Die ungarische Volksmusik

Die ungarische Volksmusik ist sowohl innerhalb als auch außerhalb der Landesgrenzen gut bekannt, besonders dank der unermüdlichen Arbeit von Béla Vikár, Béla Bartók, Zoltán Kodály, László Lajtha und anderen, die sie gesammelt, veröffentlicht und musikalisch verarbeitet haben.

Abb. 196. Notenbeispiel einer Melodie mit Quintenwechsel.

Abb. 196. Notenbeispiel einer Melodie mit Quintenwechsel.
1. Surd, Kom. Somogy; 2. Rafajnaújfalu, ehem. Kom. Bereg, 1912

Béla Bartók beschreibt die wichtigsten Eigenschaften der Volksmusik folgendermaßen: ,,… Volksmusik ist die Gesamtheit von {G-469.} Melodien, die innerhalb irgendeiner menschlichen Gemeinschaft, in einem kleineren oder größeren Raum eine gewisse Zeit lang als spontaner Ausdruck musikalischen Instinktes in Gebrauch sind. Volkstümlich ausgedrückt: die Volksmusik besteht aus Melodien, die von vielen und lange Zeit gesungen werden. Wenn aber Melodien von vielen gesungen und von einer Generation an die andere weitergegeben werden, dann wandeln sie sich auch mehr oder weniger, hier so, dort anders, an drittem Ort wieder anders – das heißt, es entstehen Melodievarianten; andererseits gleichen sich ursprünglich in der Struktur voneinander abweichende Melodien an: das heißt, es entstehen Melodien mit gemeinsamen Eigenarten und führen zu einem einheitlichen musikalischen Stil“ (Népzenénk és a szomszéd népek zenéje, [Unsere Volksmusik und die Musik der Nachbarvölker]. Band 3, Budapest 1952).

Die Anzahl der Grundmelodien des ungarischen Volksmusikgutes beläuft sich auf gut dreitausend, zu denen natürlich noch eine unermeßliche und unübersichtliche Vielzahl von Varianten hinzukommt. So einheitlich dieses gewaltige Melodiengut auch sein mag, es können darin doch gewisse historische Schichten unterschieden werden, deren wichtigste erwähnt zu werden verdienen.

Die älteste Schicht der ungarischen Volksmusik ist durch die fünfstufige Tonreihe und die sich auf der unteren Quinte wiederholende Melodienstruktur gekennzeichnet. Im wesentlichen bedeutet dies folgendes: Wenn man vom eingestrichenen g ausgeht, findet man die folgenden Töne: g1 – b1 – c2 – d2 – f2. Die fehlenden Töne kommen oft {G-470.} als Übergangstöne unbetont vor. Heute findet man dieses Schema rein und unberührt nur noch selten; wenn man aber die Einwirkungen späterer Jahrhunderte abstreift, kommt es bei zahlreichen, für neu gehaltenen Melodien zum Vorschein. Die Wiederholung auf der unteren Quinte ist eine besondere Eigenart dieser wichtigen Volksmusikschicht. Der Text besteht aus vier Zeilen, und nach Absingen der ersten zwei Zeilen werden die folgenden zwei Zeilen ebenso, aber um fünf Töne tiefer fortgesungen.

Die fünfstufige Tonreihe ist allgemein verbreitet, und die neuere Forschung hat sogar in Amerika und Afrika Beispiele dafür gefunden; daß aber der zweite Teil dem ersten genau im Abstand einer Quinte folgt, deutet auf Gegenden östlich von Ungarn hin. Schon vor einem halben Jahrhundert fand man nämlich heraus, daß Melodien dieser Art in engster Verwandtschaft zu Melodien des in der Sowjetunion lebenden Volkes der Mari (Tscheremissen) stehen. Die Übereinstimmung geht oft so weit, daß die ungarische und die tscheremissische Melodie kaum voneinander unterschieden werden können. Ferner konnte diese Liedform auch bei den Tschuwaschen gefunden werden, und zwar ebenfalls in der ältesten Schicht. Beziehungen zu dieser Form kommen selbst in der Mongolei vor. Sie kann also mit Recht als mittelasiatisch bezeichnet werden. Da man weiß, daß im 6. bis 8. Jahrhundert die Bulgarotürken, die ein Tschuwaschenidiom sprachen, großen Einfluß auf die ungarische Sprache ausgeübt haben, kann man folgern, daß auch die musikalischen Zusammenhänge aus dieser Zeit stammen.

