{G-488.} Bewegung und Tanz

Zu den ethnischen und landschaftlichen Eigenarten gehören auch bestimmte Arten der Bewegung. Schon allein der Gang der Menschen ist je nach der Gegend verschieden. Es genügt zu beobachten, wie die Bewohner der Ebene und wie die der Berggegenden gehen.

Vornehmlich bei den Hirten kann man beobachten, wie sie sich kauernd, auf einen Stock gestützt, aber auch ohne einen solchen, ausruhen. Das ist besonders für die Hirten der Großen Tiefebene kennzeichnend, da sich in Berggegenden ja unzählige Sitzgelegenheiten anbieten.

Auch wie die Menschen an verschiedenen Orten und bei verschiedenen Gelegenheiten schlafen, ist bemerkenswert: anders im Federbett, anders auf der für ein Nachmittagsschläfchen bestimmten Pritsche oder auf einem Strohlager. Wenn jemand zur Zeit der Arbeit auf dem Feld nicht zu tief einzuschlafen wünschte, legte er den Kopf auf einen Baumstrunk oder auf seinen Brotsack, in dem sich auch sein Dengelhammer befand. Auch die Frauen nahmen beim Schlaf zwischen den Tagesarbeiten eine andere Haltung ein, wenn sie sich für kurze Zeit auf Stroh ausstreckten, als wenn sie im Bett schliefen.

Auch die Art, wie man sich in der Volkstracht bewegte, war Regeln unterworfen, die selbst in benachbarten Dörfern unterschiedlich sein konnten. So ermahnte eine Frau aus einem Palotzendorf ihre Tochter, die einen langen Rock trug, kleine Schritte zu machen, damit ihr Rock nicht dieselben Falten werfe wie die Röcke der weit ausschreitenden Mädchen des Nachbardorfes. In Mezõkövesd bewegten sich die Frauen und Mädchen in strammer Haltung, mit geschwellter Brust, so daß sich der Rock bei jedem Schritt einmal um sie schwang. Als man aufhörte, Volkstracht zu tragen, änderte sich auch der Gang, und die Körperhaltung wurde zwangloser.

Die charakteristischen Merkmale, die bei einfacheren und komplizierteren Bewegungen beobachtet werden können, sind bisher noch sehr wenig erforscht. Es sollte hier nur kurz darauf hingewiesen werden, wie viele Möglichkeiten sich für jetzt anlaufende Forschungen auf diesem Gebiet – besonders bei dem heutigen großen Umbruch – bieten.

Eine traditionell geregelte und von Musik begleitete Form der Bewegung ist der Tanz, dessen Geschichte und räumliche Verbreitung gleicherweise bekannt sind. Das ungarische Wort tánc (Tanz) ist ein europäisches Lehnwort, das wahrscheinlich im Laufe des Mittelalters aus dem Mittelhochdeutschen in die ungarische Sprache gelangt ist und ursprünglich vielleicht den Tanz in Paaren bezeichnete, der von den protestantischen Predigern des 16. und 17. Jahrhunderts so sehr gerügt wurde. Seit dem 16. Jahrhundert wurde das Wort immer häufiger, doch dürfte es in seiner Form Táncos (Tänzer) als Familienname schon früher verbreitet gewesen sein. Interessant ist, daß die Bauern für ihre Tänze nur selten oder gar nicht dieses Wort, sondern seine Beinamen selbständig gebrauchen, beispielsweise karikázó (Ringelnder), lépõ (Schreitender), botoló (Stockschwingender), verbunkos (Werbung) und csárdás (Tschardasch, zur Schenke gehöriger). Das bedeutet, daß das Wort Tanz dem Volke noch lange fremd geblieben ist.

256. Tanzende, gravierte Verzierung mit Siegellackeinlage auf einem Mangelholz, 1868

256. Tanzende, gravierte Verzierung mit Siegellackeinlage auf einem Mangelholz, 1868
Hövej, Kom. Gyõr-Sopron

Ungarische Tänze und ihre Eigenheiten werden schon im Mittelalter erwähnt. Auf dem Fresko von Runkelstein in Österreich (1320) ist die {G-489.} aus Polen stammende ungarische Königin Elisabeth abgebildet, wie sie einen dem späteren Reigen der Mädchen ähnlichen Tanz anführt.

