2. Siebenbürgen und der Ostrand der Großen Ungarischen Tiefebene
zwischen 895 und 1003


Inhaltsverzeichnis

Die spätestens in den 1060er Jahren geschriebenen ungarischen Urgesta überlieferten die einzig vorstellbare (auch aus anderen damaligen Quellen erschließbare) Marschroute der Landnahme. Das aus den verwüsteten ungarischen Quartieren vertriebene Volk flüchtete, sich versammelnd und drängend, binnen drei Monaten über sämtliche begehbaren Pässe der Ostkarpaten vor den ihre Viehherden und Pferde vernichtenden „Adlern“ (altungarisch: besék = Petschenegen; lateinisch: bessi) durch Wälder und Hochgebirge (Alpes) ins sichere Siebenbürgen (in Erdelw). Hier endlich „ruhten sie, und auch die ihnen verbliebenen Herden kamen wieder zu Kräften“.* In Erdelw igitur quieverunt et pecora sua recreaverunt. SRH I. 28. pp. 287–288 Eine unzweifelhaft authentische Tradition – die Familientradition der Arpadendynastie – überliefert, daß der frühere Großfürst, Arpads Vater Almos, in Siebenbürgen ermordet wurde, „denn er konnte nicht mit nach Pannonien gelangen“* Almus in patria Erdelw occisus est, non enim potuit in Pannoniam introire. SRH I. 28. p. 287 – zu dem nach chazarischem Brauch begangenen Sakralopfer mag es wegen der Niederlage durch die Petschenegen gekommen sein. Woandershin als nach Siebenbürgen konnte auch das in Bulgarien geschlagene Heer nicht flüchten, den am Südufer der unteren Donau entlangführenden Engpaß bewachten nämlich die starken bulgarischen Burgen Vidin und Belgrad. Andererseits hielt sich zur Zeit der Landnahme kein bulgarisches Heer im Karpatenbecken auf, die Ungarn brauchten um den Besitz des Gebietes nicht mit größeren bulgarischen Kräften zu kämpfen. In diesen für die Bulgaren fast katastrophalen Jahren zwischen 894–899 ist in dem fernen Grenzgebiet höchstens mit den üblichen Burggarnisonen (50-300 Bewaffnete) zu rechnen – in Siebenbürgen blieb nicht einmal die Erinnerung an diese erhalten.

Der Schlußsatz der Landnahmeerzählung in den Urgesta meint zu wissen, daß die Ungarn in Siebenbürgen „sieben Erdburgen (septem castra terrea) bauten, dort behüteten sie ihre Ehefrauen und ihr Vieh, eine Zeitlang blieben {115.} sie dort“. – So offensichtlich die anschließende Bemerkung „deshalb nennen die Deutschen dieses Land Simburg“* SRH I. 286 (Siebenbürgen) ein Jahrhunderte späterer Kommentar ist, ebenso offensichtlich kann auch der Zusatz von den sieben Erdburgen nicht vor dem Bau der siebenbürgischen Gespansburgen, also vor dem 11. Jahrhundert, entstanden sein. Unwahrscheinlich ist auch, daß diese angeblichen Burgen die durch die sieben Stämme bzw. Stammesführer sogleich in Besitz genommenen sieben Salzbergwerke schützten, Salz mußte anfänglich kaum gegraben werden, da sich mehrerenorts richtige „Salzberge“ erhoben. Wo nach Salz gegraben wurde, dort arbeitete man anfangs gewiß nur in einigen bulgarischen Gruben im Mieresch-Gebiet weiter. Die landnahmezeitlichen Ungarn brauchten schon von ihrer Zahl her nicht alle acht großen mittelalterlichen Salzgruben Siebenbürgens.

Das waldbedeckte Siebenbürgen am Ende des 9. Jahrhunderts wäre nicht einmal einige Monate fähig gewesen, alles Volk und Vieh der ungarischen Stämme zu ernähren, weshalb die Mehrzahl der Ungarn schon 895 ins Tiefland weiterziehen mußte. Allerdings gibt Konstantinos Porphyrogennetos an einer Stelle als gesamtes Quartiergebiet von „Turkia“ ein Territorium an, dessen größter Fluß die Theiß (Títza), dessen Flüsse im Inneren Temesch (Timésis), „Tutis“ (Bega?), Mieresch (Morésis) und Kreisch (Krísos) sind, während es „im Osten“ die Donau (Istros) gegen die Bulgaren abgrenzt.* DAI 40. FBHH p. 48 Den Widerspruch pflegt man dadurch aufzulösen, daß hier von dem „Land“ eines einzigen ungarischen Oberhauptes, des nach 952 persönlich in Byzanz gewesenen gyula, die Rede wäre. So überlegenswert diese Erklärung auch ist, sie stimmt trotzdem nicht. Der Kaiser schloß sein Sammelwerk nämlich noch vor dem Besuch des gyula ab (952), bekanntlich finden sich in ihm keinerlei direkten Informationen durch den gyula. Diese Beschreibung „Klein-Turkias“ gelangte gewiß aus dem zwischen 897 und 900 geschriebenen Gesandtenbericht des Klerikos Gabriel in das – bei weitem nicht von der Vermischung von Angaben aus unterschiedlichen Zeiten freie – Werk des Kaisers, beschreibt also die Situation vor 900. Das gleiche macht der verlorene Quellen verwendende Baier Aventinus im 16. Jahrhundert, der das Land der Ungarn vor 900 mehrfach Dacia, und zwar Dacia diesseits und jenseits der Theiß, nennt. Kaiser Konstantin selbst informiert in anderen Teilen seines Werkes genau und richtig über das Land der Ungarn zu seiner eigenen Zeit: „das einstige Pannonien der Langobarden, jetzt das Land der Türken“,* DAI 27. FBHH p. 38 von Westen grenzt „Frangia“ (das Frankenreich) an die Türken,* DAI 13. FBHH p. 37 „die Türken wohnen oberhalb der Donau im Land Moravia [die heutige Südwestslowakei] und auch diesseits davon zwischen Donau und Save“.* DAI 42. FBHH p. 50 Auch in der Fortsetzung obiger widersprüchlicher Beschreibung „Klein-Turkias“ wird gesagt, daß im Westen die Franken und im Süden die Kroaten ihre Nachbarn sind.* DAI 40. FBHH p. 48

Aus allem folgt, daß die „Dazien“ besetzenden ungarischen Stämme mehrheitlich Siebenbürgen wieder schnell verließen, und sicher ist auch, daß {116.} nach 900 die Zahl der ungarischen Bewohner Siebenbürgens weiter zurückging.

Im 10. Jahrhundert können die heute zu Rumänien gehörenden östlichen Randgebiete der Großen Ungarischen Tiefebene und das östliche Banat – ungefähr das neuzeitliche Partium – kaum mit dem tatsächlichen Siebenbürgen verglichen werden, andererseits stimmen sie in allem mit dem Theiß-Gebiet in Ungarn überein. Eine starke slawische Bevölkerung fanden die Ungarn hier nicht vor, die Slawen lebten in geschlossenen Siedlungsblöcken am Rand der Gebirge und ihrer bewaldeten Ausläufer, in der Ebene (so z. B. am mittleren Abschnitt des Berettyó oder dem unteren der Weißen Kreisch) gab es bloß slawische Inseln. Vom Nyír-Érgebiet über Bihar, Zaránd, Arad und Temesch bis nach Örsvár (Orschowa) an der unteren Donau grenzen kleinere und größere, doch zu allen Zeiten reiche und bedeutende landnahmezeitliche ungarische Friedhöfe und Gräber aneinander, denen gegen Ende des Jahrhunderts die Gräber der milites Fürst Geysas (Géza, 972–997) folgen. Weitere Beweise für diese bedeutende ungarische Besiedlung sind die frühen ungarischen Ortsnamen, vor allem die Dorfnamen aus den Namen ungarischer Stämme, die in der östlichen Tiefebene noch von vermutlich kabarischen Stammesnamen (Varsány, Tárkány) und dem „Alane“ bedeutenden Dorfnamen Berény ergänzt werden. Von den acht ungarischen Stammesnamen kommen sieben (der Stammesname Kürt fehlt auch in der östlichen Tiefebene und in Siebenbürgen) gemeinsam mit Tárkány, Varsány und Berény in den flachen Teilen Bihars und Zaránds ebenfalls mit beträchtlicher Siedlungsdichte vor (25 Dorfnamen). Obwohl in dem Gebiet zwischen Mieresch, Temesch und unterer Donau der Mongolensturm von 1241 hunderte Dörfer zerstörte (je nach Gegend 30–70%) und die Ungarn desselben Gebietes bis zum Ende der Türkenkriege fast völlig vernichtet wurden, blieben in der Ebene dennoch pro Komitat 4–6 aus Stammesnamen gebildete Ortsnamen erhalten: nach ihrer Häufigkeit Kér, Jenõ, Tarján, Nyék, Megyer, Gyarmat, Keszi, Kürt und, mit Stammesnamencharakter, Tárkány und Varsány.

Nahe Biharvár (= Burg Bihar) liegt Szalárd, der Herrensitz eines ungarischen Fürsten im 10. Jahrhundert: „Salard dux“ war der 924 in Norditalien kämpfende und Pavia einäschernde Heerführer; Zarándvár bewahrte den Namen eines Arpadenherzogs, des Sohnes von Arpads Sohn Tevel (Zerind). Beide Burgen entstanden vermutlich im 10. Jahrhundert (als nämlich Ortsnamen aus reinen Personennamen gebildet wurden), was für Biharvár von der Archäologie längst bestätigt wurde. Um Biharvár finden sich auch Dienstleute-Dörfer für die Zentren des 10. Jahrhunderts (Kovácsi = Schmiede, Csatár = Waffenschmiede, Ácsi = Zimmerleute, Szántó = Ackerbauern, Vadász = Jäger) – alles Namensvarianten, die als feststehende Dorfnamen in den Urkunden des 11. Jahrhunderts auftauchen.

