TANZGESCHICHTE
Frühe Renaissancetänze in Europa
Mit ein wenig Übertreibung könnte man sagen, daß die Renaissance das tänzerischste Zeitalter in der europäischen Geschichte war. Die Adligen, Bürger und Bauern tanzten mit Feuer, auch Könige, Fürsten und Magnaten schonten ihre Beine nicht, und selbst Päpste und Bischöfe frönten gern dieser Leidenschaft. Der Tanz wurde zu einem der Hauptsymbole für die unwiderstehliche Aktivität und den Körperkult der Renaissance. Leider blieb unter den Denkmälern der antiken Kulturen allzu wenig über diesen leichtflüchtigen Zweig der Kunst erhalten, als daß er der Nährboden für die antikisierende, wiederbelebende Leidenschaft des Menschen der Renaissance bzw. Befruchter der "ars nova" hätte sein können. Diese Rolle erfüllten die Bauerntänze. Und so hat auch der Tanz, gemeinsam mit der Literatur, der Musik und anderen Zweigen der Kunst, zur Entwicklung des Kultes um die national geprägten Kulturen beigetragen.
Die an den feudalen Rahmen rüttelnde städtische Bürgerschaft, welche sich die Herausbildung einer Reichtum und Macht angemessen vertretenden, autonomen Kultur zum Ziel setzte, wollte auch auf dem Gebiet des Tanzes etwas eigenständiges schaffen. Demgemäß strebten die reichen Bürger nach einer Umgestaltung der langsam anachronistische Züge annehmenden Tanz-, Musik- und Spielgattungen der Ritterkultur bzw. einer Anpassung der Bauerntänze, damit diese ihrer zweckmäßigen Lebensauffassung entsprachen. Auf diesem Weg vollzog sich in Europa die endgültige Trennung der adligen, bürgerlichen und bäuerlichen Tanzkultur. Ihren Ausgang nahmen diese Veränderungen in Nord- und Mittelitalien bzw. im zeitgenössischen Frankreich in Burgund.
Tanzmeister
Zur Herausbildung und Verbreitung der neuen Tanzkultur benötigte man schon geschulte Fachleute - Tanzmeister. Der erste Tanzmeister, über dessen Arbeit auch Schriftdenkmäler berichten, war der Italiener Domenico de Ferrara. Er zog nicht mehr als Wanderunterhalter umher, sondern war ein Meister mit humanistischer Bildung, der neben Tanz auch Fechten und Reiten unterrichtete und der sich darüber hinaus auf das Organisieren festlicher Zerstreuungen verstand. Die meiste Zeit verbrachte er am Hof der Familie Este in Ferrara. Seine berühmtesten Schüler, Guglielmo Ebreo da Pesaro und Antonio Cornazano, waren die namhaftesten italienischen Tanzmeister der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Als Schüler hatte sich ihm auch der Herrscher von Florenz, Lorenzo di Medici il Magnifico (1449-1492), angeschlossen, der - selbst ein Dichter - seinen Hof zu einem Treffpunkt berühmter Wissenschaftler und Künstler machte. Der mystischen Sichtweise der neoplatonischen Anschauung des Zeitalters entsprechend lehrte Meister Domenico seine Schüler die Achtung vor dem "Maß" und weihte sie in die Geheimnisse der Tanzkunst ein.
Nach zeitgenössischer Auffassung spiegelt sich in der Harmonie von Natur, Universum und gut regiertem Staat eine Art mystischer Tanz wider, dessen organischen Bestandteil auch der als göttliches Wesen verehrte Mensch bildet. Die Geheimnisse (misteri) des harmonischen Tanzes sind: Einhaltung von Rhythmus und Tempo (misura), Zusammenpassen der Körperbewegungen (maniera), Einhaltung der richtigen Reihenfolge der Bewegungen (memoria), entsprechende Ausnutzung des Raumes (partire del terreno), die seelischen Anlagen, das Feingefühl, die Grazie (aere), sowie die körperlichen Anlagen, die Lebenskraft und die Gesundheit (movimento corporeo). Die von Domenico und seinen Schülern im Laufe des 15. Jahrhundert herausgegebenen Schriften kann man als Grunddokumente der einheitlichen europäischen Tanzkunst betrachten.
