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LANDSCHAFT UND VOLK

NATURKUNDE
ETHNIKA
REGIERUNG
SIEDLUNG UND WOHNORT



NATURKUNDE

Verglichen mit früheren Jahrhunderten herrschte in Eurasien vom 13. Jahrhundert an kühle, regnerische Witterung vor. Die kurze Zeit dauernde, wärmere Übergangsperiode in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts wurde zur Jahrhundertwende unverhofft von einer zweihundertjährigen niederschlagreichen Kälteperiode abgelöst; man pflegt sie auch die "kleine Eiszeit" zu nennen. Die Flüsse führten wesentlich mehr Wasser als heutzutage, die Inundationsgebiete waren längere Zeit überschwemmt. Dieses Klima begünstigte zwar die Entwicklung der Wälder, die wegen des gewachsenen Feuerholzbedarfs jedoch stark ausgeschlagen wurden. Infolge der langen Winter reduzierte sich die Ertragszeit der Kulturpflanzen und dem Getreide drohte häufig Fäulnis.

ETHNIKA

Das Königreich Ungarn war auch im Spätmittelalter - wie im Laufe seiner ganzen Geschichte - ein Vielvölkerstaat. Bedeutende ethnische Veränderungen kann man nur ausgangs des behandelten Zeitalters beobachten, als die Zuwanderung der Serben einsetzte. Im übrigen nahm diese Entwicklung einen gemächlichen Verlauf. Der zahlenmäßige Anteil der Nationalitäten läßt sich ebenso wenig bestimmten wie die Gesamtbevölkerungszahl des Landes. Die Zugehörigkeit zu einem Ethnikum bedeutete in vielen Fällen eine besondere soziale Zugehörigkeit und Rechtsstellung. In den Nordostkarpaten setzte sich die früher begonnene Besiedlung fort, wenn auch in geringerem Maße. Hier trafen in erster Linie Ruthenen ein.

Siebenbürgen und die an das Seweriner Banat grenzenden Gebiete wurden noch immer von Rumänen neubesiedelt, die nach walachischem Recht lebten. Hier gab es zur Transhumanz zwar keine Möglichkeit mehr, doch ein Großteil von ihnen beschäftigte sich auch weiterhin mit der Schafzucht und wechselte häufig die Siedlungen. Aus den lokalen rumänischen Amtsträgern, Kenéz genannt, wurden in Hunyad, Fogaras, Hátszeg und Máramaros sehr bald Adlige, deren Vorrechte sich in nichts von den Privilegien des ungarischen Adels unterschieden. Die traditionelle, nach Sippen und sozial dreifach gegliederte Szeklergemeinschaft begann sich nach und nach aufzulösen. Noch in der Sigismundzeit trafen die ersten Zigeuner von der Balkanhalbinsel in Siebenbürgen ein, und auch dieser Einwanderungsprozeß setzte sich langsam fort.

Die ehemalige Führungsschicht der siebenbürgischen Sachsen, die Gräven, vermischte sich mit dem Adel und wurde ungarisch. Danach bildete das städtische Bürgertum die sächsische Oberschicht. Ihre Bauernschaft lebte unter freizügigeren Verhältnissen als die ungarischen Leibeigenen. In den südlichen Komitaten wie z.B. Bács oder Sirmien waren die Ungarn in der Überzahl. Doch mit Beginn der Sigismundzeit setzte auch eine ständige Zuwanderung der Serben ein. Und als die Bewohner des Komitats Keve im Jahr 1440 vor den Türken fliehen mußten, kam es zur Gründung von Ráckeve, der ersten nördlicher gelegenen serbischen Siedlung an der Donau.

Die kroatische Bevölkerung in den südlichen und slawonischen Komitaten wurde durch türkische Überfälle dezimiert. Unter den Slowenen der Murgegend und den Slowaken des Oberlandes ereignete sich nichts, was deren ethnische Existenz maßgeblich beeinflußt hätte. Aus den einst vorwiegend von Deutschen bewohnten Städten wurden - die Städte im westlichen Grenzgebiet bzw. im siebenbürgischen Sachsenland und in Zips ausgenommen - zunehmend Städte mit ungarischer bzw. an einzelnen Orten des Oberlandes mit slawischer Einwohnerschaft. Die ethnische Sonderstellung der Kumanen verschwand; sie lebten in der Folgezeit als ungarische ethnische Gruppe unter speziellen Rechtsverhältnissen weiter.

REGIERUNG

König und Regent

An der Spitze des Landes stand der König. Er übte seine Macht nicht nominell aus, sondern man erwartete von ihm, daß die Entscheidungen in allen Angelegenheiten des staatlichen Lebens von ihm getroffen wurden. Der Monarch lenkte die Außenpolitik, entschied über Krieg oder Frieden, und selbst im Spätmittelalter zog er häufig noch persönlich mit ins Feld. Auch die höchste Gerichtsbarkeit, die Begnadigung, gehörte zu seinen Aufgaben. Grundbesitz konnte nur der König schenken. Seine Macht regelte in erster Linie das Gewohnheitsrecht. Obwohl sie mitunter in Gesetzen festgehalten waren, gab es im Mittelalter dennoch kein einziges Gesetz, das alle Rechte des Königs aufzählte.

Unter außergewöhnlichen Umständen übernahm ein Regent das Regierungsruder des Landes. Seine Rechte waren gesetzlich festgelegt, er hatte keine so großen Machtbefugnisse wie ein König. Der wichtigste Unterschied zeigte sich darin, daß er Güter nur bis zu einer Größe von 32 Leibgeigenengrundstücken schenken durfte. Im Laufe der ungarischen Geschichte wählte man 1446 zum erstenmal einen Regenten, und zwar in der Person János Hunyadis, der dieses Amt zwischen 1446 und 1452 bekleidete. 1458 war für ein halbes Jahr Mihály Szilágyi als Regent an der Seite des jungen Matthias tätig.

Der Kronrat

Das wichtigste Regierungsorgan war der Kronrat, mit dem sich der König über alle Angelegenheiten beriet. Er trat regelmäßig zusammen, wobei an den Beratungen in der Regel nur die Bischöfe und Barone teilnahmen, während alle Mitglieder nur bei bestimmten Anlässen erschienen. Zu Matthias' Herrschaftszeit teilten sich durchschnittlich fünf Bischöfe und neun Barone die Arbeit. In außergewöhnlichen Situationen übte der Kronrat auch einen Teil der königlichen Rechte aus, wie z.B. 1445 und nach dem Tode Matthias'. Für den vorgenannten Fall hatte man später sogar ein Siegel mit der Aufschrift "Siegel der Gesamtheit Ungarns" anfertigen lassen. Ab 1498 erschienen zu den Beratungen auch die vom Landtag aus den Reihen des Adelstandes gewählten Beisitzer, deren Zahl verschieden war. In der Praxis vertraten sie die Interessen ihres Standes kaum, da sie zu den anwesenden Großherren in einem Familiarisverhältnis standen und somit nach dem Willen ihrer Herren votierten.

