Die Bibliothek des Großwardeiner Domkapitels
im 18. Jahrhundert (Auszug)
Die katholische Kirche und ihre Bibliotheken in Großwardein
In der Großwardeiner Bibliothekskultur spielten die katholischen Buchsammlungen sowohl während des Mittelalters als auch während der Neuzeit aufgrund der Präsenz des mitgliederreichen Mönchsordens und des durch den ungarischen König Ladislaus dem Heiligen gegründeten Bistums (1077) eine bedeutende Rolle. Die Stadt und ihre Umgebung wurden während der drei Jahrzehnte türkischer Herrschaft (1660-1692) beziehungsweise der chaotischen Zeiten davor und danach völlig zerstört, von der mittelalterlichen Bibliothekskultur blieb keine Spur. Deshalb kann Ziel unserer Forschungen nur die Geschichte der im 18. Jahrhundert gegründeten Bibliotheken sein.
Die Reformation, der Aufstieg Siebenbürgens und des dazugehörigen Partium Regni Hungariae zu einem eigenständigen Staat beziehungsweise die türkische Herrschaft besiegelten das Schicksal des katholischen Bistums Wardein für die darauffolgenden hundertfünfzig Jahre. Das Wardeiner Bistum, das bis zu diesem Zeitpunkt zu einem der reichsten Ungarns zählte, war von 1556 bis 1692 praktisch nicht existent/ausgelöscht.
Nach der Klausenburger Landesversammlung im Jahre 1556 und der Entscheidung der Landesversammlung in Torda wurden die Güter des Bistums und des Kapitel für die Schatzkammer in Beschlag genommen, die Funktion des Kapitels als glaubwürdiger Ort geriet ins Stocken und bestand später als säkularisierte Institution weiter. Die Mitglieder des Mönchsordens suchten, ähnlich den Kanonikern, Zuflucht in den nördlichen und westlichen Gebieten des königlichen Ungarns.
Für hundertfünfzig Jahre erhielten der Wardeiner Bischofstitel und die Ernennung der Kanoniker des Kapitels einen rein nominellen Status. Die mittelalterlichen Institutionen, die Kirchen und ihre Einrichtungen, die Archive und Bibliotheken verschwanden langsam. (Bruchteile des Archivs und der Bibliothek des Kapitels wurden in die geschützteren Gebiete des Landes gebracht.) Die Ansiedlung der Jesuiten in Wardein zwischen 1576 und 1606 bedeutete eine kurze, eher ungestörte Rückkehr des katholischen Glaubenslebens. Zu den Aufgaben des Jesuiten István (Arator) Szántó gehörte es, die Reste des auffindbaren katholischen Buchbestandes zu sammeln und sie in das Jesuitenkollegium von Klausenburg zu überstellen (1585). Obwohl dieses Buchmaterial nur einen Bruchteil der damals schon großteils zerstreuten Bibliotheken darstellt, ist es doch das einzige Zeugnis der mittelalterlichen Ereignisse. Zwischen 1588 und 1606 gelangte wohl ein Großteil des Materials nach Oberungarn und Österreich beziehungsweise wurde verstreut.
Als im Jahre 1606 das Heer des István Bocskai die Burg von Wardein einnahm, musste auch der letzte katholische Priester flüchten. Im Jahre 1660 besetzten die Türken die Stadt und die Burg.
Das 1692 wiederhergestellte Bistum übernahm in seinen Besitz nichts weiter als Ruinen. Güter und vor allem Anhänger hatten sie zu diesem Zeitpunkt noch keine. Ágoston Benkovics war der erste Bischof der - nach seinen 14. Vorgängern - die Diözese wieder betreten durfte. Der Wiederaufbau zog sich über Jahrzehnte hinaus und spielte sich vor allem im Zeichen einer Wiedererlangung von Gütern und Rechten ab. Als Ergebnis dieser kräfteraubenden Arbeit verfügte die Wardeiner Diözese bis zum Ende des Jahrhunderts wieder über den größten Güterbestandes des Landes. Im Nachlass bedeutenderer Bischöfe ( Ágoston Benkovics, Graf Imre Csáky, Graf Miklós Csáky, Graf Pál Forgách) befand sich sicherlich einiges Buchmaterial, beträchtlich vergrößerte sich die Bibliothek jedoch während des Bistums des Baron Ádám Patachich (1759-1776). Sie sollte später, nach Patachichs Ernennung zum Erzbischof, die Grundlage für die berühmte erzbischöfliche Bibliothek von Kalocsa darstellen, zum Schaden von Wardein. Dennoch verfügte die schnell wachsende Wardeiner Bibliothek zur Jahrhundertwende (19. zu 20. Jahrhundert) über 26.000 Bände, und erreichte bis 1947 die 40.000-er Grenze. Leider fiel die Bibliothek dem Nationalkommunismus zum Opfer. Es blieben nur Bruchteile erhalten die jetzt einen Teil der Diözesanbibliothek darstellen. Über ihre damalige Zusammenstellung wissen wir praktisch kaum etwas, mit Ausnahme der Nachricht über die Anzahl im Magyar Minerva und einigen im Erzbischöflichen Archiv erhaltenen Buchregistern aus der zweiten Hälfte des 19. bzw. dem Anfang des 20. Jahrhunderts. Die Rekonstruktion des Bestandes aus dem 18. Jahrhundert ist, mit Ausnahme der Patachich Sammlung in Kalocsa, unmöglich.