Hoftänze
Aus den Büchern der Tanzmeister der Frührenaissance und den zeitgenössischen Dokumenten der Tanzgeschichte haben wir nicht nur eine Ahnung, sondern wissen in vielen Fällen sogar ziemlich genau, was und wie die Menschen an den italienischen (Mailand, Florenz, Urbino, Ferrara) und burgundischen Höfen sowie an den mit diesen engere oder lockerere Kontakte pflegenden europäischen Höfen tanzten. Demnach existierten im 15. Jahrhundert zwei Untertypen der italienischen und französischen Tänze: Bassadanza, Basse danse (schreitender Paar- oder Dreiertanz) und Ballo, Balletto (aus mehreren Teilen bestehende Tanzkomposition). Das Wort basse bedeutet "tief", was darauf hindeutet, daß es ein langsamer, würdevoller Tanz war. Diese Bewegungsart hing mit der Kleidermode (lange Gewänder aus schweren Stoffen, Schuhe mit langen Schnabelspitzen, schwere Kopfbedeckungen) sowie dem dieser entsprechenden gezierten Betragen zusammen.
Der Ballo bzw. Balletto war für drei, vier, sechs oder eventuell mehr Tänzer komponiert, die Komposition bestand aus vier Sätzen (misura) mit vonaneinder abweichendem Rhythmus, Tempo und Charakter. In Italien hießen diese Sätze meist Bassadanza, Quadernaria, Saltarello und Píva. Bassadanza und Saltarello tanzte man unpaarig, Quadernaria und Píva im Paarrhythmus, und innerhalb dessen war Saltarello zweimal so schnell zu tanzen wie Bassadanza, während der Píva das doppelte Tempo des Quadernalia hatte. Die musikalische Begleitung dieser Sätze war häufig eine identische Melodie, welche von den Musikern im Laufe des Vortrages ihrem typischen Rhythmus und Tempo entsprechend variiert wurde, wobei es hier noch keine strenge Trennung von vortragendem Tänzer und Publikum gab. Ungeachtet der ähnlichen Tanznahmen bestanden zwischen dem italienischen und französischen Stil bedeutende Unterschiede, die die Tänzer kennen mußten.
Was aus den Tanzbüchern der Frührenaissance fehlt
Von den als berühmte Renaissancetänze bekannt gewordenen Tänzen (z.B. Pavane, Guilliard, Passamezzo, Courante, Volta) fand sich damals in den zeitgenössischen französischen und italienischen Tanzsammlungen noch keine Spur. Sie tauchen erst ein oder zwei Jahrzehnte später, in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts, auf und erobern dann das Tanzleben. Weiters fehlen in diesen Sammlungen die als allgemein bekannt geltenden und von jedermann für selbstverständlich gehaltenen einfachen Rundtänze (Branle). Diese Tänze gehen schon auf eine ältere Tradition zurück, werden aber bei den Tanzvergnügen an Adelshöfen oder im Kreis der Bürgerschaft noch ein bis zwei Jahrhunderte gern getanzt. Auch von den Trionfo genannten Maskeraden, die man zu Festen der Kirchenfürsten und weltlichen Herren, anläßlich von Gesandten- und Fürstenbesuchen, bei Hochzeiten, in den "dreizehn Tagen" zwischen Weihnachten und Epiphani, zu Kirchweihen und zum Karneval veranstaltet, ist keine genaue Beschreibung überliefert.