Es scheint, daß die Hirten die ungarischen Tänze nicht nur von alters her am besten kannten, sondern auch verbreitet und weiterentwickelt haben. Der erste große Lyriker Ungarns, Bálint Balassi, führte auf dem Reichstag von 1572 einen Tanz vor: „Nach Entfernung der Tische tanzten die kriegerische Jugend und die erwachseneren Kinder der Vornehmen in der Laube des Hauses ; unter ihnen gewann der zweiundzwanzigjährige Bálint Balassi, der Sohn des in Gnaden wiederaufgenommenen János, die Palme in der kennzeichnenden Tanzart unserer Schafhirten, die von den Ausländern für einen allgemein ungarischen Tanz gehalten wird -während der Kaiser und König sowie die übrigen Herzöge mit Wohlgefallen zusahen, wie er seine Beine bald zusammenschlug, bald auseinanderwarf, sich dann bis zur Erde niederkauerte und wieder aufschnellend, seine Tanzsprünge ausführte.“

Mehr als zweieinhalb Jahrhunderte später, im Jahre 1843, schreibt ein bekannter ungarischer Dichter und Herausgeber eines Wörterbuches als glaubwürdiger Augenzeuge wieder von den Hirtentänzen: ,.Die Hirten unterhalten sich mit eigenartiger Musik, Gesang und Tanz. Ihre Musikinstrumente sind der Dudelsack oder die Pfeife (Blockflöte), {G-490.} seltener die klarinettenartige Schnabelflöte. Ihr Gesang ist, wie beim Dudelsack, ein Summen; ihre Tänze aber, wenigstens in der Gegend des Bakonygebirges, sind stampfend und werden hier in der Regel nur mehr von den Schweinehirten getanzt, weswegen sie auch Schweinehirtentänze genannt werden.“ Es folgt eine kurze Schilderung des Tanzes: „Die Musik wird von einem Dudelsack oder einer Blockflöte geliefert; der Rhythmus unterscheidet sich vollkommen von dem des ,Werbungs‘- oder des ,Schnellen Ungarischen‘ Tanzes und ist so geartet, daß man bei dem sehr charakteristischen Takt fast unwillkürlich mit den Füßen aufstampft. Während beim ,Schnellen‘ ein Mann und eine Frau tanzen, stehen sich hier zwei Männer gegenüber und stampfen auf die Erde. Jeder wirbelt einen Stock oder ein Beil mit seinen Fingern, oft mit schwindelnder Schnelligkeit. Dann werfen sie diese einander zu, und es kommt vor, daß die Hände des einen leer bleiben, während der andere mit beiden Gegenständen in den Händen seine Geschicklichkeit vorführt; dann legen sie ihre Stäbe nieder und überspringen sie rhythmisch von links nach rechts und zurück, endlich nimmt der eine seinen Stab zwischen die Beine und kauert sich nieder, während der andere ihn umtanzt und manchmal sogar über ihn springt.“

Unter den Soldatentänzen erwähnen die Quellen am häufigsten den Heiduckentanz. Die Heiducken erscheinen in der ungarischen Geschichte in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts. Schon in der Beschreibung der Hinrichtung des György Dózsa (1514) wird in einer um ein halbes Jahrhundert späteren Quelle gesagt, daß seine Soldaten, während ihr Anführer gemartert wurde, den toborzó alias Heiduckentanz tanzen mußten. Der toborzó bedeutete damals noch einen stampfenden Tanz und nicht den Werbungstanz, eine Bedeutung, die der toborzó erst nach der Spracherneuerung um 1800 annahm. Im Jahre 1565 schreibt einer der ungarischen Reformatoren: „Den Heiducken regt die Bourdonpfeife zum Heiduckentanz an.“ 1615 sandte ein ungarischer Magnat seinem in Wittenberg studierenden Sohn Männer nach, die im Heiduckentanz mit Beil und Waffen wohlerfahren waren und diesen in Begleitung von Geigen, Trompeten und Dudelsäcken vorführten. Miklós Zrínyi schreibt in seinem Epos um die Mitte des 17. Jahrhunderts, wie der Kampf gegen die Türken gefeiert wurde

Einige Kroaten aus der Kehle sangen,
Einige Heiducken beim Waffentanz sprangen.