Der Landtag

Die Landtage gewannen erst in diesem Zeitalter wirkliche Bedeutung. Einberufen wurden sie vom König oder Regenten, bei Königswahlen vom Palatin. In der Jagiellonenzeit regelte man erstmals ihre Häufigkeit, doch selbst dann wurde das jährliche Abhalten von Landtagen nicht zur Gewohnheit. Ihr wichtigstes Recht war die Erhebung der Kriegssteuer, dessen ungeachtet zog man Steuern auch im ausgehenden Mittelalter noch ohne Befragung des Landtages ein. Meist fanden sie auf dem Rákosfeld bei Pest statt, wobei der Kronrat bzw. die Abgeordneten des Adels und der Städte gesondert berieten. Bei solchen Anlässen versammelten sich auch die Ratsmitglieder in größerer Zahl. Das spätere Oberhaus ging aus dem Kronrat hervor.

Vier Stände waren im Landtag vertreten: die Prälaten, die Barone, der Adel und die Städte. Sie nahmen bis 1848 an den Landtagen teil. Der Adel ließ sich zuweilen in Person von komitatsweise gewählten Abgeordneten vertreten, mitunter erschienen jedoch auch alle Adligen persönlich. Den Stand der Städte repräsentierten die Abgesandten der sich damals herausbildenden Schatzmeister-, Personalis- und niederungarischen Bergstädte, die man 1444 erstmals an den Sitzungen des Landtages teilnehmen ließ. Allerdings war ihr politisches Gewicht gering, da sie sich einerseits nicht für die Landespolitik interessierten und andererseits zu mehreren Landtagen gar nicht erst eingeladen wurden. Slawonien und Siebenbürgen entsandte eigene Repräsentanten.

Der Palatin und die Gerichtsbarkeit

Der wichtigste Würdenträger im Königreich war der Palatin, dessen Bedeutung insbesondere zur Zeit des Ständewesens wuchs. Er als einziger wurde ab 1439 im Prinzip vom Landtag gewählt und nicht vom König ernannt. Bei Diskrepanzen zwischen dem Monarchen und den Ständen trat er als Vermittler auf. Die 1486 verfaßten sog. Palatinsartikel zählen Punkt für Punkt seine Rechte auf. Strittige Güterangelegenheiten und sog. Kapitalverbrechen durften nur am Königshof verhandelt werden. Zunächst waren vier, später drei Hofgerichte aktiv: die in Anwesenheit des Palatins bzw. in Anwesenheit des Königs verhandelnde Kammer, das königliche Sondergericht sowie die in persönlicher Anwesenheit verhandelnde Kammer. Die beiden Letztgenannten wurden mit der Zeit zusammengelegt und ein Personalis mit der Leitung betraut.

Kanzlei und Schatzamt

Im Jahr 1464 kam es auch zu einer Reform der Kanzlei, wobei man das Amt des Geheimen und des Hauptkanzlers sowie die beiden Kanzleien zusammenlegte. Zu den Aufgaben der Kanzlei gehörte neben dem Ausfertigen von Urkunden auch die Teilnahme an der Vorbereitung von Regierungsentscheiden. Die Krontgüter wurden der Kompetenz des Schatzamtes entzogen und ab 1458 dem Budaer Hofrichter unterstellt, der diese Aufgabe bis 1541 versah. Als Teil der Finanzreformen entwickelte sich das Schatzamt in der Matthiaszeit zu einem einheitlichen Organ: Die bis dahin getrennten Kammern standen von nun an unter direkter Oberaufsicht des Fiskus.

Provinzverwaltung und authentische Tätigkeit ausübende Orte

Slawonien genoß unter der Oberhoheit des Banus eine gewisse Selbständigkeit, so daß die slawonischen Stände z.B. bei der Wahl seines Stellvertreters, des Vizebanus, Mitspracherecht hatten. In Siebenbürgen dagegen kam es nicht zu einer eigenen Ständeentwicklung: Die Macht der vom König ernannten ungarländischen Woiwoden, denen man damals sogar die bislang gesonderte Würde des Szekler Gespans übertrug, blieb ungebrochen. Die Autonomie der Siebenbürger Sachsen wurde bedeutend erweitert. 1486 bekräftigte der König die im Jahr 1224 erwirkte Goldene Bulle, das Andreanum, welche ursprünglich nur die Rechte der in der Szebener "Provincia" lebenden Sachsen regelte. Von da an kamen auch andere territoriale Einheiten des siebenbürgischen Sachsenlandes in den Genuß dieser Privilegien: die "sächsische Universität" war entstanden.

Die lokale Verwaltung lag im größten Teil des Reiches in den Händen der Komitate. Sie verkündeten die Gesetze, übten bei Strafsachen geringerer Bedeutung die Gerichtsbarkeit aus und wurden auf höchstrichterlichen Befehl in verschiedenen Angelegenheiten tätig: Beispielsweise verschickten sie Vorladungen, führten Untersuchungen durch, nahmen an der Steuereinziehung bzw. beim Ausheben von Soldaten teil. Über die Komitate schaltete sich der Adel in die Arbeit des Landtages ein. Am Komitatsgericht, Sedrian genannt, wurde nahezu jede Angelegenheit erledigt. Als ein Zeichen der Zeit des Ständewesens entwickelte sich langsam auch der Selbstverwaltungscharakter der Komitate. Von 1485 an mußten die Gespane ihren Vizegespan unter den bessergestellten Adligen des Komitats auswählen.

Im Sachsenland, im Szeklerland, in Kumanien und einem Teil des Zipserlandes gab es anstelle der Komitate sog. Stühle. Auf dem Gebiet des juristischen Schrifttums waren weiterhin die authentische Tätigkeit ausübenden Orte führend. Ihre Aufgabe bestand einmal darin, jedem Klienten, der sich an sie wandte, wunschgemäß beglaubigte Urkunden auszustellen. Zum anderen hatten sie auf Befehl des Königs an Verhandlungen teilzunehmen, über welche sie ebenfalls Urkunden ausfertigten.