Man nimmt auch an, daß die Totenklagen obugrische, vor allem ostjakische Anklänge bewahrt haben. Von einer direkten Abhängigkeit kann auf keinen Fall die Rede sein; aller Wahrscheinlichkeit nach haben beide aus einer gemeinsamen nordmittelasiatischen Quelle geschöpft, aus der – nach entsprechenden Übergängen – auch die alte ungarische pentatonische Melodik hervorgegangen sein dürfte.

Eine andere traditionsreiche Schicht des ungarischen Volksliedgutes ist durch einzelne Kinderlieder und Zaubersprüche bewahrt worden. Wenn man den Spuren der Hexachordmelodik folgt, findet man in erster Linie bei den Slawen und Deutschen Entsprechungen. Aller Wahrscheinlichkeit nach reichen aber die Zusammenhänge noch viel weiter, denn lange Wiederholungen der Taktpaare beziehungsweise der kurzen Motive finden sich in der Grundschicht der Volksmusik aller Völker und haben sich auch in deren ältesten Traditionen erhalten.

Der Gebrauch der Notenschrift hat erst spät, im 8. bis 9. Jahrhundert, in der römischen Kirche begonnen. In Ungarn geschah dies noch erheblich später. So dürften die Variationsmöglichkeiten, besonders in der Volksmusik, aber auch in der Kirchenmusik, ziemlich unbeschränkt gewesen sein. Die niedergeschriebene ungarische Volksmusik bezeugt aber auch, daß sie eine Vielzahl von Elementen in sich aufgenommen hat. So wurde Vieles aus den gregorianischen Gesängen geschöpft, und ein enger Zusammenhang zwischen kirchlichem Volksgesang und Volksmusik hat sich fast bis auf den heutigen Tag erhalten. Man kennt einige Melodien, die gleicherweise mit kirchlichem und weltlichem Text gesungen wurden.

Abb. 197. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AA5A5A,

Abb. 197. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AA5A5A,
Kom. Heves

Abb. 198. Notenbeispiel einer Melodie des Typs ABBA.

Abb. 198. Notenbeispiel einer Melodie des Typs ABBA.
Kom. Heves

{G-471.} Seit dem Mittelalter hat aber nicht nur die Kirchenmusik, sondern auch die weltliche Kunstmusik die Volksmusik bereichert. Die Kunstmusik kam teils aus dem Ausland, teils entstand sie im Lande. An die Höfe der Könige und der Magnaten kamen ausländische Sänger, und auch die Tanzmode hat viele Melodien heimisch gemacht. All dieses im einzelnen zu klären, wird auch künftig der Musikgeschichte und der Musikfolkloristik noch viele Aufgaben stellen.

Abb. 199. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AA5BA.

Abb. 199. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AA5BA.
Bácsandrásszállás, Kom. Bács-Kiskun, 1942

Abb. 200. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AABA.

Abb. 200. Notenbeispiel einer Melodie des Typs AABA.
Baracs, Kom. Fejér, 1906

Nachdem es schon im Mittelalter westliche Vorbilder gegeben hatte, blühte im 18. bis 19. Jahrhundert, anscheinend unter westlichem Einfluß, die jüngere Form des ungarischen Volksliedes auf. Kennzeichnend für sie ist, daß die erste und die vierte Zeile der vierzeiligen Melodie übereinstimmen, das heißt, daß man zum Abschluß wieder die Anfangszeile hört. Abgesehen von einigen wenigen Varianten kann man die vier folgenden Hauptgruppen feststellen: AA5A5A, ABBA, AA5BA und AABA. Während zur ältesten Schicht ungefähr zweihundert Melodien gehören, umfaßt diese jüngere Gruppe, ohne die Varianten, mehr {G-472.} als achthundert. Das jüngere ungarische Volkslied, das weite Verbreitung fand, nahm nur wenige fremde Melodien in sich auf.

