1. Die ungarische Landnahme

Die zum ugrischen Zweig der finnougrischen Sprachfamilie gehörenden Ungarn treten mit einer beachtenswerten Episode erstmals in der europäischen Geschichte auf. Der Kagan des mächtigen Chazarenreiches bittet durch eine Gesandtschaft den byzantinischen Kaiser Theophilos (829-842), er möge für ihn eine Festung am linken Donufer errichten, an der damaligen Grenze des am jenseitigen Flußufer beginnenden „Turkia“. Spatarios Petronas mit seinem Kommando baut tatsächlich 833/34 die Festung Sarkel (Šar-kel, chazarisch: Weißen-Burg), womit es gelang, die chazarisch/ungarische Grenze zu schließen. Der Bau des aus gebrannten Ziegeln errichteten Sarkel war wichtig geworden, weil die frühere, aus weißen Steinen erbaute echte „weiße Festung“ (Cimljanskoje gorodišče) am jenseitigen, dem rechten Donufer irgendwann im Jahrzehnt nach 813 von den Ungarn und den zu ihnen gestoßenen Chazaren (Kabaren) zerstört und abgerissen worden war.

Während die ungarischen Stämme im Dongebiet unter Fürst Levedis Herrschaft nominell die chazarische Oberhoheit noch anerkennen, tauchen andere ungarische Stämme, die die Byzantiner als „turkoi“, „hunnoi“ bzw. damals schon als „ungroi“ erwähnen (um 838), mit ihren türkischen Verbündeten von Sarkel „60 Tagesmärsche“ entfernt an der unteren Donau auf. Ihre Namensbezeichnung ist eine Übertragung des Ethnonyms der bulgartürkischen Onoguren auf die Ungarn, die in den europäischen Sprachen bis heute erhalten blieb (Ungar, Hongrois, Hungarian, Venger usw.). Aus dem Land mit dem türkisch-altungarisch zusammengesetzten Namen Etelköz („Atelküzü“ = Zwischenstromland, dessen Ausdehnung Konstantinos Porphyrogennetos genau mitteilt: Gebiet zwischen Sereth–Pruth–Dnjestr–Bug–Dnjepr)* DAI 38, Ende. FBHH p. 45 unternimmt „der Ungri genannte Feind“* Hostes qui Ungri vocantur. Armales Bertiniani ad a. 862. & I. 111, p. 227 den ersten Angriff über die Karpaten auf das karolingische Pannonien, damals betreten sie zum ersten Mal ihre spätere Heimat. Nach arabisch-persischen Quellen um 870 herrschten damals ein Sakralfürst (k.nde = kende/kündü) und ein Heerfürst (dź.la = gyula) über die Magyaren (m.dź.gh.r.), die damals „viel Ackerland“ und ein Heer von 20 000 Reitern besaßen. Nicht eingerechnet war dabei wohl das von den Chazaren {110.} übergelaufene „aufrührerische“ (kabarische) Heer, das bei dem 881 bis Wien (Venia) reichenden Angriff noch gesondert agierte (Ungari und Cowari).

Von der Landnahme sprechen wir, als die ungarischen Stämme gezwungen wurden, das Etelköz zu verlassen und in das Karpatenbecken zu flüchten, verursacht durch das Bündnis gegen die Bulgaren, das der Beauftragte des byzantinischen Kaisers Leo des Weisen Niketas Skieros mit den Führern der Ungarn, Arpad und Ku(r)san, an der unteren Donau geschlossen hatte (894). Die Byzantiner schifften ein starkes ungarisches Heer unter Führung von Arpads Sohn Levente – in griechischer Umschrift: Liunti(ka) – über die Donau, worauf es dem Bulgaren-Khan Simeon I. eine so schwere Niederlage zufügte, daß er in seinen stärksten Burgen (Mundraga = Madara und dann Dristra = Silistra) Zuflucht suchen mußte. In seiner bedrängten Lage gewinnt Simeon die kurz zuvor (893) im Rücken der Ungarn aufgetauchten türkischen Petschenegen zu Bundesgenossen, womit die Ungarn zwischen zwei Feuer gerieten – dieser zweiseitige Angriff hat die Landnahme zur Folge.