Die Gesetze und das Tripartitum

Der Charakter der Gesetze, die zu dieser Zeit Dekrete hießen, wandelte sich langsam. Man schrieb mit ihnen nicht mehr einfach nur das Gewohnheitsrecht fest, sondern schuf ein ganz neues Recht. Eine herausragende Rolle in dieser Hinsicht kam dem Mattias'schen Gesetzbuch von 1485 zu, das als erstes ungarisches Gesetz im Druck erschien. István Werbõczy legte 1514 als erster das ungarische Gewohnheitsrecht schriftlich nieder. Das nach der Anzahl seiner Kapitel Tripartitum genannte Werk erlangte nie Gesetzeskraft. Doch wegen seiner gedrängten, klaren Ausdrucksweise galt es bis 1848 als die meistgelesene Sammlung von Gewohnheitsrechten und erlebte mehrere Auflagen.

Die Kronenlehre

Den abstrakten Begriff des Staates kannte die juristische Denkweise auch im Spätmittelalter nicht. Ihn ersetzte die Lehre von der hl. Krone. Danach repräsentierte die Krone das Reich auch dann, wenn es keinen König gab. Das Territorium und die Einnahmen des Landes galten als unveräußerliche Rechtstitel der Krone. Die Rechte der Stände und der hl. Krone bildeten eine organische Einheit: Wenn, wie zur Zeit der Krönung Wladislaws I., die Krone nicht zu Verfügung stand, genügte der Wille der Stände, um ihre Kraft auf eine andere Krone zu übertragen. Nach dem Tripartitum waren die Adligen ebenso wie der König Glieder der hl. Krone.

SIEDLUNG UND WOHNORT

Städte

István Werbõczy gestand in seinem Tripartitum lediglich den Bürgern der königlichen Freistädte bürgerliche Freiheitsrechte zu. Die Bürger aller übrigen Städte galten nach seiner Auffassung als Leibeigene. In Wirklichkeit jedoch war die Rangfolge unter den Städten weit komplizierter, als daß sie nur eine Unterscheidung des Gegensatzes Bürger-Leibeigener ermöglicht hätte. Im Gebiet Ungarns gab es etwa 30 königliche Freistädte oder Städte mit verwandter Rechtsstellung. Zu den vornehmsten rechnete man die sieben sog. Schatzmeisterstädte: Buda, Kaschau, Bartfeld, Preschau, Preßburg, Sopron (Ödenburg) und Tirnau, die sich Mitte des 15. Jahrhunderts in bezug auf Rechtsanwendung bzw. Gerichtsbarkeit von allen anderen Städten unterschieden. Zu ihnen kam Ende des 15. Jahrhunderts noch Pest. Eine privilegierte Stellung genossen darüber hinaus die sog. Personalisstädte, wie beispielsweise Székesfehérvár, Esztergom, Leutschau, Kisszeben, Skalitz, sowie die königlichen Bergstädte (Schemnitz, Kremnitz) und die Städte der Siebenbürger Sachsen (Kronstadt, Hermannstadt). Als Stadtbürger durften sich aber nicht nur die Einwohner dieser Städte betrachten, sondern der Name Bürger stand auch den Bewohnern aller Bischofsstädte sowie - unabhängig von deren Rechtsstellung - der vornehmeren Marktflecken zu.

Im ausgehenden Mittelalter gab es in Ungarn mehr als 500 Marktflecken. Davon hatten etwa 150 das Aussehen einer Stadt bzw. erfüllten einen urbanen Aufgabenkreis. Diese Marktflecken spielten im Wirtschaftsleben des Landes eine wichtige Rolle. Die königlichen Freistädte lagen hauptsächlich nahe der Landesgrenzen. Rund zwei Drittel des ungarischen Territoriums - der südliche Teil Transdanubiens und die Große Tiefebene - sind im Grunde als stadtfreie Zone anzusehen. In diesem Gebiet befand sich nur eine königliche Freistadt, nämlich Szeged. Doch dieses großmaschige Städtenetz wurde in erforderlichem Maße durch die Marktflecken ergänzt. Die bedeutenderen Oppidi waren - ähnlich den privilegierten Städten - jeweils das Handels- und Wirtschaftszentrum einer Region. Daneben erhoben sie auch ihre Kircheneinrichtungen, Schulen und eventuellen Verwaltungsfunktionen über die umliegenden Dörfer.

Ende des 15. - Anfang des 16. Jahrhunderts lebte etwa 15% der Bevölkerung Europas in Städten, während dieser Anteil in Ungarn nicht einmal die 10%-Grenze erreichte. Die Gesamteinwohnerzahl von Buda und Pest differierte zwischen 15.000 und 25.000, in Kaschau und Szeged dürfte die Einwohnerzahl bei mehr als 7.000, in Preßburg bei 5.000, in Ödenburg, Bartfeld und Tirnau bei 3.000-4.000 gelegen haben. Neben Paris, Mailand oder Venedig mit ihren damals schon mehr als 100.000 Einwohnern scheinen dies verschwindend geringe Bevölkerungszahlen zu sein. Dennoch hatte die Mehrzahl der Städte in einem bedeutenden Teil Europas ebenfalls nicht mehr als einige tausend Einwohner. In der benachbarten Steiermark z.B. lebten in Graz ca. 7.000 Menschen, und auch das als bedeutende Handelsstadt geltende Pettau (heute Ptuj, Slowenien) zählte lediglich 1.500 Einwohner. Die Bevölkerung der größten Marktflecken Ungarns belief sich auf mehr als eintausend, in den meisten jedoch lebten nur einige hundert Einwohner.

Ein beträchtlicher Teil der Städte war übervölkert. Das bezog sich aber höchstens auf die von einer Mauer umgebenen Stadtteile, auf die Vorstädte schon weniger, und an verschiedenen Orten konnte man das von Mauern geschützte Gebiet nicht einmal ganz besiedeln. Die im 13.-14. Jahrhundert errichteten Stadtmauern blieben überwiegend auch im 15.-16. Jahrhundert erhalten. Vielerorts hatte man zwischenzeitlich große Gebiete umfriedet, und auch die Befestigungen mußten wegen der immer drohenderen Türkengefahr modernisiert werden. 1473 wurde es notwenig, Fehérvár (Weissenburg) - eine der wichtigsten Städte des Landes - besser zu befestigen; damals entstanden das nordwestliche Rondell der Innenstadt, das dem Schutze des Budaer Tores dienende Rondell, die Barbakane am Palotaer Tor und das südliche Rondell. Zur Durchführung der Befestigungsarbeiten beorderte der König Leibeigene aus den Komitaten Veszprém und Somogy nach Fehérvár. Hier begann man unmittelbar auf die Nachricht der nahenden türkischen Gefahr mit dem Bau der aus Holz, Erdreich und Rutengeflecht bestehenden Festungsanlagen der Vorstädte.

