, so daß sie den nach der Pflichtabgabe verbleibenden Überschuß ihrer Waren bereits verkaufen konnten. Die Existenz von Märkten läßt sich in Ungarn seit Anfang der Arpadenzeit belegen.

Doch schon im 11. Jahrhundert gab es auch Handwerker, die nicht dem Kreis der Dienstleute angehörten. Sie lebten überwiegend in den verkehsreicheren Komitatszentren und erfüllten dort die Sonder- und Luxusansprüche des Adels bzw. des Königshofes (Waffenschmiede, Münzpräger, Goldschmiede). In diesen stadtähnlichen Zentren wohnten die ein und dasselbe Handwerk betreibenden Meister oftmals abgesondert voneinander, in selbständigen Siedlungsteilen. Es gab in dieser Zeit aber auch wandernde Handwerker, deren spezielle Fachkenntnisse (z.B. das Glockengießen) allerdings mehr in den Bereich des Bauhandwerks fielen.

In der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts begann sich das Dienstleutesystem zu wandeln, denn unter den aus Westeuropa eingewanderten Hospites waren auch zahlreiche Handwerker. Damit kam es in den vom König mit Privilegien ausgestatteten Gemeinschaften zu einer beschleunigten Entwicklung des städtischen Handwerks sowie des Handels. Immer wichtiger wurden im 13. Jahrhundert auch für Großgrundbesitzer die auf dem Markt umschlagbaren Nahrungsgüter, so daß sie von den ihnen dienenden Handwerksleuten mehr und mehr die Abgabe solcher Erzeugnisse forderten. Ein weiteres Zeichen für das Absterben des Systems der Dienstleute war die Flucht der gewerbetreibenden Knechte in die Städte. Archäologisch spiegelt sich die strukturelle Umgestaltung des Handwerks darin wider, daß man in den weiterentwickelten Landesteilen vom Beginn des 13. Jahrhunderts an bereits die in der Stadt bzw. im Dorf hergestellten Gebrauchsgegenstände (z.B. Eisenmesser, Tongefäße) voneinander unterscheiden kann.

Zur Beschleunigung des Prozesses der Herausbildung des städtischen Handwerks haben selbst die Verwüstungen des Mongolensturmes 1241-42 beigetragen. In der Zeit des unter König Béla IV. grassierenden "Burgenbaufiebers" konnten viele Städte königliche Privilegien erringen, die den dort wohnenden Handwerkern die in Westeuropa gewohnten Rahmen zur Ausübung ihrer Tätigkeit garantierten. Der Zeitpunkt, als sich Meister desselben Handwerkszweiges hauptsächlich im Interesse der Qualitätssicherung erstmals zusammenschlossen, kann in die zweite Hälfte des 13. Jahrhunderts gesetzt werden. Typisch ist das vor allem für den Kreis der Erzeuger von Nahrungsgütern, Zünfte entstanden erst später, im 14. Jahrhundert. Urbane Siedlungen, die sich keinen königlichen Freibrief beschaffen konnten - wie z.B. Bischofsresidenzen oder Marktflecken -, blieben zwar Eigentum des Grundherren, der die dort lebenden Handwerker jedoch ebenfalls in vielen Fällen durch verschiedene Privilegien unterstützte. In den Dörfern dagegen beschränkte sich die handwerkliche Tätigkeit mehr und mehr darauf, den lokalen Bedarf zu decken, so daß es in den meisten Dörfern bestenfalls eine Schmiedewerkstatt gab.

Zu den wichtigsten gehörten im Laufe des 11.-13. Jahrhunderts die verschiedenen Zweige des Metallhandwerks; ihnen ist die mannigfaltige Palette der landwirtschaftlichen Geräte und Werkzeuge, der Waffen und Schmuckgegenstände zu verdanken. In Ungarn wurde im 10.-11. Jahrhundert in zwei kleineren geographischen Regionen Eisenerz verhüttet: im nördlichen Mittelgebirge in der Umgebung von Miskolc und Ózd bzw. in Westungarn in der Gegend von Ödenburg und Eisenburg. Die landnehmenden Ungarn gewannen das Eisen aus Raseneisenerz in Hüttenöfen solchen Typs, wie sie in ihrer neuen Heimat früher unbekannt waren. Als Bestandteil dieser Technologie mußte das in der Hütte ausgeschmolzene Roheisen noch mehrmals erhitzt und anschließend mit Schmiedehämmern kräftig auf die Luppen eingeschlagen werden, um die Schlacke zu entfernen.

Das Schmiedehandwerk sonderte sich bereits im 10.-11. Jahrhundert von der Eisenerzverhüttung ab. Schmiede nahmen unter den Dienstleuten der Arpadenzeit eine Sonderstellung ein. Insbesondere die Waffenschmiede - sie waren es nämlich, die sich am besten auf die Herstellung von Stahl bzw. die Verarbeitung der harten und weicheren Schichten, das sog. Damaszieren, verstanden. Bei der späteren Spezialisierung bildeten sich als selbständige Berufe des städtischen Schmiedehandwerks der des Stahlschmieds, Waffenschmieds, Schwertfegers, Messerschmieds, Schlossers, Panzerschmieds, Hufschmieds und Nagelschmieds heraus. In dörflicher Umgebung vollzog sich diese Spezialisierung damals noch nicht, denn in einem Großteil der Dörfer gab es bis zum Ende der Arpadenzeit nicht einmal eine Schmiedewerkstatt.

Die Bronzegießerei lag etwa auf halbem Wege zwischen der Eisenindustrie und der Schmuckherstellung. Ihre Meister befaßten sich zum Teil mit der Fertigung von Schmuckstücken; sie stellten aus der billigeren Bronze bescheidenere Varianten des Edelmetallschmucks her. Darüber hinaus entstanden in ihren Werkstätten zahlreiche liturgische Gegenstände, wie zum Beispiel Kerzenhalter, Weihrauchgefäße, Prozessionskreuze. Die auch aus kunstgewerblicher Sicht bedeutenden Reliquiarkreuze allerdings sind keine Arbeiten ungarischer Meister, sondern stammen aus byzantinischen Importen. Als anziehendste Werke des mittelalterlichen Bronzegießerhandwerks gelten jedoch die verschiedene Tiergestalten oder Fabelwesen darstellenden, aquamanile genannten Wassergefäße. Ein Teil davon kam vermutlich ebenfalls als Import aus dem Rheinland oder der Maasgegend nach Ungarn. Erste "monumentale" Stücke der Bronzegießerei waren die Glocken, die von wandernden Meistern gegossen wurden. Im 11. Jahrhundert entstanden die beiden frühesten Denkmäler dieser Art in Ungarn: die Glocken von Csolnok und Ruzsa.

