NATUR- UND WIRTSCHAFTSGEOGRAPHIE
Das Territorium des zur ersten Jahrtausendwende im Karpatenbecken entstandenen Staates Ungarn umfaßte folgende wichtigere Regionen: Transdanubien, die Große Ungarische Tiefebene, das Gebiet jenseits der Theiß, das Nördliche Mittelgebirge und Siebenbürgen. Die geographischen Verhältnisse hier waren seit Urzeiten im wesentlichen unverändert, eine Ausnahme stellten lediglich Veränderungen der Erdoberfläche dar; bei den antiken Siedlungen kann mit einer Auffüllung von 3-6 m, bei den mittelalterlichen aber von 1-2 m gerechnet werden. Die Große Tiefebene durchschnitten im Mittelalter weit mehr wasserreiche Gegenden als heute.
Den historischen Quellen zufolge überquerten die Ungarn um 837 den Dnjepr und besetzten schon vor 860 das Steppengebiet im Etelköz (Zwischenstromland). Von Einfluß auf die Landnahme war der besonders strenge Winter des Jahres 892/93, den sogar die ostfränkischen Jahrbücher verzeichnet haben. Nach der ungarischen Landnahme folgte eine Trockenperiode, die bis zur Jahrtausendwende anhielt. Der Weg, den das Ungartum nahm, um eine neue Heimat in Besitz zu nehmen, dürfte über die Pässe der Ost- und Südkarpaten geführt haben.
Die Urvegetation des Karpatenbeckens läßt sich mit Hilfe von Pollenanalysen, durch Untersuchung der zeitgenössischen Samen rekonstruieren. Intensive Bearbeitung und hochgradigere Waldrodung zeigten ihre Wirkung erst vom Spätmittelalter an. Betrachtet man die Vegetationszonen von der Großen Tiefebene in Richtung Karpaten, ähneln sie den Zonen, die nordöstlich der Ukraine anzutreffen sind; trockene Steppe, buschbestandenes Grasland, bewaldete Steppe, Laubwälder und Nadelwälder lösen einander ab - das erleichterte der beträchtlichen Zahl Einwohner die Umsiedlung in diese Gegend.
Typisch für die Vegetation der Überschwemmungsgebiete waren Weiden- und Birkenhaine, Ulme, Esche, Stieleiche, Hochwälder, Gras- und Schilfsümpfe, Torfmoore. Alkalische Gebiete fanden sie nur wenige vor. Diese ökologische Struktur blieb bis zum 18. Jahrhundert im wesentlichen unberührt. Die über einen reichen Wildbestand verfügenden Eichenwälder boten ausgezeichnete Gelegenheit zur Jagd und zum Sammeln von Eicheln. Später begann man, den Wald intensiver zu roden, um so mehr Weideland mit saftigen Wiesen zu gewinnen. Als nächste Vegetationsstufe folgt das bewaldete Gebiet, die Eichenwälder (im sandigen Boden des Donau-Theiß-Zwischenstromlandes sind sie noch heute heimisch). Zur Bearbeitung eignete sich der fruchtbare, schwarze Boden auf den sandigen Plateaus. Wo die Hügel eine Höhe von mehr als 250 m erreichen, beginnt der Lebensraum geschlossener Eichen- und Birkenwälder. Im Bergland findet man die Zone der geschlossenen Eichen- und Buchenwälder, noch höher die der Tannen- und Buchenwälder, die von den landnehmenden Ungarn nicht besiedelt wurde.
Der entstehende ungarische Staat lag am Schnittpunkt zweier großer Kulturkreise, im Einflußbreich sowohl der West- als auch der Ostkirche. Das westliche Muster konnte seinen Einfuß schließlich behaupten. Die Ostgrenze Ungarns wurde gleichzeitig zur Grenze des Christentums westlicher Prägung, von diesem Einfluß zeugen auch unser Staatsgefüge, die Kultur sowie die Schrift mit lateinischen Buchstaben. Seit seiner Gründung lebten in diesem Staat immer Völker unterschiedlichen Ethnikums. Ihre Ansiedlung und Förderung hatte sich der erste ungarische König, Stephan der Hilige, zur Aufgabe gemacht und dies auch seinen Nachfolgern als nacheifernswerten Grundsatz hinterlassen.
Das Schicksal des frühmittelalterlichen Königreiches Ungarn ist Teil der historischen Entwicklung Europas. Die Wirtschaft des Landes beruhte, dem zeitgenössischen Entwicklungsniveau entprechend, auf autarker Naturalwirtschaft. Zwar gab es bereits Warenproduktion und Geldverkehr, ebenso wie den daraus resultierenden Binnen- und Außenhandel, doch die Trennung zwischen landwirtschaftlicher und handwerklicher Tätigkeit hatte sich damals noch nicht vollzogen.