Auf den ersten Blick gibt es viele Ähnlichkeiten zwischen den Melodien, doch kann eine eingehendere Untersuchung auch leicht die Unterschiede feststellen. Obwohl diese Gruppe im wesentlichen in sich geschlossen ist, entstehen in ihr doch auch neue Weisen, wenn es sich auch in den meisten Fällen nur um Varianten handelt. Die neue Melodieform steht aber mit der alten Struktur in engem Zusammenhang. So kann sich das alte A5A5AA sehr leicht, auch ohne allen ausländischen Einfluß, in AA5A5A verwandeln, und damit wird der Zusammenhang mit dem alten Quintenwechselsystem schon offenbar. Ebenso kann man auch die Spuren des alten Tonvorrats entdecken, selbst wenn er schon zum größten Teil siebenstufig geworden ist. Wenn man nämlich die unbetonten Nebentöne fortläßt, kommt die fünfstufige Grundstruktur zum Vorschein. Eigentlich ist die junge und die alte Form gleicherweise symmetrisch. Wenn wir dann die überlagernden Töne fortlassen, stoßen wir in zahlreichen Fällen auf die älteste Schicht der ungarischen Volksmusik. Dies beweist auch, wie sehr die Fünfstufigkeit und der Quintenwechsel bis auf den heutigen Tag Eigenheiten der ungarischen Volksmusik sind.

Von der Mitte des vorigen Jahrhunderts bis zum Ersten Weltkrieg ergoß sich ein wahrer Strom von volkstümelnden Kunstliedern über das ganze Land und gelangte auch weitgehend in die Dörfer. Ein großer Teil der Komponisten – und gerade die besten unter ihnen – ist leider unbekannt, und es besteht auch nicht viel Hoffnung, daß ihre Identität festgestellt werden kann. Text und Melodie der Kunstlieder sind zum großen Teil dem ungarischen Volke fremd; ihre Autoren waren gebildete Menschen, die in der ausländischen Volksmusik besser als in der ungarischen bewandert waren. Text und Melodie atmen Resignation, Hoffnungslosigkeit, mehr als einmal Todessehnsucht. So beschaffen {G-473.} war die Gefühlswelt des von der Mitte des 19. Jahrhunderts an absinkenden mittleren und kleinen Adels, der hauptsächlichsten Konsumenten ebendieser Lieder. Und doch kann ihre Auswirkung auch in den Volksliedern aufgespürt werden, und zwar in zweierlei Hinsicht. Früher waren die Zeilen sechs bis zwölf Silben lang, während sie nun auf einmal länger wurden und sich nicht selten sogar auf fünfundzwanzig Silben ausdehnten. Mit diesen Liedern hielten zum ersten Mal Dur und Moll in bedeutendem Maße Einzug in die ungarische Volksmusik. Andererseits wehrte sich die Volksmusik unwillkürlich gegen diesen Einfluß, und zwar in der Weise, daß sie sich bemühte, das Fremde ihrem eigenen Bild anzupassen. Man kennt mehr als ein Volkslied, in dem das frühere volkstümelnde Kunstlied wieder fünfstufig umgewandelt wurde, doch gelang dies nicht in jedem Falle sehr überzeugend, und das Ergebnis war eine Art Mischung. Aber selbst in dieser Form gewann das Lied an Wert.

Eng verbunden mit dieser Erscheinung ist das Problem der Beziehung der ungarischen Volksmusik zur Zigeunermusik. Wichtig ist, hier Klarheit zu schaffen, um so mehr, als Franz Liszt in einer seiner Arbeiten um die Mitte des vorigen Jahrhunderts die ungarische Musik – irrtümlicherweise – mit der Zigeunermusik gleichsetzte. Diese Vorstellung hat sich besonders im Ausland so tief eingewurzelt, daß, wenn von ungarischer Volksmusik die Rede ist, sie meist mit Zigeunermusik identifiziert wird. Demgegenüber steht fest, daß die städtischen Zigeunerkapellen meistens eine seichtere Art volkstümelnder Kunstmusik spielten, was zur Befriedigung der Bedürfnisse weiter Kreise genügte. Das musikalische Repertoire der Zigeuner paßte sich weitgehend ihrer Umgebung an. So spielten in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Zigeunerkapellen in den Komitaten Máramaros und Bihar, aber auch anderswo unverändert das von den Dudelsackpfeifern übernommene Volksmusik-Repertoire. Aber in den Städten und deren Umgebung verlegten sie sich ausschließlich auf die volkstümelnde Kunstmusik. Erst eine in den letzten Jahrzehnten eingetretene Geschmacksveränderung bewirkte es, daß sie auch schon in Städten Volkslieder älteren und neueren Typs, also wirkliche ungarische Volksmusik spielen.