                           (Zrinyiade, IV. Gesang)

Ein englischer Reisender namens Brown schildert anläßlich seines Besuches in Ungarn diesen Tanz folgendermaßen: „Vor meiner Reise nach Ungarn hatte ich diesen pyrrhischen Tanz, der einst von den Alten, jetzt aber von den Heiducken getanzt wird, nie gesehen. Sie tanzen mit gezogenem Säbel und schlagen die Waffen zusammen, woraus ein großes Geklirr entsteht; sie drehen sich, springen in die Luft und werfen sich mit überraschender Geschicklichkeit hin; endlich singen sie nach ihrer Art.“ Aus dieser Beschreibung gehen die drei charakteristischen Züge des Heiduckentanzes hervor: Das Drehen, die Luftsprünge und das Sichhinwerfen. Merkwürdig, daß sie dazu auch sangen.

{G-491.} Die historischen Hinweise und Beschreibungen sowie die umfassende neuere Forschung, die Tanz und Musik auch im Film festhält, erlauben, die Tänze in zwei große Schichten zu teilen: eine alte und eine neue. Innerhalb dieser Schichten bieten sich noch Möglichkeiten zu weiterer Aufteilung.

Abb. 205. Wie sich Mädchen beim Tanzen zusammenhalten.

Abb. 205. Wie sich Mädchen beim Tanzen zusammenhalten.
a) Hand in Hand; b) Arm in Arm; c) mit rückwärts gekreuzten Armen; d) nur die Schulter fassend; e) um die Taille fassend

Dem Charakter der Tänze nach kann man im Laufe der Geschichte drei große Gruppen unterscheiden. Zur ersten gehören die Ketten- oder Rankentänze, so auch die Rundtänze, bei denen alle Teilnehmer im wesentlichen dieselben Bewegungen ausführen. Diese teilweise auch heute noch üblichen Tanzformen sind für die Tanzkultur des Mittelalters kennzeichnend und im kollektiven Geist der Zeit verwurzelt. Auf der Balkanhalbinsel, wo die lange Türkenherrschaft die Fortentwicklung des Tanzes behindert und von der allgemeinen europäischen Entwicklung isoliert hat, sind diese Tänze herrschend geblieben und haben sich an einzelnen Orten sogar in dreißig bis vierzig Varianten erhalten. In Ungarn sind sie demgegenüber während der Neuzeit in den Hintergrund getreten.

Zu Beginn der Neuzeit tritt gemäß dem Geist der Renaissancekultur auch im Tanz das Individuum immer mehr in den Vordergrund. Damals beginnt sich eine ganze Reihe von Solo- und Paartänzen zu entwickeln, in denen sich die Fähigkeiten des Paares gleichsam befreit zeigten: Beide Partner können nach dem Takt der Musik ihre Fertigkeiten auch unabhängig voneinander entwickeln. Gerade auf diesem Gebiet ließ der ungarische Tanz den höchsten Grad künstlerischer Entfaltung zu. Der Hang zum Variieren entwickelte sich – ebenso wie bei den Volksliedern – so weit, daß es schwerfällt, allgemeingültige Gesetzmäßigkeiten festzustellen. In diesem Sinne schreibt Dániel Berzsenyi, ein Dichter des ersten Drittels des vorigen Jahrhunderts, über den ungarischen Tanz das Distichon:

Seine geheimen Gesetze sind von keinem Meister geordnet,
Er selbst schafft sein Gesetz, Grenze die Leidenschaft.

Vor ungefähr zweihundert Jahren begann vom höher entwickelten bürgerlichen Westen her ein neuer Tanzstil seinen Eroberungszug. Er band die Paartänze an Regel und Maß und beließ dem individuellen Improvisieren gar keinen oder doch einen viel engeren Raum. Diese Art des Tanzes verbreitete sich im vorigen Jahrhundert auch in Ungarn, verdrängte aber nicht die improvisatorische Tanzschöpfung.