Die Notwendigkeit zur Errichtung der an den Burg- und Stadtmauern erscheinenden massiven Schutzwerke, der Rondelle, ergab sich daraus, daß als Kriegswerkzeuge nunmehr auch Kanonen zum Einsatz gelangten. Die vormals erbauten, die Stadtmauern gliedernden hohen, schmalen Türme sowie die zwar ebenfalls hohen, aber dünnen Stadtmauern konnten dem starken Kanonenbeschuß nicht lange standhalten. Aus dem Einsatz dieser mehrere Tonnen wiegenden Monstren folgte, daß sich auch die Abwehr änderte: Die hohen Mauern wurden weggerissen und durch neue, wenn möglich stärkere ersetzt, die man mittels Erdauffüllungen abstützte, was sie zugleich flexibler machte. Auch die früher errichteten Zwinger wurden mit Erdreich aufgefüllt, und an der Stelle der Türme erhoben sich nun die einer größeren Feuerkraft widerstehenden Rondelle. Auf diesen konnten nach jeder beliebigen Richtung Kanonen plaziert werden, wodurch sich die Zielmöglichkeiten (für Schüsse vor die Mauern oder seitlich) erweiterten.

Die Erdauffüllungen führten rings um die Stadtmauer, womit sie den Verteidigern im Umkreis der Stadt größere Mobilität gewährleisteten. Außen an den Stadtmauern erschienen die 20-40 m breiten, 1-7 m tiefen Burggräben, auf deren gegenüberliegender Seite sich ein Gegenabhang (Contrascarpa) befand. Diesen bildete häufig eine von einer Steinmauer geschützte Erdschanze, auf der ein bedeckter Weg verlief. Dies waren die vorgeschobenen Abwehrstellungen. Verstärkt werden mußten aber auch die Torbefestigungen, und so kam es zum Bau der Barbakane.

Für die Befestigungen der Vorstädte blieb dem wirtschaftlich ohnehin schon geschwächten Ungarn zu Beginn der Türkenangriffe nur noch wenig Geld. Meist war ohnedies nicht an die vollständige Einfriedung einer ganzen Stadt zu denken. Deshalb umgab man nur die wesentlichsten, zum Schutz der Innenstadt unerläßlichen Gebiete mit Gräben bzw. Wällen (Weißenburg, Budaer Vorstadt). Weite Teile der Vorstädte blieben indessen unbefestigt, und da die Häuser damals vorwiegend aus Holz oder Flechtwerk erbaut waren, brannten sie bei feindlichen Angriffen nicht selten nieder.

Feuersbrünste wüteten in unseren Städten desöfteren. Die engen, verwinkelten Gassen, die dicht aneinander gebauten Häuser sowie das zumeist leicht entzündbare Baumaterial waren außerordentlich feuergefährdet. 1512 brach in Pest eine Feuersbrunst aus, bei der 24 Häuser niederbrannten. Die aus Holz errichteten Schornsteine wurden damals schon gekehrt. In einzelnen ungarischen Städten - wie 1508 z.B. in Buda, Pest und Eger - wurden italienische Schornsteinfeger beschäftigt. Zwar erhielten viele Kirchen und Wohnhäuser in Ungarn ab dem 14.-15. Jahrhundert Ziegelgewölbe, als allgemein verbreitet kann man sie jedoch noch nicht bezeichnen. In diesem Zeitraum begannen die Ziegelschläger in Buda und Pest, als Ersatz für die Holzschindeln Dachziegel zu brennen. Mit diesen Lösungen konnte die Zahl der Brände in den Innenstädten reduziert werden, doch in den Vorstädten reichte es nicht immer für den neuen Baustoff.

Die Wasserversorgung bzw. das Ableitungssystem der Städte hatte sich von der Wende 14./15. Jahrhundert nicht weiterentwickelt, was auch die von den Bränden verursachten Schäden verständlicher macht. Wasser gewann man noch immer aus den nahen Quellen, Flüssen, Seen oder Brunnen. Die Einwohner von Buda verwendeten in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in Zisternen aufgefangenes Regenwasser oder das Karstwasser aus den Höhlen des Burgberges. In glücklicheren Städten erschienen die ersten künstlich angelegten Brunnen (Weißenburg), und in Tirnau, Bistritz und Kronstadt baute man am Rande der Längsstraßen Stadtbäche aus.

Überreste von Spring- und Laufbrunnen bzw. bei archäologischen Freilegungen gefundene Bleirohre bekunden, daß es nach etwa 1355-1366 im Königspalast von Buda schon eine Wasserleitung gab. Schriftquellen erwähnen die Budaer Wasserleitung allerdings erst 1416. Wasserleitungsrohre fertigte man im 15. Jahrhundert aus Holz, Blei, Keramik und später dann aus Eisen. Auch im Stadtgebiet von Buda und Pest kamen Leitungsrohre zum Vorschein, die zur Sigismundzeit verlegt worden waren! Das Wasser wurde aus den Budaer Bergen in die Burg geleitet und am Ende der Leitungen öffentliche bzw. Laufbrunnen errichtet. Doch nicht immer und überall hatte das Wasser die gewünschte Qualität, weshalb das Weintrinken auch so wichtig und weit verbreitet war. Öffentliche Brunnen standen sowohl außerhalb wie auch innerhalb der Städte. Im mittelalterlichen Fehérvár (Weißenburg) wurden Brunnen nicht nur in der Innenstadt, sondern auch in den Vorstädten (Szentkirályfölde) sowie an den Ausfallstraßen gebaut, und zwar vorwiegend in der Nähe der Stadttore (Királykút). Brunnen gab es in Klöstern, Palästen, Bürgerhäusern, ja in vielen Fällern sogar in den Kellern.

Die innerstädtischen Straßen versah man damals meist schon mit Pflaster, das aus großen, breiten und flachen Steinen oder einem Kiesbett bestand (Buda, Székesfehérvár). Der Straßenverlauf, die Form der Häuserblöcke und die Größe der Grundstücke unterlagen bis zur ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts keinen oder nur unwesentlichen Veränderungen. Man kann zwar Grundstücksteilungen beobachten, da sich die Zahl der halbierten Grundstücke mehrte. Doch weder die Bebauung der Städte noch die Anzahl der Häuser änderten sich wesentlich. Es gab etwas mehr zweistöckige Häuser, und die Grundstücke waren nahezu vollständig mit den in Richtung ihrer Längsachse gedehnten, die ganze Straßenfront einnehmenden Häusern bebaut (Székesfehérvár - Megyeház u. 17 und Oskola u. 4, 10; Buda - Országház u. 18). Die großen Bürgerhäuser rechteckigen Formats erhielten spätgotische oder Renaissancefenster, und zwar die für das Zeitalter charakteristischen Kreuzstockfenster. Mehr und mehr verbreiteten sich auch die großen, in vielen Fällen stichbogenförmigen Verkaufsgewölbe (Buda - mittelalterliche Häuser in der Úri u. und Tárnok u.).

