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GESCHICHTE

THRONKÄMPFE UND KONSOLIDIERUNG
DIE LETZTEN JAHRZEHNTE DES FRÜHEN KÖNIGTUMS
DAS ZEITALTER DES MONGOLENSTURMS
DIE LETZTEN ARPADEN



THRONKÄMPFE UND KONSOLIDIERUNG

Die Anfänge der Thronkämpfe

Nach dem Tod Stephans gelangte dessen designierter Erbe Peter ungehindert auf den Thron seines Onkels. Die Maßnahmen, die König Peter (1038-1041) traf, versprachen eine Fortsetzung des von Stephan eingeschlagenen Weges: er gründete Kirchen, gab Gesetzte und Urkunden heraus, ließ Geld prägen, erhob Steuern. Alles das tat er jedoch, im Gegensatz zu Stephan, mit einer die spezifischen ungarischen Verhältnisse außeracht lassenden, unduldsamen Gewaltsamkeit, was sehr bald zu unlösbaren Gegensätzen zwischen dem König und der ungarischen Gesellschaft in ihrer Gesamtheit führte. Die Kirchenfürsten und weltlichen Adligen verschworen sich gegen Peter, den man als Despoten abstempelte, und stürzten ihn. Peter floh mit seiner Familie zum deutschen König Heinrich III., von dem er sich Unterstützung zur Wiedererlangung seiner Macht erhoffte.

Der Adel wählte anstelle von Peter den Schwager Stephans, Samuel, sehr wahrscheinlich ein Mitglied der Familie der kavarischen Stammesoberhäupter, zum König (1041-1044). Einzelne erwarteten von der Herrschaft Samuels die Wiederherstellung der Stammesfreiheit, andere hingegen eine Erneuerung der ausgewogenen Politik Stephans. Doch Samuel war nicht in der Lage, diesen gegensätzlichen Erwartungen gerecht zu werden, und erschwert wurde seine Lage dadurch, daß er der militärischen Bedrohung seitens Heinrichs III., der Peter unterstützte, ins Auge sehen mußte. Teils mit Militäraktionen, teils mit Friedensverhandlungen versuchte Samuel - erfolglos -, Heinrich vom Plan einer Einmischung abzubringen, unter den Vertretern der zwischenzeitlich auftretenden inneren Opposition aber ließ er ein Blutbad veranstalten. Nach solchen Vorereignissen kam es zum Angriff Heinrichs III., wobei Samuel in der Schlacht bei Ménfo unterlag und auf der Flucht ermordet wurde.

Zum Dank für die deutsche Hilfe bei der Wiederbeschaffung seines Thrones leistete der zurückkehrende König Peter (1044-1046) Heinrich III. den Lehnseid. Ungarn wurde zum Vasallenstaat, was der vollständigen Aufgabe des von Stephan begonnenen Werkes gleichkam. Nach mehreren erfolglosen und blutig gerächten Verschwörungen des Adels setzte im Jahr 1046 schließlich ein Volksaufstand der Herrschaft Peters ein Ende. Während die Magnaten des Landes über den Sturz Peters und darüber berieten, die im Exil lebenden Söhne des von Stephan geblendeten Vazul nach Hause zu rufen, hatte sich jenseits der Theiß unter Führung des am Heidentum festhaltenden Vata das Gemeinvolk erhoben. Diese Bewegung, die im historischen Bewußtsein als Heidenaufstand lebt, richtete sich gleichzeitig gegen die Einrichtungen und Vertreter sowohl der Kirche als auch des Staates.

Eines der Opfer des Heidenaufstandes war neben dem nach seiner Ergreifung geblendeten und bald darauf verstorbenen König Peter auch eine der herausragenden Gestalten dieses Zeitalters, der zum Empfang der Vazul-Söhne aufgebrochene Gerhard, Bischof von Csanád. Den verwaisten Thron bestieg der mittlere Sohn Vazuls, Herzog Andreas. Weshalb sein Bruder, der Heide Levente, in den Hintergrund gedrängt wurde, ist nicht bekannt. König Andreas I. (1046-1060) schlug den Heidenaufstand nieder und regierte das Land nach dem Beispiel Stephans. 1055 gründete er in Tihany eine Abtei, deren Gründungsbrief die erste im Original erhalten gebliebene ungarische Urkunde ist. In ihrem lateinischen Text kann man zahlreiche ungarische Wörter und auch das Fragment eines Satzes lesen, die diese Urkunde zu einem wertvollen Sprachdenkmal machen.

Um 1048 rief Andreas I. seinen jüngeren Bruder, Herzog Béla, aus Polen nach Hause. Der damals noch kinderlose Andreas setzte Béla zu seinem Erben ein und errichtete für ihn das Herzogtum. Lange Zeit war das Zusammenwirken der beiden Brüder ungestört. Gemeinsam schlugen sie 1051 den Angriff Heinrichs III., der damit den Tod Peters rächen und das Vasallenverhältnis wiederherstellen wollte, zurück. Zur Verschlechterung der Beziehungen zwischen Andreas und Béla kam es, als der König 1058, Béla übergehend, seinen kleinen Sohn Salomon als Erben einsetzte. Das Zerwürfnis konnten die Brüder auch beim Treffen von Várkony nicht bereinigen, und kurz darauf trafen die Heere beider aufeinander. Andreas verlor die Schlacht und starb an seinen Verletzungen. Seine Familie suchte beim deutschen König Heinrich IV. Zuflucht.

Der den Thron besteigende Béla I. (1060-1063) herrschte, wie seinerzeit Samuel, im Schatten eines drohenden deutschen Angriffs. Zwar verspätete sich der Angriff vorerst, doch innerhalb des Landes erwuchs ein neues Problem. Die Vertreter des in Székesfehérvár (Stuhlweißenburg) versammelten Gemeinvolkes wandten sich mit ihren Forderungen gegen das Christentum, und diese Bewegung pflegt man als zweiten Heidenaufstand zu bezeichnen. Béla ließ die Aufständischen auseinander jagen, suchte im übrigen jedoch mit seinen Maßnahmen, die Gunst des Gemeinvolkes zu erringen: er senkte Preise und Steuern, ließ alte Schulden löschen. Als die Deutschen schließlich 1063 angriffen, erlitt Béla zur gleichen Zeit einen schweren Unfall, an dessen Folgen er starb. Seine Söhne - Géza, Ladislaus und Lampert - retteten sich vor dem gemeinsam mit den Deutschen zurückkehrenden Salomon nach Polen.