Fassen wir nun einige ältere Tanzformen ins Auge, besonders solche, die bis ins Mittelalter zurückverfolgt werden können. Da sind in erster Linie die Rundtänze, von denen einzelne Melodien und Texte bekannt sind:

Auf den Dielen, auf den Bohlen
Tanzen wir den Reigen.
Tanzen wir den Reigen.
Vortänzer ist Schulze János
Im bestickten Dolman.
Hinten tanzt die Dame Mári,
Hat den Leinenrock an.

                           (Bogdánfalva, Moldau)

{G-492.} Die meisten Rundtänze werden von Mädchen normalerweise in den Pausen zwischen anderen Tänzen oder als Einleitung des sonntagnachmittäglichen Tanzvergnügens getanzt. Dann lösen die Burschen den Kreis auf und wählen sich eine Partnerin.

Noch ein Weilchen bleiben wir, bleiben wir,
Bißchen später gehen wir, gehen wir.
Jetzt noch tanzen wir den Reigen,
Wählen uns ein Paar zu eigen.

                           (Törökkoppány, Kom. Somogy)

Der Kreis ist immer eng, die Mädchen halten sich auf verschiedene Weise an den Händen und öffnen – im Gegensatz zu den balkanischen Formen – den Kreis nie. Dazu führen sie drei verschiedene Bewegungen aus: Sie schreiten kreisauswärts oder kreiseinwärts, was dem ganzen Kreis eine Wellenbewegung gibt. Dann wieder drehen sie den Kreis auf zweierlei Weise, indem sie dabei entweder zwei Schritte vorwärts und einen zurück machen, wobei sie auch in dieser asymmetrischen Art vorwärtskommen; oder sie drehen den Kreis schnell, indem sie kleine Schritte machen und die Drehrichtung regelmäßig ändern. Die Rundtänze der Mädchen werden meist von Gesang begleitet.

In der östlichen Hälfte des ungarischen Sprachraumes sind gemischte Rundtänze von Frauen und Männern üblich. Sie fügen sich in die Ordnung der Tanzvergnügen ein und werden zu instrumentaler Musik getanzt, jedoch meist nur von zwei bis drei Paaren, die einen kleinen Kreis bilden. Der Form nach ähnlich sind die seit der Mitte des vorigen Jahrhunderts aufgekommenen Rundtschardaschtänze, bei denen sich der paarweise Tanz von Zeit zu Zeit zum Rundtanz ausweitet.

Eine direkte Fortsetzung der Heiduckentänze und allgemein der Waffentänze sind die Hirtentänze. Diese kennt man nicht nur bei den Ungarn, sondern auch bei den Slowaken, den Goralen (Bergpolen), den Russinen (Karpato-Ukrainern) und den Siebenbürger Rumänen. Bis heute haben sich Spuren davon im nordöstlichen Sprachraum und im mittleren Teil von Westungarn erhalten.

Die schönsten Formen der Stocktänze finden sich am nordöstlichen Rand der Großen Ungarischen Tiefebene. Ihr wichtigstes Requisit ist der Hirtenstab. Der Stocktanz wird solo aufgeführt, und der Tänzer ist bemüht, mit seiner ganzen Virtuosität im Drehen und Überspringen des Stockes zu brillieren. Eine Variante ist der Stocktanz für Männerpaare, wobei die Tänzer zum Takt der Musik sozusagen einen Zweikampf austragen. Schlag und Verteidigung schaffen natürlich immer neue Situationen, und deswegen wird bei diesem Tanz sehr viel improvisiert. Seltener kommt auch ein Stocktanz mit gemischtem Paar vor. Der Mann greift die Frau spielerisch mit seinem Stock an, während diese vor dem Angriff ausweicht und bemüht ist, ihn am Wirbeln des Stockes zu hindern.