Am höchsten geachtet unter den arpadenzeitlichen Handwerkern waren die Goldschmiede. Einmal wegen des Wertes, den die von ihnen geschaffenen Gegenstände besaßen, zum anderen, weil ihre Auftraggeber oftmals den höchsten Gesellschaftskreisen angehörten. Eine wichtige Rolle spielten die für den Königshof arbeitenden Goldschmiede; aus ihren Reihen kamen die Münzpräger sowie die Hersteller von Zitats- und anderen Siegeln.

Natürlich waren nicht alle Goldschmiede für Edelleute tätig. Ein Teil von ihnen stellte den vom Gemeinvolk getragenen einfachen Schmuck in Serie her. Für die ganz Europa umspannenden Beziehungen, die sog. Motivwanderung, findet man im arpadenzeitlichen Goldschmiedehandwerk sehr häufig Beweise. Doch bei den hervorragendesten Arbeiten der Goldschmiede (z.B. den im Graner Palast oder auf dem Gelände der Königskathedrale zu Stuhlweißenburg gefundenen Schmuckgegenständen) läßt sich mitunter nur schwer entscheiden, ob sie an Ort und Stelle gefertigt wurden oder auf dem Handelswege nach Ungarn gelangt sind.

Auf dem Gebiet der Holzverarbeitung trifft man unter den arpadenzeitlichen Dienstleuten hauptsächlich Zimmerleute. Sie schufen nicht nur die Wände und Dachkonstruktionen für Kirchen oder Herrensitze, ihre Fachkenntnisse waren auch erforderlich, um in sog. Kassettenbauweise die Holzgerüste der die Erdburgen befestigenden Wälle zu errichten. Ein separates Handwerk dürfte schon damals die Wagenherstellung gewesen sein. Belegen läßt sich dieses Handwerk zur Arpadenzeit beispielsweise in dem Ort Kocs im Komitat Komárom, nach dem ein spezieller Wagentyp benannt wurde (kocsi=Wagen). Auch der Beruf des Schiffszimmermanns und des verschiedene Holzgefäße herstellenden Böttchers existierte damals schon.

Die Herstellung zahlreicher Waffen, Geräte oder Zubehörteile für Pferdegeschirre erforderte ebenfalls Kenntnisse auf dem Gebiet der Holzverarbeitung. Und gewiß gab es im 11.-12. Jahrhundert bereits Möbel - in erster Linie natürlich in den Wohnstätten der wohlhabenderen Ungarn, doch ab Anfang der Arpadenzeit dürften auch im Kreise des Gemeinvolkes Truhen gebräuchlich gewesen sein. Das Tischlerhandwerk allerdings entwickelte sich erst mit dem Aufblühen der urbanen Zentren im 13. Jahrhundert zu einem selbständigen Handwerkszweig.

Mehrere Angaben aus der Arpadenzeit deuten auf Kürschner, Gerber oder Flickschuster im Kreis der Dienstleute. Es ist fast unmöglich, alle damaligen Verwendungsbereiche für die Produkte des Lederhandwerks aufzuzählen. Erwähnung finden mögen hier über den Lederpanzer hinaus nur die aus Leder genähte Kleidung, das Schuhwerk, das Zaumzeug für Pferdegeschirre oder zum Einspannen der Zugtiere. Verbreitet waren unter den frühen Gerbeverfahren im Kreise des Ungarntums nachweisbar das Fett- bzw. Alaungerben - letzteres geschah unter Verwendung von Samenextrakten oder Nebenprodukten der Milchgewinnung. Das mit Alaun behandelte, in erwärmtem Talg getränkte sog. ungarische Leder, das zumeist für Pferdegeschirre verwendet wurde, war in ganz Europa berühmt.

Der Wortschatz in bezug auf das Spinnen und Weben in der ungarischen Sprache ist zu einem beträchtlichen Teil slawischen Ursprungs - als Ausdruck dessen, daß die Ungarn bestimmte Handgriffe erst nach der Wende des 9./10. Jahrhunderts von den slawischen Völkern erlernt haben. Welch relativ niedrigen Entwicklungsstand diese Gewerke hatten, zeigt sich daran, daß es bis zum Ende des Mittelalters bedeutende Textilimporte nach Ungarn gab. Besonders an der Herstellung der Luxusansprüchen genügenden feinen Stoffe mangelte es. Zum Beispiel das Material des Krönungsumhanges - des ersten Kleidungstückes in Ungarn, das unversehrt erhalten blieb - ist byzantinischer Seidenstoff, den man mit Goldfäden bestickte. Anfangs trugen die verschiedenen Orden zur Einbürgerung der westlichen Spinn- und Webtechnik bei (die erste Walkmühle wurde zwischen 1206 und 1218 in Lutzmannsburg betrieben), später schalteten sich auch die aus Westeuropa stammenden Hospites in diesen Prozeß ein. Ihnen verdanken wir die Baumwollverarbeitung, das Spinnrad und auch das Weben gemusterter Stoffe.

Im 10.-13. Jahrhundert wurde in Ungarn größtenteils schon in Keramikgefäßen gekocht und gebacken. Da die Gefäße aus billigem und zerbrechlichem Material gefertigt waren, trifft man bei der Freilegung zeitgenössischer Siedlungen im allgemeinen auf Scherben solcher Gefäße. Auch die Töpfer arbeiteten in der ersten Hälfte der Arpadenzeit noch innerhalb des Systems der Dienstleute, erst an der Wende zum 13. Jahrhundert tauchten Töpfermeister in städtischer Umgebung auf. Für ihre Waren ist bereits eine etwas bessere Qualität der Ausformung und des Brandes kennzeichnend. Die neuen Werkstattverfahren waren überwiegend westlicher Herkunft, so daß sie sich in den grenznahen Städten Ödenburg und Preßburg zuerst verbreiteten: Die dortigen Meister gingen dazu über, die sog. Wiener Töpfe nachzuahmen, während die dörflichen Töpfermeister den neuen Formschatz nur zögernd übernahmen.

