DIE ANFÄNGE DER BEKEHRUNG
ZUM CHRISTENTUM
Beträchtliche Ausmaße dürfte die Bekehrung zum Christentum angenommen haben, nachdem die Oberhäupter Bulcsú und Gyula Mitte des 10. Jahrhunderts in Konstantinopel getauft worden waren. Gyula brachte bei seiner Heimkehr den frommen Mönch Hierotheos mit, den der Patriarch von Byzanz zum Bischof geweiht hatte. Das organisierte Bekehrungswerk begann und erhielt neuen Antrieb, als Sarolt, die Tochter des Gyula, sich mit Fürst Géza vermählte. Géza - der Vater König Stephans des Heiligen - wies dem ungarischen Volk für lange Jahrhunderte die einzig mögliche Richtung, die ein Weiterbestehen garantierte. Er erkannte, daß das Ungartum den Weg der Friedenspolitik beschreiten, die Beutezüge gegen benachbarte Völker einstellen müsse, da es die stärkeren Großmächte ansonsten früher oder später vernichten würden.
Das Streben nach Frieden war für die Außenpolitik Géza's bis zu seinem Tode kennzeichnend, denn die drohende Haltung seitens Byzanz stellte stets eine konkrete Gefahr dar. Der Fürst öffnete in Richtung Westen, um die Lage der Stammesunion zu festigen. Im Frühjahr 972 schickte er Gesandte an den Hof des deutsch-römischen Kaisers Otto I., um zu erfahren, ob dieser die Bekehrung der heidnischen Ungarn zum Christentum unterstütze. Der Kaiser sagte zu, und zusammen mit den die Antwort überbringenden Gesandten traf der Sankt Gallener Mönch Bruno in Ungarn ein, den der Erzbischof von Mainz zuvor zum Missionarbischof der Ungarn geweiht hatte.
Im Herbst des Jahres 972 nahm Bruno das Bekehrungswerk in Angriff, auch Fürst Géza wurde von ihm getauft. Gemeinsam mit den Mönchen, die ihm der Passauer Bischof Pilgrim zur Seite stellte, gelang es ihm innerhalb kurzer Zeit, eine große Zahl Ungarn zu bekehren. Wie aus einem um 973-974 an den Papst gesandten Brief Brunos hervorgeht, waren bereits fünftausend Frauen und Männer vornehmer Herkunft Christen geworden. Auch vom Beginn des Kirchenbaus in Ungarn ist in diesem Brief die Rede.
Géza ließ in Esztergom (Gran), das er sich zum Sitz erwählt hatte, für die fürstliche Familie nicht nur eine Burg, sondern auch eine Kapelle errichten. Die Kirche wurde dem ersten Märtyrer, dem hl. Stephan geweiht (dessen Namen Gézas Sohn Vajk, der spätere König Stephan, in der Taufe erhielt). Bischof Bruno und sein Kreis verbreiteten in erster Linie den Kult des hl. Gallus, der Gründer des Klosters von Sankt Gallen war, sowie des in Pannonien, in der Umgebung von Savaria geborenen Bischofs von Tours, des hl. Martin. Zeugnisse dessen waren ungarische Ortsnamen wie Szentgál oder das Patrocinium der Benediktinerabtei auf dem Sankt Martinsberg (Pannonhalma).