Sehr beliebt waren bei solchen Anlässen die vom Triumph der Liebe, der Wahrheit und des Todes handelnden Schaustücke: der Trionfo der drei Blinden, aus der heidnischen und christlichen Mythologie bzw. der römischen Geschichte entlehnte allegorische Szenen, nach englischer, spanischer, flämischer, ja sogar ungarischer Art getanze Maskeraden (moresca). Den Festausschüssen (festaiulo), die diese Maskenumzüge organisierten, gehörten Dichter, Musiker und Maler ebenso wie Tänzer, Schauspieler und Sänger an. Es ist bekannt, daß auch Boticelli, Leonardo oder Dürer, die großen Maler der Epoche, gelegentlich gern bereit waren, die Masken, Kostüme und Requisiten dafür zu entwerfen. Diese weltlichen, tänzerisch-sängerisch-dramatischen Vergnügungen boten mehr Möglichkeiten, die Lebensfreude auszudrücken, als die paradiesisches Glück verheißenden mittelalterlichen Mysterienspiele.
Terpsychore sucht Unterkunft in Ungarn
Das Tanzleben Ungarns war im Zeitalter der Frührenaissance ähnlich bewegt wie das westeuropäische. Doch die bislang erschlossenen Quellen künden noch immer nur von der Tatsache des Tanzens, fallweise vom Namen der Tänze. Den italienischen gleichende Tanzbücher mit detaillierten Aufzeichnungen über die in Ungarn gängigen Tänze und deren Musik wurden uns leider nicht überliefert. Ungewiß ist auch, ob die italienischen und französischen Handschriften mit Tanzsammlungen im zeitgenössischen Ungarn bekannt gewesen sind. Von einer Brüssler Handschrift genannten Sammlung aus der Zeit um 1460 kann nur angenommen werden, daß sie sich unter anderem im Besitz von Königin Maria (Gemahlin Ludwigs II.) befand, bevor sie Eigentum Margaretes von Österreich wurde. Mangels verläßlicher Quellen müssen wir uns also mit den wortkargen Hinweisen in zeitgenössischen Chroniken, historischen Werken, Gesandtenberichten bzw. Tagebüchern und mit den nur selten auftauchenden Tanzdarstellungen begnügen.
Diese Quellen erwähnen als gängige Tänze in Ungarn den "italienischen Tanz" (wällischen Tanz, höfischen welschen Tanz), den "Zeuner" (Zauntanz) gennanten Kettentanz, den feurigen "deutschen Tanz" (Germanica Pyrrichia), den Maskentanz (Mummerei), den in Holzschuhen getanzten Steckentanz (Tanz mit Stecken), den einfachen Rundtanz, den drehenden Paartanz (Kehrab), Kriegstänze (Militarem Pyrrhychiam, Martiales Choreas), den Schwerttanz und den Heiduckentanz. Darstellungen des Paartanzes kann man auf schönen Ofenkacheln aus der Budaer Werkstatt König Matthias' sowie auf einem ins 15. Jahrhundert datierten bronzenen Truhenbeschlag sehen. Daneben gibt es mehrere Beispiele, daß die zu dieser Zeit Dudelsack spielenden Hofunterhalter mit heftigen Bewegungen dargestellt sind, was - nach der Spielweise der Dudelsackpfeifer zu urteilen - ebenfalls auf tänzerische Bewegungen schließen läßt. Verschiedene europäische Quellen erwähnen die eigenartige Tanzweise der Ungarn, die in der Spätrenaissance zur europäischen Mode wird.