Der König und die Herzöge

Salomon (1063-1074) belohnte Heinrich IV., der ihm wieder zu seinem Thron verholfen hatte, reichlich - damals gelangte wahrscheinlich auch der sog. Säbel Attilas aus dem Schatz der Arpaden nach Deutschland -, aber den Lehnseid leistete er nicht. Nach Abzug des deutschen Heeres überfielen die Söhne Bélas das Land, der erwartete Zusammenstoß jedoch blieb aus. Vom Adel vermittelt trafen die Vettern eine Vereinbarung, derzufolge Salomon als König herrschen sollte, während die Herzöge das ehemalige Herzogtum ihres Vaters erhielten. Gemeinsam schlugen König und Herzöge 1068 die das Land angreifenden Petschenegen in die Flucht. An die damals bei Kerlés ausgetragene Schlacht knüpft auch die schon im Mittelalter populäre Geschichte, die über den Zweikampf zwischen Herzog Ladislaus und einem "kumanischen" Helden, der ein Mädchen entführte, berichtet.

1071 trübte sich das gute Verhältnis zwischen dem König und den Herzögen. Vermutlich hatte Herzog Géza genug von seiner untergeordneten Rolle, Salomon indes wiegelte Vid, seinen engsten Vertrauten, gegen die Herzöge auf. Aus dem ersten Treffen der unumgänglich gewordenen bewaffneten Auseinandersetzung ging Salomon als Sieger über Herzog Géza hervor. Zwischenzeitlich aber war Herzog Ladislaus an der Spitze böhmischer Hilfstruppen eingetroffen, und unter seiner Führung trugen die Söhne Bélas in der Schlacht bei Mogyoród den Sieg über Salomon davon. Sie drängten den König in die Umgebung von Moson (Wieselburg) und Pozsony (Preßburg) zurück, in den übrigen Teilen des Landes ergriff Géza die Macht.

Seines Thrones beraubt zeigte sich Salomon nunmehr bereit, im Gegenzug für die Unterstützung Heinrichs IV., auch den Lehnseid zu leisten. Doch der deutsche Landesherr war durch seinen Konflikt mit dem Papst, den Investiturstreit, zu sehr in Anspruch genommen. König Géza I. (1074-1077) fand beim byzantinischen Kaiser Beistand, der dessen Herrschaft anerkannte und ihm sogar eine Krone schickte - die als unterer Teil der heutigen hl. Krone bekannte sog. griechische Krone. Papst Gregor VII., der währenddessen den Anspruch des Heiligen Stuhls auf Ungarn als Lehen formulierte, erkannte nach einigem Zögern die Rechtmäßigkeit des Königtums Gézas an. So kam es, daß Ungarn im Kampf zwischen Kaiser- und Papsttum gegen Heinrich IV., der Salomon unterstütze, und für Rom Partei ergriff.

Géza I. war während seiner kurzen Herrschaftszeit nicht in der Lage, die Salomon-Frage zu klären. Ihre Beilegung blieb seinem jüngeren Bruder Ladislaus überlassen, der als sein Nachfolger zum König gewählt wurde. König Ladislaus I. (1077-1095) erreichte die Unterwerfung Salomons teils durch Waffengewalt, teils auf dem Weg von Verhandlungen. Nachdem dieser jedoch eine Verschwörung gegen ihn anzettelte, setzte er ihn gefangen. Ladislaus ließ im Jahr 1083 die ersten ungarischen Heiligen weihen; den Staatsgründer König Stephan und seinen Sohn Emmerich sowie den als Märtyrer gestorbenen Bischof Gerhard und zwei Einsiedler (Zoerard/Andreas und Benedikt). Das Verfahren war berufen, den Beweis zu führen: Ungarn gebührt ein würdiger Platz in der Gemeinschaft der christlichen Staaten. Anläßlich der Feierlichkeiten schenkte König Ladislaus Salomon die Freiheit, der das Land verließ und bis zu seinem Tode unter den Petschenegen lebte.

Konsolidierung an der Wende vom 11. zum 12. Jahrhundert

Unter der Herrschaft Ladislaus' wurde die durch die ständigen Kriege der vergangenen Jahrzehnte gestörte innere Ordnung wiederhergestellt. Diesem Ziel dienten auch die außergewöhnlich strengen Gesetze des Königs, die in Form von drei "Gesetzbüchern" überliefert sind. Ladislaus regierte mit straffer Hand. Als Folge davon kam das Land wieder zu Kräften, und es entwickelte sich sogar - dies ist ein neuer Zug in der Geschichte des ungarischen Staates - zu einer Macht, die zu Eroberungen fähig war. 1091 mischte Ladislaus sich in die innenpolitischen Auseinandersetzungen Kroatiens ein und eroberte das Land an der Adria. Im slawonischen Agram gründete er - zu unbekanntem Zeitpunkt - ein Bistum. Da Kroatien päpstlicher Lehnsbesitz war, kam es in der Folgezeit zu Spannungen im Verhältnis zwischen dem Papsttum und Ungarn.

Nach Ladislaus' Tod wetteiferten Koloman und Álmos, die Söhne seines Bruders Géza I., um den Thron, den letztendlich Koloman (1096-1116) errang, während sich Álmos mit dem Herzogtum begnügen mußte. Álmos war enttäuscht, gab aber die Hoffnung nicht auf, und erschwerte Kolomans Herrschaft bis zum Schluß mit seinen Aktionen zur Erlangung der Macht. Entweder zettelte er Verschwörungen gegen Koloman an, oder er suchte im Ausland Unterstützung für seine Angelegenheit, am Ende aber unterlag er. Schließlich ließ der den Umtrieben seines jüngeren Bruders gegenüber eine zeitlang nachsichtige Koloman - vielleicht 1115 - Álmos und dessen minderjährigen Sohn Béla blenden. Danach zogen sich die beiden erblindeten Herzöge in die von Álmos um 1108 gegründete Propstei Dömös zurück.