Schreibt ein Historiker oder Archäologe heute über die ungarische Landnahme und insbesondere über die landnahmezeitliche Geschichte des Gebietes jenseits der Theiß und Siebenbürgens, muß er sich entscheiden, ob er die umfangreichste und detaillierteste „Quelle“, die Gesta Hungarorum des sich selbst Meister P. nennenden, allgemein als Anonymus bekannten Verfassers dazu heranziehen will oder nicht. Im Falle eines Kompromisses verwickelt er sich nämlich rasch in dieselben unaufhörlichen Widersprüche, die schon mehr als zwei Jahrhunderte die ungarische und die ausländische Geschichtsforschung beschäftigen. Denn von der ersten Ausgabe, 1746, der Mitte des 18. Jahrhunderts entdeckten, als Kopie in einem Kodex aus dem 14. Jahrhundert erhaltenen Gesta vom Beginn des 13. Jahrhunderts an wurden diese fast zu einer heiligen Schrift. Inzwischen bedürfen ihre ereignisgeschichtlichen und topographischen Angaben im Licht nicht nur der zeitgenössischen schriftlichen Quellen, sondern auch der archäologischen Funde und Beobachtungen einer gründlichen Überprüfung. Die wissenschaftlich gewordene historische Quellenkritik am Ende des letzten Jahrhunderts tat die ersten Schritte und zeigte dann in ihrer Fortentwicklung, daß der Inhalt der Gesta geographische, ethnographische und politische Projektionen der Verhältnisse (für die sie eine erstrangige Quelle ist!) und Bestrebungen um 1200 auf eine 300 Jahre frühere Vergangenheit sind. Ihre Literaturgattung ist die um 1200 blühende romanhafte Geschichte = gesta, sie kann also als Erzählung dem Historiker nicht als glaubwürdige Quelle dienen, sondern höchstens dem Literaturhistoriker.

Doch war die historische Quellenkritik nicht konsequent: Häufig wurden (und werden) um einer neuen Theorie willen einzelne Personen und Geschehnisse in den Gesta hervorgehoben und zur glaubwürdigen „Geschlechtertradition“ erklärt. Deswegen stehen sich auch in der ungarischen Geschichtsforschung der Gegenwart zwei schwer miteinander zu verbindende Anonymus-Auslegungen gegenüber. Die eine hält es im Falle der Ethnonyme, Personennamen bzw. Berufe bedeutenden ungarischen Ortsnamen für möglich, daß der Autor der Gesta auch landnahmezeitliche Sippentraditionen vermittelt. Die andere bezweifelt in Anerkennung der Berechtigung und der Ergebnisse der bis zum 10. Jahrhundert zurückgehenden Ortsnamenforschung, daß sich bei Anonymus echte historische und familiäre Traditionen vom Ende des 9. und Beginn des 10. Jahrhunderts {111.} erhalten haben könnten und hält dies bei solchen nur vom Ende des 10. Jahrhunderts an für möglich.

Anonymus (P. dictus magister) betont bewußt, daß die Besitzrechte der „allerersten landnehmenden“ ungarischen Herrengeschlechter (die „de genere“-Familien – dieser Ausdruck erscheint bei ihm erstmalig!) ebenso feststehend und unvergänglich seien wie die der Arpaden; in zehnjährigem (!) unablässigen Kampf hätten sie unter Blutvergießen um jeden Fußbreit Boden gerungen und besäßen all ihren Besitz von Arpad selbst.