Das Vordringen der Türken setzte diesem blühenden mittelalterlichen Stadtleben ein Ende. Als Folge davon erstarb das Leben in den mittelalterlichen Städten und die Gebäude verfielen. Auf der anderen Seite jedoch zog es eine auch in europäischem Maßstab beispielhafte Modernisierung der Stadtbefestigungen nach sich.

Die Stadt Visegrád

Vorläuferin der Stadt war eine 1285 erstmals urkundlich erwähnte Hospessiedlung. Zur Stadt entwickelte sich diese Siedlung nach 1323, als es dem königlichen Hof gefiel, hierher umzusiedeln. Mitte des 14. Jahrhunderts bestand Visegrád (Plintenburg) bereits aus zwei Stadtteilen. Weniger bedeutend war der zwischen dem Palast und der Unterstadt gelegene deutsche Stadtteil. Der ungarische Stadtteil bildete sich um die Nagymaroser Fährstelle, zu beiden Seiten des St. Georg-Baches (heute Apátkúti-Bach), heraus. An der Spitze des Gemeinwesens stand neben dem Richter ein Geschworenenrat, dessen 12 Mitglieder jeweils zur Hälfte die ungarische bzw. die deutsche Stadt repräsentierten. Nach 1408, mit dem endgültigen Weggang des Königshofes, begann die Stadt niederzugehen, konnte ihre alten Privilegien aber noch bis zum Anfang des 16. Jahrhunderts bewahren. 1544 siedelten die Türken den Rest der Einwohnerschaft aus, und damit verschwand die mittelalterliche Stadt vom Erdboden.

Der Visegráder Königspalast

Der Vorgängerbau war das Stadthaus König Karls I. Zu einem ansehnlichen Palast wurde er von Ludwig I. in der ersten Hälfte seiner Herrschaftszeit umgestaltet, der mit dem Bau in seinen letzten Lebensjahren beginnen ließ, so daß ihn erst seine Nachfahren, Maria und Sigismund, Ende des 14. Jahrhunderts beendeten. Im ersten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts war der Visegráder Königspalast noch offizieller Sitz der ungarischen Herrscher, solange, bis Sigismund mit seinem Hof nach Buda umzog. In den folgenden Jahrzehnten verlor der Palast an Bedeutung, und erst Matthias nahm Ende des 15. Jahrhunderts seine Wiederherstellung in Angriff. Von da an diente er bis zur türkischen Eroberung 1544 als ländliche Residenz der ungarischen Könige. Mitte des 18. Jahrhunderts wurde das während der Türkenzeit zu einer Ruine verfallene Gebäude abgerissen.

König Matthias ging erst nach seiner Heirat mit Beatrix im Jahr 1476 daran, den Palast wiederherstellen und zu seinem Landsitz umbauen zu lassen. Die Arbeiten dürften etwa zehn Jahre gedauert haben. Dabei wurden alle alten Gebäude restauriert und nur an der Straßenfront ein neuer Flügel errichtet. Die Fenster- und Türrahmen, Kamine, Zimmerdecken, Zierbrunnen, Loggien und Erker ersetzte man durch neue. Mit der Durchführung der Arbeiten war unter Leitung der Budaer Hofrichter eine lokale spätgotische Bauhütte betraut. Doch einzelne Aufgaben übertrug man auch italienischen Meistern, die damals schon im Stil der Renaissance arbeiteten.

Die Visegráder Burg

Die nach dem Mongolenüberfall erbaute Visegráder Burg bestand eigentlich aus zwei Burgen: der von einem Bergfried und einem Torturm geschützten Hauptburg sowie der mit dieser durch eine mit Wachttürmen verstärkten Talmauer verbundenen Unterburg, in welcher der sechseckige Wohnturm stand. Karl I. ließ den Wohnturm umbauen und um ihn herum einen inneren Burgmauergürtel errichten. Im Zeitalter der Angeviner entstanden die Palasttrakte, der Felsengraben und auch die zweite Ringmauer der Hauptburg. Hier bewahrte man bis zur Türkenzeit die ungarische Krone auf. Sigismund ließ eine weitere äußere Burgmauer und neben dem Bergfried ein Frauenhaus errichten. Unter Matthias wurden nicht nur die Palastflügel umgebaut, sondern auch die Befestigungen modernisiert. Der Saal im ersten Stock des Osttraktes sowie der diesen mit dem Torturm verbindende Raum erhielten Rippengewölbe. Vom Gewölbe des Torturmes blieben der Nachwelt die beiden Schlußsteine mit dem Wappen König Matthias' und Königin Beatrix' erhalten. Im unteren Burghof baute man Wirtschaftsgebäude und erhöhte gleichzeitig die Burgmauer. Der Zwinger vor dem Bergfried wurde aufgefüllt und eine neue Kanonenterrasse angelegt. Ab 1492 verfügten die vom Landtag gewählten Kronhüter über die Hauptburg. 1543 eroberten sie die Türken, zwischen 1595 und 1605 gelangte sie für zehn Jahre erneut in christlichen Besitz, und die wieder zurückgekehrten Türken gaben die zu dieser Zeit schon verfallene Feste erst 1686 endgültig auf.

Visegrád - Franziskanerkloster

Nach den Gründungen im Süden des Landes war Visegrád das erste Observantenkloster im Landesinneren, das König Sigismund Anfang des 15. Jahrhunderts gründete. Die Umstände der Gründung kennen wir aus einem von 1425 datierenden Brief, in welchem Sigismund den Papst um Genehmigung und Privilegien bittet. Wie daraus hervorgeht, ist der Observantenzweig der Franziskaner damals neben dem Konventualzweig wohl noch nicht so bekannt gewesen, da der Herrscher recht ausführlich von ihnen und ihrer Tätigkeit in Ungarn schreibt. Die Mönche erhielten in Visegrád die Ruine einer dem hl. Georg geweihten Kapelle, und daneben ließ Sigismund ein Haus für sie bauen. Gründer der Kapelle, die Anfang des 15. Jahrhunderts schon lange nicht mehr genutzt wurde, waren ursprünglich die "königlichen Vorfahren" Sigismunds, d.h. einer der Anjouherrscher.

