ALLTAGSLEBEN
Feiertag und Alltag
Den Alltag der Menschen regelten geschriebene und ungeschriebene Gesetze. Im herkömmlichen System des mittelalterlichen ungarischen Rechts gebührte der Vortritt dem ungeschriebenen sog. Gewohnheitsrecht, und erst an zweiter Stelle stand das Gesetz. Zu Beginn der 1500er Jahre legte der beim Landesrichter tätige István Werbõczy das ungarische Gewohnheitsrecht schriftlich nieder. Sein Tripartitum erschien 1517 erstmals im Druck. Neben den landesweit geltenden Rechtsquellen gab es noch Stadt- bzw. Komitatsstatuten. Sie durften nur die Rechtsverhältnisse der jeweiligen Gemeinschaft regeln, innerhalb dieser jedoch nahezu jede nur denkbare Lebenssituation.
Im bedeutendsten ungarländischen Stadtstatut, dem sog. Ofner Stadtrecht, gab es zum Marktrecht ebenso detaillierte Regelungen wie zur Art und Weise der Stadtverwaltung. Auch Bestimmungen über das Begehen der Feiertage enthielt das Stadtrecht: An Sonn- und Feiertagen ruhte die Gerichtsbarkeit, die Läden hatten geschlossen, die Weinschenken durften erst nach dem Hochamt öffnen. Wer an Festtagen Feldarbeit verrichtete, mußte eine Mark Strafe zahlen. Die Ofner Bürger richteten sich in ihrem Stadtrecht nach den Vorschriften der Kirche. An festgesetzten Feiertagen galt es für die Gläubigen, zwei Pflichten nachzukommen, nämlich die Messe zu besuchen und die Hände von jeglicher Dienstarbeit zu lassen.
Über den Kreis der Feste entschieden im allgemeinen die Konzile der Kirchendistrikte. Das Esztergomer Konzil von 1493 und das Veszprémer Konzil von 1515 beraumten insgesamt mehr als 50 Festtage an (dazu kamen noch die Sonntage). Tatsächlich wurden jedoch stets weniger Feste begangen, als von den Konzilen vorgeschrieben waren. Das Weihnachtsfest, Ostern sowie das Fest des Schutzheiligen der Kirche gehörten überall zu den herausragenden Feiertagen. Als bedeutendes Ereignis des Kirchenjahres zählte auch die Prozession am Tage des Herrn, an der meist auch der König mit seinem Hof teilnahm.
Das Verhältnis der Menschen zur vergehenden Zeit war von Unsicherheit und Ungenauigkeit geprägt. Die Jahre versuchte man anhand irgendeines wichtigeren Ereignisses - z.B. Krieg, Thronbesteigung oder Tod des Königs - zu identifizieren, die Tage bezog man auf die einander folgenden Feste. Der im Mittelalter gebräuchliche ungarische Name der Monate ergab sich aus dem Namen des jeweils bedeutendsten Feiertages, der in diesen Monat fiel (Monat des hl. Jakob, Monat des hl. Michael usw.). Auch die Abgabetage für landwirtschaftliche Erzeugnisse oder die Gerichtstermine waren an Kirchenfeste gebunden.
Die Veränderung des Zeitbildes begann mit einer zum exakten Messen der Tageszeit dienenden Erfindung, dem Erscheinen der Uhr. Bevor man Uhren benützte, zeigte nur der Sonnestand an, wie die Zeit vergeht. Zum "Messen" aber dienten die den Tag und die Nacht gleichmäßig in jeweils 12 Stunden einteilenden sog. kanonischen Stunden bzw. Gebetsstunden (deshalb die unterschiedliche Zeitdauer im Sommer und Winter). In Ungarn erschien die Uhr mit Radwerk Ende des 14. Jahrhunderts. Turmuhren schlugen die Zeit Ende des 15.-Anfang des 16. Jahrhunderts in Neusohl, Preßburg, Sopron (Ödenburg), Kaschau, Bartfeld und Hermannstadt, weiters am Dom zu Wardein und Eger (Erlau) sowie am Esztergomer Erzbischofspalast. Und vermutlich - wenn auch in den Quellen nicht erwähnt - stand die Uhr neben der Budaer Maria Magdalenenkirche damals ebenfalls schon.