Nun soll, den Forschungsergebnissen Béla Bartóks folgend, die Wechselwirkung geschildert werden, die zwischen der Volksmusik des ungarischen Volkes und der der benachbarten Völker bestand. Hierbei kommen verschiedene Abstufungen vor: 1. Übernahme von Einzelheiten bei ausschließlich fremder Struktur, 2. Umformung der übernommenen Melodien entsprechend dem Charakter der Musik des übernehmenden Volkes, 3. Übernahme mit Erweiterung oder Verstümmelung der Melodie, 4. vollständige Übernahme ohne jede Veränderung. Es sei bemerkt, daß es einige Melodien gibt, die gleicherweise in Ungarn und bei den benachbarten Völkern zu finden sind, zum Beispiel Szeretnék szántani (Möchte gern zum Pflügen gehn) ; Debrecenbe kéne menni (Laßt nach Debrecen uns fahren) usw., doch sind diese für die Musik keines der betreffenden Völker kennzeichnend.

Zum Stil der deutschen Musik kann eigentlich keinerlei unmittelbare Wechselwirkung nachgewiesen werden. Die Melodien deutschen Ursprungs sind in ihrer Mehrheit durch tschechisch-mährisch-slowakische {G-474.} Vermittlung zum ungarischen Volk gelangt. Es scheint, daß mit Ausnahme der mitteleuropäisch gefärbten deutschen Musik des ausgehenden Mittelalters und des 16.–17. Jahrhunderts zwischen der ungarischen und der deutschen Volksmusik' so grundlegende Unterschiede bestehen, daß Entlehnungen fast vollkommen ausgeschlossen sind.

Ganz anders verhält es sich mit der slowakischen Volksmusik, und zwar nicht nur entlang der Sprachgrenze, sondern auch in weiter davon entfernten Gegenden. Die Verbindungen sind hier sehr vielschichtig, kamen doch slowakische Landarbeiter jahrhundertelang in die ungarische Tiefebene zu den Erntearbeiten, verdienten sich Handwerker ihr Brot als wandernde Glaser, Rastelbinder, Leinenverkäufer usw. im ungarischen Sprachgebiet. Interessanterweise kommt im Slowakischen das ungarische Volkslied alten Typs gar nicht oder nur sehr selten vor, das neue ungarische Volkslied dagegen um so häufiger. Es ging hier in der ungarischen Volksmusik eine regelrechte Umwälzung vor sich, die nicht nur auf die Slowakei, sondern auch auf Mähren, ja auf Galizien übergriff. Das dürfte darauf zurückzuführen sein, daß damals die Verbindungen besonders durch das Militär sehr stark waren und daß in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts die Soldaten die strammrhythmischen neuen Volkslieder verbreiteten. Deswegen finden sich im Ungarischen und Slowakischen so viele gleiche Melodien.

Anders steht es mit den Karpatoukrainern (Russinen). Ein Teil der ungarischen Schweinehirtenlieder spiegelt nämlich in einer Gruppe von ungefähr dreißig Varianten die Wirkung der sogenannten Kolomejka wider. Hier kann man den Ablauf etwa so ansetzen: russinische Kolomejka → ungarisches Schweinehirtenlied → Werbemusik → neue ungarische Volksmelodik. Gleichzeitig entfaltete sich auch im russinischen Gebiet der Einfluß der neu-ungarischen Melodik mit voller Kraft. In vielen Fällen wurden die Melodien vollständig übernommen. Es gibt Volksmusiksammlungen, in denen die Zahl solcher Übernahmen 20 bis 40 Prozent ausmacht.

