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Allgemeine politische Situation

In der internationalen Politik orientierte sich Rumänien nach 1916 an Frankreich und England, weshalb es auch ein Gründungsmitglied der Kleinen Entente wurde, die zur Sicherung des durch die Friedensverträge entstandenen mittel- und osteuropäischen Status quo ins Leben gerufen worden war und die Staaten Tschechoslowakei, Rumänien und Jugoslawien umfaßte. Das wichtigste Ziel der rumänischen Außenpolitik war die Sicherung der territorialen Integrität, und die verschiedenen Regierungen ordneten die Innenpolitik – und in deren Rahmen auch die Nationalitätenpolitik – diesem Bestreben unter. Die Sowjetunion erkannte die Friedensverträge nicht an und verzichtete niemals auf Bessarabien, auch Bulgarien akzeptierte den Anschluß der Süddobrudscha an Rumänien nicht. Ungarn nahm die Bestimmungen des Friedens von Trianon offiziell zur Kenntnis, machte aber kein Geheimnis daraus, daß es gerade deren Abänderung als sein Ziel betrachtete. Der Anspruch Ungarns auf Siebenbürgen gefährdete Rumänien nicht unmittelbar, da er anfangs von keiner einzigen Großmacht unterstützt wurde. Der ungarischen Außenpolitik gelang es erst 1927, aus ihrer völligen Isolation auszubrechen, als das faschistische Italien – unbefriedigt von den Pariser Vorortverträgen – aus taktischen Gründen und auch offiziell die ungarischen Ansprüche auf eine Revision der Grenzen unterstützte. Auch wenn das nur geringe praktische Bedeutung hatte, so stärkte es doch den ungarischen Irredentismus in seiner Hoffnung, eine grundlegende Wende in {660.} der europäischen Lage könne den territorialen Status quo verändern. Diese Hoffnung erhielt neue Nahrung durch die Machtergreifung der Nationalsozialisten in Deutschland, da Hitlers Außenpolitik ebenfalls die Revision der Friedensverträge forderte.

Das Verhältnis zwischen Rumänien und Ungarn und das Schicksal der Völker beider Länder wurde also entscheidend durch die Friedensverträge nach dem ersten Weltkrieg beeinflußt, die auf das Selbstbestimmungsrecht der Völker und häufig auch auf die ethnischen Verhältnisse keine Rücksicht nahmen, ferner auch durch die Bildung der für oder gegen den Status quo eintretenden Machtblöcke und deren Kräfteverhältnisse bzw. durch den Anschluß der beiden Staaten an einen solchen.

Rumänien war zwischen den beiden Weltkriegen ein rückständiges Agrarland, was die Tatsache kennzeichnet, daß im Jahre 1930 78,8 % der erwerbstätigen Bevölkerung in der Landwirtschaft und bloß 6,7 % in der Industrie beschäftigt waren. In der Landwirtschaft überwog der Zwerg- und Kleinbesitz, dessen Gewicht nach der Bodenreform von 1921 eher noch größer wurde. Auch in der Industrie und im Handel ist der große Anteil der Kleinbetriebe auffallend. Die wirtschaftliche Entwicklung wurde langfristig durch die Expansion der modernen Schwerindustrie (Erdölgewinnung, Bergbau, Stahl- und Eisenindustrie) und teilweise des Maschinenbaus bestimmt. Sowohl an den industriellen Großbetrieben als auch an den Banken war neben dem rumänischen das französische, belgische, deutsche und in geringerem Maße das ungarische Kapital (dieses insbesondere in Siebenbürgen) interessiert.

Die gesellschaftliche Struktur trug als osteuropäisches Kennzeichen den Stempel der wirtschaftlichen Rückständigkeit, was bedeutete, daß die Bauern die überwiegende Mehrheit stellten, die breiten Bevölkerungsschichten unter primitiven Umständen lebten und ihr Lebensstandard außerordentlich niedrig war. Die relativ unentwickelte Arbeiterklasse befand sich auch geographisch betrachtet in einem eng umgrenzten Raum und konzentrierte sich auf einige Industriezweige. Die Handwerker-, Einzelhändler- und Angestelltenschicht stellte das Bürgertum dar, der Staat wurde zumeist von Repräsentanten des Kapitals und des Großgrundbesitzes gelenkt.

Rumänien war bis 1938 eine konstitutionelle Monarchie mit einem Mehrparteiensystem, aber die Verfassungsrechte kamen wegen der Rückständigkeit der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung nur beschränkt zur Geltung. In den 20er Jahren regierte – mit kürzeren Unterbrechungen und vor allem mit Unterstützung des Bukarester Großkapitals – die von der Familie Brătianu geführte Liberale Partei, die zur Verwirklichung ihrer als national propagierten Politik der Modernisierung der Wirtschaft vor allem vom Mittel der im rumänischen öffentlichen Leben häufig angeprangerten Korruption Gebrauch machte. Der überwiegende Teil des rumänischen Bürgertums und der Intelligenz in Siebenbürgen unterstützte die Nationalpartei von Iuliu Maniu; durch ihre Vereinigung mit der Partei der Kleinlandwirte jenseits der Karpaten – dem Sammelbecken auch der kleinbürgerlichen Elemente – entstand 1926 die zweitgrößte politische Gruppierung des Landes, die Nationale Bauernpartei (Nationalzaranisten). Diese Partei, die sich eine Demokratie unter dem Primat der Bauernschaft vorstellte, wurde zum Hauptgegner der Liberalen. Nach ihrem Machtantritt im Jahre 1928 konnte sie aber zur Enttäuschung breiter Gesellschaftsschichten {661.} und der eigenen Führung ihr Versprechen, ein gesünderes öffentliches Leben, eine sog. saubere Regierungspolitik einzuführen, nicht erfüllen. Bei ihrer Machtausübung verwendete sie fast dieselben Methoden wie ihr liberaler Gegner oder die kurzlebigen Koalitionsregierungen kleinerer Parteien und entfremdete damit landesweit die Massen von der Regierung.

Gegen die vornehmlich eine rechtsgerichtete Politik verfolgenden Regierungen formierte sich die bis 1920/21 in allen Provinzen völlig selbständig handelnde Arbeiterbewegung, die auch in der Folgezeit ihren regionalen Organisationsrahmen beibehielt. Die 1921 gegründete Kommunistische Partei Rumäniens wurde nach einer kurzen Legalitätsperiode zur illegalen Tätigkeit gezwungen, konnte aber trotz der legalen Sozialdemokratischen Partei die Mehrheit der Gewerkschaften auch weiterhin dominieren. Sie war auch in Organisationen tätig, wie dem Block der Städtischen und Dörflichen Werktätigen, der zwei Drittel seiner Sympathisanten in Siebenbürgen besaß. Unter ihren Mitgliedern und Führern waren zahlreiche ungarische Arbeiter und Intellektuelle, die auch vor 1918 in der Arbeiterbewegung aktiv waren oder an den Kämpfen der Ungarischen Räterepublik teilgenommen hatten. 1924 stellte der 3. Kongreß der Partei fest, Rumänien sei infolge der Vereinigung der verschiedenen Provinzen aus einem Nationalstaat zu einem Multinationalitätenstaat geworden, und „man muß die Anstrengungen der unterdrückten Nationalitäten aufgrund des Prinzips der nationalen Selbstbestimmung bis hin zur völligen Abspaltung vom bestehenden Staat unterstützen* Documente din istoria Partidului Comunist din România 1923–1928 (Dokumente zur Geschichte der Kommunistischen Partei Rumäniens 1923–1928). Vol. II. Bucureşti 1953, 258.; aus dieser Tatsache wurde die Lehre gezogen, daß die Stärkung der Beziehungen zu den Arbeitern der nationalen Minderheiten besonders wichtig sei. Die Partei widerrief später diesen Beschluß, aber die demokratische Lösung der Nationalitätenfrage blieb immer eine Hauptforderung ihrer Politik, die auch den Klassenkampf in den Vordergrund stellte.

In den Kämpfen der Arbeiter unterschiedlicher Nationalitäten gegen die für sie nachteiligen Folgen der großen Weltwirtschaftskrise waren die Kommunisten die führende Kraft. Die bedeutendste Aktion war 1929 der Streik der Zechenarbeiter in Schylwolfsbach gegen die Lohnsenkung und die Entlassungen, der mit Brachialgewalt, in einem mindestens 30 Todesopfer fordernden Zusammenstoß, niedergeschlagen wurde. Unter den Opfern waren zahlreiche Ungarn (während auf der anderen Seite, in der Leitung der Bergbaugesellschaft Petroşeni AG, auch Kapitalisten aus Ungarn saßen oder infolge der Ablösung ihrer Aktien am Gewinn profitierten, den die Bergleute im Schiltal erzeugten). Gleichfalls lenkten die Kommunisten 1934 die Bauernaktion im Gyimestal sowie die mehrwöchigen Streiks um Lohnerhöhungen 1935 in der Lederfabrik Dermata in Klausenburg und 1936 in der Textilfabrik Arad. In diesen Kämpfen wurde die neue Einheit der rumänischen und ungarischen Arbeiter geschmiedet, die in der Atmosphäre des aufgehetzten nationalistischen Hasses eine einmalige Erscheinung von zukunftsträchtiger Bedeutung war.

Ab den 30er Jahren wurde auch in Rumänien die neue nationalistische Welle immer stärker, deren wichtigster Träger die in der Moldau entstandene faschistische Bewegung war, die zeitlich keineswegs ihren europäischen Parallelen hinterherhinkte. Die verschiedene Tendenzen in sich vereinigende, {662.} unter dem Namen „Legion des Erzengels Michael“ oder „Eiserne Garde“ bekannt gewordene Organisation entwickelte sich nach der Weltwirtschaftskrise zu einer bedeutenden Kraft, sie schlug politisches Kapital sowohl aus der Krise selbst und der Rückständigkeit der durch die Grundbesitzerherrschaft nicht nur ausgebeuteten, sondern auch vernachlässigten Bauernschaft, als auch aus der tiefen Abneigung der jungen Intelligenz aus den Volksschichten gegen die Unmoral des öffentlichen Lebens, aus dem Parteienstreit sowie dem Fremdenhaß. Die Entwicklung der internationalen Lage und der Sieg des Nationalsozialismus in Deutschland haben die dynamische Machtzunahme der „Legion“ ebenfalls gefördert. Diese Bewegung, die neben der bekannten sozialen Demagogie des Faschismus auch aus dem Mystizismus der Orthodoxie schöpfte – und auch in Siebenbürgen eine Anhängerschaft besaß – verkündete die Schaffung einer gerechteren und sittlicheren Welt, während sie in der Praxis für die Abrechnung mit den politischen Gegnern und „Verrätern“ das System der politischen Morde einführte.

Gegen die rechten Parteien und den Faschismus nahm die von den Kommunisten geführte, zur Zeit der Weltwirtschaftskrise durch die Streiks erstarkte Arbeiterbewegung am konsequentesten den Kampf auf. Mit den Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam kämpften auch Intellektuelle unterschiedlicher Nationalität, aber sie konnten den Vormarsch des Faschismus nicht aufhalten.

Die herrschende Klasse stellte dem Angriff des europäischen und rumänischen Faschismus eine rechtsgerichtete Diktatur gegenüber. Der seit 1930 herrschende König Karl II. versuchte, ein autoritäres System der persönlichen Diktatur auszubauen und ein ihr angepaßtes Nationalbewußtsein zu schaffen. Anfang 1938 entließ er die ohnehin nur als Provisorium ernannte Regierung Octavian Gogas und stellte einen Verfassungsentwurf korporativen Charakters zum Referendum, das die neue Regierungsform bestätigen sollte. Unter den Bedingungen des Ausnahmezustands wagten es von den 4,3 Millionen Abstimmungsteilnehmern nur 5483 – und die Mehrheit von ihnen in Siebenbürgen –, gegen den Entwurf zu stimmen. Die Parteien und Organisationen wurden aufgelöst, die Gesetzgebung wurde statt dem herkömmlichen Parlament der sog. Interessenvertretung übertragen, an die Spitze der Verwaltung traten zumeist Militärs. Die Organisation des politischen Lebens übernahm die Front der Nationalen Wiedergeburt, zu der auch die Nationalitätenorganisationen gehörten. Der Versuch Karls II. – eine eigenartige Mischung aus Faschismus und Nationalismus, aus partiellen Freiheitsrechten und Maßnahmen zur staatlichen und wirtschaftlichen Modernisierung – entbehrte keineswegs jeder Unterstützung. Mangels einer besseren Alternative akzeptierte ihn auch jener Teil des rumänischen Bürgertums in Siebenbürgen, der mit den drastischen Maßnahmen des Königs zur Liquidierung der Eisernen Garde einverstanden war und hoffte, er werde erfolgreich gegen die damals bereits stärker werdenden ungarischen Revisionsbestrebungen vorgehen.