Im Zuge des 18. Jahrhunderts müssen, außer der besprochenen Kapitelsammlung, noch drei weitere katholische Buchsammlungen erwähnt werden, die über einen bedeutenden Bestand verfügten:
- Die Bibliothek des Diözesanseminars (Priesterseminar) wurde 1741 gegründet und fiel zum Großteil auch der Verstaatlichung von 1947 zum Opfer. Sie enthielt wahrscheinlich mindestens 10.000 Bände. Zu ihrem Bestand zählte auch der umfangreiche Buchnachlass des Jesuiten Historiker György Pray.
- Nach der Rückeroberung siedelte sich der Jesuitenorden im Jahre 1694 erneut in der Stadt an. Die Ordensmitglieder lebten bis 1722 in der Burg, wahrscheinlich existierte nur eine Grundschule. Das Gymnasium, das bereits 1699 durch Benkovics betrieben worden war, wurde praktisch erst 1722 gegründet (verbunden mit dem Gesellschaftshaus (Residentia) der Jesuiten) und repräsentierte in der Stadt bis zur Auflösung des Ordens (1773) eine niveauvolle Ausbildung. Im Jahre 1773 dürfte die Bibliothek des Jesuitenhauses 5-6000 Bände besessen haben die später im Besitz des Gymnasiums blieben, um 1851 zwischen der 1788 gegründeten Großwardeiner Königlichen Rechtsakademie und dem Hauptgymnasium von Prämonstratenser aufgeteilt zu werden. Die Bibliothek des Hauptgymnasiums wurde (zusammen mit dem geerbten jesuitischen Material) zum Teil in der Zeit nach dem zweiten Weltkrieg zerstört, zum Teil befindet sie sich immer noch - ziemlich bruchstückhaft - im Besitz des Ordens. Die Bibliothek der Rechtsakademie, die den wertvolleren Teil des Jesuitenbestandes geerbt hatte, wurde ebenfalls zerstört bzw. ging mangels Rechtsnachfolger verloren. (In der Bibliothek des Komitats Großwardein lagern größere Bestände des 1947 zerstreuten Bibliotheksmaterials, doch sind diese nicht aufgearbeitet worden)
- Als dritte große Sammlung ist die Bibliothek des Kapuziner Ordenshauses zu nennen. Der Orden der sich 1772 niedergelassen hatte, dürfte wohl von Anfang an über eine Bibliothek verfügt haben, doch fielen sowohl ihre Kirche als auch ihr Kloster 1836 einem Brand zum Opfer.
Die Bibliotheken der anderen Ordenshäuser wie der Franziskaner, der Paulaner, der Ursulinen und der Miserikordianer dürften die oben erwähnten an Größe bedeutend unterboten haben, ihr Schicksal ist - zum Teil - noch unbekannt. Die Bücher der 1786 durch Josef II. aufgelassenen Paulaner befinden sich in unbedeutender Anzahl in der Erzbischöflichen Bibliothek. Ungefähr zur gleichen Zeit dürfte auch der Bestand der Franziskanerbibliothek zerstreut worden sein, von denen einige Bände in ihrem Szegediner Ordenshaus aufbewahrt werden.
Über den Bestand der erwähnten Bibliotheken die im 18. Jahrhundert existierten, dürften die bis jetzt großteils noch unerforschten Protokolle und weitere Archivforschungen Aufschluss geben.
Die Bibliothek des Domkapitels, die das Thema dieser Arbeit darstellt, ist die einzige deren Wachstum seit den Anfängen des 18. Jahrhunderts verfolgbar ist und die, im Gegensatz zu den oben erwähnten Sammlungen, die letzten Jahrzehnte praktisch heil überstanden hat. Sie stellt somit den einzigen Bestand dar, der einen Einblick in einen Teil der Großwardeiner Bibliothekskultur des 18. Jahrhunderts erlaubt.