Tracht
Von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an stehen uns bereits wesentlich mehr Schriftquellen mit Angaben zur Trachtengeschichte oder zeitgenössische Darstellungen als über den früheren Zeitraum zur Verfügung. Sogar einige Originalkleidungsstücke blieben erhalten. Allerdings ist die Identifizierung der in den Quellen erwähnten Sachen bzw. die Verwendbarkeit der Darstellungen in vielen Fällen zweifelhaft. Die Duplizität in den ungarländischen Bekleidungsgewohnheiten - das Nebeneinander von westlicher und östlicher Kleidung - änderte sich zwar, blieb aber auch in diesem Zeitalter noch typisch. Die früher eindeutig orientalische - in erster Linie kumanische - Tracht wurde von einer anderen abgelöst, die insbesondere zeitgenössische ausländische Quellen als ungarische bezeichneten.
Die detailliertesten Beschreibungen entstanden anläßlich der verschiedenen königlichen Feierlichkeiten - Hochzeiten, Friedensschlüsse, Königstreffen. Augenzeugen oder Gesandte fertigten Niederschriften und Berichte über Matthias' Hochzeit im Jahr 1476, über die Königstreffen von Olmütz und Iglau, über den Einzug in Wien und Wienerneustadt oder über die Hochzeit Wladislaws II. mit Anna Candale an. In diesen Niederschriften schilderten sie die prächtige, aus teuren Stoffen genähte, reichverzierte Kleidung, den wertvollen Schmuck, die Waffen des Königs und seiner zahlreichen Begleiter sowie das prunkvolle Geschirr der Pferde in allen Einzelheiten.
Im Dezember 1476 erwartete Matthias seine Braut an der Gemarkungsgrenze von Fehérvár in einem kurzen, perlenbesetzten Rock und einem perlenbestickten Mantel, zu ihrem feierlichen Einzug in Buda trug er einen edelsteinbesetzten Umhang, und beim Hochzeitsmahl bedeckte seine Schultern ein gelber, mit Zobelpelz gefütterter Atlasmantel. Beatrix erschien zur Krönung in Székesfehérvár in einem Kleid nach italienischer Mode aus rotem Goldbrokat. Für ihren Einzug in Buda wählte sie ein blaues Kleid und einen vergoldeten Mantel, und zum Hochzeitsmahl trug sie ein rotes, golddurchwirktes Kleid mit Zobelbesatz. Dem festlichen Anlaß gemäß hatten sich auch die ungarischen Herren gekleidet. Das Gewand Miklós Újlakis beispielsweise war mit Gold, Silber, Perlen und Edelsteinen übersäht.
Wie es von Matthias heißt, legte er auch großen Wert auf die Kleidung seines Hofstaates. In Fehérvár traf er, dem Breslauer Gesandten zufolge, an der Spitze von dreitausend Reitern ein. Seine Edelknaben trugen gelbe, graue, grüne und braune Samtgewänder. Mit sichtlicher Bewunderung schildert der Gesandte aus Ferrara, Cesare Valentini, in seinem Bericht über das Königstreffen von Iglau (1486) die Kleidung und Waffen der ungarischen Herren sowie ihres Gefolges. Ebenso wichtig war Matthias die Bekleidung seiner Soldaten. Deshalb sorgte er nicht nur für ihre Bewaffung und Rüstungen, sondern auch für die entsprechende Anzahl Pelzmützen und Handschuhe.
Männertracht
Besonders wertvoll sind jene Beschreibungen, welche die Unterscheidungsmerkmale der ungarischen von der europäischen Kleidung hervorheben. Wie die Quellen zeigen, hatte sich in Ungarn im 15. Jahrhundert eine Tracht eingebürgert, die in den Augen ausländischer Zeitgenossen spezifische Merkmale trug. Bereits von Pipo von Ozora, dem berühmten Heerführer König Sigismunds, wurde aufgezeichnet, daß er sich trotz seiner italienischen Abstammung nach ungarischem Geschmack kleidete: Er trug einen langen Bart, schulterlanges Haar, und sein Gewand reichte "dem Brauch jenes Volkes gemäß" bis zur Erde. Auch der Budaer Gesandte des Herzogs von Mailand empfahl diesem, seine Abgesandten mögen lange Gewänder tragen, da man die nach italienisch-burgundischer Mode geschnittenen kurzen Röcke an Matthias' Hofe nicht gern sähe.