Wirtschaftliche Verhältnisse

Die infolge des Friedens von Trianon an Rumänien angeschlossenen westlichen Gebiete machten 34,8 % (102 200 km2) des gesamten Territoriums des neuen Staates aus und umfaßten 30,7 %, seiner Gesamtbevölkerung (1930: {663.} 5 548 000). 1930 arbeiteten von der erwerbstätigen Bevölkerung dieses Gebietes 76,6 % in der Landwirtschaft, 9,6 % in der Industrie, 4,7 % im Handel und 9,1 % in sonstigen Berufen. Ein Drittel dieses Gebietes bestand aus Wäldern. Die Nutzung des Ackerbodens sah folgendermaßen aus: 76 % – Getreide; 9 % – Futterpflanzen: 4,5 % – Hackfrüchte; mehr als 2 % – Industriepflanzen. In den 30er Jahren wurden durchschnittlich 9 dt Weizen und 11 dt Mais pro Hektar erzeugt. Der Viehbestand in diesem Gebiet betrug 1935 35 % der Rinder, 44 % der Schweine und 24 der Schafe des Gesamtstaates. Die landwirtschaftliche Produktion stand infolge der besseren technischen Voraussetzungen und der sorgfältigeren Bebauung in Siebenbürgen auf einem etwas höheren Niveau als in anderen Gebieten Rumäniens (1935 waren 44,8 % der Traktoren und 42,6 % der Dreschmaschinen in Siebenbürgen in Betrieb – auf 24,5 % der gesamten Ackerfläche des Landes).

Tabelle 8. Verteilung der erwerbstätigen Bevölkerung Rumäniens nach Berufen
aufgrund der Volkszählung von 1930


Berufliche Hauptgruppen
Siebenbürgen Gebiete jenseits der Karpaten Rumänien insgesamt
in 1000 % in 1000 % in 1000 %
Urproduktion 2501 76,6 5730 79,7 8 231 78,7
Bergbau, Industrie 314 9,6 441 6,2 755 7,2
Handel, Kreditwesen, Verkehr 153 4,7 378 5,2 531 5,1
Verwaltung 40 1,2 90 1,2 130 1,2
Im Dienste der Kirchen 15 0,5 29 0,4 44 0,4
Unterricht 27 0,8 61 0,8 88 0,8
Militär, Polizei 60 1,8 165 2,3 225 2,2
Gesundheitswesen 24 0,7 41 0,6 65 0,6
Gelegentlich Arbeitende 45 1,4 93 1,3 138 1,3
Sonstige, Unbekannte 86 2,7 164 2,3 250 2,5
Insgesamt 3265 100,0 7192 100,0 10 457 100,0


Quelle: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930 (Allgemeine Volkszählung vom 29. Dezember 1930). VII. Bucureşti o. J.

Im Bergbau wurde die Förderung von Salz, Kohle und Buntmetallen fortgesetzt, die Eisenerzförderung und vor allem die Erschließung der siebenbürgischen Erdgasfelder nahm einen neuen Aufschwung. In der Nähe der Kohlen- und Erzbergwerke war die Entwicklung der Eisen- und Stahlproduktion, in der Umgebung der Salz-und Erdgasgewinnung die der {664.} chemischen Industrie zu beobachten. Baumaterialienindustrie und die Papiererzeugung intensivierten sich an vielen Orten, und es entwickelten sich auch herkömmliche Industriezweige weiter fort wie die Lebensmittel-, Leder-, Textil-, Glas-, Holz- und keramische Industrie. Die Fabrikindustrie war auf die traditionellen Industriegebiete konzentriert: auf die Betriebe von Reschitza, Arad, Temeschwar, Kronstadt, Klausenburg und Großwardein und auf die Eisenwerke im Gebiet Hunyad. 1937 wurden 38,6 % der Gesamtproduktion Rumäniens in den Fabriken Siebenbürgens hergestellt. Nach einer ausgeprägt kritischen Periode erhöhte sich die Industrieproduktion des Landes ab Mitte der 20er Jahre binnen 15 Jahren ungefähr auf das Doppelte. In Siebenbürgen war der Zuwachs mit 60 % um einiges geringer, was sich hauptsächlich mit Kapitalmangel und dem Ausbleiben staatlicher Subventionen, zum Teil auch mit dem höheren Ausgangsniveau erklären läßt.

Zwischen 1921 und 1938 erhöhte sich das Kapital der Unternehmen im Gesamtstaat von 16 Milliarden auf 61 Milliarden Lei, wobei die Beteiligung des ausländischen Kapitals von 10,8 Milliarden auf 38,9 Milliarden Lei anstieg. Die Industrie Rumäniens – und damit auch die Siebenbürgens – hing in hohem Maße vom französischen, englischen, belgischen und deutschen Kapital ab, dessen Anteil 1921 67,5 % und selbst 1938 trotz des Wachstums der heimischen Investitionen noch immer 63,8 % betrug.

Eine Untersuchung der großen Produktionszweige aus der Sicht der Besitzverhältnisse ergibt auch in Siebenbürgen eine Dominanz des kleinen Privatbesitzes. Die Ackerfläche von 3,5 Millionen Hektar war auf 1 164 000 Besitzer verteilt: 1 007 000 unter 5 ha; 105 000 5–10 ha; 53 000 über 10 ha. 1930 gab es 96 611 Industrie- und Handelsunternehmen mit 362 125 Beschäftigten. 1937 beschäftigten 1691 größere Industriebetriebe 130 000 Arbeitnehmer, fast doppelt so viel als 1919.

Dem wirtschaftlichen Entwicklungsniveau und der Berufsverteilung entsprechend weisen auch die Siedlungsverhältnisse auf den Agrarcharakter des Gebietes hin. 1930 wohnten 82,7 % der Bevölkerung Siebenbürgens in Dörfern und nur 17,3 %, (958 998 Personen) in Städten. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung wohnte in Kleingemeinden mit weniger als 2000 Einwohnern. Offiziell gab es 49 Städte, von denen aber nur 6 über 50 000 Einwohner hatten. Der Zuwachs der städtischen Bevölkerung hielt mit der Industrialisierung, der Bürokratie und der Entwicklung der Dienstleistungen Schritt: seit 1910 erhöhte sich die städtische Bevölkerung um 285 000, während die der Dörfer in Verlauf dieser 20 Jahre stagnierte.

Die Dörfer waren noch immer überwiegend auf Selbstversorgung eingerichtet, nur die allerwichtigsten Industrieartikel besorgte man sich im Handel. Die Einwohner waren – den Pfarrer, Lehrer, Krämer und vielleicht 1–2 Handwerker nicht mitgerechnet – überwiegend Bauern, von denen nur sehr wenige wohlhabend und die übrigen Klein- oder Zwergbauern oder Gesinde waren. Die Mehrheit der städtischen Bevölkerung bestand aus Handwerkern, Einzelhändlern, Angestellten und einer kleinen Schicht von Intellektuellen, aber viele Städte hatten auch eine erhebliche Zahl von Bauern, die Gemüse, Obst und Kleinvieh für den Markt lieferten. Die Arbeiter konzentrierten sich in einigen großen Industriezentren und Städten. Es handelte sich also um eine stark gegliederte dörfliche und kleinstädtische Gesellschaft, welche die für das 19. Jahrhundert gemeinschaftstypischen Verhaltensformen und Lebensweisen konservierte.

{665.} Rumänen als dominierende Staatsnation

Das Spezifikum Siebenbürgens im Vergleich zum alten Rumänien bestand – neben den Unterschieden in der wirtschaftlichen und kulturellen Entwicklung – hauptsächlich in seiner ethnischen Zusammensetzung. Nach der Volkszählung von 1930 – nach Nationalitäten – waren im ganzen Land 71,9 % Rumänen, 7,9 % Ungarn, 4,1 % Deutsche, 4 % Juden, 3,2 % Ruthenen, 2,3 % Russen, 2 % Bulgaren, 4,6 % Sonstige. Die Anteile in Siebenbürgen betrugen bei 5 548 363 Einwohnern: 57,8 % Rumänen, 24,4 % Ungarn, 9,8 % Deutsche, 3,2 % Juden, 4,8 % Sonstige. Diese Volkszählung machte einen Unterschied zwischen ethnischer Zugehörigkeit und Muttersprache, so wurden Juden und Zigeuner als Volksgruppen angegeben, selbst wenn sie auch ungarisch sprachen. (Hier seien die Bevölkerungsanteile aufgrund der Muttersprache nach der Volkszählung von 1910 erwähnt: 53,8 % Rumänen, 31,6 % Ungarn, 9,8 % Deutsche, 4,8 % Sonstige.)

Der Herrschaftswechsel begünstigte die Rumänen sowohl wirtschaftlichgesellschaftlich als auch kulturell. Den offiziellen Statistiken nach waren bis zum 1. Juni 1927 aufgrund des Bodenreformgesetzes von 1921 212 803 Rumänen, 45 628 Ungarn, 15 934 Sachsen und Schwaben und 6314 Personen anderer Nationalität Nutznießer der Bodenreform in Siebenbürgen. Obwohl der Staat bestrebt war, den bei den Banken verschuldeten Kleinbesitzern mit seiner Steuer- und Kreditpolitik zu helfen, verhinderte der technische Rückstand eine Produktivitätserhöhung in der Landwirtschaft, die Klein- und Zwergbauern lebten unter armseligen Umständen, und das Los der Bauernschaft blieb – unabhängig von der Nationalität – auch weiterhin ein großes soziales Problem.

Tabelle 9. Zusammensetzung der Bevölkerung Rumäniens nach Muttersprache und Nationalität
aufgrund der Volkszählung von 1930


Bevölkerung
Muttersprache Nationalität Muttersprache Nationalität
in 1000 %
Rumänen 13 181 12 981 73,0 71,9
Ungarn 1 554 1 426 8,6 7,9
Deutsche 761 745 4,2 4,1
Juden/Jiddisch 5,9 728 2,9 4,0
Ruthenen/Ukrainer 641 582 3,6 3,2
Russen 451 409 2,5 2,3
Bulgaren 264 366 2,0 2,0
Zigeuner 101 263 0,6 1,5
Sonstige und Unbekannte 485 557 2,6 3,1
Insgesamt 18 057 18 057 100,0 100,0


Quelle: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930 (Allgemeine Volkszählung vom 29. Dezember 1930). II. Bucureşti 1938, 1–180.

Der Staat unterstützte die rumänischen Handwerker und Kleinhändler, deren Zahl sich nicht bedeutend erhöhte, sowohl mit wirtschaftlichen als auch mit administrativen Mitteln. Die siebenbürgische Bank Albina wurde eine der größten Banken Rumäniens; in Klausenburg wurden zur siebenbürgischen Handels- und Industrieförderung die Banca Centrală und zur Finanzierung {666.} der Landwirtschaft die Banca Agrară gegründet. Die Entwicklung des siebenbürgisch-rumänischen Kreditwesens stagnierte aber wegen der Konkurrenz der Bukarester Banken.

Der Herrschaftswechsel brachte den Angestellten und Intellektuellen besondere Vorteile, da der Verwaltungs- und der kulturelle Apparat erweitert wurden und viele Magyaren nach Ungarn übersiedelten oder ihr Amt verloren. Die Karriereaussichten der Siebenbürger Rumänen wurde aber durch die große Zahl derer eingeschränkt, die aus dem Regat genannten Altrumänien eintrafen, und das führte sehr bald zu Konflikten.

Zu den Gegensätzen trugen auch die Unterschiede in Kultur und Lebensweise bei. In Altrumänien waren die Orthodoxen in überwiegender Mehrheit, in Siebenbürgen gehörten die Rumänen dagegen zwei unterschiedlichen, aber früher gleichgestellten Kirchen an (1930 bekannten sich 1,9 Millionen Rumänen zur orthodoxen und 1,4 Millionen zur griechisch-katholischen Kirche). Rumänien betrachtete die Orthodoxie als Staatsreligion, und die griechisch-katholische Kirche hatte bloß ein „Vorrecht“ gegenüber den anderen (nichtrumänischen) Kulten. Beide Kirchen bekamen beträchtliche staatliche Unterstützung, trotzdem erreichten die Orthodoxen bei der Organisation neuer Kirchengemeinden und dem Bau neuer Kirchen einen Vorsprung. Infolge der Verstaatlichung des rumänischen Konfessionsschulnetzes verloren die Griechisch-Katholischen ihre Institutionen mit eigener Tradition und damit die Möglichkeit, bei der Erziehung der Jugend ihr seit dem 18. Jahrhundert bestehendes und die Verbindung zu Rom und Wien pflegendes kulturelles Erbe zu bewahren.

Die gesellschaftliche Basis der siebenbürgisch-rumänischen nationalen Politik war die Bauernschaft, und traditionsgemäß reagierte die siebenbürgisch-rumänische herrschende Schicht auf die Probleme im Dorf immer empfindlicher als die Rumänen im alten Königreich. Unterschiede gab es auch in den wirtschaftlichen und Verwaltungstraditionen Siebenbürgens, es bestanden unterschiedliche moralische Normen im öffentlichen Leben und abweichende Gewohnheiten auch im Alltagsleben.