Die Schweinehirtentänze sind zwar im ganzen ungarischen Sprachraum bekannt, doch haben sich – wie erwähnt – ihre schönsten Varianten in Westungarn erhalten. Als Requisiten dienen gleicherweise der Stockhammer (fokos), das Beil und der Stab, die – auf die Erde gelegt – übersprungen werden müssen. Diese Formen weisen eine {G-493.} weitere oder nähere Verwandtschaft mit österreichischen, slowakischen, ja geographisch noch entfernteren Tänzen auf. Auch dies beweist, daß die Schweinehirtentänze Nachkommen der Waffentänze sind, die im Mittelalter in Europa allgemein verbreitet waren und zur Zeit der Türkenkriege eine neue Blüte erlebten. Von den Tanzmelodien ist die folgende die bekannteste:

Csórer Hirt, was kochst Du da?
Beuschel, dazu Sauerkraut.
Womit hast Du's eingebrannt?
Mit dem Schmalz vom Schwein gebraut.
Fick, Fack, was sagst du?
Ei der Tausend, was tust du?
Man erkennt den Schweinehirten
an dem scharfen, blanken Beil,
Seinem Ranzen, seinem Bundschuh,
festgeschnürt mit buntem Seil,
Fick, Fack, was sagst du?
Ei der Tausend, was tust du?
Man erkennt den Schweinehirten
an dem scharfen, blanken Beil.

                           (Dunafalva, Komitat Baranya)

Abb. 206. Notenbeispiel einer Variante eines Schweinehirtentanzes.

Abb. 206. Notenbeispiel einer Variante eines Schweinehirtentanzes.
Dunafalva, Kom. Baranya

Der Sprungtanz schließt sich in vieler Hinsicht an die Hirtentänze an, doch wurde und wird er stets ohne jedes Requisit getanzt. In der alten Sprache deckt sich das Wort „Sprung“ oft mit „Tanz“, weshalb es manchmal unklar bleibt, was unter dieser Bezeichnung zu verstehen ist. Schon im 17. Jahrhundert werden einige Formen dieses Tanzes erwähnt: „Die höchsten Herren springen mit ihren Frauen die Tänze.“ Auf ähnliches weist auch die sprichwortartige Feststellung hin: „Es fehlt noch der springende Teil (Punkt) des Liedes.“

{G-494.} In Westungarn ist der Hochzeitssprungtanz sehr verbreitet. Er stellt eigentlich nur einen Teil des Zuges dar, der die Braut in die Kirche begleitet. Der Sprungtanz der Großen Tiefebene wird stets nach dem Takt der Schweinehirtenlieder getanzt, ebenso wie die ähnlich gearteten Tänze der Szekler in der Bukowina.

Der Burschentanz ist in seinen primitiveren Varianten im Szeklerland bekannt, hat sich aber in seiner ganzen Kompliziertheit in Kalotaszeg und in den ungarischen Dörfern der Mezõség entwickelt. Er ist ein Teil der festgelegten Tanzordnung und wird zu Beginn von den Burschen vor der Kapelle getanzt, während die auf den Tanz wartenden Mädchen sich in einem Kreis um sie drehen.

Tanzt im Kreise Burschen, stramm,
Wie es nur ein Betyár kann,
Braucht ihr mich, ich schließ mich an!

                           (Válaszút, ehem. Komitat Kolozs)

Der Burschentanz ist eine der höchstentwickelten und außerordentlich abwechslungsreichen Tanzformen. Musik und Motivschatz schließen sich sowohl an die Heiducken- wie an die Hirtentänze an. Der Burschentanz wurde nach Übernahme verschiedener europäischer Elemente zum Ausgangspunkt des Werbungstanzes und der Werbungsmusik.

Noch ein kurzer Blick auf die alten Paartänze, deren Varianten in verschiedenen Gegenden des ungarischen Sprachraumes als letzte Blüten des alten Stils noch zu finden sind. Diese zeigen sich ihrerseits schon von verschiedenen westlichen Tänzen beeinflußt, und die meisten können als Angleichung an die ungarische Art betrachtet werden. Schon die Motive erinnern vielfach an den Csárdás (Tschardasch), doch sind im Tempo noch alte Traditionen bewahrt. Von diesen Tänzen haben sich die meisten in Siebenbürgen erhalten, wo der sich rasch ausbreitende Csárdás die alten Formen nicht mit so stürmischer Geschwindigkeit verdrängt hat wie in anderen Gebieten des Sprachraumes. Die Melodien der alten Paartänze, wie zum Beispiel die des „Langsamen“ der Mezõség oder des „Zigeunertanzes“, werden oft gesungen, während die Paare, kürzere oder längere Zeit im Takt der Musik schreitend, pausieren.