Die ungarische Männertracht des 15. Jahrhunderts bestand aus einem Hemd und einer Hose, dem darüber getragenen Dolman (Rock), über den man noch einen Umhang oder Mantel legte. Bei festlichen Anlässen diente als Oberkleid das aus teuren Stoffen gefertigte lange Gewand, das auch Pipo von Ozora bevorzugte. Noch prägnanter wurde diese Kleidung durch die ungarische Haartracht und die Mütze. Die Hose war im allgemeinen einfach - höchstens ihre Farbe mag auffällig gewesen sein - und größtenteils vom Dolman verdeckt. Nach Beschreibungen des Esztergomer Erzbischofs Hippolit d'Este und des Bischofs von Eger war das ungarische Hemd lang, am Halsausschnitt gefaltet, und der Halsausschnitt, der Hemdlatz sowie die Enden der Ärmel wurden - laut Zeugnis der Schriftquellen bzw. Abbildungen - bestickt.
Den über dem Hemd getragenen Dolman schneiderte man für Vornehme häufig aus Seide oder Samt und besetzte ihn mit Pelz. Doch in weniger anspruchsvoller Ausführung wurde er von allen Schichten der Gesellschaft getragen. Im allgemeinen reichte er bis zum Knie. Wie allerdings aus den Aufzeichnungen Cesare Valentinis hervorgeht, zogen die ungarischen Herren zum Reiten ein kurzes Oberkleid, d.h. einen Dolman, an. Über den Mantel berichten nur wenige, über den Umhang dafür umso mehr zeitgenössische Quellen. Auch König Matthias trug an einem Tag der zu seiner Hochzeit veranstalteten Feierlichkeiten einen prächtigen Mantel um die Schultern.
Das universellste ungarische Kleidungsstück aber war der in den Quellen auch "Turca" genannte Umhang. Ihn trug vom König bis zum Hirten jeder Ungar. Unterschiede gab es lediglich im Hinblick auf sein Material oder seine Verarbeitung. Die ungarische Ausführung war ein am Hals geschlossener, pelzgefütterter, langer, umhangartiger Überwurf vorn mit Knöpfen. König und Adlige ließen ihn aus Brokat oder Seide schneidern und mit Hermelin oder Zobel füttern. Die königlichen Kammerherren trugen Umhänge aus Marder-, die Türsteher aus Schaffellen, und sogar der Ochsenhirte des Esztergomer Erzbischofs bekam - wie das Rechnungsbuch von Hippolit d'Este belegt - einen Schaffellumhang.
Zur Kleidung gehörten weiters die verschiedensten Mützen, Hauben oder Hüte, die ihren typisch ungarischen Charakter durch den bestickten oder Pelzrand sowie den perlen- und edelsteinbesetzten Federbusch und die dazugehörigen Federn erlangten. Auch die ungarische Haartracht wich von der europäischen ab. Wie schon im Zusammenhang mit Pipo von Ozora erwähnt, entsprachen in Ungarn langes Haar und lange Bärte dem Geschmack. Mózes Buzlai, der Gesandte König Matthias', erregte 1489 in Mailand mit seinen langen, perlengeschmückten Haarflechten großes Aufsehen. Die später gleichfalls als Eigenheit der ungarischen Tracht zählenden Stiefel tauchten auf türkischen Einfluß erstmals im 15. Jahrhundert auf.
Die Kriegstracht der schweren Reiterei bestand von der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts an aus einer den ganzen Körper bedeckenden Blechrüstung und der dazu gehörigen Bewaffnung. In solch einer Rüstung wurden der Palatin Imre Szapolyai und sein jüngerer Bruder István auf ihren Grabsteinen in Csütörtökhely dargestellt, ebenso wie Tamás Tarcai, einer der berühmtesten Feldherren unter König Matthias. Ganz anders sah die Kriegsbekleidung der leichten Reiterei aus. Auf türkischen Einfluß hatte sich bis zur Wende 15./16. Jahrhundert die ungarische Husarenkleidung eingebürgert, deren Charakteristika das lange Gewand, der Hut mit Straußenfeder und die türkischen Stiefel waren. Die früheste bekannte Darstellung eines ungarischen Husaren blieb auf einem um 1500 hergestellten Säbel erhalten. Aber auch auf den das Leben Kaiser Maximilians darstellenden Weisskunig-Stichen kann man Husaren sehen.