In Siebenbürgen ist die Lage vollkommen anders. In den Komitaten Inner-Szolnok, Torda, Küküllõ, Fehér und Hunyad gibt es keine Siedlungen mit ungarischen Stammesnamen, in Doboka 1 Jenõ und vielleicht 1 Kér, im Komitat Kolozs 1 Keszi. Dazu kommt noch ein einziges Berény in Nord-Hunyad. Es ist seit langem umstritten, warum die Ortsnamen aus Stammesnamen in Siebenbürgen weit hinter den noch kaum erforschten ungarischen archäologischen Funden zurückbleiben, zumal es in Siebenbürgen zahlreiche Gewässer und sonstige Ortsnamen ungarischer Herkunft gibt. Sicher ist, daß {117.} 942 „sieben Emire“, also Stammesfürsten, die Ungarn anführten, wie kürzlich aus der historischen Arbeit des spanischen Mauren Ibn Haijân bekannt wurde. Aus der gleichen Mitteilung ungarischer Herkunft lassen sich auch einige der sieben Fürstennamen erschließen. Um 950 zählt Konstantinos Porphyrogennetos aus einer guten ungarischen Quelle noch genau und richtig die „sieben Stämme“ (geneai) der Türken auf, von denen der vierte der zusammengezogene Name Kürtgyarmat ist.* DAI 40. Néki, Megeri, Kurtugermatu, Tarian, Jenah, Kari, Kasi Diese Namen sind authentisch, finden sich doch die Namen dieser acht Stämme – regional in unterschiedlicher Häufigkeit – als Bezeichnung oder in den Namen von rund 300 zum großen Teil noch heute bestehenden Dörfern in allen von Ungarn bewohnten Gebieten im Karpatenbecken. Ihre Häufigkeit bewegt sich zwischen 23 und 58, doch verteilen sie sich ziemlich gleichmäßig über das damalige Land. Der Verfasser der spätestens in den 1060er Jahren zusammengestellten Urgesta weiß wiederum nichts mehr von den Stämmen oder hält sie nicht für erwähnenswert. Es gibt auch keinen Hinweis auf Stämme, Stammesorganisation oder ihre Reste in den Gesetzen und Mahnungen Stephans I. (997–1038), während die Stammesnamen (einschließlich Varsány und Berény) in ihrem heutigen verstreuten Zustand bereits in Urkunden des 11. Jahrhunderts (von 1001, 1002, 1009, 1061, 1075 und 1086) als Dorfnamen erscheinen. Die Stämme – wie wir diesen Begriff auch verstehen wollen – müssen also Anfang des 10. Jahrhunderts noch existiert haben, während sie bis zu seinem Ende bereits verstreut siedelten. Das trifft auch dann zu, wenn Stammes-Ortsnamen glaubhaft auch noch im 11. Jahrhundert entstanden. Eine solche planmäßige Auflösung der früheren Organisationen konnte spätestens unter Fürst Geysas Herrschaft geschehen. Seine westlichen Zeitgenossen und das Gedächtnis der Ungarn charakterisieren ihn als starken Herrscher mit von Menschenblut befleckten Händen, was man mit Recht der gewaltsamen Unterwerfung der Stämme und ihrer Fürsten zuschreibt. Dieses gewaltsame Auseinanderreißen der ungarischen, kabarischen und anderen angeschlossenen Stämme bedeutete das Ende der Stammesorganisation. Wie ein deutscher Zeitgenosse beobachtete, baute „Geysa ein sich auf das ganze Land erstreckendes regnum“* Brunone Querfurtiensi Vita Sancti Adalberti Pragensis. G. III. 4912. p. 2297 auf. Die auseinandergesiedelte Bevölkerung wurde von Geysas neuem Heer (militia, iobagiones) kontrolliert, das durch die großangelegte Verstärkung des fürstlichen Militärgefolges und seine konzentrierte Ansiedlung (z. B. im Dreieck Gran-Altofen-Stuhlweißenburg) nach strategischen Gesichtspunkten geschaffen wurde.

Von diesen ein Vierteljahrhundert umfassenden Geschehnissen blieb ein großer Teil Siebenbürgens unberührt: die Siebenbürgische Heide und die Kokeltäler. Eine Ausnahme bildet das Gebiet des Kleinen Samosch, dessen drei siebenbürgische Stammes-Dorfnamen auch anders bewertet werden können. Das Fehlen der Stammesnamen in anderen Gegenden beweist, daß Siebenbürgen im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts einen gesonderten politischen Weg eingeschlagen hat.

Für diese Sonderstellung gibt es keine auswertbaren Vorereignisse. Wir kennen zwar Dorfnamen aus Siebenbürgen (z. B. Maros-Bogát), die scheinbar mit dem Namen eines Heerführers der Streifzüge übereinstimmen (Bugat rex, {118.} Führer des 923 bis Verona vordringenden Heeres), doch liegen die 4 siebenbürgischen von den 25 Vorkommen des Dorf- und Ortsnamens Bogat aus dem gesamten Karpatenbecken so verstreut (vom Kleinen Samosch über das Aranyos- und das Miereschtal bis zum Alt-Knie), daß sie unmöglich die Quartiere eines siebenbürgischen Würdenträgers im 10. Jahrhundert sein können, zumal dieser Name wahrscheinlich slawischer Herkunft nachweislich auch im 11. Jahrhundert vorkommt. Einer der siebenbürgischen Ortsnamen Bogat ließe sich dann mit seinem Träger aus der Landnahmezeit verbinden, wenn es einen sonstigen (archäologischen, Ortsnamen, schriftliche Quelle) Hinweis dafür gäbe, daß Siebenbürger Ungarn an den italienischen Streifzügen teilgenommen haben. Auf die Beziehungen Siebenbürgens zum damaligen Europa verweist jedoch nur eine einzige Münze, eine 1735 in Thorenburg gefundene Silbermünze des bayerischen Dux Berthold (938–947). Da sie aber nicht nach ungarischem Brauch durchbohrt ist, also nicht auf die Kleidung aufgenäht war, ist nicht sicher, ob sie aus dem Grab eines Kriegers der Streifzugszeit stammt. Sie mag v o r dem Sieg des Herzogs an der Traun (am 12. Aug. 943) in ungarische Hände und dann auf unbekanntem Wege nach Siebenbürgen gelangt sein.

Demgegenüber scheinen zwei Ortsnamen gerade zu belegen, daß bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts der Landesteil noch direkt unter der Herrschaft der Großfürsten gestanden hat. Von Konstantinos Porphyrogennetos wissen wir, daß um 950 Jutotzas (Jutas’) Sohn Falis (Fajsz)* DAI 40. Falitzi, Falís FBHH p. 49 Großfürst der Ungarn war. Nach der Niederlage der Ungarn 955 auf dem Lechfeld verschwindet er, sein Name wird von den Arpaden nie wieder aufgenommen – alles wohl nicht zufällig. Als Ortsname kommt er übrigens im gesamten ungarischen Sprachgebiet nur fünfmal vor. Eines dieser „Fajsz“-Dörfer allerdings liegt in Siebenbürgen, dicht beim späteren Kokelburg, also an strategisch wichtiger Stelle. Den als Ortsnamen seltenen Namen des Vaters von Großfürst Geysa, Taksony (bei Konstantinos Porphyrogennetos: Taxin)* DAI 40. Taxin, Taxis FBHH p. 49, Chronica Hungarorum: Toxun. SRH I. 293 bewahrte das ehemalige Dorf Taksony beim Dorf Frauenvolk zwischen Kokel und Mieresch (bisher fälschlich Caxun gelesen statt Taxun). Durch die beiden seltenen, Fürstenquartiere und Besitztümer bezeichnenden Ortsnamen läßt sich die direkte Herrschaft der Großfürsten über das siebenbürgische Grenzödland bis um 970 belegen. Diese Herrschaft beschränkt sich dann unter Fürst Geysa auf das nordwestliche Randgebiet zwischen Desch, Doboka und Kolozs, auf das Vorland vom Königssteig und Meszeschpforte, wo der Ortsname Magyar-Décse und die 2–3 auf Stammesnamen zurückgehenden Dorfnamen auf Geysas (ursprünglich Gyécsa/Décse) Besitzergreifung hinweisen können. Das Zentrum des in Geysas Hand verbliebenen Grenzgebietes konnte in der Umgebung von Desch gelegen haben, woher ein auf das fürstliche Heer verweisendes westliches Schwert stammt.

Jene ungarische Bevölkerung, die in dieser Zeit im den Führern des ungarischen Stämmebundes unterstellten Gebiet lebte, bestand aus den Nachkommen der zur Landnahmezeit hier gebliebenen Ungarn. Im 10. Jahrhundert bewohnte sie die Täler des Kleinen Samosch–Aranyos bzw. das vereinigte Kokel–Miereschtal, also das frühere Gebiet der Awaren, das vor der {119.} ungarischen Landnahme teilweise die Bulgaren besetzt hatten. Ihre wirkliche Anzahl und Bedeutung ließe sich nur durch archäologische Forschungen erschließen. Das „gyepû“ genannte Grenzödland befand sich nach Zeugnis der archäologischen Fundstätten und der Ortsnamen nach dem ersten Drittel des 10. Jahrhunderts im inneren Gürtel des Siebenbürgischen Hochlandes. Dasselbe läßt sich im Gebiet der späteren Grenzkomitate Zala, Vas, Sopron, Moson, Borsova, Ung usw. feststellen.

Die byzantinische Politik und ihre Anhänger

Das Bündnis zwischen den Byzantinern und den ungarischen Fürsten Arpad und Ku(r)san von 894 erwies sich als beständig von beiden Seiten, auch nachdem es Byzanz um 897/898 nicht gelungen war, die „Archonten“ der Türken (d. h. der Ungarn) zum militärischen Auftreten gegen die Petschenegen zu bewegen. Mit den Worten Kaiser Leos des Weisen (vor 912) bemühen sich die Türken, sich „jetzt nicht als unsere Nachbarn und auch nicht als unsere Gegner“, sondern eher als Freunde (dem Kaiser gemäß – „Untertanen“) zu zeigen.* Taktika 18, 76. FBHH p. 23 Das um 924/25 verkündete russisch-petschenegisch- ungarische Bündnis sollte sich ausdrücklich gegen den Erzfeind der Byzantiner, die Bulgaren richten, doch hatte es sich bis zu seiner Aktivierung – kaum ein Jahrzehnt später – gründlich gewandelt. Die Merseburger Niederlage 933 und das Ausbleiben des deutschen Tributs ließen die geldgierigen ungarischen Führer nach neuen Zielen suchen. Im April 934 griffen die verbündeten Ungarn und Petschenegen tatsächlich die Bulgaren über die Donau an, um dann überraschend – die byzantinischen Quellen betonen übereinstimmend, zum ersten Mal – sich gegen das Reich zu wenden. Sie stoßen bis Konstantinopel vor und lassen sich nur durch beachtliche Geldopfer zum Rückzug bewegen. Dieses Ereignis ist auch eine Grenzmarke im bulgarisch-petschenegischen Verhältnis, denn damals – oder nicht viel später-machten die Petschenegen der bulgarischen Herrschaft über das spätere Muntenien ein Ende und zerstörten die bulgarischen Grenzfestungen an den Ausgängen der Südkarpaten. 948 „erstreckt sich [das Petschenegenland] beginnend vom Unterlauf der Donau gegenüber von Dristra (Silistra)“,* DAI 42 wo sich eine Petschenegenprovinz namens Jazikapan nur „einen halben Tagesmarsch“ von Bulgarien entfernt befand.* DAI 37. FBHH p. 41 Das petschenegisch-ungarische Bündnis blieb stabil, im 10. Jahrhundert wandten sich beide Völker nicht gegeneinander.