Abschließend muß zu den alten ungarischen Tänzen gesagt werden, daß in der konventionellen Tanzfolge zuerst ein langsamer, dann ein schnellerer und endlich ein ganz schneller Tanz kam. Daran erinnert die Redensart: „Der Tänze sind drei.“ (Etwa: Das dicke Ende kommt noch!) Dieser Redensart begegnet man bereits im 17. Jahrhundert: „Sie sprangen nicht wie die Ziegen, wie es heute geschieht, sondern tanzten schön leise, wobei sie oft riefen: Der Tänze sind drei“. Auch unter den Tanzversen kommt mehrmals vor:

Drei der Tänze, ohne Sorgen
Bis zum sonnenklaren Morgen!

                           (Mezõkövesd, Komitat Borsod)

Derartige Traditionen haben sich bis in die letzte Zeit in den ungarischen Dörfern erhalten.

257. „Burschentanz“ vor der Kirche bei einer Hochzeit

257. „Burschentanz“ vor der Kirche bei einer Hochzeit
Méra, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Der neue ungarische Tanzstil hat seine Vollendung im 19. Jahrhundert {G-495.} gefunden, sich aber ebenso wie die neue ungarische Volksmusik eng an Traditionen der vorhergehenden Jahrhunderte angeschlossen. Die westlichen Gesellschaftstänze wurden immer bekannter, und die neuen ungarischen entwickelten sich nach ihrem Beispiel. Auch der Takt der Tanzmusik wandelte sich, das heißt die Zweivierteltakte wurden von Viervierteltakten abgelöst, während bei schnelleren Tänzen der beschleunigte Achteltakt hinzukam.

Der bekannteste und repräsentativste Tanz dieser Zeit ist der „verbunkos“, der Werbungstanz. Das Wort selbst stammt aus dem Deutschen, wurde aber mancherorts durch das im Verlauf der Spracherneuerung wieder neu belebte ungarische Wort „toborzó“ ersetzt. Der Tanz hing anfangs eng mit der Soldatenwerbung zusammen. Die österreichische Armee ergänzte nämlich von 1715 bis 1868 – dem Jahr der Einführung der allgemeinen Wehrpflicht – ihren Truppenstand durch Werbung. Für jeden Marktflecken beziehungsweise jedes Dorf wurde bestimmt, wie viele Soldaten zu stellen seien, und dann erschienen die Werber unter Anführung eines Korporals oder eines Feldwebels. Mit Gesang und Tanz wurden die Schönheiten des Soldatenlebens gepriesen:

{G-496.} Kunhegyes ist eine Perle,
Hei, wie stramm sind dort die Kerle!
An der Seite hängt der Säbel,
Tschako prangt au f seinem Schädel,
Stiefel an den Füßen blank,
Wunderschön der Sporen Klang!
Setzt den Jungen auf das Pferd,
Als Husar er sich bewährt!

Wenn der betörte Bursche vom Wein getrunken und man ihm die Soldatenmütze auf den Kopf gedrückt hatte, gab es für ihn kein Entrinnen mehr. Er mußte in vielen Fällen zehn bis zwölf Jahre Militärdienst leisten, weit außerhalb der Landesgrenzen, von wo er nicht einmal auf Urlaub kommen konnte.

In den vierziger Jahren des vorigen Jahrhunderts hat ein ausgezeichneter Beobachter den Vorgang beim Werbetanz beschrieben: ,,… die Mannschaft bildet einen Kreis, in dessen Mitte der Korporal steht. Die in der Regel uniformierte Zigeunerkapelle stimmt ein neues Lied an, und der Werbetanz beginnt. Während des Spiels der ersten Strophe wird keinerlei Figur getanzt; entweder bleiben die Tänzer alle an ihrem Platz stehen und lassen ihre Sporen klirren, oder sie wandeln im Kreis herum, um so den „Geschmack“ und den Rhythmus des Liedes kennenzulernen, sich gleichsam an den Tanz zu gewöhnen. Dann folgen langsame Figuren, deren Reihenfolge meist festgelegt ist, wenn dies aber nicht der Fall ist, ordnet sie der Korporal an, an dem die Augen der Tänzer hängen, während sie gleichzeitig auch den gegenüberstehenden Tänzer nicht aus den Augen lassen. Kennzeichnend für diesen Teil des Tanzes ist es, daß er bloß aus regelmäßigen und nur wenig verschnörkelten Schritten besteht, nämlich, wenn das Lied acht Takte hat: zwei Takte nach rechts, einen nach links, dann wieder zwei nach rechts und einen nach links, und zum Abschluß zwei Takte Stampfen auf der Stelle und Zusammenschlagen der Hacken. Nachdem so fünf oder sechs langsame Touren getanzt worden sind, kommt die Reihe an die Tolle (cifra), die schneller und feuriger als der bisherige Tanz ist, Sprünge hin und her und in die Höhe sind hier in der Ordnung, wenn sich dazu noch das Klirren der schwingenden Säbel und das Klappen der Seitentaschen gesellt, so daß ein wahres Bild eines heroischen Tanzes entsteht.“