Tänze an König Matthias' Hof
Die meisten Denkmäler über zeitgenössische Hoftänze blieben von dem weithin berühmten Renaissancehof König Matthias' erhalten. Zu verdanken ist dies Antonio Bonfini, Matthias' Hofchronisten, der ein Liebhaber des Tanzes und typischer Vertreter des Zeitalters der Renaissance war. In seiner Chronik verweilte er mit sichtlichem Vergnügen bei der Beschreibung der die Feste am Hof begleitenden Tanz- und Musikeinlagen. Von ihm wissen wir, daß das Budaer Volk zu tanzen anhub, als man Matthias zum König wählte. Auch er selbst tanzte gern. 1470 bespielsweise, anläßlich seines Besuchs bei Kaiser Friedrich, glänzte er im Ritterturnier ebenso wie bei den ungarischen Tänzen. Matthias wollte auch während seiner Kriegszüge nicht auf Zerstreuung verzichten. So lud er zur Zeit der Belagerung Breslaus im Jahr 1474 die Vornehmen der Stadt und Gäste aus den Reihen der böhmisch-polnischen Belagerer zu einem Tanzvergnügen ein. Die Hochzeit von Beatrix und Matthias wurde mit großem Pomp begangen. Wie der humanistische Literat Hans Seybolt als Abgesandter des bayerischen Herzogs Georg berichtet, schwangen Beatrix und ihr Bruder, der Herzog von Neapel, zu den Klängen eines Zäuners das Tanzbein.
Auf einem von Matthias mit allem Pomp der Renaissance gegebenen Fest in Olmütz tanzte Beatrix, laut Bericht des pfälzischen Gesandten, mit Wladislaw, dem Sohn des polnischen Königs Kasimir III., eine feurige Germanica Pyrrichia. Bonfini zufolge bestürmten die Ungarn den König Tag für Tag, daß er die zu besseren Zwecken ausgehobenen Steuern für unnütze Dinge ausgebe, vom einfachen Lebensstil der alten Könige abweiche, durch Ablegen der strengen ungarischen Sitten die alten Traditionen abschaffe und stattdessen lateinische, ja spanische Vergnügungen und verweichlichte Gebräuche einführe. Dafür machten sie in erster Linie Beatrix verantwortlich: "...Königin Beatrix war es, die König Matthias auf die italienischen Sachen gebracht [...] ließ sie Spottfiguren, Tänzer und allerlei Pfeifer, Lautenspieler, Fiedler holen: denn diese bereiteten Königin Beatrix eine große Lust und Wonne" (sinngemäß). Die italischen Beziehungen Beatrix' (hauptsächlich zum Hof in Ferrara) sind wohlbekannt, weswegen man den Beschwerden Glauben schenken und annehmen darf, daß durch sie auch die in der Sammlung von Domenico de Ferrara enthaltenen Tänze nach Ungarn gelangt sein dürften.
Die Tanzleidenschaft Ludwigs II. und die Moresca
König Wladislaw II. und König Ludwig II. bemühten sich nach Matthias' Tod vergeblich, dessen luxoriöse Renaissancehofhaltung weiterzuführen. Ludwig II. und Königin Maria beispielsweise tanzten leidenschaftlich gern. Doch diese Tanzlust belastete die ansich schon geleerte Staatskasse dermaßen, daß man in ganz Europa darauf aufmerksam wurde. Beide waren seit ihrer Kindheit an glanzvolle Feste und Lustbarkeiten bei Hofe gewöhnt und wollten diese auch später nicht missen. Markgraf Georg von Brandenburg, der Vetter und Erzieher König Ludwigs II., schrieb in einem aus dem Jahr 1519 erhalten gebliebenen Brief an den brandenburgischen Kanzler, daß er am Hof des übrigens schrecklich armen Königs Ludwig prächtig Fasching gefeiert, sich verkleidet und getanzt habe, und auch der König habe in Gesellschaft der Herren vergnügt das Tanzbein geschwungen. "Ich erschien zusammen mit achtzehn anderen in Verkleidung (Mummerej), in einem kurzen Obergewand und roten, spitzen Schuhen, wie sie einst die Altvorderen getragen, dann folgte ein alter Mann in Holzschuhen und tanzte zwei eigentümliche Tänze mit Stecken."