Der Domkapitel und seine Bibliothek
Das Bihare Bistum wurde zwar von König Stephan dem Heiligen gegründet, doch seine Konsolidierung und die Gründung Wardeins - als Sitz des Bischofs - wird mit König Ladislaus dem Heiligen in Verbindung gebracht (1077). Von Anfang an existierte neben dem Bistum auch ein Kapitel. Die Entwicklung der Wardeiner Buchkultur, die in der mittelalterlichen Kulturgeschichte des Landes eine so wichtige Rolle spielt, begann mit der Sammlung liturgischer Bücher. Eine gute Zusammenfassung über die Bibliotheken der Klöster und des Erzstiftes bzw. über die bekannten Bücher der humanistischen Prälate - mit Ausnahme der kurzen Zeit der Jesuiten Ende des 19. Jahrhunderts - gibt die Arbeit von Zsigmond Jakó.
Aus den Reihen der weltlichen Priesterschaft, mit Ausnahme der Bischöfe, führten die Kanoniker im Bezug auf das Sammeln von Büchern, sowohl was Quantität als auch was Qualität betrifft. Die Bischöfe und Kanoniker die über eine ausländische Bildung verfügten, vergrößerten die Bibliothek des Domkapitels seit dem 11. Jahrhundert. Bis zum 15. Jahrhundert wurden die Ritualbücher, die Kodices in der Sakristei des Domkapitels aufbewahrt. Ab dem 15. Jahrhundert gründeten die, hauptsächlich an italienischen Universitäten ausgebildeten humanistischen Prälate (Andrea Scolari, János Vitéz, János Filipecz, Domokos Kálmáncsehi, György Szatmári, Zsigmond Thurzó) eigene Bibliotheken, wertvolle persönliche Sammlungen, die sich jedoch nach deren Tod meist nicht mehr in der Bibliothek des Domkapitels befanden sondern verstreut wurden.
Aus den Buchsammlungen sind besonders jene der Kanoniker János Henckel (ca. 1481-1539) und Márton Haczaki (ca. 1495 - ca. 1547) hervorzuheben. Einige bekannte Stücke sind noch im Batthyaneum von Gyulafehérvár, in Budapest, Klausenburg und Gyöngyös zu finden.
Bis 1566 dürfte der Erzstift und das Váradhegyfoker Kapitel noch eine beträchtliche Anzahl der Überreste der herrlichen Bibliotheken beherbergt haben, doch haben die Kanoniker als sie sich zerstreuten wahrscheinlich eine große Anzahl an Bücher nach Nordungarn gerettet. Diese wurden dann später unter den Sammlungen der dortigen Bistümer, Kapitel und Mönchsorden aufgeteilt. Jene Teile des Bücherbestandes die in Wardein geblieben waren, gingen in fürstlichen Besitz über. Schließlich wurde die mittelalterliche Bibliothek des Erzstiftes und Kapitels endgültig aufgrund der erwähnten Überstellungen durch die Jesuiten zerstört.
Durch die Ausbreitung der türkischen Herrschaft ereilten Kapitel und Konvent bzw. Bibliotheken ein ähnliches Schicksal. Mehrere Beglaubigungsstätten wurden nach Nord-, Nordwestungarn verlegt oder wechselten sogar öfter ihren Sitz. Die Beglaubigungsstätten von Siebenbürgen und Partium Regni Hungariae (Weissenburg, Klausenburg, Wardein) befanden sich in einer speziellen Situation: sie existierten als säkularisierte Institutionen weiter.
Der Großteil der Kapitel treten in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts wieder in Kraft, oft jahrelang nur nominell, ohne Gebäude und Güter zu besitzen.
Zu Beginn des 18. Jahrhunderts wuchs die Bedeutung der Beglaubigungsstätten im Zuge der steigenden Anzahl von Gütertauschen, Kauf und Verkauf Geschäften, Besitzstreitigkeiten (Neoaquistica Commissio). Schritt für Schritt holen sie sich ihre Güter, Pfründe und somit auch ihre Bedeutung zurück, die sie erst Anfang des 19. Jahrhunderts mit der wachsenden Bedeutung der Komitate verlieren sollten.