Abb. 207. Tanzsporen und wie sie befestigt werden.

Abb. 207. Tanzsporen und wie sie befestigt werden.
Anfang 20. Jahrhundert

Ein wichtiges Requisit des Tanzes waren die Sporen, die sich aber von denen der Kavalleristen unterschieden, da sich die Tänzer durch die Stacheln leicht Verletzungen hätten zuziehen können. Deswegen trugen die Burschen Klingelsporen, die am Fersenleder der Stiefel befestigt waren und durch ein kleines Lederstück am Herabrutschen gehindert wurden. Diese Sporen bestanden aus ein oder zwei Klappern, bei anderen gab ein einfacher oder doppelter Hahnenkamm den Ton. Sporen trugen die Burschen nicht nur zum Tanz, sondern auch an Feiertagen und zeigten so ihr Kommen schon von Ferne den Mädchen an:

{G-497.} Komm zu mir nicht in der Nacht,
Mutter gibt auf mich sehr acht,
Und sie hat recht gute Ohren,
Dich erkennt sie an den Sporen.

                                (Hortobágy)

258. „Drehtanz“.

258. „Drehtanz“.
Sandsteinrelief, Bauernarbeit Nyárádmente, Rumänien

Bei den Werbetänzen spielten die Sporen eine besonders große Rolle, nicht nur weil sie untrennbar zum Kavalleristen gehörten, sondern auch weil sie den Takt der Musik angaben.

259. Hochzeitstanz. „Drehtanz“

259. Hochzeitstanz. „Drehtanz“
Méra, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

Der Werbetanz hat Elemente mehrerer alter Männertänze (Burschentanz, Springtanz usw.) in sich vereint; sein einheitlicher Stil hat sich im vorigen Jahrhundert herausgebildet. In der Regel stand er in der Tanzfolge an erster Stelle und diente sozusagen als Vorbereitung auf die Paartänze. Man kann zwei Formen unterscheiden. Die eine ist nicht streng geregelt und bietet so der Improvisation und dem individuellen Können vielerlei Möglichkeiten. Sicher ist es diese Form, von der Mihály Vitéz Csokonai, ein ungarischer Dichter um die Wende vom 18. zum 19. Jahrhundert, schreibt: „Als zur Zeit der Franzosenkriege viele englische große Herren in Wien lebten, hat ein Engländer beim Tanze der dortigen Ungarn dreihundert Figuren gezählt.“ Die {G-498.} Musik und den Tanz des ungebundenen Werbetanzes finden wir auch bei den Rumänen, den Slowaken und sogar bei den Mähren. Die geregelte Form des Werbetanzes ist seltener und besteht meist aus einem langsamen und einem schnellen Teil. Sie wird unter der Leitung eines Vortänzers im Halbkreis getanzt. Einzelne Varianten sind auch bei den Ostslawen üblich.