Die wichtigsten Waffen der schweren Reiterei waren Lanze und Schwert, ergänzt eventuell von einem Dolch oder Streitkolben. Die Kriegslanze hatte eine Länge von ungefähr vier Metern und wurde beim Angriff in den am Brustpanzer befindlichen Rüsthaken gehängt. Eine große Tartsche, die gleichzeitig den sichereren Halt der Lanze gewährleistete, schützte die Hand des Ritters. Die Schwerter wurden im 15. Jahrhundert notwendigerweise länger, um gegen Blechpanzer effektivere Angriffe führen zu können. Am verbreitetsten waren die schweren, zweischneidigen Ritterschwerter mit mehr als einem Meter Länge. In Ungarn verwendete man einen speziellen Typ des Streitkolbens, den sog. Federstreitkolben, und Schriftquellen zufolge war auch der ungarische Dolch charakteristisch.
Zur Bewaffnung der leichten Reiterei gehörten im 15. Jahrhundert das Schwert oder der Säbel, der Spieß und der Bogen, aber auch der Streitkolben oder die Streitaxt. Der meistverwendete Säbeltyp war der nach türkischem Muster gefertigte Husarensäbel mit leicht gekrümmter, einschneidiger Klinge und einem geraden, breiten Griff. Der ungarische Säbel mit gekrümmtem Griff bildete sich bis zum 16. Jahrhundert heraus und wurde danach die am häufigsten benützte Waffe. Als Schutzwaffe dienten sowohl der schweren wie auch der leichten Reiterei Schilde. Den Schild stellte man im allgemeinen aus Holz her und überzog ihn mit Leder oder Leinen. Oft verwendeten die Husaren aber auch kleine, runde, aus Schilf geflochtene Schilde.
Frauentracht, Schmuck
Die Kleidung der Frauen hat sich im Laufe des 15. Jahrhunderts kaum verändert. Sie bestand aus zwei Teilen: dem als Unterkleid getragenen Hemd und einem einteiligen Oberkleid, das man Schaube oder Rock nannte. Der breite Halsausschnitt des Kleides ließ die Hemdschulter sehen, die man mit Stickerei und Perlenbordüren verzierte. Bürgerfrauen trugen jedoch meist ein am Hals geschlossenes Kleid. Das Haar bedeckte man mit einem Schleier oder einer Haube, nur Mädchen durften mit unbedecktem Kopf gehen. Gegen die Kälte schützten sie sich im allgemeinen mit einem Mantel. Wie aus Quellen hervorgeht, gab es aber auch Frauenumhänge.
Über die Kleidung der drei Königinnen - Beatrix, Anna Canadale und Maria von Habsburg - wissen wir recht viel. Von der Garderobe der beiden Erstgenannten berichten lediglich Schriftquellen. Dagegen gehört eines der Prunkgewänder von Maria, der Gattin Ludwigs II., zu den wohlgehüteten Schätzen des Ungarischen Nationalmuseums. Als Hochzeitsgewand hatte Maria ein grünes Siedendamastkleid mit hoch angesetzter Taille und tiefem, trapezförmigem Ausschnitt und darunter ein weißes, am Hals und an den Ärmeln mit Silberfäden besticktes Leinenhemd getragen. Der Kleiderstoff war ein Erzeugnis der italienischen Renaissance-Webkunst, der Schnitt entsprach dem - sich damals verbreitenden - deutschen Renaissance-Geschmack vom Anfang des 16. Jahrhunderts.
Die Königinnen trafen natürlich mit einer ihrer Herkunft gemäßen, nach italienischer, französischer oder deutscher Mode geschneiderten Garderobe in Ungarn ein. Doch gab es im 15. Jahrhundert auch schon eine - schwer zu rekonstruierende - Frauentracht ungarischen Geschmacks. Im Jahr 1457 sandte Ladislaus V. seiner französischen Braut, Prinzessin Magdalene, ein ungarisches Kleid als Geschenk. Ebenso beschenkte Matthias Beatrix und später die Braut seines Sohnes, Bianca Maria Sforza, mit einem ungarischen Kleid. Ausgesprochen ungarische Elemente der Frauentracht waren auf jeden Fall der pelzgefütterte Frauenumhang sowie der wundervolle Kopfschmuck. Einen solchen erhielt Beatrix ebenfalls von Matthias.