Geld und Handel

Das Wirtschaftsleben der Arpadenzeit pflegt man insbesondere in den beiden ersten Jahrhunderten des Königtums als Zeitraum der Naturalwirtschaft zu charakterisieren, deren hauptsächlichstes Merkmal das Bestreben nach Eigenversorgung war: Die einzelnen Gruppen der auf den großen königlichen, kirchlichen und weltlichen Eigengütern tätigen Dienstleute trugen die Lasten der Abgabe teils handwerklicher, teils sonstiger, spezieller Produkte (z.B. Honig, Wachs usw.). Arbeitsteilung gab es kaum, denn die auf diese Weise ihrer Abgabepflicht nachkommenden Knechte betätigten sich nebenher als Bauern, um sich und ihre Familien zu ernähren. Indessen war die Naturalwirtschaft nie ein gänzlich geschlossenes System, weshalb von Anfang an auch dem Geld, der Ware und dem Handel eine gewisse Rolle zukamen.

Mit der Herrschaftszeit Stephans des Heiligen setzte in Ungarn die Münzprägung ein. Das Münzprägen gehörte zu den Hoheitsrechten des Königs, außer dem Herrscher ließen nur die über selbständige territoriale Macht verfügenden Herzöge Geld prägen. Alle Angelegenheiten im Zusammenhang mit dem Münzprägen fielen in den Kompetenzbereich der königlichen Kammer, die bis zur Mitte des 13. Jahrhunderts sicherlich in Gran residierte. In der Folgezeit wurde auch in anderen Gegenden des Landes im Namen des Königs Geld geprägt (in Slawonien z.B. die Banaldenare). Das dazu notwendige Edelmetall lieferten die in königlicher Hand befindlichen Silbergruben. Die den Edelmetallgehalt der Münzen mindernde Degradation zum einen und der aus der Gelderneuerung resultierenden "Nutzen der Kammer" zum anderen sicherten die Rentabilität des Münzprägens.

Das in Umlauf gebrachte Geld gelangte auf verschiedenen Wegen in die königliche Kammer zurück. Vermutlich hatte schon Stephan der Heilige mit der Besteuerung seiner Untertanen begonnen. Die von ihm ausgeschriebene Steuer dürfte der in den Gesetzen Kolomans ausführlich geregelten, unter dem Namen Denare der Freien bekannten, königlichen Steuer vorausgegangen sein. Eine außerordentliche Steuer wurde erstmals von Andreas II. erhoben, woran sich auch dessen Nachfolger ein Beispiel nahmen. Neben den landesweit obligaten Steuern gab es mitunter lokale Steuervarianten, so mußten die Bewohner der Gebiete südlich der Drau z.B. eine Marderfellsteuer entrichten. Außer in Münzen zog man Steuern auch in Form von Naturalien ein. Die Petschenegen und Szekler beispielsweise gaben als Steuern - zumindest teilweise - Rinder ab.

Eine den Steuern ähnliche Einnahmequelle stellten die Zölle dar. Sie waren ursprünglich Eigentum des Monarchen und flossen somit ebenfalls in die königliche Kammer. Fallweise vergaben die Herrscher allerdings auch Zölle als Donationen; zunächst kamen nur kirchliche Einrichtungen in ihren Genuß, im Laufe des 13. Jahrhunderts auch schon Privatpersonen, bis zum Ende der Arpadenzeit schließlich ein Großteil der Zölle in Privathand gelangte. Anfangs wurde bei den teils auf den Verkehr (Fähr-, Brücken-, Straßenzoll), teils auf den Handel (Marktzoll) erhobenen Zöllen die Menge der Waren in Betracht gezogen, doch nach den um 1255 einsetzenden Reformen Bélas IV. richte sich die Höhe der Zölle bereits nach Wert und Art der Waren.

Über die einen Teil der Zolleinkünfte sichernden Märkte sind bereits aus dem 11. Jahrhundert Angaben überliefert. Auf ihre Verbreitung kann - unter anderem - aus einem bestimmten Typ der Ortsnamen gefolgert werden (z.B. Vásárhely [Marktort] bzw. mit Hinweis auf den Tag der Abhaltung des Wochenmarktes: Szerdahely [Mittwochsmarkt] und Szombathely [Samstagsmarkt]). Doch gilt als sicher, daß auch in den Gespanschaftszentren Wochenmärkte stattfanden. An einigen der beudetenderen Marktorte entwickelten sich diese Märkte - vor allem im Zusammenhang mit kirchlichen Festen - zu Jahres - bzw. Landesmärkten, die auch aus entfernteren Gegenden Verkäufer und Kunden anzogen. Durch die Übertragung der königlichen Marktzölle enstanden die sog. "freien Märkte", deren Genehmigung im Laufe des 13. Jahrhunderts zu einem Element der Privilegierung der Hospesgemeinschaften, besonders aber der Städte wurde.

Eine einzigartige Summierung der königlichen Geldeinkünfte enthält jenes Dokument vom Ende des 12. Jahrhunderts, das wohl zwecks Information eines ausländischen Hofes entstand, vielleicht im Zusammenhang mit der zweiten Eheschließung Bélas III. Die Beträge in der Liste sind in Mark angegeben, was nach allgemeiner Ansicht als übertrieben zu betrachten ist, doch die Zusammensetzung der Einnahmen sowie das Verhältnis der einzelnen Posten zueinander dürften die tatsächliche Situation widerspiegeln. Demnach müßte das Münzprägen (ca. 37%) die wichtigste Einnahmequelle gewesen sein, ihm folgten die Zölle (19%) und die Einkünfte der Komitate (16%), während der Anteil der übrigen Posten die 10%-Grenze nicht überschritt. Auch die Einkommen der ungarischen Kleriker sind in dem Schriftstück aufgelistet.