Tradition, wirtschaftliche und kulturelle Interessen sowie Unterschiede in der Lebensweise sind also zusammengenommen die Erklärung dafür, daß ein großer Teil der Siebenbürger Rumänen die Rumänische Nationalpartei Iuliu Manius mit ihrem Programm, das die spezifischen siebenbürgischen Interessen artikulierte, unterstützte. Die Klausenburger Patria schrieb bereits am 26. Dezember 1920 gegen die „Regatler“: „Sie betrachten und behandeln Siebenbürgen als eine Kolonie“, und 1922 blieb die Nationalpartei sogar der Königskrönung fern. 1928 kam Maniu schließlich mit der Nationalen Bauernpartei (Nationalzaranisten) – die er mit einem Partner aus dem alten Rumänien geschaffen hatte – an die Regierung, konnte aber die siebenbürgischen Sonderinteressen nicht durchsetzen, und sein Bauernschutzprogramm verkehrte sich infolge nur halbherziger Maßnahmen und der Weltwirtschaftskrise in sein Gegenteil. Mit der Möglichkeit zum freien Verkauf des Grundbesitzes wurde der Bodenverlust der Kleinbauern gefördert, die Genossenschaften und die Volksbanken wurden ein Instrument für die Ausbeutung der Armen.

Während Maniu in den 20er Jahren noch gewisse Sonderrechte für Siebenbürgen forderte und damit Sympathien zu gewinnen versuchte, verkündete ein anderer Teil der Siebenbürger Rumänen, wie die vom Dichter {667.} Octavian Goga geleitete Richtung, die Notwendigkeit einer starken Zentralisierung gegen alle Autonomiebestrebungen. Die territorialen Revisionsbestrebungen Ungarns verstärkten den Gedanken an einen einheitlichen Charakter des rumänischen Staates immer wieder auch bei jenen, die sonst die korrupte Parteienherrschaft verurteilten und die siebenbürgischen partikularen Gesichtspunkte zur Geltung kommen lassen wollten.

Der Herrschaftswechsel kam den Rumänen auch in kultureller Hinsicht zugute. 1910 war noch etwa die Hälfte der Bevölkerung Siebenbürgens des Lesens und Schreibens unkundig, und die Mehrheit dieser Menschen wohnte in den von Rumänen bewohnten Komitaten (in den Komitaten Hunyad, Unter-Fehér, Kolozs, Szilágy und Marmarosch machte die Zahl der Analphabeten zwei Drittel der Erwachsenen aus). Durch die Verstaatlichung und Erhöhung der Zahl der Schulen und durch den Zuwachs an Lehrkräften verbesserten sich die Bildungsvoraussetzungen für eine kulturelle Entwicklung. Bis 1930 stieg der Anteil der Schreib- und Lesekundigen auf 67,4 %; in den Städten auf 83,7 %, in den Dörfern auf 62,5 %. In den Komitaten Kolozs, Hunyad, Szilágy, Bihar, Torda und Marmarosch waren in den Dörfern trotzdem noch 37,4–68,6 %, der Bevölkerung Analphabeten. Die überwiegende Mehrheit der Schreib- und Lesekundigen hat hier aber auch nur die vier Klassen der Volksschule absolviert.

Der Unterricht in den Mittelschulen weitete sich aus und differenzierte sich, was auch eine Zunahme der geistig Tätigen und Intellektuellen unter den Rumänen zur Folge hatte. Die Intelligenz wurde vor allem an der gut ausgestatteten Universität von Klausenburg ausgebildet, deren Unterrichtssprache 1919 rumänisch wurde. 1921 kam es in Temeschwar zur Gründung einer technischen Hochschule.

Es entstand eine stärker gegliederte rumänische Intelligenz, die nicht mehr nur aus Lehrern und Geistlichen bestand, sondern auch aus Ärzten, Ingenieuren und anderen Geistesschaffenden. Ein erheblicher Teil der Intelligenz kam aus den Dörfern, hauptsächlich Kinder wohlhabender Bauern. Dies stärkte den Glauben an die Möglichkeit eines gesellschaftlichen Aufstiegs und einer Teilnahme an der Macht. Unter diesen Umständen stand die überwiegende Mehrheit dieser Intelligenz auf seiten der herrschenden Klassen, und nur sehr wenige kamen mit der Arbeiterbewegung in Berührung. Für den Nationalismus der Intelligenz war auch der Populismus kennzeichnend, der für die siebenbürgisch-rumänische Kultur auch am Ende des 19. Jahrhunderts charakteristisch gewesen war und sich vor allem in der Förderung der Volkskunst und in der Bindung an das mythisierte Bauerntum äußerte.

Diese Entwicklungslinie der siebenbürgisch-rumänischen Kultur wurde von Lucian Blaga weitergeführt, der in seiner philosophisch-kosmischen Dichtung Antworten auf die Existenzfragen der Menschen suchte und in seinen Aufsätzen ein aus der deutschen Lebensphilosophie und der rumänischen Volksdichtung geschöpftes mythisches Bild vom Schicksal und dem Charakter seines Volkes entwarf. Das wichtigste Organ dieser Richtung war die recht anspruchsvolle Zeitschrift Gândirea (Gedanke), die mit ihrer geistigen Ausrichtung den Nationalismus stärkte. Die Welt des rumänischen Dorfes wurde auch in der Prosa thematisiert, deren Vertreter Liviu Rebreanu und Ion Agîrbiceanu die siebenbürgisch-rumänischen Bauern teilweise in einer idyllischen Umgebung darstellten, aber auch in ihrem Kampf gegen die {668.} ungarische herrschende Klasse – die sie als „die ungarische Herrschaft“ identifizierten – sowie die Tragödien des Alltags beschrieben.

Die Entwicklung der Wissenschaft an der Klausenburger Universität war ebenfalls eng mit der nationalen Problematik verbunden: Archäologen, Historiker, Sprachwissenschaftler und Folkloristen widmeten sich voll und ganz dem Beweis der dakorumänischen Kontinuität und dem Studium der früheren siebenbürgisch-rumänischen nationalen und sozialen Bewegungen, der Folklore und der Volkskunst. Der Bedarf der Wirtschaft bewirkte auch eine Entwicklung der rumänischen Naturwissenschaft, die an der Klausenburger Universität von hervorragenden Wissenschaftlern gelehrt wurde.

Das Schicksal der Siebenbürger Ungarn

Im Unionsbeschluß von Karlsburg wollten die Führer der Siebenbürger Rumänen zugleich eine Charta der Freiheitsrechte für alle Nationalitäten schaffen: „Völlige nationale Freiheit für die mitwohnenden Nationalitäten. Jedes Volk hat das Recht auf eigene Erziehung, Verwaltung und Rechtsprechung in der eigenen Muttersprache, auf eigene Verwaltung durch Personen aus seiner Mitte. Das Recht auf Vertretung in den Gesetzgebungsgremien und in der Regierung des Landes kommt jedem Volk entsprechend seinem Bevölkerungsanteil zu.“* Quellen zur Geschichte der Siebenbürger Sachsen 1191–1975. Hrsg. von E. WAGNER. Köln–Wien 21981, 265. In politischen und gesellschaftlichen Fragen spiegelte dieser Beschluß den Geist der bürgerlichen Demokratie wider, den er auch für die Minderheiten zur Geltung kommen lassen wollte.

Rumänien verpflichtete sich 1919 in einem internationalen Vertrag zur Wahrung der Minderheitenrechte. Der Minderheiten-Schutzvertrag gewährte der nichtrumänischen Bevölkerung die allgemeine Rechtsgleichheit, den freien Sprachgebrauch und den Unterricht in Nationalitätenschulen, er stellte den Szeklern und Sachsen eine gewisse kulturelle Gruppenautonomie in Aussicht und berechtigte die Minderheiten, sich mit ihren Beschwerden um Rechtsbeistand an den Völkerbund zu wenden. Die Rechtsgleichheit für die Angehörigen der Nationalitäten wurde auch durch die liberale Verfassung von 1923 bestätigt, die aber das Land zum „rumänischen Nationalstaat“ erklärte und die wichtigen Zusagen des Karlsburger Beschlusses nicht beinhaltete. Zwischen den internationalen Abkommen und den Verfassungsbestimmungen auf der einen und der Wirklichkeit auf der anderen Seite bestand stets eine Diskrepanz, die in hohem Maße die Möglichkeiten zur Zusammenarbeit zwischen Mehrheit und Minderheit beeinflußte.

Die Volkszählung von 1930 bestimmte die Anzahl der Magyaren in Siebenbürgen – aufgrund der Muttersprache – mit 1480 712 Personen. Nach 1918 wurden 200 000 (anderen Schätzungen nach 300000) Magyaren, hauptsächlich Intellektuelle und Angestellte, „repatriiert“, d. h. sie verließen Siebenbürgen und siedelten nach Ungarn über. Mehr als ein Drittel der Magyaren wohnte im Szeklerland, etwa ein Viertel in den siebenbürgischen Städten und ungefähr ebenfalls ein Viertel an der westlichen Grenze.

{669.} Tabelle 10. Zusammensetzung der Bevölkerung Siebenbürgens nach Muttersprache und Nationalität
aufgrund der ungarischen Volkszählung von 1910 und der rumänischen Volkszählung von 1930

Bevölkerung

1910 1930 1910 1930
Muttersprache Muttersprache Nationalität Muttersprache Muttersprache Nationalität
in 1000 in 1000 % %
Rumänen 2830 3233 3208 53,8 58,2 57,8
Ungarn 1664 1481 1353 31,6 26,7 24,4
Deutsche 516 541 544 9,8 9,8 9,8
Juden/Jiddisch 49* geschätzte Angabe 111 179 0,9 2,0 3,2
Zigeuner 60 44 109 1,2 0,8 2,0
Sonstige 144 138 155 2,7 2,5 2,8
Insgesamt 5263 5548 5548 100,0 100,0 100,0


Quelle: Angaben der Volkszählung 1910: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen. Neue Serie). Band 42; E. JAKABFFY, Erdély statisztikája (Statistik Siebenbürgens). Lugos 1923. Angaben der Volkszählung 1930: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930. II. Bucureşti 1938, 1–180.

In ihrer Berufs- und Sozialstruktur war die siebenbürgisch-ungarische Gesellschaft traditionell komplexer als die der Rumänen. (Auf diesem Gebiet weisen alle Nationalitäten in vieler Hinsicht abweichende, spezifische Züge auf.) Verglichen mit der Gesamtbevölkerung hatte sie einen weniger agrarischen Charakter: nur 58 % waren in der Urproduktion tätig (einen noch geringeren Anteil am Agrarsektor hatten bloß Deutsche und Juden). Fast 20 % der Ungarn arbeiteten im Bergbau oder in der Industrie, 7,8 % erwarben ihr Einkommen im Handel sowie im Kredit- und Verkehrswesen. Der Anteil der nur gelegentlich Arbeitenden (hauptsächlich Tagelöhner) war mit 2,5 %, relativ hoch.

Die Lage der Magyaren in Rumänien verschlechterte sich teils infolge gewisser ungünstiger wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Prozesse, teils wegen der diskriminierenden Nationalitätenpolitik. Die Rückständigkeit der Industrieentwicklung betraf die von Magyaren bewohnten Gebiete, vor allem das Szeklerland. Die Krise der 30er Jahre hatte auf die zahlreichere ungarische Arbeiterschaft, die Handwerker und Einzelhändler die nachteiligste Wirkung. Obwohl die Bodenreform von 1921 manchenorts auch die ungarischen Bauern begünstigte, vermochte sie die Bedürfnisse des ungarischen Agrarproletariats nicht zu befriedigen. Die Reform hat vor allem die Schicht der ungarischen Groß- und Mittelbesitzer, aber auch die Kirchen und anderen Gemeinschaften der Magyaren wirtschaftlich stark beeinträchtigt. Während der Grundbesitz der rumänischen Kirchen sich im allgemeinen vergrößerte, wurden mehr als 314 000 Morgen Land der ungarischen Kirchen enteignet, obwohl diese die Einkünfte aus ihrem Landbesitz bislang primär für kulturelle und Unterrichtszwecke verwendet hatten.

Eine wirtschaftliche Diskriminierung bestand darin, daß in den Szekler Komitaten höhere Steuern veranlagt wurden als in Gebieten mit rumänischer Bevölkerungsmehrheit. Die Lage der ungarischen Handwerker und Einzelhändler wurde nicht nur durch Steuern, sondern auch durch Entzug oder direkte Aufhebung von Krediten erschwert. Die ungarischen Banken {671.} bekamen von der Rumänischen Nationalbank nicht dieselbe Unterstützung wie die anderen und konnten deshalb bloß Kredite in beschränktem Rahmen gewähren. Zudem leisteten diese Banken, einzig ihren reinen Geschäftsinteressen folgend, den in Not geratenen Kleinbauern – gemessen an ihren Möglichkeiten – keinerlei Hilfe.