Wieder andere Beziehungen haben sich zur rumänischen Volksmusik entwickelt. Es lohnt sich, dies besonders in Siebenbürgen zu untersuchen, wo das Zusammenleben der Ungarn und Rumänen in der Vergangenheit sehr eng war und es auch heute noch ist. Bei den Rumänen gibt es mehrere, stark unterschiedene Musiklandschaften. In den meisten sind die fünfstufigen Melodien ungarischen Ursprungs bekannt, während die neue ungarische Musik fast vollkommen fehlt und höchstens in Máramaros vorkommt – wohl als Ergebnis russinischer Vermittlung. Daß sich diese neu-ungarischen Melodien nicht verbreitet haben, kann unter anderem mit dem abweichenden Charakter des grundlegenden Musikgutes der beiden Völker, mit dem Festhalten am eigenen und mit Geschmacksunterschieden erklärt werden.

In Serbien, Kroatien und Slowenien sucht man vergebens nach Spuren ungarischer Volksmusik. Der gegenseitige Einfluß ist verschwindend gering. Gleichzeitig wurde aber auf der Murinsel sehr viel vom alten ungarischen Bestand übernommen. Es sind Sammlungen bekannt, in denen dieser bis zu einem Drittel der veröffentlichten Melodien ausmacht, also viel mehr als allgemein in ungarischen Sammlungen. Die Murinsel macht zwar nur einen verschwindend kleinen Teil des {G-475.} südslawischen Raumes aus, ist aber, eben weil sie viel von der ungarischen Volksmusik bewahrt hat, außerordentlich wichtig.

In einer Übersicht hat Béla Bartók die einzelnen Schichten der ungarischen Volksmusik nach Prüfung von 2600 Melodien folgendermaßen klassifiziert: i. alte pentatonische Melodien in etwa 200 Variantengruppen, etwa 1000 (9%), 2. neue Melodien in ungefähr 800 Variantengruppen, etwa 3200 (30%), 3. ungarisch klingende Melodien, volkstümliche Kunstmusik in etwa 600 Variantengruppen, etwa 2500 (23%), fremdartige Melodien in etwa 1000 Variantengruppen, etwa 4000 (38%). Diese Übersicht, deren Verhältniszahlen sich auch aufgrund neuerer Forschungen nicht geändert haben, zeigt klar, daß die ungarische Volksmusik, bevor sie sich ganz entfalten und verbreiten konnte, von einer starken fremden Einwirkung bedroht war, die eben ihren ungarischen Charakter auf einen außerordentlich kleinen Raum beschränkt hätte.

Die Volksmusik wurde lange Zeit innerhalb der Familie überliefert, und zwar hauptsächlich durch die Großeltern, die mit den Enkeln zu Hause blieben, während die Eltern mit den größeren Kindern auf den Feldern arbeiteten. So hatten die Großeltern viel mehr Muße, sich mit ihren Enkeln zu beschäftigen und ihnen ihr volksmusikalisches Wissen zu übermitteln. Mit der Änderung des Lebensrhythmus' auf dem Lande hat diese Art der Überlieferung erst in der letzten Zeit aufgehört.

Früher traf man sich bei zahlreichen Gelegenheiten zu gemeinsamem Gesang. So waren viele Arbeitsverrichtungen ohne Gesang gar nicht denkbar. Anfangs vollzog sich dies im Rahmen der gemeinsamen Feldarbeit, später bei der Tagelohn- und Gedingearbeit auf den Großgütern, und zwar seltener während der Arbeit selbst, als vielmehr in den Ruhepausen. Das bereits erwähnte Maisentlieschen, das Spinnen und die Weinlese waren besondere Gelegenheiten, bei denen gesungen wurde. Mit dem Verschwinden der Arbeiten dieser Art haben natürlich auch die Möglichkeiten gemeinsamen Gesanges abgenommen.

Bei den Spielen der Kinder, den Zusammenkünften der Mädchen und den sonntäglichen Spaziergängen konnte natürlich der Gesang nicht fehlen. Im Brauchtum bildete sich ein ganzes System von an bestimmte Gelegenheiten gebundenen Liedern heraus. Die einzelnen Etappen des Hochzeitsfestes wurden von bestimmten Liedern begleitet. Die Weihnachts-, Oster- und Pfingstlieder heben sich ebenso heraus wie die Faschingslieder oder heute bereits vergessene Lieder wie etwa die bei dem Sprung über das Johannisfeuer gesungenen. Darüber wird beim Brauchtum noch zu sprechen sein.