Bereits unter den Verhältnissen der Naturalwirtschaft war der Außenhandel enger Bestandteil des Wirtschafstlebens der Arpadenzeit. Bis zum 13. Jahrhundert dürften in erster Linie zum Osten - zu Kiew und Byzanz - rege Handelsbeziehungen bestanden haben. Von der zweiten Hälfte des 12. Jahrhunderts an aber gibt es mehr und mehr Anzeichen dafür, daß Ungarn auch zur westeuropäischen Wirtschaftswelt Kontakte anknüpfte, bis im 13. Jahrhundert schließlich der Handel mit dem Westen dominierte. Bei der Ausfuhr spielten in früher Zeit neben landwirtschaftlichen Produkten die Sklaven und Tiere - hauptsächlich das Pferd - eine bedeutende Rolle, zu deren Export schon die Gesetze des 11. Jahrhunderts Regelungen enthielten. Importe waren, wie auch in späterer Zeit, größtenteils Handwerkserzeugnisse und Luxusartikel (teuere Stoffe, Schmuck, Gewürze).

Im Laufe des 13. Jahrhunderts änderte sich die Hauptrichtung des Außenhandels, von da an trieb man überwiegend mit dem Westen Handel. Neben den traditionell exportierten Waren kamen damals die Produkte des ungarischen Bergbaus hinzu (in erster Linie Silber und Gold, aber auch Kupfer und Zinn). Eingeführt wurden unverändert größtenteils Handwerks- und Luxusartikel, doch als neuer Zug stieg auch der Anteil der dem Massenkonsum dienenden billigen Eisenwaren und Textilien spürbar an. Der Kreis der Handeltreibenden änderte sich ebenfalls: Während früher hauptsächlich Kaufleute aus dem Osten (Ismaeliten, zum kleineren Teil Griechen und Armenier) bzw. Juden aus dem Westen den Handelsverkehr abgewickelt hatten, strömten im 13. Jahrhundert immer mehr westliche (vorwiegend deutsche und italienische) Händler ins Land oder ließen sich hier nieder, und auch einheimische Kaufleute schalteten sich in die Handelsgeschäfte ein.

Der Binnenhandel beschränkte sich zur Arpadenzeit in der Hauptsache auf den Austausch der aus den einzelnen Gegenden mit unterschiedlichen natürlichen Gegebenheiten stammenden Produkte, es wurde also in der Mehrzahl mit Nahrungsgütern und anderen landwirtschaftlichen Erzeugnisse gehandelt. Sehr früh auftauchende und stets wichtige Handelsartikel waren der Wein und das Salz. Zu ihnen gesellte sich mit der Entwicklung der Landwirtschaft das Getreide, das von der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts an die Versorgung der Einwohner der neuentstehenden Städte sicherte. Das heimische Handwerk befriedigte mit den Gegenständen des alltäglichen Gebrauchs die bescheideneren Konsumbedürfnisse. Abgewickelt wurde der Binnenhandel von ungarischen Kaufleuten, und Schauplatz des Warenaustauschs waren die Märkte, in deren Umkreis die Herausbildung von Marktbezirken begann.

ALLTAGSLEBEN

Die Tracht und Bewaffnung der Männer

Das Recht und die Möglichkeit Waffen zu tragen wurde zur Arpadenzeit mehr und mehr auf bestimmte Gruppen der Männer eingeengt. Im folgenden sollen die Tracht und Bewaffnung westeuropäischer Prägung sowie die traditionell ungarische bzw. mit neuen Einflüssen aus dem Osten ergänzte Ausrüstung getrennt voneinander vorgestellt werden. Wie die aus dem 11.-13. Jahrhundert verfügbaren Quellen verraten, setzte sich westliche Kleidung damals in immer stärkerem Maße durch.

Darstellungen bezeugen, daß die Männer nur selten Hemden trugen, sondern zuerst eine Tunika anlegten. Dies war ein weites, hemdartiges Kleidungsstück mit langen Ärmeln und rundem Halsausschnitt, das man aus Leinen oder Seide und in den verschiedensten Farben anfertigte. Am Halsausschnitt, an den Ärmeln sowie in der Mitte über den Oberschenkeln dürften es breite, gestickte Streifen geziert haben. Unter der Tunika trug man lange, enge Hosen oder farbige Strümpfe. An die Füße wurden Stiefel oder Schuhwerk mit bis über den Knöchel reichendem Schaft und weicher Sohle gezogen. Bekannt waren auch in der Mitte bestickte Sandalen byzantinischen Typs.

Als Gürtel genügte ein Riemen, den man mit einem einfachen Knoten zusammenband, benützt wurden aber auch nur mit einer Schnalle versehene Riemen. Im Kreis der Vornehmen kamen auch der mit Metallfäden durchwirkte Textilgürtel sowie der aus Metallgliedern zusamengestellte und mit Gold-, Silber- oder emaillierten Beschlägen besetzte Gürtel in Mode. Über der Tunika trugen sie einen kürzeren oder längeren, farbig gemusterten, ärmellosen Umhang (chlamis oder pallium), der vermutlich mit glattem Halsausschnitt, aber einem breiten, ausbiegenden Kragen zugeschnitten war. Die Flügel des Umhangs hielt ein Band zusammen, dessen verknotete Quastenenden durch zwei gegenständige Einschnitte am Rand des Umhangs gezogen wurden. Weniger feierlich als der Umhang und häufig mit einer Kapuze versehen waren das Cape (capa) und der Mantel (mantellum). Die aus Fell oder dickerem Stoff gefertigte, pelzgefütterte und mit Leder verzierte garnacia diente als Oberkleid.

Mit Übernahme der westlichen Mode veränderte sich auch die Haartracht; im allgemeinen wurden aufgelöste, rund um den Kopf herabgekämmte Frisuren getragen. Häufig flocht man auch Ringe oder anderen Schmuck aus Bronze bzw. Edelmetall ins Haar. Die sog. Drahtringe mit S-Ende waren bis zum Ende dieses Zeitalters sehr beliebt. Die Vollbarttracht blieb unverändert. Den Kopf bedeckte man zumeist mit einer aus Pelz oder Stoff genähten Mütze. Härtere Filzhüte mit Rand trug das Gemeinvolk. Bei den Vornehmen wurden die Mützen sogar geschmückt: Zur Hochzeit Herzog Bélas (1264), Sohn Bélas IV., zierten in Silberfassungen sitzende Pfauenfedern die Mützen der Teilnehmer, und sowohl in ihre Bärte als auch ihre Haarflechten hatten sie echte Perlen und Edelsteine geflochten.