Der Waffen- und Masken-Faschingstanz, welchen Herzog Sigismund (der jüngere Bruder des Jagiellonenkönigs Wladislaw) in seinem Budaer Haushaltsbuch aufgezeichnet hat, mag hier ebenfalls erwähnt sein. Demnach hatten ihm Budaer Schüler am 21. Februar 1501, zur Nachfaschingszeit, in seiner Wohnung einen Schwerttanz vorgetragen. Am gleichen Tag waren maskierte Narren zu Pferd bei ihm erschienen, die ebenfalls den Schwerttanz zum besten gaben und dafür belohnt wurden. Diese Schwerttänze, die im selben Zeitraum für Kaiser Maximilian angefertigten Stiche von ungarischen Tänzern mit Masken und Waffen oder die ungarische Figur, die man unter den Moriskentänzern im Münchner Rathaus sehen kann, deuten darauf, daß die damals in ganz Europa populäre "Moresca" auch in Ungarn zur Mode gehörte. Wahrscheinlich wäre die Liebe zum Pomp und die Tanzleidenschaft unserer Könige Anfang des 16. Jahrhunderts weniger auffällig gewesen, und vielleicht hätte auch Ludwig II. nicht den Beinamen "bester Tanzkönig" verdient, wenn hinter dem Pomp entsprechender Reichtum gestanden und sich all das nicht im Schatten der drohenden türkischen Gefahr abgespielt hätte.
Tanz in der Dichtung
Unter den Werken der sich in diesem Zeitalter langsam entfaltenden ungarischsprachigen Literatur und Dichtung kann man voller Freude bereits Zeilen entdecken, die den Tanz thematisieren. Das erste, aus dem Jahr 1505 stammende sog. Kremnitzer Tanzwort ist für die Sprach- und Literaturwissenschaft sowie für die Tanzwissenschaft gleichermaßen evident. Das zweite, eine von Ferenc Apáti 1526(?) verfaßte Cantilena in satirischer Tonart, handelt von Mädchen, deren Sanftmut sich beim Tanzen als vorgetäuscht erweist. Im 7. Teil des unter dem Namen Sándor-Kodex bekannt gewordenen Buches der Exempel schließlich, das 1521 von den Dominikanernonnen des Klosters auf der Margareteninsel aufgeschrieben wurde, ist in wunderbaren Worten der Tanz der Heiligen im Himmel beschrieben.
Kriegstänze, Soldatentänze, das erste Denkmal des Heiduckentanzes
Die Mode der Kriegstänze dauerte auch im Laufe des 15.-16. Jahrhunderts fort und erhielt durch den unmittelbaren Kampf gegen die Türken sogar neuen Anstoß. Drei Beispiele seien hier erwähnt, die als spezifisch und in der mittleren und westlichen Hälfte Europas zudem als außergewöhnliche Fälle gelten: Der erste Fall ereignete sich 1456 bei der Belagerung Belgrads. Aus Notizen des Johannes von Kapistrano begleitenden italienischen Franziskanerbruders Giovanni da Tagliacozzo wissen wir, daß die Verteidiger der Burg auf Befehl Kapistranos vor den Augen der Türken ein Spektakel veranstalteten: "Manche sangen, begleitet vom Blasen der Hörner, andere johlten, wieder andere huben zu tanzen an oder schrieen und hüpften mit gen Himmel gestreckten Armen [...] um auch damit die Überheblichkeit der Türken zu brechen, ihren Mut zu dämpfen und sie zu verängstigen..." Der andere Fall trug sich 1479 anläßlich der Siegesfeier nach der gewonnenen Schlacht von Kenyérmezõ zu, und wird von Antonio Bonfini, dem Augenzeugen darüber berichteten, ausführlich beschrieben: "Beim Festmahl erklangen die Heldenlieder (militari cantu), in rasch improvisierten Melodien besang man den Ruhm der Führer und Hauptleute."