{670.} Tabelle 11. Zusammensetzung der Bevölkerung Siebenbürgens nach beruflichen
Hauptgruppen und Nationalitäten 1930 (arbeitende und nichtarbeitende Bevölkerung)


Berufliche Hauptgruppen
Rumänen Ungarn Deutsche Juden Sonstige Gesamtbevölkerung
in 1000 % in 1000 % in 1000 % in 1000 % in 1000 % in 1000 %
Urproduktion 2598 81,0 786 58,0 294 54,1 16 9,2 171 64,5 3865 69,7
Bergbau, Industrie 209 6,5 270 1919 130 24,0 48 26,7 42 15,9 699 12,6
Handel, Kreditwesen, Verkehr 112 3,5 106 7,8 40 7,2 72 40,4 8 3,0 338 6,1
Verwaltung 48 1,5 25 1,8 8 1,5 3 1,9 2 0,6 86 1,5
Im Dienste der Kirchen 16 0,5 8 0,6 2 0,5 6 3,6 1 0,2 33 0,6
Unterricht 26 0,8 12 0,9 6 1,1 2 1,0 1 0,3 47 0,8
Militär, Polizei 63 2,0 5 0,4 3 0,6 2 1,2 7 2,7 80 1,5
Gesundheitswesen 10 0,3 16 1,2 10 1,8 3 1,7 2 0,8 41 0,7
Gelegentlich Arbeitende 37 1,2 34 2,5 7 1,4 5 2,7 13 4,9 96 1,7
Sonstige, Unbekannte 89 2,7 91 6,9 44 7,8 22 11,6 17 7,1 263 4,8
Insgesamt 3208 100,0 1353 100,0 544 100,0 179 100,0 264 100,0 5548 100,0


Quelle: Recensământul general al populaţiei din 29 Decembrie 1930. VII. Bucureşti o. J.

Die natürliche Beschaffenheit der Komitate im Szeklerland war für die Landwirtschaft nicht günstig, und da es hier kaum Industrie gab, war ein großer Teil der Jugend gezwungen, ins „Regat“ abzuwandern (Schätzungen sprechen für diesen Zeitabschnitt von 100 000 Siebenbürger Ungarn) oder in den siebenbürgischen Städten Arbeit zu suchen; viele kamen als Dienstboten unter. Die Wirtschaftskrise führte auch zu einer vermehrten Auswanderung (die Zahl der nach Westen, vor allem in die Vereinigten Staaten emigrierten Ungarn kann mindestens auf 50 000 geschätzt werden).

Ein Teil der Aristokratie verließ Siebenbürgen, andere blieben aber dort und vermochten trotz Vermögensverluste aufgrund ihrer Beziehungen zu den führenden rumänischen Kreisen oder auch zu Ungarn eine Rolle in der Politik bzw. im öffentlichen Leben zu spielen. Ein großer Teil der ehemals mittleren Besitzschicht verarmte, deren Kinder versuchten, in den Städten Erwerbsmöglichkeiten zu finden, oder sie emigrierten. Auch viele Stadtbürger und Intellektuelle verließen Siebenbürgen, vor allem Beamte und Angestellte. 1919 verweigerten die ungarischen Beamten den Treueid auf die neue Macht, weshalb sie entlassen wurden. Später kam es zu Entlassungen unter dem Vorwand, daß die Beamten des Rumänischen nicht mächtig seien, eine Begründung, mit der selbst Postboten und Eisenbahnern gekündigt wurde. In den 30er Jahren kam bereits bei den Privatbetrieben der sog. „Numerus valachicus“ zur Geltung, d. h. die Angestellten mußten mehrheitlich Rumänen und die Geschäftssprache das Rumänische sein.

Die Vorherrschaft der rumänischen Sprache hat man mit allen Mitteln durchgesetzt. Orts- und Straßennamen durften selbst in Ortschaften mit ungarischer Mehrheit nicht ungarisch geschrieben, ja manchmal sogar selbst in ungarischsprachigen Publikationen nicht erwähnt werden, zweisprachige Firmenschilder wurden mit einer Steuer belegt und schließlich abgeschafft. Von 1921 an wurden alle Gerichtssachen rumänisch verhandelt, der Sprache nicht mächtige Klienten benötigten die Hilfe eines Dolmetschers. Alle Behördengesuche mußten in der Staatssprache verfaßt sein. An öffentlichen Stellen erschien die Aufschrift: „Es darf nur rumänisch gesprochen werden.“ Die Ansiedlung von Rumänen setzte ein, vor allem an der westlichen Grenze und im Szeklerland – größere ethnische Veränderungen brachte sie aber nicht. Eine außerordentliche Kampagne für die Rumänisierung der Szekler wurde gestartet. Nationalistische Kreise beteuerten, die Szekler seien eigentlich magyarisierte Rumänen, und deshalb handle es sich jetzt bloß um deren Rerumänisierung. Von 1924 an war man bestrebt, die Rumänisierung der fast völlig ungarischsprachigen Bevölkerung und der gemischt Muttersprachigen des Grenzgebietes (manchenorts auch mit ungarischer Mehrheit) dadurch zu beschleunigen, daß in den 10 Komitaten dieser Gebiete – der offiziellen Begründung nach zur Intensivierung des rumänischen Unterrichts – eine sog. Kulturzone geschaffen wurde. In den staatlichen Schulen wurden Lehrer aus dem Regat mit 50 % höherem Gehalt angestellt, zuzüglich 10 ha Land zur Ansiedlung. Man betrachtete nämlich die Schule als das Hauptinstrument der Assimilation.

{672.} Der ungarischsprachige Unterricht beschränkte sich nach 1919 praktisch auf die Konfessionsschulen, da mehr als 1000 staatliche Volksschulen mit Ungarisch als Unterrichtssprache geschlossen wurden. Im Schuljahr 1930/31 unterhielten die Kirchen – ohne jede staatliche Unterstützung – 483 reformierte, 297 katholische, 36 unitarische und 6 evangelische Volksschulen mit 76 255 Schülern, also 57,6 % der Schulpflichtigen ungarischer Muttersprache. Den übrigen stand im Prinzip das Recht zu, in ungarischsprachigen staatlichen Schulen oder in den ungarischen Abteilungen rumänischer Schulen zu lernen, deren Zahl ging aber ständig zurück (1934/35 bestimmungsgemäß nur noch 112), in ihnen lernten 11 484 eingeschriebene Schüler. Typischerweise gab es in Komitaten wie Csík und Szatmár keine einzige staatliche Schule mit ungarischer Abteilung, folglich war ein erheblicher Teil der ungarischen Kinder gezwungen, in rumänische Schulen zu gehen, wozu sie übrigens auch aufgrund der im Szeklerland durchgeführten Namenanalyse zur Feststellung der Abstammung gezwungen wurden. Das Gesamtbild wird dadurch abgerundet, daß die Sprache der staatlichen Kindergärten – zumindest nach offiziellen Angaben – überall das Rumänische war. Ungarische konfessionelle Kindergärten gab es zu dieser Zeit lediglich 18.

Im Mittelschulunterricht war die Lage noch schlechter. Im Schuljahr 1930/31 gab es 23 ungarischsprachige Bürgerschulen (Klassen 5-8), denen das Stiftungsvermögen entzogen worden war, 17 Lyzeen, 7 Lehrerbildungsanstalten, 4 Oberhandelsschulen und landwirtschaftliche Winterschulen. Das entsprach einer Abnahme von 50 %, gegenüber 1918, als es allein 116 konfessionelle ungarischsprachige Mittelschulen gab. Ein Teil der konfessionellen Mittelschulen hatte kein sog. Öffentlichkeitsrecht, d. h. sie konnten erst dann ein gültiges Zeugnis ausfertigen, nachdem es durch die rumänischen Schulbehörden überprüft worden war. Zwischen 1930 und 1935 lernten 2609 Jugendliche in als Privatschulen qualifizierten Mittelschulen, außerdem besuchten 3645 von ihnen rumänischsprachige Mittelschulen.

Das sog. Privatschulgesetz (1925) schrieb vor, daß in den Schulen nicht nur die rumänische Sprache, sondern auch Geschichte, Geographie und Bürgerkunde rumänisch unterrichtet werden mußten. Die Absolventen der Lyzeen hatten das Abitur in rumänischer Sprache abzulegen, und zwar vor Ausschüssen, deren Mitglieder aus den rumänischen Lehrkörpern anderer Schulen ausgewählt worden waren – das hatte zur Folge, daß die Mehrheit der Abiturienten die Prüfung nicht bestand.

Ein schwerer Nachteil aufgrund des mangelhaften Schulsystems war die stagnierende Ausbildung von Gewerbetreibenden und Kaufleuten, da es kaum ungarischsprachige Fachschulen gab und sich nur wenige ungarische Jugendliche in rumänischen Schulen dieser Art einschreiben lassen konnten, obwohl unter den neuen Lebensbedingungen die Wichtigkeit der wirtschaftlichen Berufe auch für die Magyaren zugenommen hatte. Die Facharbeiterausbildung geschah eher in den Fabriken und kleinen Werkstätten, aber ab 1927 durften auch die Lehrlinge nur rumänisch unterrichtet werden.

Die Fortbildung an Hochschulen und Universitäten für die wenigen ungarischen Abiturienten stieß auf zahlreiche Schwierigkeiten. Ein gesellschaftlicher Versuch zur Gründung einer ungarischen interkonfessionellen Universität scheiterte am Verbot der Behörden. Die Zahl der ungarischen Studenten an den Universitäten Rumäniens nahm ständig ab: Waren es 1933/34 noch 1443, so 1937/38 nur noch 878. (Es war für die fachliche {673.} Zusammensetzung der Studenten kennzeichnend, daß von letzteren 287 Jura, 126 Philosophie, 116 Naturwissenschaften, 118 Medizin, 54 technische Fächer studierten.) An der Klausenburger rumänischen Universität wurden jährlich etwa 2500 Studenten immatrikuliert, davon durchschnittlich 300 Ungarn, von denen aber nur wenige ihr Studium abzuschließen vermochten. In den ersten zehn Jahren bekamen bloß 304 ungarische Studenten ihr Diplom, d. h. 6–7 % aller Diplomierten. Folglich fehlte der ungarischen Intelligenz der Nachwuchs, weil die wenigen hundert jugendlichen, die an den Budapester oder anderen ausländischen Universitäten oder Hochschulen studiert hatten, nur zum Teil nach Siebenbürgen zurückkehrten. Die Anstellung der Pädagogen gestaltete sich am schwierigsten: sie konnten nur an Konfessionsschulen und mit niedrigem Gehalt unterrichten, und ihre definitive Bestätigung war an unterschiedliche Prüfungen gebunden.

Der Unterricht in der Muttersprache wurde in den 30er Jahren noch weiter zurückgedrängt, da sich die wirtschaftliche Lage infolge der Weltwirtschaftskrise verschlechterte und somit viele ungarische Schüler das hohe Schulgeld in den Konfessionsschulen nicht mehr bezahlen konnten. Viele gaben unter den zwingenden Umständen und dem Druck der gewaltsamen Rumänisierung nach und ließen ihre Kinder in eine staatliche Schule einschreiben. Die Diskriminierungsmaßnahmen waren so offensichtlich, daß im Minderheitenstatut, das 1938 durch die königliche Diktatur erarbeitet wurde, gerade auf dem Gebiet des Unterrichts bedeutende Vergünstigungen zugesichert wurden – natürlich ohne solche jemals zu verwirklichen.

Da die Kirchen die Mehrheit der Institutionen des ungarischsprachigen Unterrichts – und auch der öffentlichen Bildung – in Händen hatten, wuchs die Bedeutung der Kirchen für das Leben der Minderheiten. Die Geistlichen, besonders die jungen unter ihnen, leisteten trotz der Behördenschikanen viel für die Entwicklung der Bildung auch in den kirchlichen Vereinen.

Die Arbeit der einzelnen Organe und Institutionen in Bereich von Information und Kultur erfuhr starke Einschränkungen. Mitte der 20er Jahre begann die ungarische Presse die in den ersten Jahren verlorenen Möglichkeiten zurückzuerhalten und ersetzte den Verlust der den Siebenbürgern durch die Zensur jahrelang vorenthaltenen Budapester Zeitungen. Die Auflagen waren zwar nicht allzu hoch – ausgenommen die Brassói Népújság (Kronstädter Volkszeitung) mit 50 000 Exemplaren Auflage. Die Freiheit der Minderheitenpresse wurde durch Presseprozesse und den sich regelmäßig wiederholenden Ausnahmezustand eingeschränkt. Diese Presse hatte das große Verdienst, neben den konservativen Richtungen auch liberale Meinungen zu Wort kommen zu lassen. Auch ungarische Zeitschriften wurden in beträchtlicher Zahl herausgegeben. 1921 erschien die Literaturzeitschrift Pásztortûz (Hirtenfeuer), 1928 der Erdélyi Helikon (Siebenbürgischer Helikon), der die Tätigkeit des im Jahre 1924 gegründeten Kulturvereins Erdélyi Szépmíves Céh (Siebenbürgische Zunft der Schönen Künste) unterstützte. 1926 erschien die Zeitschrift Korunk (Unsere Zeit), eine marxistische, bewußt an Europa orientierte gesellschaftspolitische und literarische Monatsschrift.

Von den Kunstinstitutionen muß das Klausenburger ungarische Theater hervorgehoben werden, das sich mit der Aufführung der Werke siebenbürgisch-ungarischer Schriftsteller besonders große Verdienste erwarb. Es gab viele selbständige Gruppen im Bereich des Theaters und der Musik.

{674.} Die Initiatoren des literarisch-kulturellen Lebens der Magyaren waren Persönlichkeiten wie Károly Kós, Aladár Kuncz, Sándor Reményik, János Kemény und Miklós Bánffy. In den 30er Jahren meldeten sich hervorragende neue Vertreter dieser Literatur zu Wort wie Áron Tamási, István Asztalos oder Sándor Kacsó in der Prosa sowie Lajos Áprily und Jenõ Dsida in der Lyrik. Diese Literatur setzte sich zum Ziel, die eigene Lage zu analysieren, das Selbstbewußtsein zu stärken sowie die Werte des Ungartums, insbesondere die Erhaltung der Sprache und der Kultur zu pflegen.