Im April 943 greifen die Ungarn erneut Byzanz an, und ihr Kriegszug endet mit einem – offensichtlich schwer erkauften – Frieden für 5 Jahre. Mit Ablauf des Friedensvertrages erscheint 948, diesmal um ihn zu erneuern, der dem Range nach dritte „arkhon“ Turkias, der Harka (karkha) namens Bulcsu, Sohn des Harka Kál(i) in Konstantinopel, und zwar in Begleitung von Arpads Urenkel, Tevel(i)s Sohn Termatz(u) (Tormás). Der Frieden wird erneuert, und Konstantin VII., Porphyrogennetos hebt Bulcsu höchstselbst aus der {120.} Taufe und entläßt ihn im Rang eines „Patrikios“ „als Herr vielen Geldes“ wieder in seine Heimat. „Nicht viel später kommt auch Gyula (Gülas), der ebenfalls ein Fürst der Türken war, in die Kaiserstadt, läßt sich taufen, und auch er wird der gleichen Wohltaten und Verehrung teilhaftig.“* Ioannes Skylitzes 5. FBHH pp. 85–86 Einerseits muß der Besuch des gyula nach 952 angesetzt werden, da er in dem im gleichen Jahre abgeschlossenen Werk von Konstantinos Porphyrogennetos noch nicht vorkommt, andererseits vor 955, da oannes Skylitzes Bulcsus (Bulosudis’) Tod 955 bereits erwähnt. Die zitierte Stelle von Skylitzes fährt fort: „Er [d. h. „Gyula“] nahm einen wegen seiner Frömmigkeit berühmten Mönch namens Hierotheos mit sich, den Theophylaktos [Patriarch von Konstantinopel 2. Febr. 933 – 27. Febr. 956] zum Bischof von Turkia weihte und der, dort angekommen, viele vom barbarischen Irrglauben zum Christentum hinführte. Gyula aber blieb bei seinem Glauben, er selbst fiel nie ins Gebiet der Römer ein und vergaß auch nicht die gefangenen Christen, löste sie aus, sorgte für sie und gab sie frei.“ Diese bedeutsame Nachricht wiederholt eine griechische Streitschrift des 12. Jahrhunderts und ergänzt sie (nur in einer handschriftlichen russischen Übersetzung aus dem 15. Jh. erhalten). Hauptaussage der Ergänzung ist folgende: „Und die griechischen hohen Geistlichen vermochten in ihrem Land [d. h. der Paenonen oder Mageren = Ungarn] noch nicht festen Fuß zu fassen und sie mit den Worten der Schrift gut zu lehren, als der eine der beiden Fürsten (knaza = harka und gyula), dessen Name Stephan war, im gnadenvollen Christenglauben starb, nachdem er viele gute und gottgefällige Taten verrichtete, und in Frieden in das himmlische Reich einging.“ Weiterhin erfährt man, daß für die Pannonier-Paeonen keine heiligen Bücher in ihrer Sprache geschrieben wurden, und das nutzten „die Lateiner mit ihrem gottlosen Glauben, […] indem sie sich aus Rom mit ihren Büchern und Schriften aufmachten“.* Nach einer alten Moskauer Ausgabe Faksimile-Textmitteilung bei G. FEHÉR, ArchÉrt 77, 1950, 45 – Da die lateinische Mission erst im Herbst 972 einsetzte, muß dies alles vorher geschehen sein.

Zum Verständnis obiger Texte muß man einerseits wissen, daß der ungarische Stämmebund damals von drei Würdenträgern geleitet wurde: dem bereits erwähnten kende (Sakralfürst), dem gyula (Heerfürst) und dem harka (oberster Richter?). Während die eine Würde bezeichnenden Namen Kende und Harka in Vergessenheit gerieten, wurde Gyula nach der Mitte des 11. Jahrhunderts zum Personennamen und von den späteren Chronisten als solcher in die Vergangenheit transponiert. Die arabischen Quellen über die Ungarn vor der Landnahme und Konstantinos Porphyrogennetos über die Ungarn nach der Landnahme – durch seine ungarischen Gäste über den zweiten Würdenträger Turkias informiert – wußten aber noch, daß es sich beim dź.la bzw. jila (gülas) nicht um Namen, sondern um Würden handelte.

Ereignisgeschichtlich erneuerten sich seit April 959 die Angriffe der Ungarn auf Byzanz, und unter einem Heerführer namens Apor (Opour, seinen Namen und Quartier bewahrte vermutlich ein einstiges Dorf in einer Flur von Mindszent an der Theiß) drangen sie von neuem bis Konstantinopel vor. 961 verwüstet ein ungarisches Heer Thrakien und Makedonien, 968 treibt man nach einem Raubzug bis Konstantinopel und Thessalonike viele Gefangene {121.} nach Ungarn heim. Zwei Jahre später macht die 970 bei Arkadiupolis erlittene Niederlage der ungarisch-russisch-bulgarischen Verbündeten endgültig den ungarischen Streifzügen ein Ende.

Von wo die Streifzüge gegen Byzanz ausgingen und wohin man zurückkehrte, dafür gibt es nicht alltägliche Beweise. Der Strom byzantinischer Münzen nach Ungarn steigt in der gemeinsamen Herrschaftszeit Romanos’ I. und seiner Söhne (gegenüber den früheren Jahrzehnten mit insgesamt 15 Prägungen des 10. Jh., aber nur einem einzigen Goldsolidus) sprunghaft an. Die plötzliche Zunahme beginnt nach dem Jahr 934 (22 Münzen, davon 5 goldene). Den Gipfel bildet die kurze Periode von Konstantin VII. und Romanos II. (948–959), in völliger Übereinstimmung mit den historischen Ereignissen (28 Münzen, davon 24 goldene!). Das Fundmaterial verringert sich geringfügig zwischen 963–970 (16 Münzen, davon 8 Goldsolidi), doch nur scheinbar, da der verwunderte Ibráhim ibn Jakúb gerade 965 notiert, daß „türkische“ Händler aus Ungarn auf der Prager Messe mit Goldmünzen zahlten und zudem unter den genannten Kaisern und ihren Vorgängern – also zwischen 948 und 970 – der größte byzantinische Goldmünzenschatz auf ungarischem Gebiet aus dem 10. Jahrhundert gehortet wurde: die 210 (nach anderen Angaben 110) Solidi von Gálya im Banat. 970 reißt dann diese Münzfundkette ab.

Die Fundstellen der byzantinischen Münzen aus der Periode 934–969/70 hauptsächlich der Goldmünzen, liegen mit Ausnahme eines einzigen Solidus aus Syrmien ausschließlich an und östlich der Theiß, von Tokaj bis hinunter nach Orschowa. Innerhalb dieses Gebietes liegen die Gräber mit Beigaben von echten und falschen Goldmünzen (10 + 2 Grabfunde) und die Gräber mit Silbermünzen (4 Grabfunde) im Gebiet von Berettyó und Kreisch bis an die untere Donau. Das Verbreitungsgebiet byzantinischer Münzen ist mit dem identisch, in welchem aus landnahmezeitlichen ungarischen Gräbern byzantinische sog. Löwenschnallen (von 6 Fundstellen gehören 5 hierher), goldene und silberne Ohrgehänge und ein Schwert bekannt sind – das letzte aus Kunágota kam kaum zufällig zusammen mit einer größeren Menge byzantinischer Silbermünzen zum Vorschein. Im Karpatenbecken rechtsseitig der Donau fehlen mit Ausnahme Syrmiens die damaligen byzantinischen Gold- und Silbermünzen und Schmuckstücke. Ihr völliges Fehlen in Siebenbürgen ist um so auffälliger, da man dort bereits im 16. Jahrhundert begann, antike Münzen zu sammeln, und in den letzten Jahrzehnten die byzantinischen Münzen aus öffentlichen und Privatsammlungen veröffentlicht und seither auch mit staatlicher Unterstützung erforscht werden, als „Beweise“ für die niemals unterbrochene Anwesenheit von Byzanz bei der „autochthonen rumänischen“ Bevölkerung.

An den Kriegszügen gegen Byzanz nahmen also die ungarischen Krieger aus dem Theiß-Gebiet bis zur unteren Donau teil, was nicht bedeutet, daß die Friedenstribute und die Geschenke für den Harka und den Großfürsten nicht auch in andere Zentren gelangten. Spuren davon blieben dort aber nicht, nur in den Gräbern von Kriegern des Theißgebietes. Da die Bewaffneten ihre Beute hierher brachten, schleppten sie wohl auch die Gefangenen hierher, die der gyula 959–969 auslöste.

Dies alles läßt darauf schließen, daß der Landesteil des „patrikios und gyula“ Stephanos vermutlich das Gebiet östlich der Theiß zwischen Kreisch und Mieresch war, dessen Hauptquartiersbezeichnung die heutige Stadt {122.} Gyula (erste Erwähnung: Julamonostora) überliefert. Da Bischof Hierotheos im Land des Gyula missionierte, mag sein Sitz, wenn er überhaupt einen besaß, ebenfalls der Hof des Gyula in der östlichen Tiefebene gewesen sein.* Es läßt sich schwer vorstellen, daß sein Sitz das als bulgarisches Grenzgebiet geltende Sirmium (Szávaszentdemeter/Sremska Mitrovica) gewesen sein soll, wo Sermon (Mačwanska Mitrovica) am jenseitigen Ufer der Save damals schon ein bulgarisch-serbischer Bischofssitz war, dessen auf den Trümmern einer altchristlichen Basilika errichteter Dom auch seit Mitte des 10. Jahrhunderts nachgewiesen ist (D. MINIĆ, Le site d’habitation médiéval de Mačvanska Mitrovica. Sirmium XI. Beograd 1980, vgl. dazu noch über die dortigen frühmittelalterlichen Friedhöfe: Sirmium XII. Beograd 1980). Im übrigen kam das letztere Sirmion Sermon tot8 unter byzantinische Herrschaft, und nicht das ungarische Syrmien, wie ein großer Teil der Fachliteratur annimmt. Noch weniger vorstellbar ist ein Bischofssitz im fernen Weißenburg/Gyula-Fehérvár vor 970, weil dieses in den 950er Jahren noch nicht der Sitz der gyula sein konnte.