In Wahrheit hat der Verfasser der Gesta – außer den Namen Arpads und einiger in verschiedenen Perioden des 10. Jahrhunderts lebenden und wirkenden Fürsten – keine blasse Vorstellung von den tatsächlichen Ereignissen und Teilnehmern der Landnahme und ebensowenig von den zeitgleichen Quellen außer einigen mißverstandenen Angaben Reginos vom Beginn des 10. Jahrhunderts. Er kennt keinen einzigen der wirklichen Gegner der landnehmenden Ungarn seinem Namen nach (Svatopluk I. und II., Mojmir II., der deutsche König und Kaiser Arnulf, der Herzog Pannoniens Braslaw, der Bulgaren-Khan Simeon, der Bayernherzog Liutpold). Er hat auch keine Kenntnis von der für die Landnahme entscheidenden Preßburger Schlacht, weiß nichts von den möglichen oder tatsächlichen lokalen Verteidigungszentren (Černigrad/Csongrád, Mosaburg/Zalavár, Belgrad an der Donau, Belgrad in Siebenbürgen). Mit Ausnahme der Bulgaren weiß er auch nichts von den Gegnern der Landnehmenden (Mähren, Slowenen, Karantanen, Franken, Baiern) und macht aus ihrem östlichen Feind, den Petschenegen, gleich zwei gesonderte Völker (bisseni, picenati). Ihm bleibt nichts anderes übrig, als Feinde und Gegner zu erdichten, damit seine nicht weniger märchenhaften ungarischen Helden jemanden besiegen können. Ohne viel zu grübeln, schafft er aus Flußnamen (Laborc), Bergnamen (Tarcal, Zobor – letzterer der slawische Name Sobor = Kirch(berg) bei Neutra, Namensgeber der Benediktinerabtei von Zobor am Beginn des 11. Jh.) und von Dörfern (Glad, Gyalu, Marót) Helden und Führer, den Bulgaren Laborcy, den Kumanen Turzol, den Tschechen Zobur, den blacus Gelou und den Kumanen Glad von Vidin. Die Hauptgegner, der Bulgare Salan(us) und der Chazare Ménmarót, sind Erfindungen von eigenartiger Volksmärchenfärbung. Seine feindlichen Völker-die zur Zeit der Landnahme noch im Böhmischen Becken lebenden Tschechen, die in Europa erst in der zweiten Hälfte des 11. Jahrhunderts (1055) auftretenden Kumanen (Kiptschaken, Polovcen), die im Karpatenbecken im 12. Jahrhundert auftauchenden Vlachen – bezeugen alle nur die Verhältnisse am Ende des 12. Jahrhunderts. Seine landnehmenden Fürsten sind großenteils nichts anderes als die Ahnen reicher Grundherren vom Beginn des 13. Jahrhunderts – nachweislich die Abkömmlinge der Grundherren des neuen Staatssystems aus dem 11. Jahrhundert.

Die Landnahmegeschichte Siebenbürgens wurde bisher aus der Betrachtungsweise des Anonymus behandelt, gleich, zu welcher Nation der Historiker gehörte, der sie schrieb. Die „beim Verecke-Paß“ hereingekommenen landnehmenden Stämme versuchten demnach vom Theißtal aus, am Samosch entlang oder durch die Meszeschpforte in Siebenbürgen einzudringen. Schon ganz zu Anfang stoßen sie auf einen sehr großen Gegner, den chazarischen Führer mit dem „Bulgarenherzen“, auf den Herren der Burgen Sathmar und Bihar, Ménmarót, mit dem sie nicht fertigwerden und schließlich ein Bündnis eingehen. Aus seiner Burg am Samosch organisiert Gelou, „irgendein {112.} Vachen-“ (quidam Blacus) „Führer“ (dux), den Widerstand der Bewohner des Gebietes (Blasii et Sclaui), über die sich in ihrer ganzen Geschichte niemand jemals so verächtlich geäußert hat wie der in der heutigen rumänischen Forschung bis in den Himmel gehobene Anonymus (die folgende Hälfte seines Satzes pflegt man nämlich nicht zu zitieren: viliores homines essent tocius mundi).