Viele der Intellektuellen wurden zu Anhängern des sog. Transilvanismus, der gestützt auf historische Erfahrungen Siebenbürgen und den Siebenbürger Ungarn eine besondere Rolle zugedacht hatte und eine Lösung der ethnischen Problematik vor allem in der Versöhnung und gefühlsmäßigen Annäherung der hier lebenden Völker suchte. Auch nahm die Sensibilität für die gesellschaftlichen Probleme zu: Schriftsteller und Sozialwissenschaftler schilderten die sozialen Spannungen im Szeklerland und in den siebenbürgisch-ungarischen Städten. Es gab natürlich auch Schriftsteller, die das traditionelle Leben des Dorfes beschrieben und eine Art mystischer Volksmärchenstimmung erweckten.

Rezeption und Popularisierung der rumänischen Literatur bildete eine spezifische Aufgabe für das ungarische geistige Leben. Mit einigen großen rumänischen Schriftstellern, unter anderen Octavian Goga, Emil Isac oder Victor Eftimiu, kam es auf diesem Gebiet zu einer fruchtbaren Zusammenarbeit. Viele von den siebenbürgisch-ungarischen Schriftstellern übernahmen auch eine Vermittlerfunktion zwischen der rumänischen und ungarischen Literatur. Einige populistische Schriftsteller (eine Richtung, die anders als die Urbanen die traditionelle dörfliche Kultur und die nationalen Werte betonte) in Ungarn – wie z. B. László Németh – interessierten sich für das „Minderheitenschicksal“ und suchten Kontakte zu den siebenbürgisch-ungarischen Schriftstellern und durch diese auch zu den rumänischen. Es gab auch Versuche zur Zusammenarbeit zwischen ungarischen und sächsischen Schriftstellern, so mit dem Kreis um die Zeitschrift Klingsor. Ein solcher „Händedruck“ konnte freilich keine Wende herbeiführen. In der Atmosphäre des wütenden Nationalismus verkümmerte jeder Versuch in Richtung auf ein längerfristiges Zusammenwirken.

Das ungarische wissenschaftliche Leben war auf einen engen Raum zurückgedrängt; es waren eher Einzelne, die Wissenschaft betrieben, Institutionen gab es kaum. Es gab keine moderne Hochschule, und die Tätigkeit des Siebenbürgischen Museumsvereins wurde eingeschränkt. Letzterer befaßte sich vor allem mit der Verbreitung wissenschaftlicher Erkenntnisse und gab Anregungen für die Aufarbeitung historischer Themen, u. a. der gemeinsamen rumänisch-ungarischen Vergangenheit.

Die Literatur und das geistige Leben erfüllten unter den gegebenen Umständen auch politisch-ideologische Funktionen, vor allem bei der Pflege des ungarischen Nationalbewußtseins und der Organisation des kulturellen Lebens. Bis Mitte der 30er Jahre überließ die Intelligenz die direkte politische Auseinandersetzung gerne dem Adel und jenen bürgerlichen Kreisen, die infolge ihrer Traditionen und ihres Vermögens dafür als geeigneter galten.

Da mit dem Frieden von Trianon die Zugehörigkeit Siebenbürgens auch rechtlich entschieden worden war, verkündeten die konservativen politischen {675.} Führer der Magyaren die loyale Anpassung und die sog. politische Verpflichtung zur Verteidigung der eigenen Rechte; an die Gründung einer Partei dachten sie anfangs noch nicht. Der demokratisch gesinnte Künstler und Architekt Károly Kós gründete im Juni 1921 in Bánffyhunyad eine Volkspartei, die sich aber nicht landesweit durchsetzen konnte. Nach mehreren Gründungsversuchen unterschiedlicher demokratischer und aristokratischer Parteien konnte schließlich Ende 1922 eine beständigere Organisation, die Országos Magyar Párt (Ungarische Partei), geschaffen werden. Sie wurde von Vertretern der Aristokratie und des Bürgertums in konservativem Geist geführt, aber gestützt auf die sichere Grundlage, daß die Anliegen und Beschwerden der Nationalität allen Schichten gemeinsam seien. 1923 schloß die Partei mit dem im Namen der Volkspartei von General Averescu verhandelnden Dichter Goga das Abkommen von Csucsa, das für den Fall eines Wahlsieges der gemeinsam aufgestellten Kandidaten folgende Zusicherungen enthielt: eine gewisse Autonomie für die ungarischen Kirchen; das Öffentlichkeitsrecht der Konfessionsschulen (Anerkennung ihrer Examina), Erleichterung der Tätigkeit weiterer ungarischsprachiger kultureller Institutionen; erweiterter Muttersprachengebrauch in Dörfern mit mindestens 25 % ungarischer Bevölkerung und in der Rechtsprechung. Die Ungarische Partei kündigte dieses Abkommen bald wieder auf und traf 1926 eine ähnliche Vereinbarung mit der für stärker gehaltenen Liberalen Partei. Bald danach kehrte sie aber zum Bündnis mit der Volkspartei zurück. Später unternahm sie wiederholte Versuche zur Zusammenarbeit erst mit der deutschen Minderheit und dann aufs neue mit den Liberalen. Solche Vereinbarungen konnten trotz des für die kleinen Parteien ungünstigen Wahlsystems den Magyaren einige Parlamentsabgeordnete sichern. Die festen Zusagen erfüllten die Regierungen aber trotzdem nicht, so daß diese Politik des Paktierens praktisch keine Verbesserungen für das Los der Magyaren brachte. Gewisse Veränderungen erfolgten eher durch kleine Schritte in Richtung einer Demokratisierung des Landes, so z. B. die zeitweise Aufhebung des Ausnahmezustandes oder die durch die Maniu-Regierung durchgeführten sauberen Wahlen von 1928 (als die Ungarische Partei auf den zweiten Platz aufrückte). Aber der Erfolg auch dieser Maßnahmen wurde durch die allgemeine politische Verwirrung und Rechtsradikalisierung infolge der Wirtschaftskrise zunichte gemacht.

Die Ungarische Partei oder die von ihr unterstützten Gruppen bzw. Institutionen versuchten von Zeit zu Zeit, sich aufgrund der internationalen Verträge – hauptsächlich wegen vermögensrechtlichen und Schulbeschwerden – an den Völkerbund zu wenden. Auf diesem Forum aber wurden die Beschwerden für die rumänische Regierung natürlich zu einer Prestigefrage, und sie tat daher alles, um den Nachweis zu führen, wie sehr solche Klagen unbegründet seien, unter anderem berief sie sich auch darauf, daß die deutsche Minderheit (die eine andere Taktik verfolgte) „mit ihrem Schicksal zufrieden“ sei und nicht um Hilfe von außen bitte. Abgesehen von gewissen vermögensrechtlichen Kompromissen vor allem zugunsten der nach Ungarn umgesiedelten Gutsbesitzer, konnte der Völkerbund die Minderheitenrechte nicht durchsetzen. Auch Versuche, bei Beschwerden der katholischen Kirche um die Hilfe des Vatikans zu bitten, hatten keinerlei Erfolg. All das war ein Zeichen dafür, daß jenes auf der Möglichkeit der internationalen Kontrolle aufgebaute System des Minderheitenschutzes nicht wirklich funktionstüchtig war.

{676.} Unter den Vertretern der progressivsten gesellschaftlichen und nationalen Forderungen bei den Ungarn waren auch die Kommunisten, die eine aktive Rolle in der Kommunistischen Partei Rumäniens und den mit dieser zusammenarbeitenden Organisationen spielten. Zum Kampf gegen die zunehmende Ausbeutung und den Nationalismus wurde 1934 aus der Opposition der Ungarischen Partei aufgrund der Empfehlungen der Kommunisten der Verband Ungarischer Werktätiger (MADOSZ) geschaffen, der im Rahmen einer sozialen Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik und im Zeichen der allgemeinen Demokratisierung eine Lösung der Nationalitätenfrage und die Gewährung des Selbstbestimmungsrechtes anstrebte. Mit dem Verband arbeiteten nicht nur die rumänischen Kommunisten, sondern auch die radikale rumänische Landarbeiterpartei (Frontul Plugarilor) zusammen, eine Bewegung, die sich ab 1933 unter der Führung von Petru Groza aus dem Komitat Hunyad über das ganze Land verbreitete, sowie einige Vertreter der Sozialdemokraten.

1937 fand auf Initiative der Linksradikalen und anderer junger demokratischer Intellektueller das Neumarkter Treffen statt, dem von den Vertretern des gesamten siebenbürgischen Ungartums eine epochale Bedeutung beigemessen wurde. Das Treffen, das vom Schriftsteller Áron Tamási eröffnet wurde, setzte sich den Kampf gegen den Faschismus, die Zusammenarbeit mit den rumänischen demokratischen Kräften und die Schaffung einer Volksfront zum Ziel, wobei betont wurde, daß die freie „brüderliche Vereinigung“ für die historisch aufeinander angewiesenen Völker der Rumänen und Ungarn die echte Lösung bedeutete. Das Treffen fand starken Anklang sowohl im Kreise der progressiven rumänischen Intelligenz als auch im geistigen Leben Ungarns.

1938, nach der Auflösung der Parteien und der offiziellen Einführung des korporativen Systems, entstand unter der Leitung von Graf Miklós Bánffy die sog. Ungarische Volksgemeinschaft als Vertretung der kulturellen, wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Interessen der Siebenbürger Ungarn. Zu dieser Zeit begannen Verhandlungen über ein neues Minderheitenstatut, das vor allem im Schulwesen und für die kulturellen Institutionen und Kirchen eine Verbesserung versprach. Die Mehrheit der Siebenbürger Ungarn betrachtete Verhandlungen dieser Art wegen der andauernden nationalen Unterdrückung und des überhandnehmenden innenpolitischen Chaos zu dieser Zeit bereits mit Skepsis und erwartete eine Verbesserung ihres Schicksals eher vom Ausland. Immer weniger – Ungarn und auch Rumänen – suchten die Zukunft beider Völker auch weiterhin im gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus.

Die Siebenbürger Deutschen auf der Suche nach einer neuen Orientierung

Laut der Volkszählung von 1930 lebten in den an Rumänien angeschlossenen westlichen Gebieten 543 852 Deutsche. Einer ihrer Siedlungsräume lag zwischen dem Mieresch und den Karpaten, im Gebiet der ehemaligen sächsischen Stühle, der andere, größere, der der Schwaben, im Banat, in der Umgebung von Temeschwar. Wie schon erwähnt, verabschiedeten die Repräsentanten der Siebenbürger Sachsen am 8. Januar 1919 in Mediasch {677.} ihre Anschlußerklärung an das Königreich Rumänien und begrüßten das Nationalitätenprogramm des Karlsburger Beschlusses, dessen Verwirklichung sie als Vorbedingung für ihre Erklärung betrachteten. Einige Monate später gaben auch die Banater Schwaben eine solche Erklärung ab. Der Grund für diese Absage der Siebenbürger Deutschen an den ungarischen Staat muß in den Gegensätzen zwischen dem deutschen Bürgertum und der ungarischen herrschenden Klasse gesucht werden – die Deutschen hofften im neuen Staat ein gutes Auskommen zu finden. Dieser wohlüberlegte Anschluß brachte den Deutschen gewisse Vorteile: sie konnten ihre wirtschaftliche Tätigkeit fortsetzen, viele konnten im öffentlichen Dienst bleiben, ihre Vertreter kamen leichter ins Parlament, sie hatten größere Möglichkeiten im Schulwesen und im kulturellen Leben, und ihre Konfessionsschulen bekamen vom Staat – anders als die ungarischen Schulen – regelmäßige Unterstützungen. Bald stellte es sich aber heraus, daß die rumänische Politik auch im Fall der Deutschen die in den internationalen Verträgen und in Karlsburg gegebenen Zusicherungen nicht einhielt. Die Agrarreform wurde so durchgeführt, daß die deutsche evangelische Kirche bzw. die sächsische Nationsuniversität den größeren Teil, etwa 55 % ihres Vermögens verloren. Der Rest vom Vermögen der Nationsuniversität wurde 1937 zwischen der evangelischen Kirche und einer rumänischen kulturellen Organisation (Aşezământul Cultural Mihai Viteazul) aufgeteilt.

Den Statistiken zufolge waren bloß 54,1 % der Deutschen im Agrarsektor tätig (dieser Anteil war bei den Banater Schwaben etwas höher), 24 % im Bergbau und in der Industrie, 7,2 % im Handel, Kreditwesen und Verkehr. Im Sektor Bergbau-Industrie war nur der Prozentsatz der Juden höher, im Sektor Handel-Kreditwesen-Verkehr auch der der Ungarn (aber nicht bedeutend). Im Unterrichtswesen war der Prozentsatz der Deutschen am höchsten, während bei den Saisonarbeitern nur der Anteil der Rumänen höher war.