260. Hochzeitstanz. „Drehtanz“

260. Hochzeitstanz. „Drehtanz“
Méra, ehem. Kom. Kolozs, Rumänien

261. Kinderreigen

261. Kinderreigen
Szada, Kom. Pest

Der bekannteste ungarische Tanz ist der csárdás, wobei der Name csárda = Heideschenke an sich schon den Gegensatz zum Palotás {G-499.} (palota = Palast), dem Tanz der Herren, ausdrückt. Er verbreitete sich im zweiten Viertel des vorigen Jahrhunderts allgemein und galt als eine wichtige Erscheinung des sich Besinnens auf die nationalen Werte gegenüber den fremden Einflüssen und des demonstrativen Bekenntnisses zum Ungartum. Ein bedeutender Dichter dieser Zeit, János Garay, schreibt: „Wer würde leugnen, daß der Tanz ebenso zur Nation gehört, wie alles andere Brauchtum, die Sprache und die Lieder, das Theater, die Musik, die Kleidung und die Gesetze? {G-500.} Zusammen ergeben alle diese den Charakter der Nation, der sich von dem anderer Nationen unterscheidet; eine Nation, die dies alles entbehrt, ist keine Nation, sondern nur eine Volksmasse, sie ist nicht selbständig, weil sie andere nachäfft, ihnen seelenlos oder sklavisch folgt.“

Der Bezeichnung Csárdás begegnet man zum ersten Male 1835, als der Komponist Rózsavölgyi eines seiner Werke Langsamer Csárdás nennt. Bald darauf wurde er schon im ganzen Lande getanzt und drängte die verschiedenen deutschen und westlichen Tänze langsam in den Hintergrund. Dieser der nationalen Romantik entsprossene Tanz nahm neben dem ungarischen Volkslied und der ungarischen Sprache immer mehr den ihm gebührenden Platz ein und fand so allgemeine Verbreitung, daß er in der zweiten Hälfte des Jahrhunderts sogar bei den Bauern jeden anderen Tanz in den Hintergrund drängte.

Der Csárdás vereinigt zahlreiche traditionelle Züge der seit der Renaissancezeit immer stärker vordringenden verschiedenen Paartänze. Seine Musik entwickelte sich aus der Werbetanzmusik, zu der bei den verschiedenen ungarischen ethnischen Gruppen sehr viele Arten des Csárdás getanzt wurden. Im paarweise getanzten Csárdás fällt die tätige Rolle nur den Männern zu, und im Viervierteltakt des ungarischen Csárdás wird auf je einen Viertelwert eine Bewegung vollführt. Teils wird der doppelte Grundschritt wiederholt, teils werden in verschiedener Weise Drehungen vollzogen. In Erinnerung an alte Rundtänze nehmen sich manchmal zwei bis vier Paare an den Händen und tanzen im Kreis.

{G-501.} Über die verschiedenen Anlässe zum Tanz ist bereits wiederholt gesprochen worden. Die Tanzspiele der Kinder sind eine eigene Welt, jedenfalls erwachte schon im Kindesalter der Sinn für den Tanz. Kinderbälle wurden veranstaltet, oder die Kinder versuchten ihre ersten Schritte bei Hochzeitsfeiern neben den Erwachsenen. Die Beendigung größerer Arbeiten (Ernte, Drusch, Aufarbeitung des Hanfes usw.) wurde von der Jugend mit Tanz gefeiert. Bei der Beendigung gemeinsamer, in gegenseitiger Hilfe geleisteter Arbeiten (Maisentlieschen, Hacken, Spinnen usw.) war der Tanz ein unentbehrliches, wichtiges Element, ja die Teilnehmer übernahmen die Arbeit in erster Linie, weil sie sich auf den darauffolgenden Tanz freuten. Auch kleinere Zusammenkünfte (Spinnen, Schlachtfest, Federschleißen usw.) wurden selten ohne Tanz beendet, wobei aber nur ein Instrument (Zither, Sackpfeife, Geige, Blockflöte usw.) die Musik lieferte. In anderen Fällen war der Tanz Selbstzweck der Zusammenkunft (wie an Sonntagnachmittagen, Feiertagen usw.), und im Winter gab es sogar Bälle. Zu Taufen wurden nur kleinere Tanzvergnügen veranstaltet, während es im Verlauf einer Hochzeitsfeier verschiedenste Tanzgelegenheiten gab. Aus Aufzeichnungen geht auch hervor, daß sogar auf dem Friedhof getanzt wurde, wie es ja einstmals auch Tänze gab, die für Totenmahle bestimmt waren.

Diese durchaus nicht vollständige Übersicht möge genügen, um anzudeuten, welch große Rolle der Tanz im Leben des ungarischen Volkes gespielt hat.