In dieses Schema passt auch das Schicksal des Wardeiner Kapitels. Àgoston Benkovics war ein Paulaner Mönch der ab 1675 ungarischer Provinzial, ab 1681 Probst in Lelesz, am 28. Dezember 1681 zum Wardeiner Bischof und am 24. Februar 1688 zum Obergespan des Komitats Bihar ernannt wurde. Die Aufgabe zum Wiederaufbau eines zerstörten Komitates und Erzbistums wurde auf ihn abgewälzt. Während des Jahrzehnts zwischen der Befreiung Wardeins 1692 und dem Tod des Bischofs 1702 gelang es ihm - zumindest teilweise - die Rechte des Bistums zurückzuerlangen. Parallel dazu begann ein jahrzehntelang anhaltender Prozess zur Wiedererlangung der Güter. Es zeigte sich eine große Notwendigkeit - über die Ansprüche des Bischofs hinaus - der Kapitelarbeit, war doch das umliegende landesweit befreite Gebiet ohne Beglaubigungsstätte und Archiv geblieben und die Besitzstreitigkeiten, Prozesse, Kauf und Verkauf benötigten ein entsprechendes Forum.
Das neue Wardeiner Kapitel erhielt 1697 sein Notariatsrecht als Beglaubigungsstätte zurück und trat 1698 mit 4 Mitgliedern in Funktion.
Die Wohnungen der Kanoniker wurden im italienischen Stadtteil errichtet. Sie befanden sich um die kleine Kirche mit provisorischem Charakter die der Hl. Brigitta geweiht worden war, in unmittelbarer Nachbarschaft mit den franziskanischen und jesuitischen Ordenshäusern bzw. der bischöflichen Kurie. Diese Kirche allein musste allen Ansprüchen der weltlichen und ordenseigenen kirchlichen Körperschaft dienen. Wahrscheinlich wurden in ihrer Sakristei die neubesorgten Ritualbücher aufbewahrt.
Es ist unwahrscheinlich, dass wir es in dieser anfänglichen Zeit mit einer planmäßigen Buchsammlung zu tun hätten. Da es auch keinen ausdrücklichen Ort gibt der als Bibliothek gedient hätte, können wir nur mit jenen Bücher rechnen die durch die verstorbenen Kanoniker - damals noch nicht besonders zahlreich - in das Kapitel gekommen waren.
Graf Imre Csáky der in Wien und in Rom ausgebildet worden war, wurde 1702 zum Esztergomber Kanoniker, später im selben Jahr zum Wardeiner Bischof und Obergespan des Komitats Bihar ernannt. Den Sitz des Prälaten erhielt er erst ein Jahrzehnt später. Die ersten zerbrechlichen Ergebnisse und Entwicklungen innerhalb des Bistums und des Kapitels wurde durch die Kriegsmanöver des Rákóczier Freiheitskampfes unterbrochen. Fast ein ganzes Jahrzehnt hindurch wurde die Stadt durch die Kämpfe zwischen kaiserlichem Heer und den Anhängern Rákóczis in Mitleidenschaft gezogen. Csáky musste die Rückgewinnung der Güter von Neuem beginnen. Diese Arbeit zögerte sich fast zwei Jahrzehnte hinaus. In dem Komitat, dessen Bevölkerung auf ein Zehntel gesunken war, stellte sich das katholische Glaubensleben katastrophal dar. Im Jahre 1556 arbeiteten in den 339 Pfarreien noch fast 500 Geistliche, 1711 zeigt sich ein verheerendes Bild: es gibt 3 Pfarreien mit einigen wenigen Geistlichen.
Das erneut geschlossene Kapitel wird in den Jahren 1710 und 1711 von Csáky neuorganisiert. Die Bibliothek des Kapitels dürfte bis dahin schon ziemlich angewachsen sein. 1729 wurden professionelle Register erstellt. In den 88 Bänden des heute noch existierenden Bestandes findet sich mit einheitlicher Handschrift folgende Eintragung "Capituli Varadiensis 1729". Ihr Aufbewahrungsort ist noch ungewiss, weiterführende Archivforschungen können die Frage vielleicht beantworten. Am wahrscheinlichsten scheint ihre Aufbewahrung in der Sakristei der Hl. Brigitta oder in einem nahegelegenen Haus der Kanoniker.
Zu Csákys Zeiten wurden 15 Kanoniker ernannt (sie hatten gleichzeitig 10 Pfründe inne, verglichen mit den 24 zu mittelalterlichen Zeiten). Bis 1720 verfügte das Kapitel durch die Zusammenlegung der Besitze bereits über bedeutende Güter. Zur Jahrhundertmitte entwickelte sich eine Besitzregelung die auch während des 19. Jahrhunderts aufrecht erhalten blieb. Die Besitze dehnten sich auf 50 Gemeinden aus und ähnlich den bischöflichen Gütern gehörte das Kapitel zu den Reichsten des Landes.