Rüstete sich der Mann zum Kampf, vervollständigte er die oben geschilderte Bekleidung und nahm, natürlich in Abhängigkeit davon, ob er zur Waffengattung der schweren oder leichten Reiterei gehörte, verschiedene Schutzwaffen an sich. Im folgenden sollen zunächst die Schutz- und Angriffswaffen sowie das Pfedegeschirr der schweren, und anschließend die Ausrüstung der leichten Reiterei vorgestellt werden.

Im 11.-13. Jahrhundert verwendete man zum Schutz des Körpers verschiedene Typen des Panzers. Allseits beliebt war der sog. Kettenbandpanzer; hierfür wurden kleine schmiedeeiserne Ringe reihenweise an Riemen aufgenäht, was einen sicheren und dennoch leichten, biegsamen Panzer ergab. Bekannt war auch die Variante, wo man die Ringe in dichten Reihen an einem Lederhemd befestigt hatte. Nur die ganz Vornehmen konnten sich eines der echten, etwa zehn Kilogramm wiegenden Kettenhemden leisten, das in mühevoller Arbeit aus mindestens zwanzigtausend kleinen Ringen angefertigt wurde. Dem Schutz der Hüften dienten Kettenhosen- oder Strümpfe, und im 12. Jahrhundert schuf man als Verschluß der Hemdsärmel auch die Kettenhandschuhe.

Bald wurde es notwendig, die durch die gegnerischen Waffen am meisten bedrohten Schultern, Ellbogen und Kniee besser zu schützen. Deshalb befestigte man an diesen Körperteilen festschnallbare Panzerbleche. Zur gleichen Zeit waren auch die verschiedenen Typen der Schuppenpanzer in Gebrauch. Ab der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts kam die sog. Brigantine in Mode, ein mit Eisenstreifen- oder blechen gefüttertes Lederhemd. Diese Art des Schutzpanzers fand nach dem Mongolenüberfall in Mitteleuropa und später auch in Westeuropa Verbreitung. Die Schuppenpanzer entstanden im 11. Jahrhundert nach dem Muster eines bis zum Knie reichenden Overalls, während man die Unterschenkel mit breiten Lederstreifen umwickelte. Ergänzt wurde die Schutzausrüstung durch eine mit Kapuze versehene, schuppenbesetzte Kopfbedeckung, über der die Vornehmen dann noch den Blechhelm trugen.

Im 12. Jahrhundert trennten sich Kettenhemd und Kettenhose. Der Krieger trug unter seinem Panzer ein weites Hemd. Im 12.-13. Jahrhundert legte man über dem Panzer noch ein umgürtetes Waffenhemd (bambusium) an, das von den Kreuzrittern in Europa verbreitet wurde und vorrangig zum Schutz des gepanzerten Köpers gegen das Sonnenlicht diente. Ende des 13. Jahrhunderts kam das weiße Waffenhemd langsam aus der Mode bzw. verwandelte sich in ein buntes Prunkgewand der Ritter.

Aus der Arpadenzeit sind uns nur wenige Darstellungen von Schutzpanzern überliefert. Über einige Abbildungen mit Kettenhemd und Schuppenpanzer hinaus verdienen drei Denkmäler jedoch besondere Aufmerksamkeit.

Das erste Denkmal ist eine anläßlich der Heirat Kunigundes (Kingas), der Tochter Bélas I., nach Polen gelangte und dort an den Balken eines Kreuzes befestigte Krone, die kleine, anderthalb Zentimeter große, in Gold gegossene Figuren, darunter auch Rittergestalten, zieren.

Das zweite ist die Goldschnalle vom Fundort Kiskunmajsa-Kigyóspuszta (um 1260), deren nielloverzierte Schlachtszene zeigt, wie in langärmelige und bis zum Knie reichende Schuppenpanzer gekleidete Ritter mit Helm und Kapuze aufeinander prallen.

Beim dritten Denkmal handelt es sich um die an der Wende vom 13. zum 14. Jahrhundert entstandene Freskenserie über die Legende des hl. Ladislaus in der Kirche von Gelence/Ghelinta (Rumänien). Der heilige König ist auf den Gemälden mit einem langen Hemd bekleidet, darüber trägt er einen mit Ringen besetzten Lederpanzer, um seine Taille liegt ein Gürtel ohne Beschläge, an dem ein Dolch hängt. Seine Beine stecken in engen Strumpfhosen und seine Füße in Schuppenpanzerschuhen. Auf dem Kopf trägt er einen mit einer Krone geschmückten Helm.

Im Nachlaßmaterial des 13. Jahrhunderts gibt es eine Gruppe, die sog. Reitersiegel, auf denen - ungeachtet ihrer geringen Abmessungen - einzelne Elemente der zeitgenössischen Bewaffnung gut zu erkennen sind. Bei Betrachtung läßt sich im Hinblick auf die Rüstung der Ritter lediglich vermuten, daß sie einen Panzer tragen, am besten sieht man ihre Kettenstrümpfe oder die spitzen Kettenschuhe. Auch das lange, umgürtete, vom Oberschenkel in Falten nach hinten schwingende Waffenhemd sowie der ganz oben auf dem Kopf sitzende Topfhelm sind gut auszumachen. Ihre Schilde, sofern sie solche tragen, sind klein und dreieckiger Form; auf ihnen erschienen die ersten ungarischen Wappen.

Nach der Tracht und Schutzbewaffnung kommen wir nun zur Vorstellung der Angriffsbewaffnung. Reiter mit schwerer Bewaffung (Ritter) benützten im allgemeinen keine Waffe für den Fernkampf. Deswegen erscheint es als etwas typisch Ungarisches, daß - wie ab der Mitte des 13. Jahrhunderts eine Vielzahl von Angaben belegen - auch der Bogen zu ihrer Ausrüstung gehörte. Dieser Bogen dürfte sich in nichts von den aus dem Jahrhundert der Landnahme bekannten Typen unterschieden haben, erst mit dem Auftauchen der Kumanen kann mit einer verbesserten Form gerechnet werden.

Dagegen war die Lanze im Vergleich zu früher wesentlich wichtiger geworden. Denn nachdem die leichte Reiterei mit ihren Pfeilhagelmanövern die Schlacht eröffnet hatte, gingen die schwerbewaffneten Hauptheere in keilförmiger Formation zum Lanzenangriff über. Dabei konzentrierte sich die gesamte Bewegungsenergie von Pferd und Reiter in der Lanzenspitze. Den Lanzenschaft schmückte man unterhalb der Spitze mit einem Wappenfähnchen.