970 gelangt Kaiser Ioannes Tzimiskes auf seiner Verfolgung der petschenegisch-bulgarischen Truppen zum ersten Mal seit 300 Jahren an der Spitze byzantinischer Truppen an die untere Donau, wo er Ende Juli 971 mit dem Zentrum Dorostolon (Silistra) ein byzantinisches Thema (Provinz) einrichtet. Mit diesem Ereignis läßt sich der unerwartete Zug seines potentiellen ungarischen Verbündeten, des Gyula-Stephanos, nach Osten – nach Siebenbürgen – in Verbindung bringen. Da die vernichteten muntenischen Petschenegen im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts aus der Geschichte vorübergehend verschwinden, wurde der Gyula in Südsiebenbürgen quasi zum Nachbarn der Byzantiner an der unteren Donau. Die ungarischen Urgesta erzählen das Ereignis in den üblichen Mantel der Legende gekleidet. Der große und gewaltige Fürst Gyula (Gula dux magnus et potens) stieß bei der Jagd „in Erdeel“ auf die Burg Alba (Civitatem Albam), die einst die Römer errichtet hatten. Der Wahrheitskern der Jagdlegende besteht nur darin, daß die Gyulas die römische Stadt tatsächlich nicht seit der Landnahme bewohnten, sondern erst später von Ungarn dorthin umsiedelten. Hierotheos wird damals wohl nicht mehr gelebt haben, wahrscheinlich ist sein Nachfolger* „Antonios bischöflicher proedros Turkias“, Inschrift eines Bleisiegels von einem unbekannten Fundort und datiert in das ti. Jahrhundert, und „Theophylaktos Bischof der Türken“ (episkopos) auf einem ähnlichen anderen. FBHH p. 253. – Es ist zu bezweifein, daß sie sich auf die Ungarn beziehen, warscheinlicher ist es, an die kirchlichen Oberhäupter der Türken am Wardar („Vardarioten“) zu denken. dem Gyula gefolgt, wenn er überhaupt einen Nachfolger in seinem Bistum hatte; diese Möglichkeit wird freilich von der griechischen Streitschrift aus dem 12. Jahrhundert schwach angedeutet. Wie es sich auch verhalten haben mag, mit der byzantinischen Nachbarschaft des siebenbürgischen Hofes war es bald vorbei. Die 971 vorübergehend am Tiefpunkt angelangten, nach Mazedonien verdrängten Bulgaren, deren im Westen Hilfe suchenden Gesandten gemeinsam mit der Gesandtschaft von Großfürst Geysa 973 vor Otto I. in Quedlinburg erschienen, raffen sich vermutlich mit Geysas Unterstützung bald wieder auf und vertreiben 976 die Byzantiner erneut für ein Vierteljahrhundert von der unteren Donau. Dies wird der fromme Stephanos wohl kaum noch erlebt haben, andererseits unterstützen die Quellen auch seinen viel früher, 956, erfolgten Tod nicht. Spätestens in den 970er Jahren löste den bejahrten Gyula, den Zeitgenossen der Großfürsten Fajsz und Taksony, der „zweite“ Gyula, der Zeitgenosse Geysas, ab. Dessen Tochter war Sarolt, Großfürst Geysas Frau, die Mutter König Stephans (István) des Heiligen.

{123.} Die zweifellos politisch motivierte Heirat brauchte der Gyula, um die Gunst des Großfürsten zu gewinnen. Sarolt wurde in der zweiten Hälfte der 950er Jahre im Gebiet östlich der Theiß geboren, und obwohl Hierotheos sie offenbar auf Anweisung ihres frommen Großvaters taufte, erhielt sie dennoch einen türkischen Namen von chazarisch/kabarischem Typus: Šar-aldy = Weißer Marder oder Šarylty = Weißheit – die spätere slawische Übersetzung des Namens Bele-knegini hat die gleiche Bedeutung: Weiße Fürstin/Herrin. (Der Name ihrer angeblichen Schwester, der früher als „Frau von Doboka“ in die Geschichte Siebenbürgens eingegangenen „Caroldu“, ist eine Erfindung von Anonymus, genauer einer seiner Lesefehler.* Die ungarischen schriftlichen Quellen aus dem 12. und vom Anfang des 13. Jahrhunderts schreiben s (š), cs (č) und k, seltener auch h mit ch, vgl. Chimon = Simon, Choraa = Soma, Chanad = Csanád, Chatar = Csatár, Chemey = Kemej, Chemen = Kemény, Chupa = Kupa (vgl. K. FEHÉRTÓI, Árpádkori kisszemélynévtár [Kleines arpadenzeitliches Personennamenverzeichnis], Bp. 1983, und andere Angaben). Diese Laute am Wortanfang wechselten in den Dialekten der damaligen Zeit wohl tatsächlich, wie dies der erwähnte Name Chalan = Kalán, Salán, Csalán zeigt. Wie er aus dem ungarischen Namen Kalan einen bulgarischen Fürstennamen machte, Calan - Chalan - Salan, schuf er ebenso die Variante Carold - Charold → Sarolt(d). Da Sarolt aber ein bekannter, in anderen Quellen im allgemeinen mit S beginnender Name war, wurde aus „Caroldu“ – in Ermangelung einer besseren Lösung – „jüngere Schwester“.)

Zur tatsächlichen Heirat kam es in den 970er Jahren. Wenn Vajk-Stephan wirklich 977 (neuesten Forschungen zufolge sicher nach 975) geboren wurde, dann gerade in einer bedrängten Lage Gyulas, weil eben 976 die Bulgaren ihm seine direkten Verbindungen zu Byzanz abschnitten. Sarolt war bereits aus Siebenbürgen nach Gran gelangt, was vielleicht ihr in der Nähe Schäßburgs am Ufer der Großen Kokel gelegenes früheres Besitztum, das Dorf Sarold bezeugen mag. Während von den Dörfern Décse in Siebenbürgen Magyardécse im Salzgebiet des Samosch Stephans Vater Geysa gehören konnte (1269: Dycha), ist der Hafen Marosdécse (1355 Deyche) für das Thorenburger Salz eher mit Herzog/König Geysa I. zu verbinden.* Auf seinen Münzen: Geuca, in einer Urkunde: Geiss, auf der byzantinischen Inschrift der Krone: Geovitza(s), sprich Gyejcsa-Gyevicsa, woraus sich das härtere Décse-Devicse entwickelte. Die Festlegung der zeitlichen Abfolge der Ortsnamen Gyõ, Décs, Décse, Décsa erschwert, daß seit Beginn des 13. Jahrhunderts auch Grundherren Namen wie Gywche/Gecha/ Geysa trugen. Mehr wissen wir über die Herrschaft von Sarolts Vater Gyula nicht, nur läßt sich vermuten, daß er um einen fürstlichen Ausbau des Weißenburger Hofes bemüht war: vermutlich zu seiner Zeit entstand die Hofkapelle, eine Rotunde, und im Kokeltal wurde das Grenzödland nach Osten verschoben, über Schäßburg hinaus.

Sarolts mit großer Wahrscheinlichkeit jüngerer Bruder – starben doch seine Söhne Boja und Bonyha im Mannesalter eines gewaltsamen Todes während der zweiten Verschwörung gegen König Peter 1046 – mag an der Wende zu den 980er Jahren die Würde des „dritten“ siebenbürgischen Gyula angenommen haben, wie sich der Schreiber der Urgesta noch sehr wohl erinnerte. Sein Zeitgenosse, der zur Jahrtausendwende unerhört energische byzantinische Kaiser Basileos II. – der spätere Bulgaroktonos = Bulgarentöter – beginnt wenig später, 985, seinen 40jährigen ununterbrochenen und erfolgreichen Kampf zur Wiederherstellung der früheren Größe des Byzantinischen Reiches. Seine europäischen Kriegszüge begannen als Angriffe auf Bulgarien. {124.} Der „dritte“ Gyula mochte also – nicht einmal unbegründet – wieder mit direkter Unterstützung durch Byzanz rechnen und mußte vorerst nicht einmal die Rache der Arpaden fürchten. In den 990er Jahren herrschte nämlich statt des alten Großfürsten Geysa die ältere Schwester des Gyula, Sarolt, über das Land: „totum regnum manu tenuit“ (Bruno von Querfurt, Vita S. Adalberti)* G III. 2203–2204. Doch Geysas Tod, Stephans Thronbesteigung und die Niederschlagung des Thronprätendenten Koppány 997 klangen wie Alarmglocken über der Herrschaft Prokujs = Sohn des Prok („Überrest“, Nachfolger?, Abkömmling?, wie ihn die Slawen nannten). Ein Viertel des gevierteilten Koppány-Körpers in „Siebenbürgen“ erhielt offensichtlich das Weißenburg des Gyula, was sich vielfältig erklären läßt, nur nicht als freundliche Geste.

Den raschen und unverhofften Sturz des Gyula verursachte der neue Angriff Kaiser Basileios’ II. 1001 auf Bulgarien. Dieser eroberte 1002 Vidin und stellte südlich der unteren Donau das byzantinische Thema Thrakien wieder her. Man durfte nicht abwarten, bis dem auch von seinen griechischen Priestern beeinflußten machthungrigen Gyula der Kaiser aus nächster Nähe die Hand reichte.

Die Hildesheimer und Altaicher Annalen teilen für das Jahr 1003 bündig mit: „Der ungarische König Stephan zog mit seinem Heer gegen seinen mütterlichen Onkel König Gyula,* super avunculum suum, regem Iulum. G. I. 41, P. 339 und I. 92. p. 205 nahm diesen mit seiner Frau und zwei Söhnen gefangen und trieb dessen Land (regnum) mit Gewalt zum Christentum.“ – In dieser Nachricht ist keine Rede von bewaffnetem Widerstand, von Zusammenstößen – zumal nicht von einem „rumänisch- ungarischen Krieg“ –, und auch die Folgen lassen eine solche Schlußfolgerung nicht zu.