1732 zog das Kapitel - auch 1780 vorrübergehend - in die neue Bischofskirche, die Wardein-Neustädter St. Ladislaus Kirche. Das Sakristeigebäude existiert 1739 bereits, es ist also wahrscheinlich, dass die Bücher des Kapitel hierher gebracht worden sind und die folgenden vier Jahrzehnte auch hier blieben. Auch die Häuser der Kanoniker wurden in der Nähe der Kirche erbaut, so zog die Körperschaft großteils vom italienischen in das Neustädter Viertel.
Die Grundmauer jenes Gebäudes das auch heute noch als Bischofskirche fungiert wurden zur Zeit des Bischof Graf Pál Forgách außerhalb des italienischen Stadtviertels gelegt (1750). Der Bau wurde von Baron Ádám Patachich beendet (zwischen 1759 und 1776 Bischof von Großwardein). Daneben wurde zwischen 1761 und 1778 der bischöfliche Palast errichtet. Auf Veranlassung des Bischof Forgách wohnten die Mitglieder des Kapitels, die bis dahin eigene Häuser gehabt hatten, nicht mehr in den Gebäuden die sich im Besitz des Kapitels befanden, sondern ließen sich in den "Kanonikerreihen" nieder, die neben der Bischofskirche gebaut wurden.
Dem Baron Ádám Patachich, ein sehr gebildetes Mitglied des ungarischen Hochadels, wurde die Aufgabe zuteil, das große Werk der Erneuerung des Bistums zu Ende zu führen. Als er im Jahre 1776 zum Erzbischof von Kalocsa geweiht wurde, standen die neue Bischofskirche und der kunstvolle Bischofspalast praktisch schon. Die Wohnungen der Kanoniker befanden sich zu der Zeit schon im Bau. Er legte die Grundsteine für eine anspruchsvolle Bibliothek und beschäftigte ein ständiges Orchester mit berühmten Musikern. In den ersten Jahren als ihrer Gesamtheit dem Kapitel hinterließ. Rier kam als Rittmeister des Reiterregiment von Erzherzog Karl an die Wiener Universität, wo er 1753 an der theologischen Fakultät inskribiert. 1756 ist er bereits Priester im Bistum Erlau beziehungsweise Lehrer am Institut für Mathematik des erzbischöflichen Lyzeums. Er übt auch später noch als Wardeiner Kanoniker und Direktor des ab 1773 Wardeiner (ehemals Jesuiten-) Gymnasiums seine Lehrtätigkeit aus. Seine wertvolle Bibliothek wird, neben theologischen Werken noch durch Werke der Mathematik, der Physik, der Architektur, des Kriegswesen, der Sprachwissenschaft und der Literatur bereichert. Seine Bibliothek ist rekonstruierbar da er jeden Band mit seinem Namen versehen hat. Seine ebenso wertvollen Lehrunterlagen der Mathematik und Physik hinterließ er dem Gymnasium.
In der Zeit Patachich wird auch Antal Gánóczy zum Kanoniker ernannt, der als Erster eine genau Niederschrift der Geschichte des Bistums verfasste.
Das erste Mal ist in den siebziger Jahren des 18. Jahrhunderts die Rede davon, aus der Kapitelbibliothek die erste öffentliche Bibliothek der Stadt zu machen. Doch das Kapitel selber sieht darin in Bezug auf die Zusammenstellung des Bestandes (er beinhaltet zu diesem Zeitpunkt noch den Nachlass Riers) keinen Sinn und betont, dass die Kapitelbibliothek die nun an den Stadtrand in die neue Bischofskirche umziehen soll, weit entfernt liegt von der Lesergemeinschaft der Stadt.
Die Bibliothek wird im Jahre 1779 in einem aus drei Räumen bestehenden Bibliothekstrakt im zweiten Stock genau über der Kapelle der Bischofskirche untergebracht und befindet sich bis zum heutigen Tag an diesem Ort. Zur Zeit der Wende zum 19. Jahrhundert nimmt die Bibliothek langsam Gestalt an. Ihr Bestand zählte damals 3.000 Bände. Um die Mitte des 19. Jahrhunderts wird sie, bereichert durch zwei mittels Erbschaft erhaltener Sammlungen, auf 5.000 Bände vergrößert.
Da man sich vor dem Zugang der Bibliothek für die Öffentlichkeit versperrte, wurde auch aus der Tradition, nach der die verstorbenen Kanoniker ihre Bücher der Kapitelbibliothek hinterließ, eher eine Zufälligkeit. Große Verluste für die Bibliothek stellte die Tatsache dar, dass so die Bibliotheken von István Szenczy, jener Kanoniker der die Ursulinen in Wardein ansiedelte, und die Bibliothek von Antal Gánóczy zum Teil an das Priesterseminar, zu den Paulanern und den Kapuzinern beziehungsweise nach Pressburg gelangten.