Nach dem Lanzenangriff der aufeinander treffenden Keile kam es zum Kampf Mann gegen Mann. Obwohl das zweischneidige Schwert die Hauptwaffe des Nahkampfes blieb, hat es sich mit der Zeit doch wesentlich verändert, gezwungenermaßen, da man immer häufiger Schutzbewaffnung trug. Von der Mitte des 12. Jahrhunderts an wurde es, um die Wucht des Schlages zu steigern, bedeutend schwerer. Sein Gewicht erreichte langsam anderthalb Kilogramm oder mehr. Der Gewichtspunkt des Schwertes wurde näher zum Griff verlagert, wodurch sich seine Handlichkeit und die Genauigkeit der Hiebe verbesserten. Merkmal der Klingen mit unterschiedlicher Länge und Breite war, daß sie nicht abgerundet, sondern in einer scharfen Spitze endeten, was beweist, daß man mit ihnen in der Regel auch zustieß. Nicht als Waffe betrachten kann man das silberne Totenschwert mit kurzer Klinge von König Béla III.

Sehr wirkungsvoll waren bei einem panzergerüsteten Gegner - vor allem in der Hand des Fußvolkes - die verschiedenen Kriegsäxte. Anfang des 13. Jahrhunderts tauchten in der ungarischen Sprache bárd (Beil-1214) und topor (Axt-1235) als Lehnwörter auf. Ein unmißverständlicher Hinweis auf die Rolle des Beils findet sich in der Ringkampfszene unter den Wandgemälden über die Legende des hl. Ladislaus in der Kirche von Gelence/Ghelinta: Hier zerschneidet das Mädchen die Hakensehne des Kumanen mit einem Beil - der Waffe des heiligen Königs, die zu einem ständigen Requisit späterer Darstellungen von ihm wurde.

Nach diesem Überblick über die Kriegsausrüstung wenden wir uns nun dem Pferd und Pferdegeschirr der Krieger zu. Mit dem teilweisen Wandel der Bewaffnung erschienen vom letzten Drittel des 10. Jahrhunderts an im Karpatenbecken auch die Pferde mit mächtigerem Körper. Auf seinem großen Pferd saß der gepanzerte Reiter in einem speziellen, vom östlichen Typ abweichenden Sattel, bei dem sowohl Vorder- als auch Hinterzwiesel erhöht waren. Anfangs konnte er in diesem hohen Sattel nur mit langgestreckten und dann mehr und mehr nach vorn gestreckten Beinen sitzen. Im 12. Jahrhundert, als die Lanzenangriffe zum schlachtentscheidenden Faktor wurden, bildete sich, zwecks Abwehr eines starken Zusammenpralls und besserer Stützung, der tiefe Rittersattel heraus, dessen Zwiesel den Körper des Reiters in der Hüftgegend beinahe umschlossen.

Das Pferdegeschirr schmückte man mit Beschlägen, Bändern oder Quasten, doch auf den erwähnten Wandgemälden waren an den Gurten des Pferdegeschirrs sogar die goldgelben Punkte der Beschläge dargestellt. Als Neuheit des behandelten Zeitalters bürgerte sich bei der ungarischen schweren Reiterei die Benutzung der Sporen ein. Mit dem Beschlagen der Pferde begann man im Kreis des Ungartums vermutlich erst im 11. Jahrhundert. Bei der schweren Reiterei war es allgemeiner Brauch, die leichte Reitere jedoch verzichtete auch im Mittelalter noch darauf - um die Geschwindigkeit der Pferde nicht zu beeinträchtigen.

Zusammen stellten die Bewaffnung und das Pferd des Ritters einen sehr großen Wert dar. Viele der kleinen Grundherren verfügten gar nicht über soviel Grundbesitz (vier- bis fünfhundert Hektar), aus dessen Erträgen sie sich eine solche Ausrüstung hätten leisten können. Es ist kein Zufall, daß die Mehrzahl der zum Heeresdienst gezwungenen kleinen Grundbesitzer schon damals - d.h. in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts - bei der leichten Bewaffnung blieb und sie höchstens durch Schwert bzw. Lanze vervollständigte, weil dies sowohl gegenüber dem leicht- als auch schwerbewaffneten Gegner zweckmäßig war.

Ausschließlich in leichter Bewaffnung kämpften die Petschenegen und Szekler sowie die im 13. Jahrhundert zugewanderten Kumanen und Jazygen. Vor der Behandlung ihrer Bewaffnung soll jedoch auch von ihrer Tracht die Rede sein, bzw. von deren Fortbestehen nach der Landnahmezeit.

Die auch im 11. Jahrhundert noch in heidnischem Glauben lebenden Menschen waren vermutlich ebenso bestrebt, an ihrer althergebrachten Kleidung festzuhalten. Von Darstellungen des 11.-13. Jahrhunderts verdienen hier das mit hohem Stehkragen genähte Hemd und das eng am Körper anliegende, etwas mehr als knielange, unterhalb des Gürtels weite, faltenreiche, kaftanartige Obergewand mit engen, bis zum Handgelenk reichenden Ärmeln Erwähnung. Zur Bekleidung gehörte stets ein beschlaglos dargestellter Gürtel. Die Beine der abgebildeten Gestalten sind nackt oder stecken in engen Strümpfen; an ihre Füßen tragen sie hochschäftige Schuhe oder Stiefel. Obwohl man weiß, daß das Gemeinvolk seine Haare noch jahrhundertelang gebunden oder in Zöpfen getragen, also auf Kopfrasur verzichtet und so die alte Tradition bewahrt hat, erscheint auf den erwähnten Darstellungen dennoch die Haartracht westlicher Prägung: das aufgelöste, herabgekämmte Haar, das rasierte oder schnauzbärtige, mitunter sogar von einem Vollbart gerahmte Gesicht.