Nach dem Tode von Fürst Géza (997) machte sein Vetter, Herzog Koppány, seinen Herrschaftsanspruch geltend. Aufgrund des traditionellen Erbschaftsprinzips (Leviratus) konnte er den Führungsrang des Arpadenstammes und die Großfürstenwürde für sich fordern. Dem heidnischen Brauch entsprechend wollte er auch die Witwe Géza's zur Frau nehmen. Koppány war nicht bereit hinzunehmen, daß man ihn mit Hilfe der in der christlichen Religion dominierenden Primogenitur (Prinzip der Erstgeburt) von der Fürstenmacht ausschließt. Deshalb griff er, noch bevor Herzog Stephan zum Großfürsten geweiht wurde, zu den Waffen und fand damit unter den Freien des Gemeinvolkes massenhaft Anhänger. Der Kampf zwischen Koppány und Stephan sollte über das weitere Schicksal des Ungartums entscheiden. Die Aufständischen vertraten die alte Ordnung; sie kämpften für die Autonomie der Stämme, die althergebrachten Freiheitsrechte und die heidnische Religion. Der Rebellenführer zog mit seinem Heer nach Veszprém. Von der Esztergomer Burg aus machten sich die treu zu Stephan stehenden Truppen auf den Weg, um den Aufstand niederzuschlagen. Der Sieg Stephans über Koppány vereitelte den Versuch, Ungarn von jenem Weg der Entwicklung abzubringen, den schon Fürst Géza beschritten hatte.
Weder Géza noch Stephan wäre es ohne die Hilfe der ausländischen Mönche, Priester und Ritter gelungen, den Heiden Einhalt zu gebieten. Wesentlich änderte sich die Situation der Bekehrungstätigkeit im Jahre 1000, als Papst Silvester II. Stephan eine Krone und seinen apostolischen Segen sandte. Mit dem Akt der Königskrönung in Esztergom (Gran) war Ungarn in die Gemeinschaft der christlichen Völker Europas eingetreten. König Stephan öffnete seine Tore allen Verkündern des Evangeliums. Die ersten hohen Würdenträger der ungarischen Kirche kamen aus dem Ausland, und auch Königin Gisela hat in bedeutendem Maße zur Verbreitung des Christentums beigetragen.
Der junge König ging an den Ausbau einer ständigen ungarischen Kirchenorganisation; das Territorium Transdanubiens teilte er in drei Bistümer mit den Sitzen Pécs (Fünfkirchen), Gyõr (Raab) und Veszprém auf, die er dem Erzbistum Esztergom (Gran) unterstellte. Im Zwischenstromland von Donau und Theiß wurden die Diözese Eger (Erlau) und im Interesse der Bekehrung der östlichen Gebiete noch vor 1015 die Diözese Kalocsa gegründet. Im westlichen Landesteil entstand eine Reihe von Klöstern: 996 auf dem St. Martinsberg (dem heutigen Pannonhalma), um 1015 in Pécsvárad, 1019 in Zalavár und Zobor, um 1020 in Bakonybél. Das letzte von Stephan gegründete Bistum war Csanád, an dessen Spitze ein Benediktiner, der aus Venedig stammende gelehrte Theologe Gellért , (Gerhard) stand.
Die kirchenorganisatorische Tätigkeit König Stephans zeugte von außerordentlicher Umsicht. Beweis dafür ist, daß er die beiden nach Ungarn gekommenen Benediktinermönche Zoerard-Andreas und Benedikt - die später den Märtyrertod erleiden - in die nordwestlichen Gebiete, in die Gegend von Neutra entsandte. Bischof Gellért (Gerhard) hingegen - der 1083 zusammen mit ihm heiliggesprochen wird - lenkte er in die südlichen Landesteile, wo das Christentum dank der byzantinischen Bekehrungspolitik bereits Fuß gefaßt hatte. Die pastorale und Missionstätigkeit der griechisch-orthodoxen Kirche lag vorwiegend in den Händen ungarischsprechender slawischer Mönche und weltlicher Priester.
Den Aufbau der ungarischen Kirchenorganisation konnte König Stephan der Heilige zwar schon zu seinen Lebzeiten beenden, doch die dem Christentum drohenden Gefahren waren damit noch keineswegs aus dem Weg geräumt. Das zeigten der gegen den alternden König verübte Anschlag und die diesem folgende Vergeltung - Herzog Vazul wurde ausgeschaltet, seine Söhne András, Béla und Levente (die in der Geschichte des Arpadenhauses später noch eine große Rolle spielen sollten) des Landes verwiesen -, aber auch die Verschwörungen gegen seinen als Thronfolger eingesetzten Neffen, den aus Venedig stammenden König Peter, sowie eine Reihe von Heidenaufständen.