Der unselige Streit mit Álmos ließ die Beurteilung Kolomans in den Augen der Nachwelt äußerst ungünstig ausfallen, obwohl Koloman sich als ausgesprochen erfolgreicher Herrscher erwies. Er setzte die zur Zeit Ladislaus I. begonnene Gesetzgebung fort, führte eine Steuer- und Heeresreform durch, organisierte die Institutionen der Rechtsprechung um, regelte einzelne Besitztumsfragen und baute mit der Gründung des Bistums Nyitra (Neutra) die ungarische Kirchenorganisation weiter aus. Darüber hinaus stellte Koloman in Kroatien, das sich für kurze Zeit unabhängig gemacht hatte, die ungarische Herrschaft wieder her und eroberte sogar einen Teil Dalmatiens. Den Widerspruch der Geistlichkeit entschärfte er damit, daß er 1106 auf das Recht der Investitur verzichtete.

Koloman folgte sein Sohn, Stephan II. (1116-1131), auf dem Thron. Erfolglose Außenpolitik und innere Unzufriedenheit kennzeichneten Stephans Herrschaft. Während dieser Zeit traten mehrfach Thronbewerber gegen ihn auf, einmal auch der blinde Herzog Álmos. Dieser floh, nachdem alle seine Versuche gescheitert waren, nach Byzanz. Der rachsüchtige Stephan aber eröffnete daraufhin jene Serie der byzantinisch-ungarischen Kriege, die im 12. Jahrhundert so häufig werden sollten. Béla, der Sohn des Álmos, war in Ungarn geblieben, und kurz vor seinem Tode erfuhr Stephan II. vom Aufenthaltsort seines Neffen. Er ließ ihn an den Hof bringen und ihm die seiner Würde gemäße Fürsorge angedeihen. Unter Stephan II. hatte sich der Prämonstratenserorden im Land angesiedelt; es ist anzunehmen, daß man den König im Kloster der Prämonstratenser auf dem Wardeiner Berg bestattet hat.

DIE LETZTEN JAHRZEHNTE
DES FRÜHEN KÖNIGTUMS

Aktivierte Außenpolitik

Nach Stephan II., der kinderlos verstarb, wurde Béla II. (1131-1141) zum König gekrönt. Anstelle des blinden Herrschers hielt jedoch dessen Gemahlin, die Serbin Ilona, das Regierungsruder in der Hand. Zweimal ließen Béla und Ilona während dieser Zeit ihre polititischen Gegner niedermetzeln: Zunächst ereilte die zur Koloman-Partei gehörenden Edelleute, die man der Teilnahme an der Blendung des Königs verdächtigte, dieses Schicksal. Danach war den Anhängern des Thronbewerbers Boris, der behauptete, ein Sohn Kolomans zu sein, dasselbe Los beschieden. Unter Béla begann das Land auf der Balkanhalbinsel zu expandieren. Er trug als erster ungarischer Monarch den die Herrschaft über Bosnien ausdrückenden Titel "König von Rama".

Nach dem frühen Tod Bélas II. erbte den Thron sein minderjähriger Sohn, Géza II. (1141-1162), an dessen Stelle anfangs Belos, sein Onkel mütterlicherseits, regierte. Der herangewachsene Géza verfolgte eine auffallend aktive Außenpolitik. Er unternahm zahlreiche Feldzüge nach Rußland, mischte sich aber auch in die inneren Auseinandersetzungen Deutschlands ein, und unterstützte den Aufstand der Serben gegen Byzanz. Zwei Umstände wirkten sich dämpfend auf seine Aktivität aus. An der Spitze der zwei Nachbarreiche standen die beiden bedeutendsten Monarchen des Zeitalters - der deutsch-römische Kaiser Friedrich I. und Manuel, Kaiser von Byzanz -, im Inland hingegen brachte ein neuaufflammender Thronstreit die Position Gézas ins Wanken. Während seiner Herrschaftzeit sah sich Géza zuerst mit dem Thronanspruch Boris' und dann mit dem seiner eigenen Brüder, Ladislaus und Stephan, konfrontiert.

Im Schatten von Byzanz

Die Herzöge Ladislaus und Stephan fanden im byzantinischen Kaiser Manuel einen mächtigen Befürworter. Vergeblich krönte man nach dem Tode Gézas Stephan III. (1162-1172), kurze Zeit später mußte der König fliehen. Von den Brüdern seines Vaters ergriff zunächst Ladislaus II. für kaum ein halbes Jahr die Macht (1162-1163), ihm folgte Stephan IV. für einige Monate (1163). Dessen Herrschaft setzte die Schlacht bei Stuhlweißenburg ein Ende, in der den Waffen Stephans III. der Sieg beschieden war. Stephan IV. ging erneut nach Byzanz, von wo aus er noch jahrelang - vergebliche - Versuche unternahm, zurückzukehren. Stephan III. führte nach der Rückeroberung seines Landes weiter Krieg gegen Byzanz, bis sein Heer 1167 bei Zimony schließlich eine entscheidende Niederlage erlitt.

Zur Zeit der Thronkämpfe fiel dem damaligen Erzbischof von Esztergom (Gran), Lukas, eine wichtige politische Rolle zu. Er war der erste hohe ungarische Kleriker, der mit Sicherheit die Pariser Universität besucht hatte. Lukas setzte als unerbittlicher Fürstreiter des Gregorianismus alles daran, Ungarn im erneuerten Ringen zwischen Papst- und Kaisertum auf die Seite Roms zu stellen. Sowohl Géza II. als auch Stephan III. überredete er, auf das Recht der Investitur zu verzichten. Als Anhänger Stephans III. verweigerte er Ladislaus II. und Stephan IV. die Krönung und exkommunizierte die Usurpatoren, die ihn deshalb gefangen nahmen. Doch als Stephan III. seine Hand nach Kirchengütern ausstreckte, zögerte Lukas nicht, auch diesen mit der Waffe des Kirchenbanns eines besseren zu belehren.