Die Auswahl des Ortes mutet eigentümlich an. Ließen sich die Franziskaner doch weder am Stadtrand noch in der Stadt, sondern in der Nachbarschaft des Visegráder Königspalastes, wenn auch an dessen der Stadt zugewandten Seite, nieder. Allein schon diese Tatsache läßt erahnen, daß der König dem Kloster eine besondere Rolle zugedacht hatte.

Lange bewohnten die Franziskaner dieses Haus vermutlich nicht. Nach 1425 begannen sie in unmittelbarer Nähe der früheren Gebäude mit dem Bau ihrer neuen, der Heiligen Jungfrau geweihten Kirche und des Klosters. Das Gewölbe der Sakristei sowie einige von sekundären Einbauten bekannte Bauskulpturen stammen gewiß aus diesem Zeitalter. Nach Sigismunds Tod mangelte es dem Kloster an Unterstützung, so daß die bis dahin fertiggestellten Bauten nach und nach verfielen.

König Matthias hatte Ende des 15. Jahrhunderts den Wiederaufbau des Klosters geplant. Dazu kam es jedoch erst Anfang des 16. Jahrhunderts unter Wladislaw II., als das neue Gewölbe für Kirche und Kloster und sicher auch der Turm über der Sakristei entstanden. Die enge Bindung dieses neuen Gebäudes an den Königspalast wurde auch dadurch betont, daß an der Nordseite eine Tür vom Palastterritorium in den Kreuzgang führte. So konnte der Herrscher ins Kloster gelangen, ohne die Straße betreten zu müssen. Von der Sonderstellung des Klosters zeugt auch der Umstand, daß es selbst zu seiner Glanzzeit, Anfang des 16. Jahrhunderts, nie mehr als acht Mönche bewohnten und man es dennoch als Konvent betrachtete (in der Regel bildeten zwölf Brüder den Konvent).

1543 unterlag Visegrád dem Ansturm der Türken und die Franziskaner mußten weggehen. In späterer Zeit trafen dann zwar fast mit jedem christlichen Heer auch ein oder zwei Ordensbrüder ein, die bemüht waren, den Zustand ihres verlassenen Kloster zu erkunden. Dennoch wurde es nach der Rückeroberung von den Türken, Ende des 17. Jahrhunderts, nicht wieder aufgebaut, und im 19. Jahrhundert ließ man sogar die bis dahin noch sichtbaren Ruinen verschwinden. Danach geriet das Kloster rund ein Jahrhundert lang in Vergessenheit, bis die in den 1980 Jahren einsetzenden archäologischen Grabungen seine Überreste wieder ans Licht brachten.

Szentkirály - ein Dorf in der Tiefebene

Das mittelalterliche Dorf Szentkirály (=Heiliger König) liegt im nördlichen Teil des Donau-Theiß-Zwischenstromlandes, östlich von Kecskemét, nahe der ("große Straße" genannten) alten Landstraße zwischen Buda und Szeged. Auf die relative Größe und Bedeutung der ehemaligen Siedlung verweist die Tatsache, daß sie in der Form S. Rex (Sanctus Rex) schon auf der ersten ausführlichen Karte des Schreibers Lazarus von Ungarn vorkommt. Die erste Kirche des Dorfes errichtete man irgendwann im 12. Jahrhundert zu Ehren Stephans des Heiligen, und er ist bis zum heutigen Tag Schutzpatron der katholischen Kirche der Gemeinde Szentkirály im Komitat Bács-Kiskun.

In der Arpadenzeit bewohnten zur Burggespanschaft Csongrád gehörende königliche Sassen das Dorf Szentkirály. Während des Mongolensturmes entvölkerte es sich. 1354 schenkte König Ludwig I. es als leerstehendes Besitztum einer kumanischen Adelsfamilie - dem Kumanen Péter, Sohn des Bõcsör (Bwchwr), und dessen Söhnen Miklós und János sowie deren Vettern Barum, Sohn des Kabak, und Gál, Sohn des Wezteg -, und zwar unter der Bedingung, daß diese sich dort niederließen und nach christlichem Brauch lebten. Nach der Flurbegehung durch das Budaer Kapitel im Jahr 1356 stellte Ludwig I. den neuen Besitzern einen Privilegienbrief aus. Deren Nachkommen, die Mitglieder der Adelsfamilien Bicsak (Bychak) und Gáspár, suchten 1493 bei König Wladislaw II. um authentische Abschriften der in ihrem Besitz befindlichen Urkunden und um Bekräftigung nach. Noch im gleichen Jahr gewährte ihnen der König auch das Privileg des Blutbanns, wonach sie mit den auf ihren Gütern ertappten Rechtsbrechern dem Gesetz entsprechend verfahren durften.

Die Szentkirály in Besitz nehmenden Kumanen suchten mit ihren Leuten jene Stelle zur Ansiedlung aus, wo sich die halbverfallene Kirche des verlassenen arpadenzeitlichen Dorfes erhob. Ende des 14. Jahrhunderts hatten sie die Kirche wieder aufgebaut und durch Strebepfeiler bewährt, den Baugrund für Häuser aufgeteilt, die ersten Wohnhäuser aus festem Baumaterial errichtet, und von nun an ließen auch sie sich im Umkreis der Kirche bestatten. Daß diese Besiedlung dennoch auf speziell "kumanische Art" geschah, zeigt der Name des Dorfes, den man 1490 noch immer mit "Szentkirály szállás" angab. Wie auch den Namen des benachbarten Barabásszállás, das sich im Besitz derselben Familie befand (das heutige Borbás puszta in der Gemarkung Kecskemét).

Die Namen der kumanischen Siedlungen wurden im Mittelalter häufig mit den Endungen -szállása, -ülése, -népe, -háza (im Sinne von: Unterkunft, Sitz, Volk, Haus des...) gebildet (beispielsweise Köncsögszállása, Csõlyosszállása, Bagdasülése, Alonnépe, Bugacháza), und zwar zum Zeichen dafür, daß sie den Ungarn selbst nach dem Seßhaftwerden der Kumanen, das in die zweite Hälfte des 14. Jahrhunderts datiert werden kann, noch wie provisorische Siedlungen oder Familienwirtschaften erschienen. Auch lateinische Urkunden verwendeten für kumanische Siedlungen im allgemeinen das Wort descensus (=Absteige).

Szentkirály war auch im 16. Jahrhundert noch eine blühende Siedlung, in der etwa 50-60 Familien gelebt haben dürften. Die ersten Anzeichen des Niedergangs machten sich zur Zeit des fünfzehnjährigen Krieges bemerkbar. Ende des 17. Jahrhunderts war das Dorf bereits entvölkert, und Ende des 19. Jahrhunderts kündeten nur noch die Mauern der mittelalterlichen Kirchenruine von seiner einstigen Existenz. 1901 wurde an der Stelle der Ruinen die heutige reformierte Kirche errichtet.