Die deutschen Bauern wirtschafteten im allgemeinem auf hohem Niveau, was ihnen ihren Wohlstand sicherte. Da aber die eingeleiteten Maßnahmen die rumänischen Bauern bevorzugten, gerieten auch die deutschen Bauern in eine ungünstigere Lage, die Verbitterung bei ihnen auslöste. Die deutschen Handwerker und Einzelhändler mußten die im Kreditwesen eingeführten Beschränkungen durch größere Anstrengung ausgleichen.

Die kulturelle Entwicklung der Deutschen wurde in hohem Maße durch die evangelische Kirche unterstützt, die auch zu kirchlichen Kreisen in Deutschland enge Beziehungen unterhielt; sie vermochte einen konfessionellen Unterricht und ein Gemeinschaftsleben in größerem Umfang aufrecht zu erhalten. In ihrem kulturellen Leben spielten das von Richard Csaki geleitete Kulturamt und die Zeitschriften Ostland und Klingsor eine bedeutende Rolle; letztere wurde von Heinrich Zillich redigiert und hatte auch belletristischen Charakter. Auch die Siebenbürger Sachsen suchten in ihrer Literatur ihre Besonderheiten künstlerisch zum Ausdruck zu bringen, wie z. B. in den Werken von Schriftstellern wie A. Meschendörfer, E. Wittstock und H. Zillich. Das bekannte Organ der deutschen Wissenschaft war die von Karl Kurt Klein redigierte sozialwissenschaftliche Zeitschrift Siebenbürgische Vierteljahrschrift.

Im Vergleich zu den früheren Perioden bedeutete die Beendigung der traditionellen politischen Abgrenzung zwischen Sachsen und Schwaben eine {678.} entscheidende Zäsur: beide ethnische Gruppen vereinigten sich auch organisatorisch, das sächsische Bewußtsein trat allmählich hinter ein Selbstbewußtsein aller Rumäniendeutschen zurück, was auch in der Benennung ihrer Partei und in den Bezeichnungen ihrer Institutionen und Zeitungen zum Ausdruck kam. In der 20er Jahren war die Deutsche Partei tonangebend, die auf der Basis der bürgerlichen Verfassung stand und manchmal auch mit der Ungarischen Partei kooperierte, obschon sie eher durch Zusammenarbeit mit den unterschiedlichen rumänischen Regierungsparteien ihre Parlamentspositionen sicherte. (Eine Zeit lang war Rudolf Brandsch Staatssekretär für die Minderheitenangelegenheiten.)

Von den deutschen Arbeitern nahmen viele an der Arbeiterbewegung teil, nicht wenige von ihnen waren auch in der Kommunistischen Partei Rumäniens tätig. Die Folgen der Weltwirtschaftskrise in Rumänien, die Politik der nationalen Unterdrückung und die Machtergreifung Hitlers in Deutschland förderten den Einfluß des Nationalsozialismus vor allem in der Jugend. Nach 1935 bekamen die Anhänger des Nationalsozialismus in der sog. Erneuerungsbewegung das Übergewicht und verbanden das Schicksal der deutschen Minderheit mit Deutschland, in Unterordnung selbst der eigenen Interessen unter die außenpolitischen Bestrebungen des Reiches. Die herrschende Klasse Rumäniens war besonders nach 1938 bemüht, diesen Kräften in die Hände zu spielen, da sie als Vermittler der neuen rumänischen Außenpolitik auftraten, die sich vom französich–englischen Bündnis plötzlich ab- und Hitler-Deutschland zuwandte. Ein Teil des deutschen Bürgertums, die vom evangelischen Bischof Viktor Glondys geführte liberale Patrizierschicht, war gegen den Nationalsozialismus, aber im Rahmen der allgemeinen Rechtsradikalisierung gerieten sie rasch in eine ganz isolierte Position.

Der zweite Weltkrieg und das geteilte Siebenbürgen

Die nach der Machtergreifung des Nationalsozialismus veränderten politischen Verhältnisse in Mittel- und Südosteuropa führten innerhalb weniger Jahre zur Hegemonie des Deutschen Reichs über Ungarn und Rumänien. Die herrschende Klasse Ungarns unterstützte mit gewissen Vorbehalten die faschistischen Mächte und konnte als Gegenleistung dafür ihre internationale Position stärken. 1938 erhielt Ungarn mit Einverständnis der Kleinen Entente das gleiche Recht auf Rüstung, was nicht einmal ein Zugeständnis war, sondern eher ein Sich-Abfinden mit den neuen Machtverhältnissen. Die Kleine Entente war schwach geworden, und mit der Liquidierung der Tschechoslowakei 1938/39 hörte sie überhaupt auf zu existieren.

Unter dem Eindruck der neuen internationalen Lage brach auch Rumänien mit der bisher ausschließlich englisch-französischen Orientierung seiner Außenpolitik und ging zu einer Gleichgewichtspolitik zwischen den früheren Schirmherren und Berlin über. Damit war die paradoxe Lage entstanden, daß einerseits Ungarn für seine Revisionspläne deutsche Hilfe suchte, andererseits sich Rumänien bemühte, Deutschland zur Unterstützung gegen die ungarischen Bestrebungen für sich zu gewinnen. Im März 1939 wurde das umfangreiche deutsch-rumänische Wirtschaftsabkommen geschlossen, das Rumänien eine Atempause verschaffte. Als Budapest sah, daß es auf deutsche {679.} Hilfe nicht rechnen könne, wurde ein neuer Plan ausgearbeitet und erwogen, daß Ungarn in einem international günstigen Augenblick allein einen Krieg gegen Rumänien beginnen solle, wobei man die militärische Macht Ungarns sowie die innenpolitischen Schwierigkeiten des Nachbarlandes weit überschätzte. Im Herbst 1939 teilte Ribbentrop Ungarn mit, Deutschland werde einen Angriff gegen Rumänien nicht dulden; Italien mahnte Ungarn zur Ruhe, und auch die Westmächte lehnten ein militärisches Unternehmen ab. Im Februar 1940 verzichtete die Teleki-Regierung auf den Kriegsplan und informierte darüber auch London und Paris.

Der Frühling 1940 bildete in der ungarischen Politik eine Periode deutschfreundlicher Neutralität. Als Budapest erfuhr, daß die Deutschen einen Plan für eine eventuelle Besetzung der rumänischen Ölfelder ausarbeiteten, erkundigte sich Ungarn in London, ob es die deutschen Truppen durch das Land lassen solle. Aufgrund der verneinenden englischen Antwort entschied sich Teleki für eine Aufrechterhaltung der bewaffneten Neutralität. Infolge der unerwartet erfolgreichen deutschen Offensive im Westen entstand aber eine neue Lage; nun erschien es der Budapester Regierung als dringlich, die Frage Siebenbürgens wieder aufzuwerfen, zumal es deutlich wurde, daß sich das offizielle Rumänien ganz auf die Seite Hitler-Deutschlands schlug. Am 1. Juli kündigte die rumänische Regierung die englischen Garantien und gab eine Erklärung über ihre außenpolitische Schwenkung ab, unmittelbar danach ernannte der König eine deutschfreundliche Regierung, an der auch die Führer der Eisernen Garde teilnamen. Noch am 27. Juni beschloß die ungarische Regierung – auch von der neuen Wende in der Bessarabien-Frage inspiriert –, ihren Gebietsforderungen Geltung zu verschaffen, wofür sie auch militärische Maßnahmen traf. Im Juli ließ Hitler Ministerpräsident Pál Teleki zu sich bitten und teilte ihm mit, er werde die Frage Siebenbürgens selbst in die Hand nehmen. Er suchte nach einer Lösung, die den Vorbereitungen für den Krieg gegen die Sowjetunion am besten entsprach und den Deutschen an der Ostfront das rumänische Erdöl, die ungarischen Agrarprodukte und das Eisenbahnnetz beider Länder zur Verfügung stellte. Hitler bewog Rumänien zu Verhandlungen mit Ungarn über die Abtretung siebenbürgischer Gebiete. In den rumänisch-ungarischen Verhandlungen am 16., 19. und 24. August in Turnu Severin konnte man sich nicht einmal über die Grundprinzipien einigen, Ungarn wollte vor allem Gebiete haben, während Rumänien – vielleicht, um Zeit zu gewinnen – vor allem einen Bevölkerungsaustausch vorschlug. Danach beschäftigte sich die ungarische Regierung mit dem Gedanken einer eigenständigen Militäraktion, und Bukarest brachte einzelnen Quellen zufolge ein Schiedsgerichtsverfahren zur Sprache. Dies hatte Hitler auch schon früher erwogen, und am 27. August entschied er sich für eine der von deutschen Experten ausgearbeiteten Grenzvarianten zur Aufteilung Siebenbürgens und ließ die Vertreter der ungarischen und rumänischen Regierung nach Wien rufen. Nach einigem Schwanken stimmte Ungarn dem Schiedsgerichtsverfahren zu, ebenso der rumänische Kronrat.* B. VAGO, Le second diktat de Vienne: Le partage de la Transylvanie. East European Quarterly Vol. V, 1971, No. 1, 57–60; GY. JUHÁSZ, The Second Vienna Award. Danubian Historical Studies Vol. 1, No. 1, 1987, 23–38; Documents on German Foreign Policy. Series D. X. London 1957. Doc. 234, 376, 399.

{680.} Der am 30. August 1940 verkündete deutsch-italienische zweite Wiener Schiedsspruch sprach Nord- und Ostsiebenbürgen (43 492 km2) Ungarn zu. Diese Entscheidung war weder ethnisch noch insbesondere wirtschaftlich begründet und nur dazu geeignet, das Prinzip „divide et impera“ zur Geltung zu bringen. Ethnisch bedeutete dies, daß aufgrund der Angaben der ungarischen Volkszählung von 1941 der Muttersprache nach 1 344 000 Ungarn (52,1 %), 1069000 Rumänen (41,5 °%) und 47 000 Deutsche (1,8 %) zu Nordsiebenbürgen gehörten.* Siehe Z. FOGARASI, A népesség anyanyelvi, nemzetiségi és vallási megoszlása törvényhatóságonként 1941-ben (Muttersprachliche, Nationalitäten- und religiöse Verteilung der Bevölkerung nach Munizipien 1941). Magyar Statisztikai Szemle 1944, Bd. 1. 1 ff. Rumänischen Angaben zufolge betrug die Zahl der Rumänen 1 171 000 (49,1 %) und der Ungarn 912 000 (38,2 %). Analele Institutului Statistic al României (Jahrbücher des Statistischen Instituts Rumäniens). Vol. I, Bucureşti 1942. 340 ff. Auch Komitate mit rumänischer Mehrheit wie Bissritz-Nösnerland oder Marmarosch kamen zu Ungarn. Die willkürlich gezogene Grenze zerschnitt eine wirtschaftliche Einheit, trennte Städte von ihrem traditionellen Hinterland und schuf enorme Verkehrsschwierigkeiten (zum Szeklerland bestand z. B. keine ungarische Eisenbahnverbindung mehr).

Politisch ließ der Schiedsspruch Ungarn und Rumänien zu Spielbällen Hitlers werden: Die deutsche Politik machte das weitere Schicksal Siebenbürgens von der Teilnahme beider Länder am Krieg gegen die Sowjetunion abhängig. Budapest hoffte, die erworbenen Gebiete durch die Gnade der Deutschen behalten zu können, Bukarest dagegen erwartete die Rückgabe des verlorenen Territoriums. Ministerpräsident Teleki verkündete an die Rumänen gerichtet zwar „brüderliches Einvernehmen und friedliche Zusammenarbeit“, aber angesichts der Maßnahmen seiner Regierung und vor allem der Militärbehörden und infolge der aus aufgepeitschtem nationalen Haß entstandenen Spannungen blieben dies bloße Worthülsen.

Vor der ungarischen Herrschaft in Nordsiebenbürgen flohen noch 1940 etwa 100 000 Rumänen nach Süden, hauptsächlich Beamte und Intellektuelle. (Bis 1944 erhöhte sich die Zahl der rumänischen Flüchtlinge auf 200 000–220 000). Die Anfang September einmarschierenden ungarischen Truppen stießen auf keinerlei Widerstand, dennoch kam es zu einigen Zwischenfällen, in Ipp und Teufelsbrunnen sogar zu schlimmen Grausamkeiten: Eine Truppeneinheit ermordete zahlreiche rumänische Einwohner. Die Maßnahmen der Militärverwaltung widersprachen vielfach selbst der Politik der Teleki-Regierung: Es wurden sogar rumänische Intellektuelle ausgewiesen, die der Ministerpräsident als Abgeordnete ins Parlament rufen wollte.

Aus Südsiebenbürgen flohen in dieser Periode etwa 100 000–150 000 Magyaren nach Nordsiebenbürgen (jetzt Ungarn), da es auch im Süden zu Diskriminierungsmaßnahmen, Verhaftungen und anderen rechtlichen Übergriffen kam. Die Existenzunsicherheit steigerte noch darüber hinaus, daß der rumänische Staat eine ganze Serie schwerer innerer Krisen erlebte.

Nun setzte die sog. reziproke Nationalitätenpolitik ein: Auf Ausweisungen, Internierungen und Schulschließungen der einen Seite antwortete die andere mit denselben Maßnahmen. Die deutsch-italienischen Offiziersausschüsse, die die Beschwerden auf beiden Seiten untersuchten, verurteilten beide Regierungen, die dagegen zwar heftig protestierten, aber keine nennenswerten Vorkehrungen zur Abhilfe trafen.