Siebenbürgens über ein Vierteljahrhundert dauernde labile „Sondergeschichte“ ging damit zu Ende. Den Gyula mit seinen Königsallüren nahm Stephan nicht in Haft-was sich als Fehler herausstellte: Der Gyula floh einige Jahre später aus Gran und schloß sich Stephans Feind, dem polnischen König Boleslaw Chrobry (dem Tapferen) (992–1025) an, seine Frau ließ der großherzige Stephan ohne Lösegeld frei. Wie sehr Herr (senior) „Prokuj“ sein verlorenes „Königreich“ betrauerte, beweist nichts besser, als daß er gegen Stephan und sein Land die Waffen erhob. Dieser mußte ihn aus der ihm von Boleslaw anvertrauten Grenzburg vertreiben. All das geschah vor 1018, dem Jahr, in dem Bischof Thietmar von Merseburg, der diese späten Nachrichten mitteilte, verstarb. Prokuj verlor sein Leben irgendwo auf polnischer Erde, seine Söhne Boja und Bonyha blieben Stephan und ihrem Volk treu.

Nach Siebenbürgens Neuorganisation und der Sicherung regelmäßiger königlicher Salztransporte von der Mieresch zur Theiß kam es zu einer sowohl von der ungarischen als auch der rumänischen Geschichtsforschung überbewerteten Aktion. Bisher ist der Zeitpunkt der Niederschlagung Ajtonys extrem umstritten (1003–1028), das genaue Jahr läßt sich vermutlich gar nicht mehr bestimmen. Zu Zeiten Großfürst Geysas und noch zu Beginn der Herrschaft Stephans entsprach das Mieresch-Temesch-Gebiet in allem den Verhältnissen in Ungarn (Gräberfelder landnehmender ungarischer Krieger, später die Schwerter der militia Geysas und Gräber mit Schwertbeigaben), {125.} während in der zweiten Hälfte von Stephans Herrschaft von Hodony bis hinunter nach Mehádia auch schon Gräber mit den Münzen des Königs erscheinen.

In den frühen ungarischen Geschichtsquellen hinterließ das Ereignis selbst keine Spuren, unter fast zehn Werken wird nur in der größeren Gerhardtslegende (Legenda maior S. Gerardi) und in den Gesta des Anonymus daran erinnert – mit erheblichen Abweichungen. Nach der Legende ließ sich der Großherr (princeps) Achtum/Ohtum (sein Name stammt von türkisch Altun = Gold, das im Ungarischen ebenso regelrecht zu Ajtony wurde wie Falis zu Fajsz) in Vidin nach griechischem Ritus taufen, gründete dann in griechischem (sprich: byzantinischem) Auftrag (aus … Gewalt) in Marosvár = Miereschburg ein dem Johannes dem Täufer geweihtes Kloster und holte sich dafür griechische Mönche samt Abt. Dies kann erst nach 1002 geschehen sein, nachdem im Herbst des Jahres Kaiser Basileos II. Vidin von den Bulgaren erobert und die Reichsgrenzen bis an die untere Donau, an die Grenze von Ajtonys Gebiet vorgeschoben hatte. Der mit den Byzantinern kokettierende Ajtony blieb jedoch in seinen Bräuchen ein Heide, er hatte „sieben Frauen“. Das ist zwar ein Märchenelement der Legende, doch waren es mit Sicherheit mehrere: nachdem er besiegt war, erhielt Comes Csanád die eine, eine andere Comes Becs (die einander bestätigenden Berichte sind dadurch absolut glaubwürdig). Auf Ajtonys Besitztümern weideten gewaltige Pferde- und Rinderherden, „jene nicht mitgerechnet, die von den Hirten in Ställen gehalten wurden“.* exceptis his, quos pastores in domibus sub custodia servabant_ Vita s. Gerardi 10, G III. 2424. Letztere Nachricht wäre vor wenigen Jahren noch zu den als späte Legendenelemente rechnenden Meierhöfen und Herrenhäusern gezählt worden, bis heute haben die archäologischen Ausgrabungen aber immer mehr Beweise der ungarischen Stallviehhaltung im 10.–11. Jahrhundert freigelegt, und auch Bischof Gerhardt erwähnt in seiner „Deliberatio“ die bei den ungarischen Herren beliebten Pferdeställe. Ajtony hatte zahlreiche Truppen – mit aller Gewißheit vom Miles-Typ Geysas – und ein überspanntes Selbstbewußtstein. Dieser vollblütige, schwerreiche Prahlhans war vermutlich der königliche Gespan des nicht lange zuvor errichteten Miereschburg (urbs Morisena) gewesen, der in falscher Bewertung der Kräfteverhältnisse sich dem mächtigen Nachbarn im Süden angeschlossen hatte. Er vermochte seine Herrschaft auf die heidnischen Ungarn der Umgebung von Békésvár bis an die Kreisch auszudehnen und sich das ganze Banat zu unterwerfen. Damit begann er die Verbindung des königlichen Zentrums zu den kürzlich vereinnahmten Teilen Siebenbürgens zu gefährden. Mit seiner Impertinenz – er scheute sich nicht, den Zehnten von den königlichen Salzschiffen zu fordern –, seinem heidnischen Verhalten und in erster Linie seinem Kokettieren mit Byzanz mußte er naturgemäß Stephans Zorn erregen.

Stephan sandte seinen Verwandten, Dobokas Sohn Csanád (Chanad, Sunad), gegen ihn, nach einem (historisch nur bedingt glaubwürdigen) märchenhaften Einschub („Csanád-Sage“) der Gerhardtslegende gemeinsam mit dem sich am Königshof aufhaltenden Gyula. Glaubwürdiger scheint aber zu sein, daß an diesen nach den später hier errichteten Torwächterlöwen Oroszlános (oroszlán = Löwe) genannten Ort, wo Csanád seine Schlacht {126.} gegen Ajtonys Heer schlug und in Erinnerung daran dem hl. Georg dem Märtyrer ein Kloster (1247: Wruzlanmunustura) errichtete, später Bischof Gerhardt die griechischen Mönche von Miereschburg umsiedelte. Alles übrige – auch Ajtonys Ende, liegt im Dunkeln. Seine Nachkommen gleichen Namens hatten bis zum 15. Jahrhundert Besitztümer in den Komitaten Csanád, Krassó und Kolozs. Stephan war nicht rachsüchtig, er vernichtete Ajtonys Familie ebensowenig wie die Koppánys. (Vgl. die prinzipielle Verfügung Stephans in seinem Gesetzbuch II. 2.)

Der Feldzug gegen Ajtony-eher eine Strafaktion-fiel zeitlich nicht mit der Gründung des Bistums Mieresch zusammen, da diese (gemeinsam mit der Errichtung des Bistums Bihar) ein Element der planmäßigen Kirchenorganisation war und 1030 erfolgte. – Andererseits erstreckte sich die Amtsgewalt des Bistums Kalocsa schon früher auf das Banat. Zum Kriegszug kam es einige Jahre vor 1015 oder spätestens 1018, da Stephan I. in diesen beiden Jahren, doch eher im ersteren, schon als Verbündeter Basileos’ II. an der endgültigen Zerstörung Bulgariens und der ersten oder zweiten Eroberung von Cesaria (der „Kaiserstadt“ = Ochrid) teilnahm.

Während die in Tschanad enstandene uralte Gerhardtslegende nichts von der Abstammung des machthungrigen Ajtony weiß, glaubt Anonymus zu wissen und wiederholt es dreimal wie ein Epitheton ornans, daß er ein Abkomme des „kumanischen“ Fürsten Glad aus der Landnahmeperiode war. Wie die Gerhardtslegende Ajtony, so bringt Anonymus Glad mit Vidin (Budyn) in Verbindung und entwickelt dies in seiner Weise weiter: er läßt ihn direkt von dort abstammen. Der Träger des vermutlich türkischen Namens Glad/Galad ist eine im 10. oder 11. Jahrhundert existierende Person, belegt von arpadenzeitlichen Dörfern namens Gilád/Galád im Banat – eben aus diesen Dorfnamen schuf Anonymus nach bewährter Manier den Gegner der landnehmenden Ungarn. Davon konnte er am Beginn des 13. Jahrhunderts natürlich keine Kenntnis mehr haben, daß die landnehmenden Ungarn in keinem einzigen Fall den Namen einer vor der Landnahme hier lebenden Person übernahmen. Außer dem Märchengespinst des Anonymus gibt es also keinen Beweis dafür, daß Glad der Ahn des 120 Jahre später lebenden Ajtony gewesen wäre, es ist aber nicht auszuschließen, daß er sein Vater oder Großvater war. Weiterhin lohnt sich zu erwähnen, daß Osvaldus de Lasko in seinem 1499 herausgegebenen Werk „Sermones“ Ajtony (Atthon) aufgrund einer unbekannten Quelle aus dem Nyír-Gebiet (in Nyr) stammen läßt. Auch der Herr über ein kabarisches oder ungarisches „Stammesland“ oder gar eine selbständige „rumänische Woiwodschaft“ konnte er nicht gewesen sein: Anonymus hält Glad ausdrücklich für einen cuman und spricht nur über Kumanen, die Glad von außen her unterstützten, sowie über Bulgaren und Blaken. Daß letztere nichts anderes als Anonymus’ Zeitgenossen sind, die Völker des mit kumanischer Hilfe 1186 entstandenen bulgaro-vlachischen Zarenreichs der Asseniden (Assens damaliger lateinischer Titel: rex Bulgarorum et Blachorum), muß wohl kaum bewiesen werden.

In den letzten Jahren ist es zur „Mode“ geworden, den Goldschatz von Nagyszentmiklós (Großsanktnikolaus) mit den Ungarn Gyulas oder Ajtonys (oder mit Glads Rumänen) in Verbindung zu bringen – unter anderem dazu offensichtlich auch durch die Nachbarschaft Csanádvárs mit Großsanktnikolaus bewogen. Awarische fürstliche Gefäße aus dem 7.–8. Jahrhundert lassen sich aber nicht mit Jahrhunderte späteren Personen oder Ereignissen {127.} verbinden, und seit ein genaues Pendant des Alphabets der nachträglich in die Gefäße eingekratzten Kerbschriften auf einem awarischen beinernen Nadelbehälter des 8. Jahrhunderts in Szarvas gefunden wurde, läßt sich seine Vergrabung nicht später als auf den Zusammenbruch des Awarenreiches datieren.