Bei den zwischen 1969 und 1990 durchgeführten archäologischen Grabungen kam das untergegangene spätmittelalterliche Dorf ans Licht. Wie für Siedlungen im Donau-Theiß-Zwischenstromland typisch, war Szentkirály auf einem niedrigen Hügelrücken in Richtung NW-SO angelegt. Im Norden wurde es von einem wasserreichen Gebiet begrenzt. Auf dem Grat des Hügelrückens verlief in etwa 900 m Länge die Dorfstraße. Zu beiden Seiten der Straße standen die Häuser, mit einem durchschnittlichen Abstand von 50-70 m. Die lehm- und kalkhaltigen Schuttkegel der mittelalterlichen Wohnhäuser erheben sich als kleinere Hügel über dem Gelände. Im Zuge der archäologischen Kartographierung wurden an der Oberfläche rund 30 Hausstellen unterschieden. Das Dorf hatte ein lockeres Straßen-Reihen-Gefüge. Dieser Siedlungstyp ist in der Großen Ungarischen Tiefebene besonders häufig.

Im Bereich einzelner Wohnhäuser konnten bei den Grabungen in Szentkirály auch ganze Wirtschaftshöfe freigelegt und somit Angaben über die Bebauung der inneren Grundstücke sowie die Wirtschafts- und Lebensweise der Familien gewonnen werden. In der frühen Siedlungsperiode, im 15. Jahrhundert, waren die Wohnhäuser parallel zur Straße ausgerichtet, und hinter den Häusern, auf dem Wirtschaftshof, standen einfache Nebengebäude: auf Pfosten oder Stangen ruhende Pferche und Ställe, Hütten mit Wänden aus Rutengeflecht oder Schilf, Mieten zu Lagerung von Früchten, kellerartige Hüttenmieten, Grubenpferche. Größere Wirtschaftsgebäude mit Mauern aus festen Baustoffen (z.B. Ställe, Remisen) findet man nur selten. Im Gegensatz dazu sind die offenen oder halboffenen Tiergehege, deren Hürden man aus Stangen, Ruten, Zweigen, Schilf oder anderem organischen Material (z.B. Stroh, Mist, Moos) anfertigte, die typischen Bauten der inneren Grundstücke. Ähnliche Pferche ovaler oder rechteckiger Form sind auch aus ethnologischen Sammlungen Kleinkumaniens bekannt.

Die Anordnung der inneren Grundstücke - Gebäude zur Freilufthaltung von Tieren im Dorfinneren, neben dem Wohnhaus - spiegelt eine spezifische Wirtschaftsstruktur und Lebensweise wieder, in der die Tierhaltung eine wichtige Rolle spielt. Dieses Siedlungsgefüge hängt mit der traditionellen, auf Tierhaltung beruhenden Wirtschaftsweise der in Szentkirály angesiedelten kumanischen Einwohnerschaft zusammen. Außerdem dürfte im 15. Jahrhundert auch der Pflanzenbau schon bedeutend gewesen sein, obwohl darüber erst aus den Steuerkonskriptionen des 16. Jahrhunderts detaillierte Angaben vorliegen.

Die in Szentkirály freigelegten Wohnhäuser aus dem 15. Jahrhundert sind schöne Denkmäler der Wohnkultur des mittelalterlichen tiefländischen Bauerntums. Der Grundtyp des zeitgenössischen dörflichen Wohnhauses bestand aus zwei Räumen. Durch den Eingang betrat man die Küche, von hier gelangte man nach rechts oder links in die Stube. Ein eventuell vorhandener dritter oder vierter Raum war später angebaut und wurde als Speisekammer genutzt. Zu dieser Zeit verbreiteten sich in der Tiefebene - früher als in Transdanubien - die modernen Heizmethoden. In der Stube mit Fußboden errichtete man einen Ofen - Kachelofen -, der von der Küche aus zu beheizen war, so daß die Stube rauchfrei blieb. Für die alltäglichen Küchenverrichtungen - Backen, Kochen, Braten, Trocknen, Räuchern usw. - diente ein aus der rückseitigen Mauer des Hauses vorspringender großer, runder Herd.

Dieser Haustyp - der unmittelbare Vorläufer des aus der Ethnologie bekannten sog. mittelungarischen Haustyps - stellt eine bedeutende Station in der Entwicklung unserer volkstümlichen Baukunst dar. Er entwickelte sich irgendwann in der Sigismundzeit, vermutlich auf Einfluß der urbanen bzw. adlig-kurialen Architektur, und darf auch in europäischer Relation zu den modernsten Lösungen der mittelalterlichen ländlichen Wohnkultur gerechnet werden. Überall in den Siedlungen der damals erst kurze Zeit seßhaften Kumanen kommt dieser Haustyp vor.

Von dem im 15. Jahrhundert erbauten und in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts abgebrannten Haus Nr. 26 mit zwei Räumen (Länge: 12,40, Breite: 4,90 m) wurde eine detaillierte bauliche Rekonstruktion angefertigt. Sein Eingang lag im Südwesten. Die Grundfläche der Küche betrug 24,5 m2, die der linkerhand gelegenen Stube 22 m2. Seine Mauern bestanden aus Flechtwerk, das ein Pfostengerüst stützte. Diese Bautechnik findet man noch heute unter den archaischen Techniken der volkstümlichen ungarischen Architektur. Die Zwischenräume der in den Fundamentgräben aufgestellten und mit lehmhaltigem Erdreich festgestampften Holzpfosten oder Stangen wurden mit großmaschigem Flechtwerk ausgefüllt und danach mit einem Schlamm-Stroh-Gemisch beworfen. An den Mauerecken und in der Mitte unter dem Meisterbalken verwendete man Gabelpfosten, auf die in den Ecken befindlichen Gabeln kamen die Kranzhölzer. Darauf wurden in Querrichtung die Deckenbalken verlegt, und über diese breitete man wiederum Ruten und eine Schilfdecke. Das Dach mag eine sog. Gabelpfosten-Balken-Konstruktion gewesen sein. Über dem hervorspringenden Herd war ein auf Gabeln ruhendes Schutzdach errichtet. Nach den auf den Küchenfußboden gefallenen, verbrannten Überresten zu urteilen, diente als Verschalung Stroh.

In der hinteren Küchenecke - in gleicher Höhe wie der Stubenfußboden - war auf einem Lehmabsatz mit abgerundeter Kante die verputzte Feuerstelle errichtet. Von hier öffnete sich der Feuerraum des Kachelofens und des vorspringenden Herdes. Über dem 2,20 x 2 m messenen, ovalen Herd ließ sich ein aus Ruten geflochtener, verputzter Funkenfänger rekonstruieren. Den Herdboden hatte man mit Keramikbruch ausgefüllt, damit er die Wärme besser hielt.