Blütezeit Ende des 12. Jahrhunderts

Nach dem Tod Stephans III. wetteiferten seine Brüder, der jüngere Géza und der schon seit Jahren in Byzanz lebende Béla, um den Thron. Géza wurde von der Königinmutter unterstützt, die Wahl des Adels aber fiel auf Béla. Der Herzog hielt sich aufgrund einer mit Byzanz getroffenen Vereinbarung in Konstantinopel auf, und zwar als Verlobter der Tochter Kaiser Manuels. Manuels Mutter war die in Byzanz als Heilige verehrte Tochter Ladislaus I., Piroska (Irene), und der Kaiser hatte mit Béla, den man in Byzanz Alexios nannte, ernsthafte Pläne. Da er keinen Sohn hatte, setzte er Béla zum Erben ein und sorgte für eine dementsprechende Erziehung. Später wurde Manuel dann noch ein Sohn geboren und er ließ seine Pläne in Verbindung mit Béla fallen. Doch als eine ungarische Gesandtschaft eintraf, um Béla nach Hause zu begleiten, unterstützte der Kaiser die Pläne seines Verwandten in bezug auf dessen ungarisches Königtum.

Im Kampf um den Thron blieb der heimkehrende Béla siegreich, sein Bruder Géza starb im byzantinischen Exil. Die Jahre der Herrschaft Bélas III. (1172-1196) vergingen im weiteren ohne größere Erschütterungen. Er ließ in Gran einen prunkvollen Palast errichten, trug mit der Gründung mehrerer Klöster zur Verbreitung des zur Zeit Gézas II. in Ungarn angesiedelten Zisterzienserordens bei und ließ 1192 Ladislaus I. heiligsprechen. Auch in kulturgeschichtlicher Hinsicht gilt das Zeitalter Bélas III. als herausragend: man begann mit regelmäßigen Universitätsbesuchen in Frankreich, die Kanzlei am Königshof wurde gebildet, die authentische Tätigkeit ausübenden Orte entfalteten sich. Zum Ende seiner Herrschaftszeit wurde der Pray-Kodex zusammengestellt, der unter anderem den Text der Grabrede und Fürbitte überliefert hat.

Die Außenpolitik Bélas III. war anfangs vom gleichzeitig guten Verhältnis zum Papsttum ebenso wie zum Byzantinischen Reich gekennzeichnet. Nach Kaiser Manuels Tod allerdings eroberte er das früher in byzantinische Hand gefallene Dalmatien zurück und begann, ähnlich seinen Vorgängern, eine aggressive Außenpolitik zu verfolgen. Während die in den früheren Jahrzehnten gegen Rußland gerichteten Feldzüge Begleiterscheinungen der durch königliche Heiraten angeknüpften dynastischen Beziehungen waren, hatte Béla nun die Absicht, das benachbarte russische Fürstentum Galizien für seinen jüngeren Sohn, den späteren Andreas II., zu erobern. Dies gelang zwar nur für kurze Zeit, das Ziel selbst aber tauchte in den kommenden Jahrzehnten in der Außenpolitik der Arpaden immer wieder auf.

Béla III. hinterließ den Thron seinem älteren Sohn Emmerich (1196-1204), Andreas erbte einen uneingelösten Kreuzzugseid seines Vaters. Doch Herzog Andreas drängte es eher danach, die Herrschaft zu erlangen, weshalb er sich mehrfach gegen seinen Bruder erhob. Die Fehde zwischen den beiden Brüdern dauerte mehrere Jahre. Im übrigen unternahmen sowohl der König als auch Herzog Andreas im Interesse der Expansion auf der Balkanhalbinsel Feldzüge. Emmerich legte sich sogar den Titel "König von Serbien" zu. Als er starb, wurde sein minderjähriger Sohn, Ladislaus III. (1204-1205), König - allerdings nur dem Namen nach. Über die Macht verfügte sein Vormund Andreas. Vor diesem retteten die Anhänger Ladislaus' ihn nach Österreich, wo das Kind kurze Zeit später starb.

DAS ZEITALTER DES MONGOLENSTURMS

Die neue Einrichtung

Einige Jahre nach seiner Thronbesteigung nahm Andreas II. (1205-1235) großangelegte Reformen in Angriff, die er zusammenfassend "neue Einrichtung" nannte. Spektakulärstes Element der königlichen Politik war die Verschenkung von Krongütern in bis dahin nie gekannten Ausmaßen. Zwar hatten die Arpaden ihre Anhänger auch früher schon durch Güterschenkungen belohnt, doch Andreas wich in einigen wichtigen Punkten von der Praxis seiner Vorgänger ab. Er gab nicht nur mehr - wesentlich mehr -, als es früher Brauch war, sondern tat dies auch in anderer Form. Seine Donationen betrafen auch die Ländereien der bis dahin im großen und ganzen unbehelligt gebliebenen königlichen Burgorganisation, und zwar dahingehend, daß der Beschenkte das erhaltene Besitztum an seine Nachkommen vererben konnte.

Die Auswirkungen der Donationen Andreas II. waren in erster Linie gesellschaftlicher und politischer Natur. Die Erschütterung der königlichen Burgorganisation führte zur Schwächung der Machtpositionen des Monarchen, und die so entstandene Leere füllten die mit Windeseile anwachsenden weltlichen Großgrundbesitze aus. Auch das Verhältnis zwischen dem König und dem über Großgrundbesitz verfügenden Adel änderte sich. Früher fußte der Reichtum und die Macht der Edelleute in erster Linie auf den vom König erhaltenen Ämtern und den daraus stammenden Einkünften. Andreas' Schenkungen aber bildeten die Grundlagen für riesige Privatvermögen, die es ermöglichten, daß die Großgrundbesitzer mit der Zeit zu einem von der königlichen Macht unabhängigen, selbständigen politischen Faktor wurden.

Gleichzeitig verringerten diese Donationen aber auch die Einkünfte des Königs. Andreas versucht Abhilfe zu schaffen, indem er bemüht war, seine Einnahmen aus den zu den Majestätsrechten gehörenden Quellen zu steigern. Er erhob außerordentliche Steuern und neue Handelszölle, ließ Geld minderer Qualität prägen und machte im Gegenzug dessen Benutzung durch Zwangsumtausch zur Pflicht. Der Geldumtausch und die Verpachtung des königlichen Salzhandelsmonopols wurden zur Regel, was dem Schatzamt zu ständigen Einnahmen verhalf. In den Jahren der neuen Einrichtung wurde der für die Finanzangelegenheiten des Herrschers verantwortliche Schatzmeister einer der einflußreichsten Würdenträger am Königshof.