Die Ungarn in Siebenbürgen und in der östlichen Tiefebene nach der Landnahme

Die archäologischen Funde des im Karpatenbecken neu auftauchenden Volkes der Ungarn zu identifizieren, ist für den Archäologen heute schon Routine. Es gelang bereits 1834 – mittels Datierung durch westeuropäische Münzen des 10. Jahrhunderts –, gewisse Eigenheiten der Bestattung mit Pferd, Pracht und Bewaffnung mit den landnahmezeitlichen Ungarn zu verbinden. Ähnliche Funde häuften sich schnell, sobald die Archäologie sich zu einer Bewegung und dann zu einer Wissenschaft entwickelte, ihre Veröffentlichungen füllten bereits zur Jahrhundertwende (1896, 1905, 1907) dicke Bände. Andererseits führten die stets an Bedeutung zunehmenden Grabungen und Forschungen unseres Jahrhunderts zu der Einsicht, daß die Ungarn des 10. Jahrhunderts nicht nur von einigen hundert Bestattungen berittener Krieger und ihrer weiblichen Angehörigen vertreten werden, können diese doch auch bei optimistischsten Berechnungen pro Generation höchstens von der Mittelschicht, also 20–40 000 Menschen stammen. Das Überleben der ungarischen Sprache und ihres Volkes sicherte ein in geringerem Maß sichtbare Zeugnisse hinterlassendes damaliges Gemeinvolk ebenfalls östlicher Herkunft. Es wurde auch der folgende Prozeß geklärt: Während die „heidnische“ bewaffnete Reiterschicht und ihre von religiösen Vorstellungen durchdrungene orientalische Goldschmiedekunst im 11. Jahrhundert verschwinden, genauer: sich zu einer neuen, christlichen Herrschaftsschicht und Kunst umgestalten, überstehen die Dörfer des Gemeinvolkes und ihre Gräberfelder– und wenn auch nicht diese, so doch das Gemeinvolk selbst – die Erschütterungen der christlichen Staatsgründung. Die Kultur des Gemeinvolkes nimmt seit der Wende vom 10. zum 11. Jahrhundert die örtlichen slawischen Elemente in sich auf, bereichert sich um die christlichen Symbole und wird zu der des Gesamtvolkes: zur „archäologischen Kultur“ des neuen Staates der Arpaden (weshalb sich die slawischen und ungarischen Siedlungen und Gräberfelder auch in Siebenbürgen mit archäologischen Methoden nur ausnahmsweise unterscheiden lassen). Mit der Festigung des Feudalismus und der römisch-katholischen Kirche verblassen und verarmen superethnische Tracht und Ritus des Gemeinvolkes, sein Wesen lebt aber ungebrochen weiter in der Zeit und dem Kreise jener Menschen, die gezwungen wurden, um die Kirchen herum zu beerdigen – bis zur großen Schicksalswende des Mongolensturms 1241/42.

Aufgrund der archäologischen Forschungen läßt sich dies heute bereits mit vielen tausend Fundorten und Bestattungsangaben untermauern. Die symbolischen Pferdebestattungen der militärischen „Mittelschicht“ sind von fast 550 Fundstellen und die Denkmäler der Kultur des „Gemeinvolkes“ – darunter Friedhöfe früher Dörfer mit 600, 900 und 1300 Gräbern – von mehr als 2000 Fundstellen der Ebenen und Hügellandschaften des Karpatenbeckens {128.} bekannt. Charakteristischerweise sind sie ebenso wie die altungarische Ortsnamengebung von wenigen Ausnahmen abgesehen auch archäologisch unabhängig von den Siedlungen und Begräbnisstätten aller hier früher lebenden Völker.

Am sehenswertesten sind bis heute die Gräber der militärischen Mittelschicht mit ihrem Hauptkennzeichen, der partiellen (symbolischen) Pferdebestattung, die weder für die awarischen Bestattungen der vorangehenden Zeit noch für alle späteren, nach den Ungarn in die Ebenen Osteuropas eingedrungenen Reitervölker charakteristisch ist. Hauptkennzeichen dieser Gräber ist, daß nur die Haut – mit Schädel, Fesseln und Mittelfußknochen – des beim Leichenschmaus verzehrten Pferdes zusammengerollt oder wie ein Pferd ausgebreitet, manchmal mit etwas Stroh ausgestopft, mit ins Grab gelegt wird. Dieser Brauch gründete auf dem finnougrisch-ungarischen Glauben, die Seele des Pferdes – wie die des Menschen – wohne in seinem Schädel, so daß die Bestattung des Schädels ein Weiterleben des Pferdes im Jenseits sichere. Manche legen nur das Pferdegeschirr bzw. den Sattel mit Zaumzeug ins Grab, andere Gruppen oder Familien nicht einmal dies. In solchen Fällen ist (aufgrund östlicher historisch-ethnographischer Parallelen) damit zu rechnen, daß Schädel oder Geschirr, evtl. das ganze ausgestopfte Tier, nach einem später gehaltenen Leichenschmaus über dem Grab befestigt wurden, ebenso wie das Grab üblicherweise mit der hineingestoßenen Lanze des Verstorbenen gekennzeichnet wurde. Fehlen also die Pferdeknochen oder das -geschirr in den Gräbern der Mittelschicht, zeugt dies nur von abweichenden Bräuchen oder Bestattungstraditionen der Gemeinschaften, nicht aber davon, sie seien „keine Ungarn“ gewesen.

Allgemein charakteristisch für die Ungarn im 10.–11. Jahrhundert ist – einschließlich der in reichster Kleidung bestatteten Herren – ihre Bestattung in geringer Tiefe. Im Unterschied zu allen früheren Epochen ist diese ungarische Bestattungsweise ein Zeugnis dafür, daß die Ungarn die Totenruhe im gesamten Land für gesichert gehalten haben. Diese wahrnehmbaren Zeichen spiegeln den mit einer stabilen Herrschaft verbundenen, gern die Dinge leichter nehmenden Volkscharakter wider, ebenso im Falle der „partiellen“ Pferdebestattungen. Uralte östliche Tradition ist der Brauch, die Friedhöfe mit Vorliebe auf Höhen oder südlichen Abhängen von Hügeln und auf urzeitlichen Siedlungs- oder Grabhügeln anzulegen.

Karte 7. Siebenbürgen und die östliche Tiefebene zur Zeit der ungarischen Landnahme und der Staatsgründung

{129.} Karte 7. Siebenbürgen und die östliche Tiefebene zur Zeit
der ungarischen Landnahme und der Staatsgründung
1 = Gräberfelder und Funde ungarischer Krieger des 10. Jahrhunderts, 2 = Gräberfelder und Funde des ungarischen Gemeinvolkes des 10.–11. Jahrhunderts, 3 = ungarische Gespansburgen, 4 = karolingische, Wikinger- und byzantinische Schwerter, 5 = Siedlungen mit Namen landnehmender ungarischer Stämme, 6 = Quartiere und Besitzungen ungarischer Fürsten und Stammesführer im 10. Jahrhundert, 7 = Ortsnamen vom Stammesnamentyp, 8 = im 10.–11. Jahrhundert weiterbestehende slawische Dörfer, archäologisch belegt, 9 = bulgarische Burgen seit Anfang des 10. Jahrhunderts, 10 = ungarische Grenzsicherung gegen die Bulgaren im 10. Jahrhundert, 11 = frühe Salzgruben

Die militärische Mittelschicht bestattete Männer und Frauen in ihren kleinen Friedhöfen mit einer oder mehreren Reihen in strenger Ordnung, die doch einige Varianten zuließ, die Frauen nicht selten auch unter Beigabe des Pferdes. Die innere Ordnung dieser Friedhöfe erklärte man früher mit ihren blutsmäßigen Banden in der Großfamilie, wogegen sich jedoch ernsthafte biologische Gegenargumente vorbringen lassen. Es wird immer offensichtlicher, daß es sich um den militärischen Stand des 10. Jahrhunderts handelt, dessen Details die zur Zeit noch laufenden Ausgrabungen klären müssen. Ein treuer Spiegel dieses militärischen Standes ist die „uniforme Ausrüstung“ dieser Friedhöfe, die nur deshalb nicht so genannt werden darf, weil es sich um die Erzeugnisse Hunderter von Schmieden und Goldschmieden handelt, die in Wirklichkeit nie „Massenware“ waren. Ungeachtet dessen tauchen aus diesen Gräbern nur die für die Ungarn des 10. Jahrhunderts typischen rundsohlig-birnenförmigen Steigbügelvarianten und Trensenarten auf – natürlich kleinere und größere, aus einfachem Schmiedeeisen oder mit Silber- {130.} und Goldeinlagen (wie in Klausenburg, Muszka, Perjamosch). Auch die Verzierung der Geschirre trägt den „Steppen“-Charakter aus dem 9. und 10. Jahrhundert, doch Details und Zusammensetzung finden sich so nur bei den Ungarn. Als Beispiel mögen die Pferdegeschirre der Frauen dieser Schicht dienen: mit vergoldeten silbernen oder bronzenen Rosetten-Beschlägen verziertes Zaumzeug und Hintergeschirr, die bisher bereits an 65–70 Fundorten im gesamten ungarischen Siedlungsgebiet zum Vorschein kamen (z. B. Bihar, Sikló, Muszka).

Aufgrund der stark gegliederten inneren Ordnung der Friedhöfe der Mittelschicht ist es bei weitem nicht sicher, daß der Tote alles ins Jenseits mitnehmen konnte, was er in seinem Leben benutzt hatte. Die stufenweise abnehmende Zahl von 8 bis einem Pfeil im eisenbeschlagenen Köcher zeigt klar, daß dem Einzelnen im Tod unterschiedliches „zukam“ – unabhängig von dem unbekannten Faktor, ob all dies aus der Sicht der Himmlischen oder der Irdischen gewertet wurde. Dementsprechend kommt die Nahkampfwaffe der landnehmenden Ungarn, der Langsäbel mit geknicktem Griff und gekrümmter Klinge, im letzten Drittel mit Rückenschneide, nur in ca. 12 % der zwischen 895–980 zu datierenden Reitergräber und kaum 5 % aller Männerbestattungen der gesamten militärischen Mittelschicht vor. Dabei war der Säbel mit Parierstange – natürlich wiederum in seinen Einzelausführungen: in einfacher Holz-Lederscheide oder mit Bronze-, Silber- oder Goldbeschlägen verzierter Scheide – in Wirklichkeit keineswegs so selten, praktisch hatte jeder Reiter seinen Säbel. Das Gegenteil ist ebenso schwer vorstellbar wie die Annahme, die Bogenschützen seien mit 1-8 Pfeilen im bauchigen Köcher in den Kampf gezogen. Zwar entsprach ihrer frühen Kampfweise der Säbel am besten, doch liegen Beweise vor, daß sich schon bei den landnehmenden Ungarn „westliche“ Waffen befanden: normanisch-wikingische (in Siebenbürgen z. B. in Weißenburg) und zweischneidige Schwerter aus Byzanz (St. Georgen). Die aus den Gräbern landnehmender Ungarn stammenden zwei Arten von Hiebwaffen lassen sich also nicht einander „gegenüberstellen“ als Waffen der Eroberer und der „Verteidiger“ (in Arad-Csálya und Diemrich [?] kommen beide gemeinsam vor).