Ergänzt wurde sowohl die Frauen- als auch die Männertracht durch prächtigen Schmuck. Von Matthias' und Beatrix' Schmuckgegenständen gibt es zwar ausführliche Beschreibungen, doch nicht eines der Stücke blieb nachweislich erhalten. Bei Cesare Valentini ist der mit Rubinen und Perlen besetzten Federbusch Matthias' erwähnt. Seine Kleider schmückten Edelsteingehänge sowie Halsketten aus Edelsteinen und Perlen. Beatrix traf 1499 Verfügung hinsichtlich ihrer mit Rubinen und Perlen besetzten Brosche sowie ihrer Halskette aus Diamanten und Smaragden. Auch zahlreiche Barone besaßen wertvollen Schmuck. Der bosnische König Miklós Újlaki beispielsweise trug zu Matthias' Hochzeit an einer Goldkette einen Anhänger, in welchem ein riesiger Saphir und 300 kleinere Diamanten eingefaßt waren.
Um Schmuckgegenstände ging es in zahlreichen Testamenten. Mózes Buzlai, dessen perlengeschmückte Haartracht in Italien so großes Aufsehen erregt hatte, verfügte in seinem Testament unter anderem über eine wertvolle Goldkette, Edelsteine und Fingerringe. Übrigens lagen die Güter Buzlais im Komitat Tolna, und als interessante Parallele zu dem in seinem Testament aufgezählten Schmuck bietet sich ein Schatzfund aus dem Komitat Tolna an. Die hier zum Vorschein gelangten silbervergoldeten Prunkgefäße und Schmuckgegenstände wurden im 16. Jahrhundert vor den Türken versteckt. Ihr Besitzer mag ein wohlhabender Kaufherr der Gegend gewesen sein. Der silbervergoldete Renaissance-Schmuck waren Gürtel- und Kleiderschnallen, ein Anhänger mit Granatapfelverzierung und das Fragment einer Kette.
Wohnungseinrichtung
Im Laufe des 15. Jahrhunderts vollzogen sich in den ungarischen Heimen bedeutende Veränderungen: Die Zahl der Möbel wuchs, neue, bis dahin nicht verwendete Möbel erschienen, die ein früher unbekanntes, hohes technisches Niveau auszeichnete. Neben den früher - und auch weiterhin - gefertigten, grob gezimmerten Möbeln begann man damals mit der Herstellung von Tischlermöbeln. In Buda waren schon zu Beginn des 15. Jahrhunderts Tischler tätig, und bis zum Ende des Jahrhunderts wurden in allen beutenden Städten Tischlerzünfte gegründet. In Kaschau z.B. schlossen sich 1459 die Stellmacher und Drechsler zu einer Innung zusammen.
Als wichtigstes Möbelstück zählte noch immer die zur Aufbewahrung verschiedenster Dinge - Gebrauchsgegenstände, Textilien, Früchte - verwendete Truhe. Daneben diente sie auch als Sitzmöbel. Frau Kottaner erinnerte sich, daß man auf den Deckel der zur Verwahrung der Krone angefertigten Truhe Samtkissen legte - vermutlich, um bequemer darauf sitzen zu können. Anfang des 15. Jahrhunderts begannen sich in Ungarn die deutschen Einfluß widerspiegelnden, gezimmerten Truhen in Form eines Häuschens zu verbreiten, die sich nicht mehr zum Sitzen eigneten. Eines der schönsten Stücke dieser Art wurde in Rosslen, in der Umgebung von Hermannstadt, gefunden, dessen besonderen Wert seine gemalten figuralen Verzierungen ausmachen.
In der zweiten Hälfte des Jahrhunderts entstand aus der auf die kürzere Seite gestellten Truhe, bzw. durch das Übereinandersetzen von zwei Truhen, ein neues Möbelstück: der Schrank. Auf einer der Altartafeln in Jánosrét sind die beiden Möbelstücke nebeneinander zu sehen; beide stehen auf einem gewölbten Sockel. Gut zeigt die Entwicklung der Möbelherstellung ein in den 1480er Jahren für die Bartfelder St. Ägidiuskirche gefertigter Bücherschrank, der an seinem ursprünglichen Bestimmungsort vermutlich in die Wand eingelassen war. Solche Wandschränke, bei denen nur die Tür des Schränkchens und der Rahmen um die Nische aus Holz bestanden, stellte man damals übrigens vielerorts her.