Neben den Ungarn und mit ihnen verschmolzenen militärischen Hilfsvölkern dürften auch die Szekler und Petschenegen sowie Elemente der mohamedanischen Völker (Ismaeliten) zum Fortbestehen der orientalisch geprägten landnahmezeitlichen Tracht beigetragen haben, und durch die Ansiedlung der Kumanen und Jazygen im 13. Jahrhundert kamen neue Einflüsse hinzu. Die Oberkleidung der Kumanen - die an kumanischen Steinskulpturen (kamennaja baba) des 12.-13. Jahrhunderts aus der südrussischen Steppe sowie auf den Wandmalereien der Ladislaus-Legende zu beobachten ist - bestand aus einem fast knielangen Kaftan, Hose und Stiefeln. Die Flügel des weiten, aus schwerem Material (bei den Vornehmen aus byzantinischem Stoff) gefertigten Kaftans schlugen sie vorn von rechts nach links übereinander und verschlossen ihn mit einem Gürtel.

In seltenen Fällen war das Hemd so lang, daß es unter dem Kaftan hervorlugte. Auch der kumanische Krieger hielt seinen Kaftan mittels Gürtel zusammen, welcher gleichzeitig zum Tragen der Bewaffnung (z.B. Säbel, Bogenköcher, Pfeilköcher) sowie der sonstigen Ausrüstung (Messer, Feuerschläger, Kamm, Tasche) diente, und der in der Regel unverziert, d.h. nur mit einer Schnalle versehen gewesen sein dürfte. Die vornehmen Kumanen allerdings hatten ebenfalls Anspruch auf einen Gürtel mit Edelmetallbeschlägen. Überraschenderweise folgte man bei der Fertigung der Beschlaggarnituren dieser Gürtel nicht dem östlichen Geschmack, denn sie zeigen die Verbindung zur Welt der Ritter.

Kumanische Krieger trugen anstelle der Hosen bis zur Hüfte reichende Strümpfe. Ihre leichten Stiefel mit weicher Sohle waren knielang. Der kumanische Mann rasierte sich den Kopf und flocht das hinten verbleibende Haar zu einem bis drei, häufig unterschiedlich langen und dicken Zöpfen. Auch den Backenbart entfernte er, trug jedoch einen Schnurrbart mit spitzgezwirbelten Enden. Seinen Kopf bedeckte eine lange, spitze, pelzlose sog. kumanische Mütze mit hochgeschlagenem Rand. Diese Tracht war unter den Ungarn in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts dermaßen verbreitet, daß sich die Kirche zweimal vergeblich bemühte (1279, 1288), sie zu verbieten.

Der leicht bewaffnete Krieger sah sich ebenfalls gezwungen, Schutzbewaffnung zu tragen. Zum Schutz des Körpers legte er einen Lederpanzer an. Krieger höheren Ranges trugen den bereits erwähnten Schuppen- bzw. Kettenpanzer. Ihren Kopf schützten auch sie mit einem Helm, den man in Form eines Kegels aus Lamellen zusammengenietet oder zu einem Stück geschmiedet hatte, und der in einer den Helmschmuck tragenden Tülle oder kleinen Stange für ein Fähnchen endete. Häufig wurde er durch einen Nasenschutz oder eine das halbe bzw. ganze Gesicht bedeckende Metallmaske ergänzt.

In der Regel verwendete der leicht bewaffnete Krieger keinen Schild, doch mag auch das mitunter vorgekommen sein. Grund dafür war, daß dieser ihn bei der gleichzeitigen Handhabung des Bogens und Pferdes behinderte. Seine Hauptangriffsswaffe blieb nämlich der Bogen. Der Typ des landnahmezeitlichen Reflexbogens hat im 11.-12. Jahrhundert vermutlich weiter bestanden, obwohl es dafür auf ungarischem Gebiet keine archäologischen Beweise gibt.

Unter den mannigfaltigen Formen der Pfeilspitzen tauchten mit Beginn des 11. Jahrhunderts mehr und mehr - drei- und vierkantige, pyramidenstumpf- und lanzenförmige - panzerbrechende Exemplare auf, zum Zeichen dafür, daß sich die Bogenschützen immer öfters panzerbewehrten Feinden gegenüber sahen. Daneben blieben aber auch die für frühere Zeiten typischen flachen, blattförmigen, rhombischen und deltoiden sowie gabelförmigen Pfeilspitzen in Gebrauch.

Zu den Waffen des Nahkampfes gehörte der Säbel, obgleich einen solchen selbst bei den Mongolen nur die Wohlhabenderen besaßen. Mit Beginn des 11. Jahrhunderts veränderte sich auch diese Waffe. Langsam entstand der im Vergleich zum früheren längere Säbel mit breiterer und stärker gebogener Klinge.

Darüber hinaus gab es noch eine andere traditionelle, im Karpatenbecken vielleicht schon durch Vermittlung der Petschenegen oder erst der Kumanen aufgetauchte Hiebwaffe, den Streitkolben, von dem uns jedoch nur Streufunde bekannt sind. Diese Streitkolben wurden in den verschiedensten Formen aus Eisen geschmiedet oder in Bronze gegossen und an einem Holzschaft befestigt gehandhabt.

Die Ausrüstung der leichten Reiterei entsprach sehr wahrscheinlich der zur Landnahmezeit üblichen bzw. hat sich davon ausgehend weiterentickelt. Über den Sattel liegen uns keine konkreten Angaben vor. Sicher ist hingegen, daß sich die Gebißstange unvermindert großer Beliebheit erfreute. Die Steigbügel der Krieger hatten - ihren weichen Stiefeln angepaßt - größtenteils breite, gewölbte Sohlen und zu einer runden oder zugespitzten Form geschmiedete Schäfte. Sporen fanden bei der leichten Reiterei weiterhin keine Verwendung.

Zum Abschluß unseres Überblicks über die Ausrüstung der schwer- und leichbewaffneten Reiterei sollte nun auch die Armbrust noch kurz erwähnt werden. Diese Waffe, die eine erschreckende Wirkung erzielte, blieb bis zuletzt Teil der Ausrüstung des Fußvolkes, d. h., sie wurde nicht in die Ausrüstung der verschiedenen berittenen Waffengattungen übernommen. Unserer ersten Angabe zufolge verteidigte der spanische Gespan Simon im Jahr 1242 die von den Mongolen belagerte Graner Burg mit Hilfe seiner Armbrustschützen. Und eine Angabe aus 1265 erwähnt das Erschießen von Pferden mit Armbrüsten, was bedeutet, daß diese Waffe zum Ende der Arpadenzeit auch auf ungarischem Boden schon gebräuchlich war.