Im einfallsreich konstruierten eisenbeschlagenen Köcher trugen die Ungarn Pfeile mit zweigeteilter „Schwalbenschwanz“- oder flacher rhombenförmiger Spitze, deren Typ und Größe früher im Karpatenbecken ebenfalls unbekannt waren (in Siebenbürgen z. B. in Klausenburg und Diemrich). Den Bogen, eine Arbeit vieler Jahre, und besonders den Bogenköcher, legte man dem Toten selten bei, und an den wenigen Stücken fallen die den Reflexbogen verstärkenden Knochenplatten wieder mit ihrer eigentümlichen Form auf. Eine untergeordnete Rolle bei den Bestattungen spielt die Streitaxt, und – aufgrund des Ritus – finden sich nur vereinzelt Lanzenspitzen in den Gräbern (Siebenbürgen: St. Georgen-Eprestetõ).

Abb. 7. Bestattung eines landnehmenden ungarischen Kriegers mit Säbel und ausgestopfte Reste eines Pferdes, links landnahmezeitliche, von Grabräubern durchwühlte Kriegerbestattung mit ausgebreiteter Pferdehaut, Klausenburg, ehemalige Zápolya-Str.

Abb. 7. Bestattung eines landnehmenden ungarischen Kriegers mit Säbel und ausgestopfte Reste eines Pferdes, links landnahmezeitliche, von Grabräubern durchwühlte Kriegerbestattung mit ausgebreiteter Pferdehaut, Klausenburg, ehemalige Zápolya-Str.

Die Kleidung der Männer wird allgemein durch bronzene und silberne Zopfringe, Dolmanknöpfe und leierförmige bronzene (Temeschwar, Petschka, Klausenburg, Stumpach) oder eiserne Gürtelschnallen charakterisiert. Ledergürtel und Ledertasche besaß offensichtlich jeder Krieger. Ziergürtel mit spezifisch östlichen Pflanzenmustern auf ihren Bronze- und Silberbeschlägen bezeichneten schon einen gewissen Rang (z. B. Sajtény, Klausenburg), ebenso wie die edelsteinbesetzten Kopffingerringe mit ihrer einfallsreichen Form und besonders die metallenen Deckplatten der Tasche. {131.} Die Führer und ausgezeichneten Krieger der westlichen Streifzüge verzierten ihre Kleidung häufig mit aufgenähten Silbermünzen (Sikló, Orschowa) – bis zur Mitte des 10. Jahrhunderts erleichtern diese die Datierung der Bestattungen. Auch in Ungarn ist der Irrglaube lebendig, die Landnehmenden seien {132.} ohne Frauen im Karpatenbecken eingetroffen. Wenn dies zutreffend wäre, hätten sie binnen weniger Generationen ihre Sprache verloren. Zwar bewegt sich der Anteil der Frauen in den Friedhöfen militärischen Charakters nur zwischen 30 und 40 % – das zeigt den militärischen Charakter! –, dafür ist dieses Verhältnis in denen des Gemeinvolkes häufig umgekehrt.

Die Kleidung der Frauen läßt sich aus den Metallverzierungen erschließen, den metallischen Dolmanknöpfen, den runden und rhombenförmigen Verzierungen am Ausschnitt des Hemdes oder Kaftans, den kleineren oder größeren Anhängerbeschlägen (z. B. Marosgombás). Nicht selten sind Stiefel mit Metallbeschlägen (Bihar), Hüte und Kopfputz mit Beschlägen und selbstverständlich Schmuckstücke. Mit den Ungarn erschienen im Karpatenbecken erstmals die östlichen Ohrringe mit langen Perlenanhängern (Bihar) und die vom Schwarzmeergebiet stammenden Ohrringe mit Weintraubenanhängern byzantinischer Herkunft (massive oder hohl-granulierte Varianten aus Silber und Bronzenachahmungen der ersteren – Klausenburg, Stumpach usw.). Die größte Bedeutung haben dennoch die in den Zopf eingeflochtenen Anhängerdurchbrochene Gußscheiben (Altbeschenowa, Gálospetri, Weißenburg) oder gravierte Blechscheiben und die breiten Armreifen (nicht selten mit gravierten Verzierungen). Nach der Landnahme tauchen bei den Frauen auch westliche Schmuckstücke auf, Emailleohrringe und Scheibenbroschen. Vereinzelt gelangen diese auch in die östliche Tiefebene (Szalacs, Detta) und nach Siebenbürgen (Weißenburg), als Beute der Streifzüge oder erworbene Handelsware.

Während der Metallschmuck und die vom Jenseitsglauben zeugenden Bestattungsbräuche der an sich puritanischen Männer der Mittelschicht in den Gemeinvolkfriedhöfen nur selten sind, bezeugt die Frauentracht der Mittelschicht- und Gemeinvolkfriedhöfe vielmehr enge Verflechtungen und Überschneidungen. Die aus einem einzigen dicken Metalldraht gebogenen oder aus Drahtbündeln gedrehten Hals- und Armreifen sowie Fingerringe – eigentlich auch ein neuer Modeschmuck des 10. Jahrhunderts im Karpatenbecken – der Frauen und Mädchen aus dem Gemeinvolk finden sich aus Silber und sogar Gold auch bei den Vornehmen, und die zweiteiligen Kleidausschnittanhänger der letzteren gibt es in zahlreichen Varianten bei den Frauen des Gemeinvolkes aus Bronze bis zur Mitte des 11. Jahrhunderts. Nicht selten sind mit runden Bronzebeschlägen benähte Kleider, und sogar bronzene Zopfanhänger kommen vor. Auch die sich im Karpatenbecken erst nach der ungarischen Landnahme verbreitenden bronzenen oder silbernen Armbänder mit einander anblickenden Tierköpfen unbekannter Herkunft (z. B. Thorenburg, Temeschwar, Biharfélegyháza, Petschka) verteilen sich auf die Frauen beider Schichten. Echter weiblicher Schmuck des Gemeinvolkes sind allein die einfachen Drahtarmbänder und Fingerringe, die (den Zopf schmückenden) glatten Haarringe mit eingedrehten oder S-förmigen Enden, die als religiöses Symbol dienenden Halbmondanhänger und die Halsketten aus verschiedenen Glasperlen, letztere teilweise schon hier hergestellt.

Abb. B. Grabbeigaben einer landnahmezeitlichen ungarischen Frau in festlicher Tracht, Marosgombás

Abb. B. Grabbeigaben einer landnahmezeitlichen ungarischen Frau in festlicher Tracht, Marosgombás

In Siebenbürgen und in der östlichen Tiefebene, in den Tälern und Ebenen tritt diese archäologisch gut erfaßbare ungarische archäologische Kultur zur gleichen Zeit auf wie in allen anderen Teilen des damaligen Landes. Dennoch neigten selbst ungarische Forscher zur Unterbewertung der siebenbürgischen Niederlassung der landnehmenden Ungarn. Dabei war nicht die Besiedlung selten und dünn, sondern die Forschung vermochte sich nicht zu entfalten. Sie {133.} begann ohnehin mit halbhundertjähriger Verspätung – die ersten siebenbürgischen landnahmezeitlichen Gräber wurden erst 1895 entdeckt (Marosgombás) –, und die letzte planmäßige Grabung nach landnehmenden Ungarn wurde 1911 beendet (in der Zápolya-Str. in Klausenburg, deren {134.} Ergebnisse auch erst 1942 veröffentlicht werden konnten). Zwischen den beiden Weltkriegen wird alles in allem nur von einem landnahmezeitlichen Reitergrab berichtet (Székelyderzs). Nach dem zweiten Weltkrieg fand man zwar an vielen Orten – fast ausnahmslos als „Nebenprodukt“ von Grabungen mit anderem Ziel – Gräber der Mittelschicht, die von den gewissenhaften Archäologen zumeist auch fachgerecht ausgegraben wurden, doch veröffentlichte man keinen Ausgrabungsbericht über diese Friedhöfe (Diemrich, Klausenburg Pata-Str., mehrere in Karlsburg, Köröstarján, Sajtény, Sikló, Arad-Csálya, Temeschwar-Csóka-Wald). Die wenigen Grabbeschreibungen (B-Friedhof von Stumpach, Hodony, Szalacs, Gálospetri) wurden in dem Glauben veröffentlicht, daß diese Gräber nicht von Ungarn stammen, weil sie keine Reiterbestattungen aufwiesen. Die Relationen, gemessen an den Forschungen in Ungarn oder an den anerkennenswerten südslowakischen Ausgrabungen hinsichtlich der Mittelschichtforschung, werden immer ungünstiger; all das trübt die Klarsicht, und die Verheimlichung der Funde führt zu ihrer Über- oder Unterbewertung. Die Grabungen selbst lassen sich ja nur selten geheimhalten: So wurde bekannt, daß man am einstigen Sitz des Gyula, in Weißenburg (Karlsburg) Mittelschicht- und Gemeinvolkfriedhöfe fand, die sich nur an denen der Arpaden von Stuhlweißenburg messen lassen, und daß man im Gebiet Klausenburg mit einem im landnahmezeitlichen Karpatenbecken bedeutenden ungarischen Militärzentrum rechnen kann.