Es gab kein Element der von Andreas II. getroffenen Maßnahmen, welches nicht die Interessen irgendeiner Gesellschaftsgruppe als ganzes oder einzelner ihrer Mitglieder verletzt hätte. Und so erwuchs der Politik der neuen Einrichtung eine breitgefächerte und differenzierte Opposition. Von der Kirche wurde die Verpachtung der königlichen Einkünfte beanstandet, da die Pächter jüdische und mohammedanische Finanzkaufleute waren. Ein Teil des Adels hatte von vornherein für Emmerich Partei ergriffen, und nun schlossen sich ihnen auch diejenigen an, die bei den großen Schenkungen übergangen worden waren oder sich aus anderen Gründen gegen den König wandten. Die königliche Dienstleute hatten Furcht, daß man sie verschenkte, und die königliche Servienten genannten kleineren Grundbesitzer befürchteten, daß sie im Schatten der immer mehr Reichtümer anhäufenden Schicht der Großgrundbesitzer ihre Unabhängigkeit verlören.

Die Goldenen Bullen

Die Unzufriedenheit gegenüber Andreas II. drang von Zeit zu Zeit in unterschiedlichen Formen an die Oberfläche. Eine kleine Gruppe Edelleute wollte die Söhne des jüngeren Bruders von König Béla III., des im Exil verstorbenen Géza, als Thronbewerber auftreten lassen, doch ihr Plan mißlang. 1213 verübte eine andere Gruppe Oppositioneller auf die ihre Verwandten und Günstlinge zum Schaden des ungarischen Adels fördernde und deshalb außerordentlich unbeliebte Königin Gertrud einen Mordanschlag. Wieder andere versuchten, den Thronfolger Béla gegen seinen Vater auszuspielen, indem sie die Krönung des Herzogs erzwangen.

Nach solchen Vorereignissen gelang es im Frühjahr des Jahres 1222 den adligen Vertretern der Emmerich-Partei - die auf Unterstützung eines Großteils der königlichen Servienten vertrauen durften -, von Andreas II. den Erlaß eines Freibriefes zu erzwingen, der später nach dessen Siegel als Goldene Bulle bezeichnet wurde. Einige der darin festgelegten Maßnahmen waren berufen, allgemeines Unrecht wiedergutzumachen. Die übrigen dienten einerseits dem Schutz der Interessen jener Gruppen - des oppositionellen Hochadels und der königlichen Servienten -, die die Goldene Bulle erzwungen hatten, während sie gleichzeitig zahlreiche Elemente der Politik der neuen Einrichtung anfochten. Andreas II. gab sich vorübergehend einsichtig, doch weder damals, noch anläßlich der Erneuerung der Goldenen Bulle im Jahr 1231 hat er ernsthaft daran gedacht, die Bestimmungen des Gesetzes zu erfüllen.

Dennoch blieb die Goldene Bulle nicht ganz ohne Wirkung. Die schriftliche Fixierung der Rechte der königlichen Servienten trug zur Herauskristallisierung dieser Gesellschaftsschicht bei, und Jahrhunderte später zählte dieses vielleicht bekannteste Dokument der Arpadenzeit zu den gesetzlichen Eckpfeilern der "adligen Verfassung". Die politische Spannung im Land löste sich allerdings auch nach dem Erlaß der Goldenen Bulle nicht. In den letzten Jahren seiner Herrschaft kam es zum Konflikt zwischen Andreas II. und Herzog Béla, der sich gegen seinen Vater wandte, und auch die ihre eigenen Interessen vor die des Königs stellende Kirche trat gegen den Monarchen auf. Dem Herzog war kein wirklicher Erfolg beschieden, die Kirche aber erzwang im Jahr 1233 den Abschluß der Bereger Vereinbarung zwecks Wiedergutmachung des an ihr begangenen Unrechts.

Ungeachtet der innenpolitischen Schwierigkeiten verfolgte Andreas II. eine sehr aktive Außenpolitik. Er verwickelte sich in endlose Militäraktionen, um Galizien zu erobern, indess ohne dauerhaften Erfolg. Der 1217-1218 endlich doch noch stattfindende Kreuzzug ins Heilige Land endete mit einem Mißerfolg. Ergebnisse zeitigte nur seine Politik auf der Balkanhalbinsel. 1211 siedelte Andreas zum Schutz gegen die nomadisierenden Kumanen im südlichen Siebenbürgen den Deutschen Ritterorden an. Da die Ritter jedoch nach dem Ausbau eines autonomen Staatswesens strebten, wurden sie von Andreas 1225 wieder vertrieben. Erfolge konnte hinsichtlich der Unterwerfung und Bekehrung der Kumanen auch der an die Spitze Siebenbürgens gestellte Herzog Béla verzeichnen. Im ersten Drittel des 13. Jahrhunderts wurden die beiden östlich bzw. westlich der unteren Donau gelegenen Provinzen Sewerin und Matschow Teil des Königreiches Ungarn.

Die konservative Wende

Bereits mit seinen ersten Maßnahmen machte der nach dem Tod seines Vaters zum König gekrönte Béla IV. (1235-1270) deutlich, daß er in jeder Hinsicht mit der Politik seines Vorgängers zu brechen wünscht. Das politische Ideal Bélas war die uneingeschränkte Macht der ersten Arpaden, sein Ziel aber die Wiederherstellung der Zustände, wie sie zur Zeit Bélas III. geherrscht hatten. Das wichtigste Instrumentarium dazu wähnte er in der Rücknahme der "nutzlosen und überflüssigen Erbschenkungen" früherer Jahre zu entdecken. Schon zu Lebzeiten seines Vaters hatte er - allerdings ohne Erfolg - versucht, diese konservative Wende herbeizuführen. Nach der Thronbesteigung ging er erneut an die Realisierung seines Planes. Die Ergebnisse der Aktion hielten sich in Grenzen, ihre Folgen erwiesen sich als umso schwerwiegender.