Das in der Geschichte des Königreiches Ungarn ein Zeitalter abschließende, wichtige Jahr 1301 war im Hinblick auf die Tracht- und Waffengeschichte kein entscheidendes Datum, denn die hauptsächlichsten Waffengattungen behielten bis zum Ende des 14. Jahrhunderts ihre oben behandelten Proportionen bei, und auch die Weiterentwicklung der Waffen setzte sich in den angedeuteten Rahmen fort.

Die Tracht der Frauen und Kinder

Mit der Übernahme des Christentums änderte sich die Bekleidung sowohl der Männer als auch der Frauen wesentlich. Die für beide Geschlechter typische, aus dem Hemd, einem kaftanartigen, umgürteten Obergewand, der Hose und den beschlaggeschmückten Stiefeln bestehende Tracht wurde, den Vorschriften der neuen Religion gemäß, von Kleidungsstücken abgelöst, die die Körperformen verbargen. Diese in ganz Europa verbreitete, geschlossene, mantelartige Kleidung bestand aus mehreren übereinander getragenen Gewändern. Als erstes legte man ein Tunika genanntes Unter- und Obergewand an, darüber wurden ein kürzerer, ärmelloser, prunkvoller Überwurf sowie ein längerer, halbrund geschnittener Umhang getragen.

Die nacheinander angelegten Kleidungsstücke fertigte man aus ein und demselben Material, farblich unterschieden sie sich allerdings. Das Grundmaterial der Kleidung war Tuch, verwendet wurden aber auch europäische oder orientalische Seide, eventuell Brokat oder Samt. Eine aus dem Jahr 1264 überlieferte Abrechnung des jüngeren Königs Stephan beweist, daß sich die Vornehmen des Landes ihre Kleider aus den teuersten ausländischen Stoffen anfertigen ließen. In der Liste werden große Mengen flandrischen Tuchs, italienische, byzantinische und asiatische - vielleicht chinesische - Seide, Samt und feines Leinengewebe angeführt, die man ebenso zu Männer- wie zu Frauenkleidung verarbeitete. Gefüttert oder geschmückt wurden die Gewänder mit teuren Pelzen.

Unverheiratete Mädchen trugen das Haar offen (wie auch ihr ungarischer Name "hajadon" besagte), während verheiratete Frauen ihr Haar bereits mit irgendeiner Haube oder einem Schleier bedeckten. Die einfachste, das Haar, den Hals und teilweise auch die Schultern verbergende Kopfbedeckung, Nonnenhaube- oder schleier gennant, sieht man auf dem das Letzte Abenmahl darstellenden Wandgemälde in der Kirche zu Ócsa. Solche Schleier wurden von älteren Frauen und vermutlich von Witwen getragen. Eine kästchenartige, unter dem Kinn gebundene, flache Haube und darunter einen nach hinten lang herabwallenden Schleier trägt die weibliche Stifterfigur am Tympanon von Szentkirály. Dieser Kopfschmuck war jedoch nur im Kreis der adligen Damen verbreitet, wie sie auch unter den berühmten weiblichen Stifterfiguren des Naumburger Doms (Deutschland) zu finden sind.

Schmuck trugen die Frauen relativ wenig, am häufigsten vertreten waren die zum Verschließen des Gewandes dienenden Umhangschnallen bzw. Agraffen. Um ihren Zöpfen Halt zu geben, benützten sie - wie Grabfunde belegen - silberne oder bronzene Lockenringe. Daneben kamen in den freigelegten Gräbern aber auch Hals-, Arm- und Fingerringe zum Vorschein, die meisten aus Kupfer bzw. Bronze, denn nur Vornehme trugen Silber- und Goldgeschmeide. Als Schmuck galt auch der von Mädchen ebenso wie von Frauen getragene Gürtel, den man aus Metall- oder Goldfäden wob sowie mit Metallblechen und häufig auch mit Perlen verzierte.

Zur Tracht der unverheirateten Mädchen gehörte auch der im Ungarischen "párta" genannte Jungfernkranz. An ihn erinnern zahlreiche Sprichwörter und Wendungen, wie beispielsweise "pártában maradt" (sinngem.: Jungfer geblieben), als Bezeichnung für Mädchen, die keinen Mann gefunden hatten. Dieser Kopfschmuck bestand aus einem um den Kopf gelegten, ähnlich dem Hüftgürtel mit Perlen, gepreßten Blechen oder eventuell Edelsteinen geschmückten Band oder Kranz. Die Schriftquellen geben keine Auskunft darüber, ob das Tragen dieses Jungfernkranzes zur Arpadenzeit allgemein verbreitet war. Doch daß er getragen wurde, zeigen die von Archäologen in mehreren Frauengräbern im Bereich des Kopfes freigelegten Perlen und gepreßten Silberbleche.

Den wertvollsten Goldschmuck trugen die Mitglieder der königlichen Familie bzw. des Hofstaates. Diese Schätze wanderten, dank der zwischen den Herrscherfamilien geknüpften dynastischen Ehebindungen, von Land zu Land. Als Hochzeitsschmuck der Töchter Bélas IV. gelangten auf diesem Wege zum Beispiel jene Kronen nach Polen, die bis heute erhalten geblieben sind. Eine der Kronen ziert die Herme des hl. Sigismund, zwei andere benutzte man für ein Votivkreuz. Von der bald nach ihrem Tod heiliggesprochenen Königstochter Elisabet heißt es in der Legende, daß ihre Eltern, Andreas II. und die später ermordete Gertrud, sie für ihren Weg nach Thüringen mit einer reichen Mitgift ausgestattet hatten.

Elisabet wurde dem Sohn des thüringischen Markgrafen als Kind anverlobt, doch alles was sie mitnahm, die Kleider und der Schmuck, unterschied sich in nichts von der Tracht einer erwachsenen Prinzessin. Dies war bis zuletzt typisch für das Mittelalter, daß die Kleidung der Kinder, unabhängig von der gesellschaftlich-finanziellen Situation, nur in der Größe von der der Erwachsenen abwich. Mit Ausnahme der kleinsten trugen Kinder dieselben Kleider wie ihre Eltern.


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