Nach Beginn des 10. Jahrhunderts lassen sich „einzelne“ Reiterbestattungen – die in den erforschten Gebieten nur von der Oberschicht bekannt waren – oder „Grabgruppen“ von ein bis zwei ungarischen Reitergräbern im späteren Szeklerland (Csíkzsögöd, Szekler Neumarkt, Eresztevény, St. Georgen, Köpec und vielleicht Székelyderzs) nachweisen. Sie sind offensichtlich Spuren des Militärelementes an der Innenseite der südostsiebenbürgischen Pässe als Grenzschutz gegen Petschenegen und Bulgaren – es würde überraschen, wenn es sie nicht gäbe, wurde doch eine bedeutende ungarische Grenzwache jüngst sogar im äußeren Vorfeld der Nordostkarpaten (Przemysl in Südostpolen) entdeckt. Es überrascht auch nicht, daß die Bulgaren direkt dieser südostsiebenbürgischen Grenzwache gegenüber, an der Südseite der Karpaten, gerade an der Wende vom 9. zum 10. Jahrhundert auf der den Südausgang des Bodsauer Passes kontrollierenden Terrasse die kaum einige Jahrzehnte zuvor aus Ziegeln errichtete Befestigung von Slon völlig neu aus Steinen aufbauten. Dies beweist handgreiflich, daß in Siebenbürgen eine neue angriffsfreudige Macht erschienen war, gegen die sich die Bulgaren auf eine ständige Verteidigung einrichteten. Bemerkenswert ist, daß man in Slon-Prahova eine (an zwei Ecken mit Rundtürmen und eigentümlichem Torturm verstärkte trapezoide) steinerne Burg entdeckte, wie sie nördlich der unteren Donau einmalig ist. Ihre behauenen Steine und die Mörteltechnik verweisen direkt auf die großen bulgarischen Zentren (Pliska, Preslaw, Madara, Silistra/Dristra). Die Befestigungen von Slon konnten an der Südseite der Karpaten nur Verteidigungszwecken dienen. Nach ihren serienweisen Niederlagen verließen zuerst die Bulgaren und dann auch die Ungarn ihre vorgeschobenen Stellungen.

Im Inneren Siebenbürgens war der einzige teilweise (mit den Ausgrabungen von 1941–42 insgesamt nur 12 Gräber) ausgegrabene und fast völlig veröffentlichte frühe ungarische „militärische“ Friedhof der von Klausenburg in der Zápolya-Str. (heute Dostoievschi-, in der früheren Fachliteratur {135.} Vişinschi-Str.), dessen Bedeutung sich nur an den reichsten entsprechenden Friedhöfen in Ungarn, an Kenézlõ, Bezdéd, Eperjeske und Karos, messen läßt. Allein eine Taschendeckplatte wurde bisher nicht gefunden, wohl weil die Gräber bereits im Mittelalter geplündert wurden oder der Friedhof nicht zur Gänze freigelegt wurde.

Die Glaubwürdigkeit des Anonymus als „Kriegsberichterstatter“ wird keinesfalls durch den Umstand bestätigt, daß Gräber ungarischer Krieger im Tal des Kleinen Samosch gefunden wurden; die strategische Wichtigkeit des Ortes spricht für sich selbst. An sich beweist dieser relativ kleine Friedhof weder ein bis zum 10. Jahrhundert existierendes „römisches“ Napoca noch ein seit dem 10. Jahrhundert kontinuierliches ungarisches Klausenburg: er liegt nämlich 1275 m östlich der bis dahin mit großer Wahrscheinlichkeit völlig zerfallenen römischen Stadtruinen. Nichts kann die große Entfernung begründen, wenn die Bestatteten sich tatsächlich innerhalb der römischen Mauern, besonders im Bereich der späteren Alten Burg niedergelassen haben sollten – wo es im übrigen keine Spuren von Leben im 9.–11. Jahrhundert gibt. Wo sie dies wirklich taten, wie in Karlsburg in den tatsächlich erhaltenen Mauern Apulums, dort beerdigten sie ohne Umstände innerhalb der Mauern, auf die zerstörte bulgarische Siedlung; weitere Friedhöfe befinden sich außerhalb der antiken Mauern in Fortsetzung des bulgarischen Friedhofs sowie östlich der Burg.

Die obigen Argumente werden auch nicht durch den kürzlich viel näher beim antiken Napoca entdeckten weiteren Friedhof entwertet. Bei Ausgrabungen eines römischen Friedhofs aus dem 2.–3. Jahrhundert fand man im Winkel der Pata-Str. und des Györgyfalver (Gergesdorfer) Weges ca. 30 Gräber-ebenfalls alle mit Beigaben. Die Zahl der Reitergräber ist nicht genau bekannt, doch können es 5 oder 6 sein, mehrere davon mit Säbel und einige mit beschlagenen Gürteln. Pfeilspitzen fanden sich in fast allen Männergräbern, in einem Dutzend von Fällen zusammen mit Knochenplattenversteifungen des Bogens. Die Frauengräber enthielten Zopfringe, Armbänder und Fingerringe – auch Gold- und Silberfingerringe – sowie scheibengedrehte irdene Gefäße des „Saltowo“-Typs, also der Zápolya-Str. ähnliche Funde. Der Friedhof liegt ca. 600 m südwestlich der Zápolya-Str. und war folglich ein selbständiger Bestattungsplatz. In ungefähr ebensolcher Entfernung von diesem nach Nordwesten lag ein dritter damaliger Friedhof in der Farkas-Str., worauf nur ein einziges, am Hals mit Metallbeschlägen verziertes Kleid und silberne Ohrringe mit Weintraubenanhänger eines Frauengrabes verweisen. Aufgrund der drei frühen Friedhöfe kann die landnahmezeitliche Militärsiedlung (können die Siedlungen) im Gebiet zwischen dem Mühlbach und der Budai-Nagy-Antal- (frühere Honved-)Str. vermutet werden.

Im Bereich der Karlsburger Burg wurde ein bei Bauarbeiten zu Beginn des 11. Jahrhunderts zerstörtes ungarisches Reitergrab freigelegt. Außer schriftlichen Mitteilungen über Mittelschichtbestattungen (Zalatnaer Str.) außerhalb der Mauern mit Pferd, Ziergürtel, Köcher, Zopf-Scheibenanhängern und silbernen Ohrringen mit Weintraubenanhängern und über einen frühen Gemeinvolkfriedhof östlich der Burg ist Näheres nicht bekannt. Relativ gut bekannt wiederum sind Details militärischer Friedhöfe der Mittelschicht teilweise mit Reitergräbern einiger älterer (Marosgombás, Magyarlapád) und neuerer (B-Friedhof Stumpach) Grabungen. Über einen ähnlichen, nur in Auswahl veröffentlichten, teilweise freigelegten Friedhof mit Reitergrab {136.} wissen wir von Diemrich am Mieresch. Nachrichten über unveröffentlichte Reitergräber liegen aus Stumpach und Piski vor.

Außer dem an der Samosch-Furt bei Klausenburg wurden sämtliche landnahmezeitlichen militärischen Friedhöfe im Miereschtal gefunden, die Friedhöfe der Militärstationen setzen sich an beiden Seiten des sich zur Tiefebene hin öffnenden Flußtales und im Arankatal fort (Ópálos, Fönlak, Deutsch-St. Peter, Arad-Csálya, Groß-St. Nikolaus, Perjamosch, Petschka, Sajtény). Im Tal der Schnellen Kreisch ist bisher nur Krajnikfalva als ungarische Militärsiedlung bekannt, und von solchen im Gebiet der Meszeschpforte wissen wir nichts.

Die Friedhöfe in der östlichen Tiefebene gehören zum zentralen Siedlungsgebiet der Ungarn. Ein solcher ist der Friedhof von Bihar (der einzige am Jahrhundertbeginn teilweise ausgegrabene und veröffentlichte), nicht weit von ihm der militärische Friedhof mit Reitergräbern in Köröstarján sowie der in Ártánd im heutigen Ungarn. Im Érgebiet (Gálospetri, Szalacs) siedelten die Vertreter der Mittelschicht ebenso wie im vermutlichen frühen Zentrum der Gyulas östlich des heutigen Gyula (Gyulavarsánd, Muszka, Sikló). Im Banat liegt eine lange Kette reicher militärischer Friedhöfe der Mittelschicht und Gräberfelder von Sippenoberhäuptern (Triebswetter, Vizesd, Marienfeld, Komlosch, Hodony, Temeschwar-Csóka-Wald, Detta), hinunter bis zur Grenzwache an der unteren Donau, in Orschowa, wo durch westliche und byzantinische Münzen datierte, überraschend reiche landnahmezeitliche ungarische Funde zum Vorschein kamen. Im letzten Drittel des 10. Jahrhunderts hatten die Militärsiedlungen im Érgebiet-Schnelle Kreisch anders als im Siebenbürgen der Gyulas auch Grenzschutz- (Szekler-) funktion, während die Kräfte im Banat zu Beginn des 11. Jahrhunderts in Ajtonys Diensten standen.

Die nicht allzu großen Friedhöfe des 10. Jahrhunderts des Gemeinvolkes von ausgesprochen östlicher ungarischer Herkunft fanden sich in Siebenbürgen fast ausschließlich im Miereschtal (Maroscsapó, Marosnagylak, Karlsburg – mindestens zwei, Magyarlapád, Unterwintz-Burgberg, Stumpach, Diemrich), aber auch die Ausnahmen liegen noch im Miereschgebiet (Thorenburg, Zeikdorf, Kelling). Aus der östlichen Tiefebene, dem Banat und dem Gebiet an der unteren Donau sollen nur einige wichtigere erwähnt werden: Karol, Hegyközkovácsi, Großwardein, Gyulavarsánd, Petschka, Brukenau, Ligeth, Mehádia. Diese frühesten ungarischen Siedlungen und ihre Friedhöfe – und das ist wiederum eine Erfahrung aus dem gesamten Land – überstehen auch in Siebenbürgen nur selten die inneren Kämpfe und Erschütterungen im Verlaufe der Staatsgründung, die Umsiedlungen im Zuge der Staatsorganisation. Es gibt auch eine Periode des 10. Jahrhunderts der späten slawischen Urnenfriedhöfe (vom Mediasch-Typ) um das Siebenbürgische Hochland herum, wie dies die Benutzung des bulgarischen Friedhofs von Csombord im 10. Jahrhundert oder die gemeinsamen Bestattungen der Bulgaren, Slawen und Ungarn in Karlsburg belegen. Auch in den Gräberfeldern einiger bulgaro-slawischer Siedlungen im südlichen Banat wurde archäologisches Material des 10. Jahrhunderts gefunden (Altmoldova, Felsõlupkó/Gornya).