Derart groß war die Unzufriedenheit mit der Politik des Königs, daß sich Béla 1239 gezwungen sah, die Rücknahme der Schenkungen aufzugeben. Doch "der Haß zwischen dem König und den Ungarn", wie der Zeitgenosse Rogerius den Zustand des Landes charakterisierte, loderte weiter. Ursache dessen war die Aufnahme der Kumanen. 1239 hatte sich eine größere Gruppe Kumanen mit Einverständnis Bélas im Land angesiedelt, und bald kam es zwischen den Nomaden und den ansässigen Ungarn zu Zusammenstößen. Kränkungen fielen auf beiden Seiten, die Ungarn aber fanden, daß ihr König in strittigen Fragen zumeist für die Kumanen Partei ergriff.

Die Katastrophe

Dies war die Situation im Land zum Ende des Jahres 1240, als die Heerscharen der in Europa als Tataren bekannten Mongolen die ungarischen Grenzen erreichten. Daß die Mongolen einen Angriff vorbereiteten, darüber hatte der zur Suche nach den im Osten gebliebenen Ungarn aufgebrochene Julianus schon Jahre vorher zuverlässige Nachrichten mitgebracht. Den König nahmen jedoch seine innenpolitischen Schwierigkeiten in Anspruch, und das Volk hielt die Mongolen für irgendwelche herumstreifenden Nomaden. Verspätet und zögernd traf Béla Verteidigungsmaßnahmen, und zur Verschlimmerung der Lage trug bei, daß der kumanische Fürst Kötöny, den man - zu Unrecht - des Zusammenspiels mit den Mongolen bezichtigte, im Pester Heerlager vom Pöbel erhängt wurde. Die in Zorn geratenen Kumanen verließen daraufhin das Land, nicht ohne überall an ihrem Weg Zerstörungen zurückzulassen, und Béla IV. hatte eine wertvolle Streitmacht verloren.

Im Frühjahr 1241 griffen die Mongolen das unvorbereitete Ungarn von drei Richtungen an. Béla IV. zog mit seinen schwer zusammengebrachten Truppen der Hauptstreitmacht entgegen, doch bei Muhi am Fluß Sajó erlitt er eine katastrophale Niederlage. Den König konnten seine Getreuen nur unter großen Schwierigkeiten aus dem Gemetzel retten, der Großteil seines Heeres aber - darunter hohe geistliche und weltliche Herren - war verloren. Bis zum Sommer 1241 gelangten die nördlich und östlich der Donau gelegenenen Landesteile in mongolische Hand, lediglich einige Burgen und provisorisch errichtete Festungen hielten sich noch. Béla IV. organisierte die Verteidigungslinie entlang der Donau und bemühte sich verzweifelt um militärische Hilfe aus den westlichen Ländern, hatte jedoch keinen Erfolg.

Nach Anbruch des Winters überquerten die Mongolen die zugefrorene Donau und versuchten, Béla IV. in ihre Gewalt zu bekommen. Der König flüchtete nach Dalmatien, so daß die Mongolen seine Verfolgung aufnahmen und dabei durch Transdanubien und Slawonien stürmten. Da es ihnen jedoch nicht gelang, Béla zu fassen, zogen sie im Frühjahr 1242 unverhofft davon, ein in Trümmern liegendes Land zurücklassend. Das Ausmaß der Zerstörungen durch den Mongolensturm läßt sich nicht genau ermessen, Schätzungen zufolge differierten die Verluste der Einwohnerschaft zwischen 10-15 bzw. 50 Prozent. Am schlimmsten hatte es Siebenbürgen und die Große Ungarische Tiefebene getroffen, die Gebirgsgegenden sowie Transdanubien und Slawonien konnten sich relativ glücklich schätzen. Nach dem Kriegsjahr folgte, wie dies zu sein pflegt, eine Hungersnot und dezimierte die Bevölkerung des Landes weiter.

Der Wiederaufbau des Landes

Die bitteren Erfahrungen des Mongolenüberfalls ließen Béla, als er aus Dalmatien zurückkehrte, das Fiasko seiner bisherigen Politik erkennen. In der Folgezeit strebte er anstelle von Konfrontationen danach, das Gleichgewicht zwischen der eigenen Gesetzen unterliegenden gesellschaftlichen Entwicklung und den königlichen Machtinteressen zu finden. Deshalb dienten die nach dem Mongolensturm durchgeführten Güterprüfungen nicht mehr der gewaltsamen Restauration der Krongüter, sondern dazu, jedem sein jeweils rechtmäßiges Eigentum zu sichern. In den Mittelpunkt seiner Politik stellte Béla die Maßnahmen zur Abwehr eines neuen mongolischen Angriffs. Auch militärisch zog er die Konsequenzen aus dem Mongolenüberfall, er ließ moderne Steinburgen erbauen und hielt seine Untertanen durch Güterschenkungen dazu an, es ihm gleichzutun. Ebenfalls Verteidigungszwecken diente die Wiederansiedlung der Kumanen im Land.

Andere Maßnahmen Bélas IV. zielten darauf ab, das Land wirtschaftlich wieder in Schwung zu bringen. Mit der Gründung neuer Siedlungen oder der Privilegierung bereits bestehender rief er Städte westeuropäischen Typs, also mit eigener kommunaler Verwaltung, ins Leben, darunter das im Jahr 1247 gegründete Buda. Diesem Beispiel folgten später auch seine Nachkommen, und in den Jahrzehnten nach dem Mongolensturm begannen sich die Hauptzüge des mittelalterlichen ungarischen Städtenetzes abzuzeichnen. Béla reformierte die Geldprägung und das Zollwesen, er richtete neue Münzprägekammern ein, unter denen die slawonische den wertbeständigen Silberdenar prägte. Bei der Festlegung der Zölle aber zog man von nun an nicht mehr nur die Menge der Waren, sondern auch ihren Wert in Betracht.

