Gerhard: Deliberatio, Gerhard-Legenden

St. Gerhard: Deliberatio
Predigt des hl. Gerhard
Legende vom hl. Gerhard
Der hl. Gerhard 1
Symphonie der Ungarn 1
Gerhard: Deliberatio

Der hl. Bischof Gerhard (nach 977-1046) brachte mit seinen überlieferten und verloren gegangenen Werken das Latein Norditaliens an den Hof Stephans des Heiligen. Einzelnen Meinungen zufolge schrieb er das Werk Deliberatio supra hymnum trium puerorum in den 1020er Jahren, während seines Einsiedlertums im Bakonygebirge. Wahrscheinlicher ist jedoch, daß es zur Herrschaftszeit der Könige Aba und Peter entstand. In der als ganzes, vielleicht aber nicht in ihrer endgültigen Form überlieferten Arbeit sinnt er über acht Verse aus dem Buch des Propheten Daniel nach. Die erste in Ungarn entstandene Abhandlung zur Heiligen Schrift versah Teile der Psalmen des Alten Testaments für die frühmorgendliche Gebetsstunde der Mönche (= laudes) mit Kommentaren. Ziel dessen war es, mit Hilfe anderer Bibelstellen sowie der Bibelkommentare der Kirchenväter und sonstiger wissenschaftlicher Werke den hinter den Buchstaben verborgenen, tieferen (allegorischen) Sinn zu erschließen, da er meinte, der Text habe durch den alltäglichen Gebrauch an Kraft verloren. Dabei fügte er die Zitate aus den zur Interpretierung verwendeten Werken wie Glieder einer Kette (lateinisch = catena) aneinander und ergänzte sie mit seinen eigenen Anmerkungen.

Das auch in der mittelalterlichen lateinischen Literatur des Abendlandes einen bedeutenden Platz einnehmende, mitunter recht schwer verständliche Werk zeugt vom Einfluß der mystischen Philosophie des Dionysios Areopagita sowie von Kenntnissen der norditalienischen Liturgie. Seiner Sprache und seinem Stil kann man ebenso schwer folgen wie den Gedankengängen. Mit Vorliebe verwendet er stark individuell geprägte Ausdrücke (z.B. zur Bezeichnung für die Bücher der Bibel, Löbliche Hohe Zeit = Lied der Lieder). Gerhard selbst erwähnt in der überlieferten Arbeit zwei seiner anderen Werke, der Kommentar zu jeweils einem Brief des Apostels Paulus und Johannes sowie sein Werk über die Dreifaltigkeit sind jedoch verloren gegangen. Wie es in der Legende über den 1083 kanonisierten Gerhard heißt, schrieb dieser zu jedem Tag des Jahres eine Predigt (homilia), bei denen es sich wohl kaum um thematische Sermone gehandelt haben dürfte. 1982 wurden einige Fragmente davon aufgefunden.

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Gerhard-Legenden

hnlich der Stephanslegende wurde uns auch die Legende vom hl. Gerhard in zwei Versionen übeliefert. Die kleinere Legende ist wesentlich kürzer als die andere und erscheint auf den ersten Blick älter als diese, denn die den Text beinthaltende Handschrift stammt von der Wende 12./13. Jahrhundert. Zugleich blieb die größere Legende nur in einem Kodex aus dem 15. Jahrhundert erhalten. Ihr Text erwähnt den Tod Königin Elisabets im Jahr 1381, er entstand in seiner heute bekannten Form demnach sehr spät und wird von vielen Anachronismen verunziert. Während aber der kürzere Text im Hinblick auf das Zeitalter des Helden keine bewertbaren Daten enthält, sind in der größeren Legende tatsächlich zeitbezogene Angaben zu finden, die im 14. Jahrhundert gewiß schon in Vergessenheit geraten waren (das Bistum Csanád und das Amt des Palatins z.B. werden in ihrer archaischen Form angegeben). Auch die Quellenverwendung der größeren Legende spricht für deren frühes Entstehen, d.h., daß weder die Bilderchronik des 14. Jahrhunderts noch Texte der Chroniken des 13. Jahrhunderts zitiert wurden, sondern man hatte als Quelle einen heute bereits verschollenen Text aus dem 12. Jahrhundert benutzt. Der Text beider Legenden zeigt zahlreiche Übereinstimmungen, wobei sich aber keine restlos aus der anderen herleiten läßt. Beide können demzufolge auf eine gemeinsame Urlegende zurückgeführt werden, deren Text schon um die Mitte des 12. Jahrhunderts entstanden sein muß. Die größere Legende, mit Spuren rigoroser Überarbeitung im 14. Jahrhundert, hat diesen Text getreuer überliefert, während die kürzere Ausgabe nichts anderes darstellt als eine im 13. Jahrhundert aus der Urlegende gefertigte Predigt, die man am Feiertag des Heiligen hielt. Ihr Verfasser kannte und zitierte einen antik geprägten Text des zu Beginn des 11. Jahrhunderts lebenden Meisters der symbolischen Theologie, Fulbert von Chartres. Im Geiste dessen zeichnete er als Hintergrund zum Leben Gerhards die Perspektive der Heilsgeschichte. Der Ideengehalt des Zitats zeigt eine enge Verbindung zur Geisteshaltung der Bahnbrecher für die Renaissance des 12. Jahrhunderts. Die Ereignisse im Leben Gerhards wurden vom Legendenschreiber vermutlich bewußt geändert. Hätte er ihn nämlich als Anhänger von König Samuel Aba dargestellt, würde dies Gerhards Heiligkeit schwerwiegend beeinträchtigt haben, da der Papst den ungarischen König und seine hohen Kleriker mit dem Bann belegte.

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