In der Stube des Hauses Nr. 15 stand ein Ofen mit rechteckigem Grundriß. Sein 1,45x1,45 m messender Sockel war ähnlich wie die Wände und der Fußboden der Stube mit weißem Lehm getüncht. Den Ofenboden bedeckte zwecks Wärmeisolation eine Schicht Keramikscherben. Auf dem viereckigen unteren Teil erhob sich ein zylindrisches Oberteil, das ein Kuppelgewölbe beschloß. Unter den Trümmern des Hausen kam eine große Anzahl Ofenkacheln zum Vorschein, die man sieben Typen zuordnen konnte. Die Anordnung der Keramikkacheln sah folgendermaßen aus: Den oberen Kuppelteil des Ofens bedeckten zwiebelförmige Kacheln. Am oberen Rand des Ofenkörpers befanden sich - die Bekrönung einer Bastion nachahmend - Zinnen. Die Seite des Ofens zierten in abwechselnden Reihen kleinere und größere Becherkacheln, Tellerkacheln, Kacheln mit dreieckförmiger Öffnung sowie zweierlei Becherkacheln mit vierpaßförmiger Öffnung. Mit Ausnahme der zwiebelförmigen Kacheln, die man mit der helmartigen Spitze nach oben in das Gewölbe eingesetzt hatte, wurden die Kacheln mit der Öffnung nach außen am Ofenmantel befestigt. Die dörflichen Kachelöfen des 15. Jahrhunderts waren einfacher als die prächtigen hochherrschaftlichen, aus polychrom glasierten Kacheln gesetzten Öfen. Mit ihrer gotischen Formwelt und ihren mannigfaltigen Verzierungen sind sie dennoch schöne Denkmäler des Volkskunstgewerbes.

Die dicke Trümmerschicht der abgebrannten Häuser hat die Reste von Haushaltsgeschirr, Küchengerät und anderem Zubehör gut konserviert. In der Küche kommen im Bereich der Feuerstelle durch den Gebrauch rußgeschwärzte Keramiktöpfe ans Licht. Das eine oder andere Gefäß findet man auch in der Stube, und mitunter liegt auf dem Fußboden ein vom Dachboden gefallener Einlegetopf. Ein guter Fundort für alte, ausrangierte und auf diese Weise wiederverwendete Haushaltsgefäße ist der Herd- oder Ofenboden. Die im Umkreis der Häuser freigelegten verschiedenen Gruben bergen zerbrochenes Haushaltsgeschirr und andere Gegenstände, die man zum Abfall geworfen hatte. In der Mehrzahl besteht das Fundmaterial aus Keramik, die man damals selbst dann weiterverwendete, wenn sie schon gesprungen, löchrig oder schartig war. Eignete sie sich nicht mehr zum Kochen, dann für irgendeinen anderen Zweck. Nach der Herstellungsweise zu urteilen, stammen die im Haushalt gebräuchlichen kleineren oder größeren Töpfe, Deckel, Näpfe, Kannen, Krüge und Becher aus mehreren Töpferwerkstätten.

Allgemein verbreitet war unglasierte rote, rötlichbraune, weiße und grauweiße Töpferware. Die grauen, reduziert gebrannten Glanztonkrüge wurden schon im 15. Jahrhundert regelmäßig benützt. Selten, wenn auch im Material jedes Hauses vorhanden, ist der feingearbeitete, polierte Krug gelblicher Terrakottafarbe - scheinbar gab es in jedem Haushalt zumindest ein Stück davon. Auch die aus Österreich importierten massiven, grauen, reduziert gebrannten Töpfe mit Randstempel fehlten in keinem Haushalt. Zum feinen Tafelgeschirr gehörten unter anderem grün- oder gelbglasierte Gefäße, von denen jedoch nur winzige Bruchstücke erhalten blieben.

Glasgefäße wurden ebenfalls an der Tafel benützt; auf ihr Vorhandensein deuten einige Fragmente. Gegenstände des alltäglichen Gebrauchs waren die Gefäße bzw. Geräte aus Holz, doch von ihnen sind kaum noch Spuren zu finden. Lediglich die Schlammschicht eines Brunnens hat einen Holzlöffel bewahrt.

Der häufigste Gegenstand unter den Haushaltsgeräten ist das Messer. Die einfacheren hatten an dem mit Bronzeband befestigten Heft einen Holz- oder Beinbesatz. Im 16. Jahrhundert wurden jährlich viele tausend Messer aus Österreich eingeführt. Den größten Teil der Eisengeräte stellten jedoch lokale Schmiedemeister her: Scheren, Ahlen, Haken, Nägel, Ringe, Ketten, Bohrer, Meißel, Spieße, Roste, desweiteren Beschläge, Bänder, Schlösser usw. für Türen, Truhen oder einen Sarg. Werkzeuge und landwirtschaftliche Geräte waren teuer und gelangten nur relativ selten so wie die wenigen freigelegten Beile, Äxte, Pflugschare, Spaten, Grabeisen, Hacken, Sicheln, Sensen und Eisengabeln in den Boden. Im Erdreich eines Grabes kam ein zebrochener Spaten zutage. Ihn hatte man aus Aberglauben, um Böses abzuwenden, ins Grab gelegt. Die zum Vorschein gelangten Trensen- und Steigbügelfragmente, Gurtschnallen, Sporne bzw. Hufeisen gehörten zur Ausstattung der Pferde, und von den Wagen blieben ebenfalls nur Beschläge erhalten.

Das Herstellen von Bein- und Geweihgegenständen kann zu den alten Gewerken gerechnet werden. Auch die Bewohner des mittelalterlichen Szentkirály verwendeten Tierknochen zur Fertigung von Werkzeugen und Geräten. Aus dem Oberschenkel- oder Schienbeinknochen von Pferden wurden beispielsweise Schlittschuhe gemacht, die man entweder ans Schuhwerk band, oder man stellte sich einfach darauf und stieß sich mit einem spitzen, am Ende knochenbewährten Stab ab. Aus Knochen entstanden die Ahlen, Lochzangen, Knüpfer, Dorne, Werkzeugschäfte und Schaftbesätze, aus den Hohlknochen von Wildvögeln Pfeifen und Nadelbehälter. Schöne Denkmäler der Drechslerarbeit sind Perlen sowie beinerne Schnallen und Gürtelbeschläge. Die in großer Zahl gefundenen Fesselbeine von Pferden dienten als Kinderspielzeug.


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