"Und als der Wein die Gemüter erhitzt hatte, schritt man zum Heldentanz (Militarem pyrrhychiam). Der Soldatentanz (Martiales choreas) wurde mit Waffen getanzt, so daß der Lärm weithin erschallte. Die ausgelassene Stimmung erreichte ihren Höhepunkt und alle Soldaten brachten ihre Gefährten durch komische Bewegungen ihrer Körper und Gliedmaßen zum Lachen. Auch Kinizsi rief man zum Tanz. Er stellte sich in die Mitte des Kreises, packte den Leichnam eines Türken, aber nur mit seinen Zähnen, ohne ihn mit einer Hand zu berühren, und begann dann, rhythmisch im Kreis herum zu hüpfen. Beim Anblick des Herkulestanzes (Choream se et Herculeo) war ihr Staunen noch größer als ihr Lachen. Die Lustbarkeiten gingen weiter, in dieser Nacht tat niemand eine Auge zu." Das dritte Beispiel betrifft die Hinrichtung von György Dózsa. Mehrere zeitgenössische Quellen haben diesen mit besonderer Grausamkeit vorgenommenen Akt geschildert. Antal Verancsics schrieb in seinen Reminiszensen: "Man entkleidete György Szekely bis zum Gürtel, dann fesselte man ihn an einen Stuhl, an einen Baum. Seine Kämpen ließ man dazu den Werbetanz (alias Heiduckentanz) aufführen, wobei sie György Székely umkreisten und nach seinem Körper schnappten" (sinngemäß).
Bauerntänze - gemeinsame "ungarische" Züge
Mit der Manifestierung des feudalen Gewohnheitsrechts - in Ungarn formulierte Werbõczy es in seinem Tripartitum (1514) - vollzog sich in ganz Europa die politische Absonderung des Bauerntums, was gleichzeitig zur langsamen aber endgültigen Differenzierung von adliger und bäuerlicher Kultur führte. Im Kreis der Bevölkerung, die im Laufe des Mittelalters desöfteren strukturellen Veränderung unterlag, wurde die Bauernschaft mehr und mehr zum Träger der traditionellen Tanzkultur, während der Adel (und die Bürger Westeuropas) unvermindert den neuen europäischen Tanzmoden huldigte. Die gemeinsame Züge beider Kulturen aufweisende Schicht schmolz ständig. Galeotto Marzio, der iltalienische Bibliothekar König Matthias', staunte seinerzeit sehr darüber, daß der Gesang der Spielleute, die an der Tafel des Königs die Taten ihrer Helden in ungarischer Sprache zu Lautenklängen vortrugen, vom Hochadel ebenso verstanden wurde wie von den einfachen Leuten. In seiner Heimat Italien war das wegen der Differenzierung von Sprache und Kultur nicht mehr möglich. Auch Bonfini erwähnt, daß bei Hofe kein Abendmahl ohne Absingen von Soldatenliedern (Cantus militaris) verging; in improvisierten Liedern wurden die Heldentaten verherrlicht.
Zieht man davon eine Parellele zu den in der Beschreibung der Schlacht von Kenyérmezõ erwähnten kämpferischen Gesängen und Tänzen, läßt sich auch in der zeitgenössischen Kultur ein antiker, weiterlebender Zug erkennen, und zwar der improvisierte Vortrag einer Gattung der Volksdichtung mit Musik und pantomimischen Bewegungen. Hinzu kamen die gesanglich und instrumental begleiteten Rundtänze sowie die solo, paarweise, gruppenweise, mit und ohne Geräte getanzten Formen der undifferenzierten Tanzweise mit Springen-Klopfen-Trappeln. Dies dürften im Zeitalter der Frührenaissance die Merkmale der ungarischen Tänze gewesen sein, nach denen man beim Zuschauen den Tanz eines Adligen, Soldaten oder einfachen Pilgers in ganz Europa als ungarisch qualifizierte. Das bedeutet keineswegs, daß es solche Tänze nicht auch anderswo gab. Nur begannen diese in den zentralen Regionen Europas bereits langsam zu verschwinden und ihren Platz den freien, individuellen Paartänzen zu überlassen, die eine Ausdrucksform der Liebeslyrik waren.