Außenpolitisch wurde die Aufmerksamkeit des Königs nach dem Mongolenüberfall von der Angelegenheit der benachbarten Babenberg-Provinzen in Anspruch genommen. Die Babenberger hatten über Österreich und die Steiermark geherrscht, und das letzte männliche Mitglied der Familie war 1246 in einer Schlacht gegen Béla IV. gefallen. Mehrere Bewerber erhoben Anspruch auf die kostbaren Provinzen, deren Schicksal sich schließlich im Ringen zwischen dem böhmischen König Ottokar II. und Béla IV. entschied. Bei ihrem Wettstreit mit wechselhaften Erfolgen gelangten sie erst zu einer Einigung, in deren Ergebnis die südliche Steiermark einige Jahre unter ungarische Oberhoheit kam. Doch zuletzt endeten die immer wieder ausbrechenden Kämpfe mit einer Niederlage Bélas IV., so daß er gezwungen war, seinen Plan einer Expansion nach Westen aufzugeben.

Die letzten Jahre wurden dem alternden König durch das Zerwürfnis mit seinem älteren Sohn Stephan verbittert. Die genauen Ursachen dafür sind nicht bekannt, nach den Angaben der zeitgenössischen Quellen jedoch bieten sich mehrere gleichermaßen glaubhafte Lösungen an. Tatsache ist auf jeden Fall, daß der zunächst Siebenbürgen, dann die Steiermark und schließlich erneut Siebenbürgen regierende Stephan den Streit vom Zaun gebrochen hat. Im Jahr 1262 erzwang er von Béla IV., daß dieser ihm seinen Landesteil bis zur Donau vergrößerte, und damals legte er sich auch den bis dahin unbekannten Titel "jüngerer König" zu. Das Verhältnis zwischen Béla und Stephan besserte sich auch in der Folgezeit nicht, und 1264 sandte Béla IV. ein Heer gegen seinen Sohn, nach dessen anfänglichen Erfolgen Stephan die Oberhand gewann. Der 1266 geschlossene Frieden stellte zwar die Lage vor Ausbruch des Krieges wieder her, doch die Spannungen innerhalb der Dynastie blieben.

DIE LETZTEN ARPADEN

Die Barone und ihre Familiares

Als sein Vater starb, wurde der jüngere König unter dem Namen Stephan V. (1270-1272) König des ganzen Landes, und führte ungeachtet der Vorereignisse die Politik Bélas IV. fort. Ähnlich wie sein Vater war er auf den Schutz der verbliebenen Krongüter und die Entwicklung der Städte bedacht. Er bestätigte zum Großteil die von seinem Vater gewährten städtischen Privilegien, ließ aber auch neue Freibriefe ausfertigen, beispielweise für Gyor (Raab). Gleichzeitig galt Stephan, im Gegensatz zu Béla IV., als ausgezeichneter Soldat, dem es gelang, Ottokar II. zur Umkehr zu zwingen - dieser hatte nämlich einzelne Gebiete Westungarns seinem im Ausbau begriffenen Reich angliedern wollen.

Nach dem Tod Stephans V. stürzte das Königreich der Arpaden in eine der tiefsten Krisen seiner Geschichte. Auf dem Thron saß zwar der minderjährige Sohn Stephans, Ladislaus IV. (1272-1290), die Macht aber gelangte in die Hände miteinander wetteifernder Gruppen von Baronen. Im Gegensatz zur Neuzeit war "Baron" damals noch nicht der vererbliche Titel eines Aristokraten - es gab damals auch noch keine Aristokratie -, sondern bezeichnete die wichtigsten königlichen Würdenträger. Theoretisch waren die Begriffe Baron und adliger Großgrundbesitzer also nicht identisch, in der Praxis jedoch hatten die meisten Edelleute im Verlauf ihres Lebens für kürzere oder längere Zeit tatsächlich das eine oder andere Amt eines Barons bekleidet. Die Mächtigsten von ihnen trugen die Baronswürde ständig, manche sogar mehrere zur gleichen Zeit.

Die Macht der Barone gründete sich auf ihren Besitztümern, ihren nach dem Mongolenüberfall errichteten Burgen und den Gefolgschaften der ihnen dienenden Familiares. Ein Familiaris trat - zumindest theoretisch - freiwillig in den Dienst irgeneines mächtigeren Grundherren, möglichst eines Barons, und wurde so ein Mitglied des Hausgesindes, der Familie seines Herren. Er hatte Anspruch auf Schutz und gelegentliche Zuwendungen, als Gegenleistung dafür verwaltete er die Güter und Burgen des Grundherren, vertrat diesen in seinen Ämtern, hauptsächlich aber zog er mit ihm in den Krieg, selbst wenn es gegen den König ging. Die sich Mitte des 13. Jahrhunderts verbreitende Familiaritas erinnert nur entfernt an das aus Westeuropa bekannte Vasallenverhältnis, war jedoch keinesfalls identisch mit diesem.

Mitte des 13. Jahrhunderts konnten Béla IV., und in begrenztem Maße auch Stephan V., die gewachsene Macht der Barone noch in ihre eigenen Dienste stellen. Doch nach 1272 brachen die Dämme und die Barone entzogen sich der Kontrolle der am Rande des Zusammenbruchs stehenden Zentralmacht. Ihr Hauptziel war es, solche territorial geschlossenen Herrschaftszentren zu schaffen, in denen außer ihrem eigenen kein anderer Wille Geltung besaß, auch der des Königs nicht. Um dies zu erreichen, führten sie regelrecht Krieg, sowohl untereinander als auch gegen den König. Im Zeitraum der Eigenkriege wurden brachialer Landraub und andere Formen von Gewalttaten zu ganz alltäglichen Dingen.

König Ladislaus, der "Kumane"

1277 erklärte man Ladislaus IV. für volljährig. Ihm gelang es, vor allem mit Unterstützung der Spitzen der ungarischen Kirche, die unter den Übergriffen der Barone viel zu leiden hatte, die Lage der Zentralmacht vorübergehend zu festigen und sogar den Aufstand einiger Barone niederzuschlagen. Auch in außenpolitischer Hinsicht wurde er aktiv. Die deutschen Fürsten hatten 1273 Rudolf von Habsburg zu ihrem König gewählt, der die ehemaligen Provinzen der Babenberger für sich beanspruchte. In dem daraufhin ausbrechenden Kampf mit Ottokar II. stellte sich Ladislaus IV. auf die Seite Rudolfs, und 1278 triumphierten sie bei Dürnkrut gemeinsam über das Heer des in der Schlacht fallenden böhmischen Königs. Mit diesem Sieg wurde der Grundstein für die Macht der Habsburg-Dynastie in Mitteleuropa gelegt.