{681.} Die wirtschaftliche Lage Nordsiebenbürgens wurde ganz von der Kriegswirtschaft dominiert. Man war bestrebt, die Naturschätze und Wälder völlig auszubeuten, zum gleichen Zweck wurden auch gewisse Industrieentwicklungen vorgenommen. Ein großes Problem war die Verkehrsentwicklung, vor allem der Ausbau einer Eisenbahnverbindung zwischen dem Szeklerland und den übrigen Gebieten Siebenbürgens.

Die Lebensumstände der Bevölkerung verschlechterten sich im allgemeinen, aber die wirtschaftliche Lage der Rumänen gestaltete sich wegen der Diskriminierung noch weit schlimmer. Die wehrpflichtigen Männer wurden in der Regel zum Arbeitsdienst einberufen, wodurch vielen Familien der Ernährer fehlte. Bei den wirtschaftlichen Schwierigkeiten konnte die Genossenschaft Plugarul – die wichtige eigene wirtschaftliche Organisation der Rumänen in Nordsiebenbürgen – nur wenig Hilfe leisten.

Die 1345 rumänischen Volksschulen in Gebieten mit rumänischer Mehrheit blieben erhalten, doch wurde der ungarische Sprachunterricht zur Pflicht; im Bereich der Mittelschulen wurden bloß 14 rumänische Abteilungen bzw. Schulen zugelassen. Lange Zeit erschien nur eine einzige rumänische Tageszeitung, die Klausenburger Tribuna Ardealului, und auch später gab es nur vier rumänische Periodika. Obwohl manche Geistliche Belästigungen ausgesetzt waren, aktivierten die rumänischen Kirchen ihre kulturelle Tätigkeit.

In die Komitatsmunizipien wurden Rumänen nur in geringer Zahl gewählt oder an ihnen beteiligt, in den Gemeindeverwaltungen saßen sie schon häufiger. Sie hatten keine eigenen Abgeordneten im Budapester Parlament, bloß der griechisch-katholische Bischof Iuliu Hossu besaß einen Sitz im Oberhaus. Die einzige politische Organisation, die sowohl seitens Budapests wie auch Bukarests als Interessenvertretungsorgan anerkannt wurde, war die von Emil Haţieganu und Aurel Socol geleitete Rumänische Nationale Gemeinschaft – obwohl ihre offizielle Zulassung von den Behörden verweigert wurde.

Anfänglich schien der Wiener Schiedsspruch den Ungarn im Norden eine günstige Lage verschafft zu haben. Bald stellte sich aber heraus, daß die Begünstigungen eher nur einer schmalen Schicht zugute kamen. Die ehemaligen Grundbesitzer zogen die Bodenreform von 1921 in Zweifel und strengten zahlreiche Prozesse zumeist gegen rumänische Bauern an, die manchenorts zur Rückgabe ihrer Güter oder Teile von diesen gezwungen wurden. Auch die ungarischen Unternehmer und sogar die Einzelhändler und Handwerker erreichten gewisse Vorteile; sie konnten Kredite aufnehmen und hie und da neue Investitionen durchführen. Ebenfalls günstig gestaltete sich die Veränderung auch für die Intellektuellen, die nach Jahren der Not wieder Funktionen erhielten oder als Staatsbeamte tätig sein konnten. Die Lage der Bauern und Arbeiter veränderte sich jedoch nicht (anfangs, zur Zeit der Umstellung der Wirtschaft, wurden viele arbeitslos) und die der Szekler war schwer, deren gewohnte Pendel-, Wander- und Erwerbsmöglichkeiten und Märkte nun geringer geworden waren, was die Regierung kaum ausgleichen konnte.

Für die Ungarn brachte der Wiener Schiedsspruch eine echte Befreiung nur auf dem Gebiet des Sprachgebrauches und der kulturellen Entwicklung. Es entstanden wieder ungarischsprachige staatliche Volksschulen, das ungarischsprachige Mittelschulnetz wurde erweitert, Klausenburg hatte wieder {682.} eine ungarische Universität, und zur Förderung der wissenschaftlichen Tätigkeit wurde das Erdélyi Tudományos Intézet (Siebenbürgisches Wissenschaftsinstitut) gegründet. Gleichzeitig verlor das geistige und vor allem künstlerische Leben etwas von seiner Vielfalt, weil die sozialistischen und radikalen bürgerlich-demokratischen Richtungen in den Hintergrund gedrängt wurden; das erfüllte auch die besten siebenbürgischen Schriftsteller mit Unzufriedenheit, deren Zeichen gegen Ende des Krieges hin sich verstärkten. Der Intelligenz war deutlich geworden, daß die nationale Frage nicht vom gesellschaftlichen Fortschritt zu trennen war und die Teilung Siebenbürgens – trotz wirklicher teilweiser Vorteile – keine Lösung bedeutete: die Koexistenz des rumänischen und ungarischen Volkes müsse im Sinne einer progressiven Politik auf ganz neue Grundlagen gestellt werden. Ein Teil der siebenbürgisch-ungarischen Intelligenz suchte Kontakte zur Budapester Linken, zu den populistischen Schriftstellern, Sozialdemokraten und Kommunisten.

Ab 1940 wurde Nordsiebenbürgen von Angestellten und Beamten aus Ungarn überflutet. Die Siebenbürger Ungarn beklagten ihre Verdrängung, aber auch den chauvinistischen Geist, den diese Schicht und noch mehr die zwei Monate dauernde Militärverwaltung vertraten. Das konservative politische Denken, die Gentry-Gesinnung, der Protektionismus und nicht zuletzt die Revanchewünsche, die schnelle Bereicherung zum Ziel hatten, erregten in breiten Kreisen Unzufriedenheit und Empörung. Unter den sich verschlechternden Wirtschaftsverhältnissen des Krieges war das arrogante, protzige Benehmen der Verwaltungsbeamten und vor allem des Offizierskorps besonders unerträglich.

Die linke Presse wurde bereits von der Militärverwaltung zum Schweigen gebracht, fast alle progressiv politisierenden Organisationen wurden schnellstens verboten, und bald begann die Verfolgung der Linken, vor allem der Kommunisten – ohne Rücksicht auf ihre Nationalität. Die einzige legale proletarische Organisation, die Sozialdemokratische Partei, und die Gewerkschaften, die mit gewissem Erfolg auch gegen die Entlassungen der rumänischen Industriearbeiter kämpften, standen unter Beobachtung und waren ständigen Belästigungen ausgesetzt.

Die Abgeordneten und Mitglieder des Oberhauses, die nach dem Wiener Schiedsspruch aus Siebenbürgen ins Parlament geholt worden waren, gründeten die Siebenbürgische Partei, die die Regierungspartei unterstützte, aber auch versuchte, die besonderen Interessen des Gebietes zu verteidigen – ohne allzu großen Erfolg. Zumindest gab die Partei dadurch zu erkennen, daß sie mit der herrschenden Politik nicht völlig einverstanden war, manche unmenschlichen Äußerungen des Faschismus, so die augenfälligsten Formen der Judenverfolgung, ablehnte und bestrebt war, in sozialen Fragen einen progressiveren Standpunkt einzunehmen. All das bedeutet aber nicht, daß sie sich den Konservativismus und Nationalismus der herrschenden Kreise in seinen Grundzügen nicht zu eigen gemacht hätte; der Nationalismus wurde besonders durch die Gewißheit bestärkt, daß die siebenbürgische Frage bei weitem noch nicht entschieden war. Trotzdem suchte in den letzten Kriegsjahren nicht nur die ungarische Linke, sondern auch ein Teil der herrschenden Klasse im Interesse Siebenbürgens nach Möglichkeiten für ein gemeinsames Auftreten mit den Rumänen gegen das Deutsche Reich.

{683.} Das zahlenmäßig kleine Deutschtum in Nordsiebenbürgen wurde ein Teil der ungarndeutschen Volksgruppe; diese Organisation erhielt aber nicht so umfangreiche Befugnisse wie in Rumänien. So konnte die evangelische Kirche die Konfessionsschulen behalten. 1942 vereinbarten die deutsche und die ungarische Regierung, daß die SS auch unter den Ungarndeutschen werben dürfe. Die Meldung war zwar freiwillig, die Volksgruppe sorgte aber für den nötigen Druck auf die Deutschen auch in Siebenbürgen.

Einige Tage nach dem Wiener Schiedsspruch übernahm General Ion Antonescu die Macht in Rumänien und regierte neben dem Sohn des abgedankten Karl II., König Michael I. als Staatsführer (Conducător), anfangs gemeinsam mit der Legion (Eisernen Garde) und nach der Niederschlagung ihres Versuches, die Macht zu übernehmen, allein. Am 22. Juni 1941 zog er das Land in den Krieg gegen die Sowjetunion hinein, wovon er sich nicht nur die Rückeroberung Bessarabiens und die Eroberung der Gebiete jenseits des Dnjestr, sondern auch die Rückgabe Nordsiebenbürgens erhoffte. (Das war einer der Gründe dafür, daß er bedeutende Militärkräfte, anfangs 12 Divisionen, an die Ostfront schickte, deren Zahl bis 1944 auf etwa 25 Divisionen erhöht wurde.) Das Deutsche Reich unterstützte dies, besonders nachdem 1942/43 der ungarische Ministerpräsident Miklós Kállay mit seiner sog. Schaukelpolitik versucht hatte, die westlichen Alliierten zu gewinnen und einen Frieden zu erreichen. Im März 1944, in den Tagen der deutschen Besetzung des für ihn unzuverlässig gewordenen Ungarn, äußerte Hitler unverblümt, „halte es Deutschland nicht für angebracht, weiterhin als Signatar des Wiener Schiedsspruch zu fungieren“.* Staatsmänner und Diplomaten bei Hitler. II. Hrsg. von A. HILLGRUBER. Frankfurt 1970, 391 f.

Bereits der Krieg traf die Bevölkerung Rumäniens schwer, aber der über den Verlust Nordsiebenbürgens noch stärker aufgeputschte Nationalismus drängte in Südsiebenbürgen alle progressiven Kräfte zurück und stärkte die Positionen des Faschismus, der gegen die rumänischen Kommunisten und die fortschrittlich gesinnten Menschen den gleichen Vernichtungskrieg führte wie gegen die Ungarn. In der siebenbürgischen Frage konnte sich die rumänische Rechte auf die früheren Anhänger der bürgerlichen Demokratie und auch auf einen großen Teil der Intelligenz stützen, der den Wiener Schiedsspruch für ungerecht hielt. Unter solchen Umständen war es ein Leichtes, alle Kräfte im Unterricht, in der Presse und sogar in der Wissenschaft in den Dienst der nationalistischen Propaganda zu stellen.

Infolge der Teilnahme Rumäniens am Krieg verschlechterten sich in Südsiebenbürgen die wirtschaftlichen Verhältnisse, aber einige Industriezweige entwickelten sich weiter. Im allgemeinen hatte der Krieg auf den rumänischen Bevölkerungsteil nicht so negative Auswirkungen wie auf den magyarischen. Denn ein bedeutender Teil der Magyaren, etwa 500 000, war in Südsiebenbürgen geblieben. Viele mußten zum Arbeitsdienst einrücken, andere wurden interniert oder sogar inhaftiert. Ihr kulturelles Leben wurde eingeschränkt, allein der Siebenbürgische Wirschaftsverein konnte für dieses noch einen gewissen organisatorischen Rahmen bieten. Die führenden Repräsentanten der aus der Zeit der königlichen Diktatur erhaltengebliebenen Ungarischen Volksgemeinschaft, Elemér Gyárfás, Pál Szász und Bischof Áron Márton, versuchten verzweifelt, zwischen Bukarest und Budapest zu {684.} vermitteln, um auf beiden Seiten den schweren Druck auf die Nationalitäten zu mildern.

Bedingt durch den Wiener Schiedsspruch lebten die Deutschen überwiegend in Südsiebenbürgen – fast eine halbe Million Menschen. Im November 1940 unterzeichnete die rumänische Regierung ein Übereinkommen mit dem Deutschen Reich, in dem sie die besonderen Rechte der deutschen Volksgruppe in wirtschaftlicher und politischer Hinsicht anerkannte und auch die Lenkung der Konfessionsschulen der nationalsozialistischen Organisation überließ. Damit wurde der jahrelange interne Streit zwischen den nationalsozialistischen und den bürgerlich-demokratischen Gruppen der Deutschen eindeutig zugunsten der ersteren entschieden. Bloß innerhalb der Kirche gab es noch einige Möglichkeiten, sich dem politischen Druck zwar nicht entgegenzustellen, aber diesen im engeren Bereich abzumildern, um die moralischen Werte zu bewahren und z. B. die Einführung neuheidnischer Bräuche zu verhindern.

1943 unterzeichneten beide Länder zudem ein Übereinkommen, demzufolge die Rumäniendeutschen ins deutsche Heer einberufen werden konnten. Die SS hatte etwa 60 00 –70 000 rumäniendeutsche Mitglieder, und etwa 15 000 Personen waren in der deutschen Kriegsmaschinerie tätig.

