ALLTAGSLEBEN
Arbeitsteilung zwischen den Geschlechtern
Im alltäglichen Leben der Vorfahren teilten sich Frauen und Männer die Arbeit. Sache der Frauen war das Kochen und Backen. Schon vor der Landnahme verwendeten sie Zwiebel, Erbse, Meerrettich und Salate als pflanzliche Nahrung. Zum Kochen dienten große Tonkessel, die Speichergefäße dürften aus verschiedenen Hölzern und auch aus Leder gefertigt worden sein. Im Ofen bucken sie aus dem auf eine glühende Steinplatte gegossenen Teig das Fladenbrot. Aufgabe der Frauen war die Fertigung der Kleider, Teppiche und des Filzes, die Abwicklung des Umzuges, das Auf- und Abbauen der Filzzelte. Doch nicht nur die Hausarbeit war Sache der Frauen, auch an der Bestellung des Gartens mußten sie sich beteiligen. Die im Zusammenhang mit der Großtierhaltung anfallenden Aufgaben gehörten selbstverständlich zu den Pflichten der Männer. So war zum Beispiel auch das Melken Männerarbeit, den Kumyß aber bereiteten bei den Steppenvölkern immer die Frauen zu.
Gesponnen wurde mit Spindeln; zum Weben diente erst ein waagerechtes Webgerät, nach der Landnahme benutzte man dann schon fußbetriebene Webstühle. Die Frauen und Mädchen stellten auch den Filz (aus Schafwolle gefertigten Stoff) her, der dann vielseitige Verwendung fand: Kleidung (Mäntel, Stiefel, Hauben), Taschen, Decken, Schabraken, vor allen Dingen aber die Abdeckung der Zelte wurden daraus gemacht.
Bekleidung und Tracht
Beide Geschlechter trugen vermutlich ähnliche Kleidungsstücke: ein Hemd aus Hanf- oder Flachsleinen, ein kaftan- oder mantelartiges Obergewand, weite Hosen und Stiefel mit leicht nach oben gebogener Spitze. Ihrem Rang, Alter und Stand entsprechend schmückten sie ihre Kleider auch mit schillernden Beschlägen. Die Lage der archäologischen Funde in den Gräbern bietet Möglichkeiten, einen Teil der Kleidung zu restaurieren.
Ein typisches Zeichen für den Rang und die Würde eines freien Mannes war bei den Reiternomaden der beschlagverzierte Gürtel. Mit dem Anlegen eines Gürtels wurde der Knabe zum Manne gekürt, die Anzahl und Qualität der Beschläge kündeten von der gesellschaftlichen Stellung ihres Trägers. Am Gürtel hingen die Waffen und die Tasche mit den Dingen des täglichen Gebrauchs. Die Mütze der Männer war eine spitze Leder- oder Filzhaube, deren herunterklappbarer Rand die Ohren schütze.
Wesentlich prächtiger dürfte die Tracht der Frauen gewesen sein. Die Mädchen trugen einen Kopfputz, wohlhabendere Frauen eine mit Scheiben und Anhängern verzierte oder pelzbesetzte Haube. Ihren Schmuck bildeten verschiedene Ohrgehänge und Haarringe, Zopfschmuck, auf Halsketten gefädelte Perlen, halbmondförmige Anhänger, Armringe und Fingerringe. Auf die Stehkragen der Frauen- und Kinderhemden nähte man rhombische und zweiteilige Anhängerbeschläge, das Hemd wurde mit Ösenknöpfen geschlossen.
Über ihrem perlenbesetzten oder mit kleinen Knöpfen verzierten Hemd trugen die Frauen Brokat- oder Seidenkaftane, deren Saum quadratische und halbmondförmige Beschläge mit Anhänger oder gepreßte Rosetten zierten.
In ihre Zöpfe flochten sie geschliffene Muscheln und Perlen und hängten ans Ende eine dekorative Scheibe. Armringe dienten dazu, die Kleiderärmel zusammenzuhalten. Charakteristische Schmuckgegenstände des Gemeinvolkes im Zeitalter der Landnahme und Staatsgründung sind die aus Silber oder Bronze gefertigten Haarringe mit S-Ende. Die in Tierköpfen endenden Armringe - auch sie wurden zu jener Zeit mit Vorliebe benutzt - dürften außerdem eine behütende-schützende Funktion erfüllt haben.
Zur Tracht der oberen Gesellschaftsschicht gehörte das geschlitzte Pelzobergewand (Schafspelz). Als Umhang diente vermutlich eine Filzdecke, mit der sie bei schlechtem Wetter ihre Schultern bedeckten. Weitere typische Kleidungsstücke waren die gemusterte Tunika, die Handschuhe, die kurze Pelzjacke, die mit Nieten mit verzierten Köpfen beschlagenen, seitlich genähten Stiefel sowie das in der Mitte oder an der linken Schulter schließende Seidenhemd.
Wie die in den Gräbern freigelegten Eisen und Bronzeschnallen andeuten, wurden den Bestatteten mit Verbreitung des Christentums meist nur noch einfache Leder- oder Textilgürtel mitgegeben. Am Hals trugen sie hohle Reliquienkreuze oder gegossene Brustkreuze.
Die Haartracht gilt seit Urzeiten als Merkmal der Unterscheidung zwischen den Geschlechtern und Altersklassen. Auch als Hinweis auf den gesellschaftlichen Rang könnte sie gedient haben, und im Kreise der Frauen war sie wohl eher ein Zeichen für die Bewahrung der Traditionen.
Heilung
Dazu, wie die Menschen der ungarischen Landnahmezeit Krankeiten interpretiert und wie sie sie geheilt haben, liegen uns kaum Angaben vor. Einen geringen Anhaltspunkt bieten in diesem Zusammenhang die Kenntnis der zeitgenössischen Heilkräuter und Heilverfahren oder fragmentarische Überlieferungen der heidnischen Glaubenswelt, die sich darauf beziehen lassen. Sicher ist nur soviel, daß die Schädelöffnung (Trepanation) bei unseren Vorfahren breite Anwendung fand, was ernsthafte Kenntnisse auf dem Gebiet der Anatomie und Chirurgie voraussetzt.