Innerhalb dieses festgelegten Rahmens entwickelte sich und wuchs die Bibliothek des Erzstiftes im Laufe des 18. Jahrhunderts. Mit Hilfe des praktisch zu Gänze erhaltenen Bestandes und der Kataloge, der Besitzeinträge in den Bänden beziehungsweise der vier im Archiv des Kapitels erhaltenen Register über die Nachlässe der Kanoniker können wir uns ein genaueres Bild über die Buchkultur der Körperschaft und ihrer Mitglieder machen.
Der Buchbestand des Kapitels und die erhaltenen Kataloge
Der in der Mitte des 19. Jahrhunderts 5000 Bände zählende Bestand der Bibliothek wuchs bis zum ersten Weltkrieg auf ungefähr 12.000 Bände an. In der darauffolgenden Zeit vermehrte er sich kaum. Da das Bistum und das Kapitel aufgelassen worden war, war an eine Bestandserweiterung der Bibliothek nicht zu denken. So verfügen wir heute praktisch über jenen Buchbestand der auch zur Jahrhundertwende bereits existiert hat. Nach den ersten Wellen der Verstreuung und Verstaatlichung (1947, 1962) wurden die Bestände des Kapitels mit den Bibliotheksresten des Bistums und des Seminars vermischt. Hilfreich bei der Aussortierung war die Tatsache, dass nach der Jahrhundertwende jedes Band einen runden Stempel mit Wappen und folgender Aufschrift erhielt: "Sigillum Capituli Varadiensis Ecclesiae 1900".
Zwischen 1978 und 1982 wurden aus den damals noch vermischten Beständen 11 Wiegendrucke und mindestens 80 Exemplare aus dem 16. Jahrhundert (davon 5 beziehungsweise 53 Stück aus dem Buchbestand des Kapitels) als "Spende" in die Nationalbibliothek von Bukarest überstellt. Diese wurden später bearbeitet und bekamen einen Platz im Katalog der Wiegendrucke beziehungsweise der Antiquabestände an der Rumänischen Nationalbibliothek. So können wir unser Inventar (Adattár) vervollständigen (natürlich nur die vorgestellten Exemplare die bereits im 18. Jahrhundert existierten). Leider gingen in jener Zeit als der gesamte Buchbestand für Jahrzehnte zu herrenlosem Gut wurde, außer den oben Genannten, einige der wertvollsten Stücke des Kapitelbestandes verloren. So zum Beispiel die Brünner Ausgabe der Chronik János Turóczys (1488) oder die 1555er Baseler Ausgabe der anatomische Arbeit De humani corporis fabrica von Andreas Vesalius!
Die Aufarbeitung des älteren Bestandes der Kapitelbibliothek (vor 1800 gedruckte Bücher) wurde zwischen 1999 und 2001 durchgeführt und erlaubt nun, gemeinsam mit den existierenden Katalogen und den Besitzereintragungen, ein Gesamtbild des Wachstums während des 18. Jahrhunderts zu erstellen.
Den Zustand am Ende des von unserer Studie behandelten Zeitraumes (Jahrhundertwende 18. zu 19. Jahrhundert) betrachtend können wir feststellen, dass die Bibliothek des Wardeiner Kapitels verglichen mit den Bibliotheken anderer Kapitel und wichtiger Orden in Ungarn über einen mittelgroßen Bestand verfügte.
Mit Ausnahme jenes um die Jahrhundertwende 18. auf 19. Jahrhundert (ca. 1790-1843) entstandenen Kataloges, sind 5 Kataloge beziehungsweise Katalogbruchstücke des Bestandes erhalten geblieben. Erhalten geblieben ist weiters ein aus einigen hundert Stücken bestehender Teil des zur Jahrhundertwende 19. auf 20. Jahrhundert angefertigten Zettelkataloges (erstellt zu Zeiten des Bibliothekars Vince Bunyitay).
Die Datensammlung
Zur Darlegung des Bestandes der Kapitelbibliothek im 18. Jahrhundert erwies sich das (chronologisch) vierte Katalogpaar als Arbeitsgrundlage am Geeignetsten. Obwohl der genaue Zeitpunkt seiner Erstellung unbekannt ist, kann man sicher sein, dass er Anfang des 19. Jahrhunderts angefertigt worden ist. Die Einträge der in diesem Katalog angeführten Bücher zeugen davon, dass ihre Besitzer alle im 18. Jahrhundert gelebt haben.