Der früher jeweils nach Erfordernis aus Platten und Böcken zusammengestellte und wieder auseinandernehmbare Tisch wurde in diesem Zeitalter zu einem ständigen Möbelstück. Zahlreiche Tischdarstellungen des 15. Jahrhunderts belegen das. Auf Tafelbildern sieht man im allgemeinen mit Tischtüchern verdeckte Tische runder oder eckiger Form. Die frühesten gotischen Tische Ungarns blieben aus der Zeit Ende 15.-Anfang 16. Jahrhundert erhalten: Tische in Form einer Kinderwiege, in deren unterem Teil etwas aufbewahrt werden konnte, oder Tische mit großem Schubfach. Ähnlich dauerhaft bürgerte sich etwa zur selben Zeit die Kopf- und Fußstütze bei Betten ein, und von der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ist über dem Kopfteil der Betten immer häufiger einen Baldachin zu beobachten.
Sitzmöbel gab es, wie die Tafelbilder bekunden, in mannigfaltiger Form. Am einfachsten war die Holzbank mit gespreizten Beinen, auf der mehrere Personen gleichzeitig sitzen konnten. Aber auch dreibeinige Stühle mit rundem Sitz oder vierbeinige mit eckigem Sitz wurden hergestellt. Außerdem kannte man gezimmerte Stühle mit geflochtenem Sitz und mit oder ohne Rückenlehne, sowie die vermutlich nur für wohlhabendere Besteller gefertigten Lehnstühle. Den Lehnstuhl gab es in der Ausführung mit hoher, rechteckiger Lehne oder als sog. "Scherenstuhl" (der im allgemeinen zusamenklappbar war). Von der Mitte des 15. Jahrhunderts an kam als neues Möbelstück der Kircheneinrichtung das Stallum hinzu.
Über das Mobiliar der königlichen Paläste wissen wir recht wenig. Von Matthias' Budaer Bibliothek dagegen und dem Mobiliar seiner weithin berühmten Festgelage gibt es relativ ausführliche Beschreibungen. In der Bibliothek standen ein Sofa, auf dem goldgemusterte Decken lagen, und dreibeinige Stühle. Die Bücher waren in einem Intarsienschrank bzw. in dreireihig angeordneten Bücherregalen untergebracht. Das Hochzeitmahl für Matthias und Beatrix fand im Budaer Friss-Palast statt, wo man für das Königspaar an einem runden Tisch und für die geladenen Gäste an etwa zehn Meter langen Tafeln gedeckt hatte. Das Tafelgeschirr - annähernd eintausend prächtige Gold- und Silbergefäße - wurde in einem großen und acht kleineren sog. Becherstühlen zur Schau gestellt. Den Becherstuhl des Königs bewachten zwei große silberne Einhörner.
Was den Tischschmuck an Matthias' Tafeln betrifft, äußerten sich Augenzeugen besonders anerkennend über die verschiedenen Gefäße in Tierform, ein prachtvolles Silberschiff, die Gefäße des Königspaares aus reinem Gold oder eine von Löwen getragene Salzbüchse, die Matthias gehörte. Von dieser großen Zahl an Kleinodien blieben jedoch nicht mehr als einige Silberpokale erhalten, die wertvollsten Stücke sind lediglich aus Beschreibungen bekannt. Einige Fayencestücke vom Tafelgeschirr des Königspaares haben die Zeiten aber dennoch überdauert, ebenso wie zwei Gläser eines Services, in denen man Matthias einst Getränke servierte.
Wertvolles Tafelgeschirr nannte aber nicht nur der Herrscher sein Eigen. Mózes Buzlai traf in seinem Testament Verfügungen über eine Vielzahl Kannen, Schüsseln und Teller. Er besaß auch mehr als einhundert Löffel, die Anfang des 15. Jahrhunderts noch als Rarität galten. Und die Ende des Jahrhunderts als Neuheit auftauchenden Gabeln waren in seinem Nachlaß mit 16 Stück vertreten. Wertvoll mag auch die Salzbüchse aus Korallen gewesen sein, die er vermutlich von einer seiner Auslandsreisen mitgebracht hatte. In Kölesd kamen im vergangenen Jahrhundert die Schätze des Ambrus Sárkány, einer bekannten Persönlichkeit der Jagiellonenzeit, ans Licht. Heute sind von dem silbervergoldeten Fundkomplex noch sechs Stücke bekannt: ein Deckelpokal, eine Trinkschale und sechs Becher.