Die Geschichtswissenschaft der heute mit den Ungarn im Karpatenbecken zusammenlebenden slawischen und rumänischen Völker setzt in der Anonymus-Frage bislang nicht die Methoden der Quellenkritik ein. In unserem Jahrhundert tat sie im Gegenteil sogar noch einen Schritt zurück: sie betrachtet den Autor der Gesta als „Kronzeugen“, der über die Ereignisse an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert mit der Glaubwürdigkeit eines Kriegsberichterstatters oder eines Kriegstagebuchs berichtet hätte, und hält seine „Objektivität“ als ungarischer königlicher notarius für unbezweifelbar. Die heutige rumänische Geschichtsforschung interpretiert die von Anonymus und seinem Kodexkopisten aus verstümmelten Dorfnamen erdichteten Oberhäupter „Gelu“ (Gyalu), Ménmarót (Marót) und Glad (Galád) samt ihren Taten als „Vaterlandsverteidigungs“-Kampf des rumänischen Volkes und betrachtet ihre angeblichen Herrschaftsgebiete als „feudale rumänische Woiwodschaften“ (voievodate). Eine Annäherung der Ansichten, ein Kompromiß ist unmöglich, solange die Geschichtsforschung von nationalstaatlichen Gesichtspunkten beherrscht wird.

Vertrauen verdienende zeitgleiche Angaben über die tatsächliche Geschichte der Ungarn im 9.–11. Jahrhundert sind in orientalischen (vorderasiatisch- und spanisch-arabischen, persischen), in westlichen (lateinischen aus Italien, Deutschland und Frankreich) sowie in byzantinischen (griechischen) Quellen überliefert. In ihnen ist über die bei Anonymus vorkommenden Personen und Ereignisse nicht oder nicht zur Landnahmezeit die Rede. Auch die älteste Erinnerung aus Ungarn stimmt mit der Landnahmegeschichte des Anonymus nicht überein, die aus den verlorenen, in den 1060er Jahren geschriebenen Urgesta in die älteste Chronik der Zeit des hl. Ladislaus, in die Gesta Ungarorum, übernommene Geschichte.

Wir kennen die wirkliche Ereignisgeschichte der ungarischen Landnahme aus den zeitgemäßen Quellen nur skizzenhaft. Vorerst gibt es keinen Beweis dafür, daß die frühesten Kriegszüge der Ungarn (und ihrer kabarischen Verbündeten) als Bundesgenossen der Karolinger oder auch der Mähren gegen Pannonien und Mähren (862, 881, 892, 894) von Stützpunkten diesseits der Karpaten ausgingen. Entscheidend anders verhält es sich mit dem letzten pannonischen Kriegszug (894), der mit dem Tod Svatopluks im Spätherbst und dem im Bündnis mit Byzanz gegen Bulgarien und Simeon 1. geführten ungarischen Kriegszug zusammenfiel. Ende 894 begannen nämlich die von den Bulgaren als Bundesgenossen gewonnenen Petschenegen einen Angriff gegen die östlichen Siedlungsgebiete der Ungarn, und Anfang 895 schlugen die mit Byzanz sofort einen Waffenstillstand schließenden Bulgaren das von südlich der unteren Donau her in Bulgarien operierende ungarische Heer unter Levente, so daß dieses wegen des Petschenegenangriffs nicht mehr in seine alte Heimat zurückkehren konnte. Es mußte sich über die Südkarpaten nach Siebenbürgen zurückkziehen, wo es auf die eben über sämtliche begehbaren Ostkarpatenpässe massenweise gleichfalls dorthin flüchtenden Ungarn traf. Das Ende 894 Pannonien überfallende Heer konnte ebenfalls {113.} nicht nach Osten zurückehren. Also siedelten bis 895 alle in Frage kommenden ungarischen Kräfte im Karpatenbecken, das sie bis zur Linie Donau-Gran besetzten, wobei sie überall die bisherige bulgarische Herrschaft ablösten.

In den folgenden Jahren (896 – Sommer 900) kam es im Karpatenbecken nicht zu Kämpfen – dies ist der erste Abschnitt der Landnahme und Etablierung der Ungarn. Das unter der Oberhoheit der Karolinger stehende Pannonien war bis zur Jahrhundertwende fest in der Hand des mit seiner Regierung beauftragten slawischen Dux Braslaw, und freundschaftlich war auch das Verhältnis der Ungarn zu den Mährern westlich der Gran.