Wir präsentieren jenes Exemplar des Kataloges dessen Einteilung der Reihenfolge der Inventarnummern entspricht, um so auch die Verwendung der Register zu erleichtern. Bei dieser Archivierung aus dem 18. Jahrhundert wurden bezüglich Inventarnummer wahrscheinlich nur topographische Aspekte berücksichtigt, nicht aber der sprachliche Aspekt. Da aber jeder Band, der der Reihenfolge der Inventarnummern folgt, auch nach der Sprache in der ein Werk verfasst wurde strukturiert ist, werden die Inventarnummern in den Sprachgruppen immer höher. Doch die Inventarnummer der darauffolgenden Sprachgruppe beginnt wieder mit der Nummer eins und steigen innerhalb der Gruppe an.
Die Einträge des Referenzkataloges werden buchstabengetreu in kursiven Lettern angegeben, gefolgt von den fett gedruckten heutigen Signatur und der den heutigen Erfassungsregeln entsprechenden Schreibweise des Eintrages. Die Beschreibung des Einbandes, die Besitzeinträge und die Bibliographie werden mit kleineren Lettern wiedergegeben:
Frühere Inventarnummer - Autor - Titel - Druckort - Jahr - Format - Bandanzahl - Exemplare
Heutige Signatur
Autor: Titel. - Druckort, Druckerei oder Verlag, Jahr. - Format
Einband (+ Anmerkungen: vor allem auf den Zustand des Bandes bezogen)
Besitzeinträge
Bibliographie
Fehlt ein Band heute in unserem Bestand, wird seine vollständige Beschreibung in eckige Klammern gesetzt. Statt der Signatur findet sich die Notiz: "Der Band fehlt in unserem Bestand". Ebenso wird die Beschreibung jener Bücher der ehemaligen Kapitelbibliothek die sich heute in der Nationalbibliothek von Bukarest befinden in eckigen Klammern gesetzt. Jener Eintrag der den Katalogen der Urdrucke beziehungsweise der Antiqua entspricht, wurde übernommen und statt der heutigen Signatur findet sich die Bukarester Inventarnummer (z.B: "Buk.N.Kvt.42")
Gelang es uns, im Fall eines heute fehlenden Bandes, nur einige Angaben zu identifizieren, so scheinen nur diese in der Beschreibung auf.
Am Ende des Registers stehen mit der Anmerkung "Ersatzband" die Beschreibungen weiterer 17 Bände die auch heute zum Bestand des Kapitels gehören. Sie scheinen zwar im Referenzkatalog nicht auf, gehörten sie im 18. Jahrhundert laut Besitzeinträgen einem Kanoniker oder dem Kapitel selber. Ebenso haben wir am Ende unseres Verzeichnisses jene 5 Bände mit der Signatur "Újváros" aufgenommen, die in der Bibliothek der Pfarrei Großwardein-Neustadt aufgetaucht sind. Sie scheinen in unserem Katalog nicht auf, jedoch befinden sich in ihnen Besitzeinträge des Kapitels. Natürlich haben wir auch solche Bände nicht in unser Verzeichnis aufgenommen, deren Besitzer zu Kanonikern ernannt wurden, diese Bücher jedoch den Pfarrbibliotheken vermacht hatten und diese daher nie in die Kapitelbibliothek gekommen waren.
Untersucht man die Besitzeinträge der Bände stellt sich heraus, dass 2/3 der mehr als 1300 Einträge (875 Stück) Großwardeiner Kanonikern oder dem Kapitel als Körperschaft gehörten. 17 Bände in denen sich Besitzeinträge des Konvents in Lelesz befinden, sind aller Wahrscheinlichkeit nach durch Bischof Benkovics oder den Kanoniker István Farkas nach Wardein gekommen. Die meisten Besitzeinträge (410 Stück) stammt von dem Kanoniker Franz Xaver Rier. Dies entspricht 26% des im Referenzkatalog aufgenommenen vollständigen Bestandes (1558 Titel). Die Bedeutung dieser Anzahl wird dadurch noch gesteigert, dass seine Bücher, großteils naturwissenschaftliche Werke, ausnahmslos zeitgemäß waren, das heißt dem wissenschaftlichen Niveau der Zeit entsprechend.
In 213 Fällen ist das Kapitel als Körperschaft der Besitzer (je ein Band gehörte 1702 bzw. 1703 zum Bestand des Kapitels; 88 Bände weisen Eintragungen der Inventarisierung des Jahres 1729 auf, 11 Bände Einträge aus dem Jahr 1752, 1 Band aus dem Jahr 1762, 3 Bände aus 1764 und in 111 Bänden finden sich keine Jahreszahlen).