Den Konsolidierungsversuchen Ladislaus IV. setzte der im Zusammenhang mit den Kumanen ausgebrochene Konflikt ein Ende. 1279 traf ein päpstlicher Legat in Ungarn ein, um dem König bei der Wiederherstellung seiner Macht den Rücken zu stärken. Stattdessen aber widmete er seine Aufmerksamkeit der gewaltsamen Bekehrung der den König unterstützenden, allerdings als Heiden lebenden Kumanen. Er erzwang den Erlaß des sog. "Kumanengesetztes", das durchzusetzen Ladislaus IV. sich sträubte. Der Streit artete aus und führte schließlich zum Aufstand der Kumanen. Dem König gelang es zwar, die Aufständischen in der Schlacht am Hód-tó (Bibersee) niederzuringen, doch von da an kehrte er den Staatsangelegenheiten den Rücken und lebte bis zu seinem Tod unter seinen geliebten Kumanen. Damit gab es praktisch keine Zentralgewalt mehr; das Schicksal des Landes lag erneut in den Händen der miteinander wetteifernden Gruppen der Barone.

Nach dem Tod Ladislaus IV., den man wegen seiner Lebensweise verächtlich "Kumane" genannt hatte, meinten viele, die Arpadendynastie sei ausgestorben. Anspruch auf den Thron erhoben nun Dynastien, die in weiblicher Linie mit den Arpaden verwandt waren: die Angeviner in Neapel, die bayerischen Wittelsbacher und die böhmischen Pnemysliden. Die Wahl der Landesoberen aber fiel auf Herzog Andreas, den sie unter dem Namen Andreas III. zum König krönten (1290-1301). Der Herzog beanspruchte den Thron als Enkel Andreas II., und gab es auch Zweifel in bezug auf die Legalität seiner Abstammung - sein Vater Stephan entstammte angeblich einer außerehelichen Beziehung Beatrix', der dritten Gattin Andreas II. -, wurden diese Stimmen durch die Krönung mundtot gemacht.

Das frühe Ständetum

Wichtigster Befürworter Andreas III. war eine politische Gruppierung, an deren Spitze Erzbischof Lodomer von Gran stand. Lodomer und sein Kreis erwarteten von Andreas, daß er die Macht der Barone brechen würde, und die Erreichung ihres Ziels erhofften sie sich von einer Umgestaltung der Regierungsform mit Einführung der Ständeordnung. Das Ständetum tauchte in der zweiten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Westeuropa auf. Während das Vasallentum den einzelnen Interessengruppen ihren Platz vertikal, entlang der von den Großvasallen des Monarchen bis hin zu den Vasallen des Vasallen führenden Ketten zugewiesen hatte, gliederte das Ständetum die Gesellschaft horizontal, indem es die über gleiche Rechte verfügenden Gruppen jeweils einem Stand zuordnete, wobei die Macht vom Herrscher und von den Ständen gemeinsam ausgeübt wurde.

Diese von den Ständen geprägte Umordnung der Regierungsform betraf die wichtigsten Gremien der Beschlußfassung. Bis dahin waren hohe Geistliche und Barone Mitglieder des über die Tagesangelegenheiten entscheidenden Kronrates gewesen, nun fand man auch "die vom Land entsandten Räte" unter ihnen. Die Beschlüsse des Herrschers waren ohne die Zustimmung des Rates ungültig, d. h., die klassische ständische Gewaltenteilung bildete sich heraus. Nach gleichem Prinzip kam es zur Umbildung des Landtages in einen Ständetag. Dieser unterschied sich insofern von den Aufgaben der Legislative und Jurisdiktion versehenden früheren Versammlungen, daß hierzu auch die Vertreter des Adels erschienen, die Teilnehmenden eine Körperschaft bildeten und eine aktive Rolle bei der Beschlußfassung erhielten.

Die gesellschaftliche Basis des zeitgenössischen ungarischen Ständetums gedachten König und Klerus in den Edelleuten der Komitate zu finden. 1267 erkannte der Herrscher den einst nur den Vornehmsten gebührenden Adelsstand der königlichen Servienten an. Andreas und seine Anhänger wollten den so erstarkenden Adel gegen die Barone aufbieten, deshalb förderten und unterstützten sie die Bestrebungen der Adligen hinsichtlich der Bildung lokaler Selbstverwaltungen. Ein Gesetz schrieb vor, daß in jedem Komitat als Vertreter des Adels Stuhlrichter zu ernennen sind. Das aus dem Komitatsgespan und den Stuhlrichtern bestehende Gremium war forthin für die Angelegenheiten im Komitat zuständig. Damals wurden die Stuhlrichter noch vom König ernannt. Zu ihren Aufgaben gehörte unter anderem die Kontrolle des aus den Reihen der Barone kommenden Komitatsgespans.

Obwohl sich Andreas III. während seiner Herrschaftszeit bald jedes Jahr mit den aufrührerischen Baronen auseinandersetzen mußte, trug die Veränderung des Staatsgefüges durch Einführung der Ständeordnung, deren Eregbnisse man in den Gesetzen der Jahre 1290 und 1298 festschrieb, mit der Zeit dennoch die erhofften Früchte. Bis zum Jahr 1300 gaben die Barone der Reihe nach ihren Widerstand auf und auch die Lage des Königtums schien sich zu stabilisieren. Dieser langsam beginnenden Konsolidierung setzte der plötzliche Tod des Königs ein Ende. Und mit Andreas III. wurde, nunmehr unwiderruflich, die Dynastie der Arpaden zu Grabe getragen. Die Einrichtungen des Ständetums verkümmerten nach und nach, und die wiedererstarkten Barone konnten den Wettstreit der miteinander um die ungarische Krone kämpfenden Thronbewerber zu ihren Gunsten nutzen.


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