Den zweiten Abschnitt der Landnahme leitet das Militärbündnis Arnulfs I. mit den Ungarn ein. Eine von Arnulf durch Pannonien hindurchgelassene kleine ungarische Truppe unternimmt bereits 898 eine gewaltsame Aufklärung in dem mit dem Kaiser verfeindeten Friaul und Marche. Im Sommer 899 beginnt ein großangelegter Kriegszug im Auftrag des Kaisers nach Norditalien gegen dessen Gegner König Berengar I. Mit ihrer siegreichen Schlacht an der Brenta am 24. September 899 brechen sie sozusagen in die europäische Geschichte ein – in den folgenden 33 Jahren verlieren sie keine bedeutende Schlacht mehr. Zugleich mit ihrem italienischen Kriegszug kommt es in Mähren zum Kampf zwischen Svatopluks Söhnen (898–899), in den auf Svatopluks II. Seite auch Arnulf eingreift, wobei ihm vermutlich auch ungarische Truppen behilflich waren. Eine erneute Wende bringt Arnulfs unerwarteter Tod (8. Dez. 899). Die Ungarn fühlen sich aus dem mit ihm geschlossenen Bündnis entlassen, was sich auch auf den mit Arnulf verbündeten Svatopluk II. bezog. Da weder die Karolinger (die Regierung Ludwigs IV., des Kindes) noch die Mojmiriden das Bündnis mit ihnen erneuern, greifen die Ungarn 900 das in internen Kämpfen versinkende Mähren an und besetzen das Gebiet zwischen Gran und March, während das aus Italien heimkehrende Heer ohne nennenswerten Widerstand gleichzeitig Pannonien erobert. Damit war im Sommer 900 auch der zweite Abschnitt der ungarischen Landnahme abgeschlossen. Im Herbst desselben Jahres errichten die Baiern bereits die Ennsburg gegen sie, und die an beiden Donauufern bis zur Enns vordringenden Ungarn kehren nach einer Eintragung in den Fuldaer Annalen nach Pannonien schon als in ihr „Eigen“ (ad sua) zurück.

Mit der Zerschlagung Mährens und der Truppen Mojmirs II. (902) war der Schutz des besetzten Karpatenbeckens nach außen beabsichtigt, während der gewaltige Sieg über die angreifenden Baiern am 4.–5. Juli 907 an Braslaws einstiger Brückenkopf-Festung (Brezalauspurc/Preßburg) die endgültige Inbesitznahme des neuen Landes sicherte.

Die Geschichte der ungarischen Kriegszüge nach Westen zwischen 862–955 wurde auch von deutschen, französischen und italienischen Historikern aufgearbeitet. Wie sie diese auch einschätzen, ihre militärische Organisation und ihre Erfolge sind unwiderlegbar, ebenso wie heute auch die nicht weniger blutigen und zerstörerischen Erfolge der wikingisch-normannischen Kriegszüge anerkannt werden. Die ungarischen Reiterheere erzielten anfänglich überwältigende Siege über die Heere Italiens, Bayerns, Thüringens, Frankens, Sachsens und Burgunds, nahmen viele italienische und westeuropäische Städte ein, die sie plünderten und brandschatzten. Sie kamen bis nach Dänemark und Bremen, bis zum La-Manche-Kanal, nach Aquitanien und zum Atlantik, in Spanien bis Andalusien, in Italien bis Otranto und bis zum {114.} Ende der 960er Jahre nach Konstantinopel und Thessalonike. Gemessen an ihren wirklichen Schlachten und Kriegszügen verurteilt die Phantasie des Anonymus sie zu Frösche-und-Mäuse-Kriegen gegen irgendwelche erdichteten Laborcys, Zobors, Gelous und Glads. Sie, die in Wirklichkeit z. B. Beneventum, Narbonne und Bremen einnahmen, standen den Gesta zufolge ratlos vor der angeblichen Biharer Burg des märchenhaften „Menumorout“ (wie er altungarisch genannt wird, als verlöre sein Name damit seine ungarische Herkunft: Ménmarót = Mährischer Hengst). Sie, vor denen fünf Jahrzehnte lang Europas Völker zitterten, jenseits der Alpen und Pyrenäen, des Rheins, der Seine, der Donau und des Ebro, sollen nach Anonymus gezwungen gewesen sein, zögernd vor der Meszeschpforte zurückzuschrecken, vor dem Mieresch oder der Waag, vor den lokalen Helden bezirksgroßer Gebiete?