Unter den Einträgen aus dem 17. Jahrhundert finden sich keine solchen kirchlichen oder weltlichen Besitzer deren Tätigkeit sich auf dem Gebiet des Wardeiner Kirchendistriktes entfaltet hätte, da bis zu dieser Zeit praktisch alle Pfarreien bzw. das Komitat verwüstet worden waren.
Bände aus dem ehemaligen Besitz bekannterer kirchlicher oder weltlicher Persönlichkeiten die im 16., 17. bzw. in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts gelebt haben, gelangten ebenfalls im Laufe des 18. Jahrhunderts in den Besitz des neuorganisierten Wardeiner Kapitels oder eines Wardeiner Kanonikers. Meistens aus dem Besitz Nordungarischer Kapitel, in erster Linie durch Vermittlung Erlauer und Graner Pfarreien. Auch einige Bücher von kirchlicher Körperschaften, Kapitel, Ordenshäuser und Schulen gelangten in den Besitz des Wardeiner Kapitels. So zum Beispiel Werke aus dem Besitz des Erlauer Kapitels, der Benediktinerabtei Göttweig, des Zisterzienserabtei von Vellehrad, der Wardeiner Paulaner, der barfüßigen Augustinnianer, der Erlauer Trinitarier, der Türnauer Visitationsgesellschaft, der Wiener, Erlauer, Homonnaer, Türnauer, Fünfkircher, Sárospataker und Wardeiner Jesuiten, des Leleszer Konvents, des Wardeiner Priesterseminars, der Schule des Leleszer Konvents und der Schule der Sárospataker Jesuiten, der protestantischen Scholae von Debrecen, Korpona und Rimaszombat sowie einige Bücher verschiedener Franziskaner. Im Laufe des 18. Jahrhunderts gelangten einige Bände aus dem Besitz von Pfarrern des Wardeiner Kirchendistrikts (von denen mehrere später zu Kanonikern ernannt worden waren) bzw. aus dem Besitz von Pfarreien des Wardeiner und anderer Kirchendistrikten (in erster Linie von Erlau, Gran und Neutra) in die Kapitelbibliothek.
Jene Besitzeinträge die nicht in Verbindung mit dem Wardeiner Kapitel und seinen Kanonikern gebracht werden können, lassen also zum Großteil ungarische, kirchliche und weltliche Besitzer vermuten, unter diesen in erster Linie jene die in den oben genannten Kirchendistrikten tätig waren; seltener Besitzer aus Österreich, Siebenbürgen, Mähren, Polen und Südungarn. Jene Bücher die nach Angabe der Besitzeinträge in Wien, Rom, Zürich oder Ütrecht gekauft wurden, müssen mit Studienreisen oder Peregrinationen in Verbindung gebracht werden.
Die sprachliche Zusammensetzung des Bestandes zeigt folgendes Bild: annähernd 70% der Bücher ist lateinisch-, 20% deutsch-, 7% französisch-, 2% italienisch- und 1,6% ungarischsprachig. Jene Werke die im Laufe des 18. Jahrhunderts von den Kanonikern bzw. vom Kapitel aquiriert wurden, sind beinahe zur Gänze lateinischsprachig, die deutschen und französischen Werke stammen zum Großteil aus dem Nachlass des Kanonikers Rier (die Hälfte seiner Bücher war deutsch-, ein fünftel französischsprachig).
Die Auflistung nach Druckorten zeigt folgendes Ergebnis: nur ein Fünftel wurde in Ungarn gedruckt (46% dieses Bestandes in Türnau, 11% in Kaschau, 9% in Preßburg, 8% in Klausenburg). Unter den Druckorten im Ausland sind die Bedeutendsten Augsburg, Wien, Frankfurt, Köln, Leipzig, Paris und Venedig, weniger bedeutend waren Amsterdam, Antwerpen, Basel, Halle, Lyon, Nürnberg und Rom. Von diesen Druckorten stammt auch ein Gutteil des Bestandes.
Im Bezug auf die Namensvarianten haben wir folgende Regel befolgt: in den Titelbeschreibungen haben wir die Namensvarianten die der Sprache des Werkes entsprochen haben verwendet, während wir in den Registern (Autoren- und Besitzerregister) der nationalen Zugehörigkeit entsprechenden Namensvariante verwendet haben. In allen unklaren Fällen haben wir die lateinische Namensvariante.
Übersetzt von
Andrea Seidler