Auf beiden Seiten paarte sich die faschistische Politik mit dem Antisemitismus. In Nordsiebenbürgen gab es der Volkszählung von 1941 zufolge 151 125 Personen jüdischen Glaubens, gegen die diskriminierende Maßnahmen getroffen wurden. Nach der deutschen Besetzung Ungarns im März 1944 kam es trotz der Proteste progressiver Intellektueller und Kirchenführer zur Deportation der jüdischen Bevölkerung. Wir verfügen über keine zuverlässigen statistischen Angaben über die Anzahl der Deportierten. Unterschiedlichen Quellen zufolge wurden im Mai durch die ungarischen Behörden 110 000–130 000 Personen aus Nordsiebenbürgen in die deutschen Konzentrationslager verbracht, von denen schätzungsweise 90 000-100 000 den Tod fanden. (Von den mehr als 400 000 Deportierten aus dem gesamten damaligen Ungarn fielen ungefähr 320 000 dem Holocaust zum Opfer.) In Südsiebenbürgen nahm die Antonescu-Regierung den Juden zwar alle ihre Rechte, aber zu ihrer – wenn auch geplanten – Deportation kam es nicht. (Die Judenverfolgung in Rumänien forderte vor allem in der Moldau, in Bessarabien und in den Gebieten jenseits des Dnjestr zahlreiche Opfer; Schätzungen sprechen von 280 000–380 000 umgekommenen Juden in diesen Gebieten.* Die Angaben über die schlimmen Verluste der jüdischen Bevölkerung sind auch heute noch sehr verschieden. Zu den hier erwähnten Zahlen s. I. SEMLYÉN, Demográfiai viselkedés – népesedési politika (Demographisches Verhalten – Bevölkerungspolitik). A Hét vom 3. September 1982, T. STARK, Magyarország második világháborús embervesztesége (Menschenverluste Ungarns im zweiten Weltkrieg). Budapest 1989, 46. M. CARP, Cartea neagră (Schwarzbuch). III. Bucureşti 1947, 13, 31. R. L. BRAHAM, The politics of genocide. The Holocaust in Hungary. Vol. 1–2. NewYork 1981.)

Die siebenbürgisch-jüdische Bevölkerung bekannte sich auf beiden Seiten der damaligen Grenze zur ungarischen Muttersprache sowie zur ungarischen Kultur. Sie war hauptsächlich im Handel und Gewerbe tätig, in Nordsiebenbürgen relativ zahlreich auch in der Landwirtschaft. Quantitativ wie qualitativ bedeutend war die Intelligenz jüdischer Abstammung, die in hohem {685.} Maße dazu beitrug, die ungarische Kultur zu bereichern und zu verbreiten. Viele von ihnen nahmen an progressiven Bewegungen, so auch an den Kämpfen der Arbeiterklasse teil.

Die Kommunisten sowohl Ungarns als auch Rumäniens verurteilten den Wiener Schiedsspruch, weil er den gemeinsamen Kampf gegen den Faschismus verhinderte und nicht den wahren Interessen des ungarischen und rumänischen Volkes diente. Die Kommunistische Partei Ungarns äußerte sich dazu wie folgt: „Mit dem unheilvollen Wiener Schiedsspruch wurde in der Mitte Siebenbürgens eine Grenze gezogen und eine jahrhundertealte wirtschaftliche und kulturelle Einheit in zwei Teile zerbrochen. Mit Hilfe der rumänischen und ungarischen Reaktionäre beraubten die deutschen Nationalsozialisten beide Länder ihrer Freiheit und Unabhängigkeit, und die Völker Siebenbürgens sind weder dort noch hier frei.“* D. CSATÁRI, Román-magyar kapcsolatok. Történelmi vázlat (Rumänisch-ungarische Beziehungen. Historische Skizze). Budapest 1958, 166–167. Viele der siebenbürgisch-ungarischen Kommunisten opferten ihr Leben dafür, gerade diese Einsicht der ungarischen Gesellschaft nahe zu bringen. Im Einverständnis mit der rumänischen und der ungarischen Partei wurde eine den neuen Umständen Rechnung tragende Politik ausgearbeitet, und man schickte auch eine Delegation nach Moskau, um dort die Aufgaben für den gemeinsamen Kampf international aufeinander abzustimmen. Die Aktionen der ungarischen Behörden, deren bedeutende organisatorische und Propagandatätigkeit in den Jahren 1941 und 1943 aufzurollen, konnten dieselbe nicht verhindern, ihre Wirkung strahlte bei der Organisation der Friedenspartei auch auf bürgerliche Kreise aus.

Ungarns Austritt aus dem Krieg wurde nirgendwo stärker und offener betrieben als in Siebenbürgen, ab 1943 auch seitens der Führer der Siebenbürgischen Partei. Als es deutlich wurde, daß die faschistischen Mächte den Krieg verlieren würden, drängten die siebenbürgischen Politiker die Budapester Regierung zu Verhandlungen über einen Kriegsaustritt. Die Nähe des deutschen Heeres, die schlechten Beziehungen zu den Nachbarländern, die Furcht vor dem Kommunismus und nicht zuletzt die Absicht, Nordsiebenbürgen behalten zu wollen, beraubten Budapest jedoch jeder Fähigkeit zum Handeln. Als im Frühling 1943 die ungarische Regierung den Siebenbürger Miklós Bánffy nach Bukarest schickte, um mit den bekanntesten Leitern der rumänischen Opposition zu unterhandeln, stellte es sich heraus, daß man auch dort erkannt hatte, in welch teuflisches Spiel Hitler beide Länder mit der Teilung Siebenbürgens hineingezogen hatte; das gegenseitige Mißtrauen und der Meinungsunterschied waren aber doch zu tiefgehend, um sich gemeinsam gegen das Deutsche Reich zu wenden.

Bei der Vorbereitung des Austritts Rumäniens aus dem faschistischen Krieg spielten die antideutschen Intellektuellenkreise und auch die Kommunisten eine bedeutende Rolle; mit dem Einverständnis des Königs und der bürgerlichen Opposition organisierten sie den Sturz der Antonescu-Diktatur. Militärisch gesehen ergab sich die Möglichkeit zum Austritt durch die Offensive der sowjetischen Armee, als diese im August 1944 bei Iaşi die Front durchbrach und in Richtung Bukarest vordrang. Diese günstige Lage nutzte der Aufstand in der Hauptstadt am 23. August, der die rumänische Armee gegen die deutschen Kräfte kehrte und damit deren Teilnahme am Kampf {686.} gegen den Faschismus sicherte. (Die rumänische Armee nahm an der Seite der sowjetischen Armee an der Befreiung Ungarns und der Tschechoslowakei teil, wobei sie große Verluste erlitt: fast 160 000 Gefallene, davon mehr als 40 000 in Ungarn.)

Wieder ein Teil Rumäniens

Das Waffenstillstandsabkommen Rumäniens mit der Sowjetunion vom 12. September 1944 besagte: „Die alliierten Regierungen betrachten die Bestimmung des Wiener Schiedsspruchs in bezug auf Siebenbürgen als nichtig und stimmen darin überein, daß Siebenbürgen (als Ganzes oder dessen größter Teil) unter der Voraussetzung einer Bestätigung durch den Friedensvertrag Rumänien zurückgegeben werden soll, und die sowjetische Regierung gibt ihre Zustimmung dazu, daß die sowjetischen Truppen zu diesem Zweck an gemeinsamen Kriegsoperationen mit Rumänien gegen Deutschland und Ungarn teilnehmen.“* 23. August 1944. Documente. II. Hrsg. von I. ARDELEANU, V. ARIMIA, M. MUŞAT. Bucureşti 1984, 699–703. Im Oktober 1944, nach der erfolgreichen Abwehr eines sinnlosen deutsch-ungarischen Angriffes auf Südsiebenbürgen, marschierten die rumänischen Truppen an der Seite der sowjetischen Armee in Nordsiebenbürgen ein. Der Austrittsversuch der ungarischen Regierung am 15. Oktober 1944 mißlang, und infolgedessen ging auch die Möglichkeit verloren, daß bedeutende ungarische Kräfte gegen das Deutsche Reich zum Einsatz gekommen wären und man damit die internationalen Entscheidungen hätte beeinflussen können.

Nach dem 23. August 1944 wurde in Bukarest eine Koalitionsregierung unter der Leitung von General C. Sănătescu gebildet. In ihr spielten die sog. „historischen“ Parteien, Brătianus Nationalliberale Partei und Manius Nationale Bauernpartei, eine bedeutende Rolle, aber auch die Kommunistische und die Sozialdemokratische Partei waren in ihr vertreten. Vor allem die Nationale Bauernpartei vertrat jene Mentalität, die für die Verletzung des rumänischen Nationalgefühls durch den Wiener Schiedsspruch Vergeltung üben wollte. Für die neuen Machtverhältnisse war es kennzeichnend, daß die sog. Maniu-Gardisten in dem aufgrund des Waffenstillstandsabkommens zurückeroberten und wieder unter rumänische Verwaltung gestellten Nordsiebenbürger schwere Verbrechen in einigen Dörfern des Szeklerlandes verübten, hauptsächlich in Szárazajta und Szentdomokos, aber auch anderswo, so in Egeres in der Umgebung von Klausenburg oder in Bihar. Die rumänische Polizei und Gendarmerie verhaftete und internierte Zehntausende von Ungarn, vor allem Flüchtlinge, aber auch viele politisch links Gesinnte. Das hatte zur Folge, daß die Alliierte Kontrollkommission – faktisch die sowjetische Militärführung – Anfang November 1944 die rumänische Verwaltung aus Nordsiebenbürger auswies und diese erst im März 1945 zurückkehren konnte. Diese viermonatige Übergangsperiode stellte einen ganz besonderen historischen Moment dar: die Organisation und Lenkung des öffentlichen Lebens, der politischen Bewegungen und des Wiederaufbaus Nordsiebenbürgers lag zumeist in den Händen rumänischer und ungarischer Kommunisten – die Massenbasis der letzteren waren die lokalen und {687.} Komitatsorganisationen des Magyar Népi Szövetség (Ungarischen Volksverbandes) –, als in Rumänien wie auch in Ungarn der Kampf um die Stärkung ihrer Positionen gerade erst begonnen hatte.

Die rumänische Verwaltung kehrte nach Siebenbürgen zurück, als die Regierung von Petru Groza, dem Gründer der Landarbeiterpartei (Frontul Plugarilor), den inneren Frieden und die Nationalitätenrechte zusicherte. Die für den 13. März 1945 nach Klausenburg einberufene Versammlung, an der die Alliierte Kontrollkommission durch A. J. Wyschinskij, den Vizevolkskommissar für auswärtige Angelegenheiten der Sowjetunion, vertreten wurde, sandte ein Telegramm an J. W. Stalin, in dem sie ihm „ihren tiefempfundenen Dank für die Unterstellung Nordsiebenbürgens unter die rumänische Verwaltung ausdrückt“ und ihm versichert, daß die rumänischen Behörden alles tun werden, um die Ruhe und Ordnung hinter der Front aufrechtzuerhalten und die Rechte und Pflichten der zusammenlebenden Völker zur Geltung kommen zu lassen.* D. CSATÁRI, Dans la tourmente. Les relations hungaro-roumaines de 1940 à 1945. Budapest 1974, 390–391 und Scânteia, 14., 15. März 1945.

Am 10. Februar 1947 wurde in Paris der Friedensvertrag unterzeichnet, der die neuen Grenzen Rumäniens festlegte. Ohne Berücksichtigung der Alternativmöglichkeit des Waffenstillstandsabkommens – und angesichts der Kriegsopfer Rumäniens im Kampf gegen die faschistischen Mächte – wurde ganz Nordsiebenbürgen auch de jure Rumänien zurückgegeben, d. h. die 1920 gezogene rumänisch-ungarische Grenze wiederhergestellt. (Im Sinne des Vertrages behielt die Sowjetunion Bessarabien und die Nordbukowina, Bulgarien den südlichen Teil der Dobrudscha.)

*

Nach 1945 kam es in Rumänien und den es umgebenden Ländern zu einem grundsätzlichen Wandel, der die Hoffnung erweckte, nach so vielen Zwistigkeiten werde das Zusammenleben der siebenbürgischen Völker von Gleichberechtigung, gemeinsamen Interessen und der Achtung der individuellen wie kollektiven Rechte geprägt werden. Diese Hoffnung hat sich nicht erfüllt; die Gründe dafür muß eine Untersuchung der rumänischen und internationalen Entwicklung ergeben, die hier – wie im Vorwort des Bandes erläutert wurde – nicht durchgeführt werden konnte.

Siebenbürgen hat auch nach 1918 große Prüfungen erleben müssen, vielleicht größere als je im Laufe seiner Geschichte. Kriege, Machtwechsel, wirtschaftlich-gesellschaftliche Umgestaltungen und politische Erschütterungen beeinflußten das Leben seiner Völker. Wir sind überzeugt, daß Siebenbürgen als besondere ethnische und kulturelle Einheit auch heute eine hervorgehobene, beispielhafte Rolle nicht nur bei der Gestaltung der Beziehungen zwischen Rumänien und Ungarn, sondern auch bei der Entwicklung der Region Ostmitteleuropa spielen kann, wenn den tatsächlichen Interessen der hier lebenden Völker, der Demokratie und den international anerkannten Normen der Menschen- und Gemeinschaftsrechte Geltung verschafft wird.