1. Bevölkerung


Inhaltsverzeichnis

Wachstum und Mobilität der Bevölkerung

In den sechs Jahrzehnten zwischen der ersten Volkszählung nach der bürgerlichen Revolution und der letzten vor dem Ausbruch des ersten Weltkrieges hat sich die Bevölkerung Siebenbürgens um 40 %, d. h. um 750 000 Personen erhöht, in einem Territorium, das 58 000 km2 umfaßte und durch eine geringfügige Modifizierung der historisch entstandenen Grenzen im Zuge der Verwaltungsregelung von 1876 entstanden war. Zwei Drittel des Bevölkerungswachstums entfielen auf die drei Jahrzehnte vor dem Weltkrieg, als das Wachstumstempo eine außergewöhnliche Dynamik erreichte. Zwischen 1839 und 1845 hatte die jährliche Zuwachsrate wahrscheinlich 8 und zwischen 1851 und 1857 6,2 Promille betragen; danach erfolgte nach einer raschen Zunahme in den 60er Jahren umgehend eine gewisse Abnahme der Bevölkerung. Eine demographische Katastrophe von mittelalterlichem Ausmaß erreichte schließlich 1873 – allerdings zum letzten Male – auch Siebenbürgen: die Choleraepidemie. Während Ungarn im engeren Sinne in der Lage war, die Folgen innerhalb von ein paar Jahren zu überwinden, war in Siebenbürgen erst in den 80er Jahren eine stärkere Bevölkerungszunahme zu verzeichnen.

Der demographische Übergang, der in der ersten, der Entstehungsphase der sog. Industriegesellschaft im allgemeinen zu einer Bevölkerungsexplosion führte, verzögerte sich in Siebenbürgen – selbst im Vergleich zu Ungarn – erheblich. Aus einzelnen Komitaten wurde in manchen Jahren im Cholerajahrzehnt eine über der Geburtenrate liegende Sterberate gemeldet. In Csík und in Groß-Küküllõ ist ab 1869 über einen langen Zeitraum hinweg infolge der niedrigen Geburtenrate und der Auswanderungen eine Abnahme der Bevölkerung zu registrieren. Um 6–7 % ist dadurch der natürliche Zuwachs auch im Komitat Kronstadt, in den Drei Stühlen, Udvarhely und Fogarasch dezimiert worden. Die Bevölkerungszunahme liegt in dieser Periode jedenfalls unter dem Landesdurchschnitt.

Auch in seinem demographischen Verhalten hat sich Siebenbürgen kaum von den anderen größeren Regionen unterschieden. Wie in der gesamten östlichen Hälfte Ungarns kommt es früh zur Familiengründung, doch steigt das durchschnittliche Heiratsalter. Gegenüber dem aus Sathmar, Bihar, Marmarosch, Szolnok-Doboka bestehenden Gebiet mit stärkerem Bevölkerungswachstum erstreckt sich entlang der Linie Bistritz-Hunyad (bis Baranya) eine Region mit geringer Fruchtbarkeit, deren Entstehung die {552.} Historiographie bisher nicht erklären konnte. Die Gebiete mit stärkerer Bevölkerungszunahme liegen im mittleren Landesteil, in dem auch die Bevölkerungsdichte am größten war (ungefähr in dem von Klausenburg, Neumarkt, Schäßburg und Mühlbach gebildeten Viereck). Hier betrug die Bevölkerungsdichte bereits 1890 50–80 Personen pro Quadratkilometer, während sie in ganz Siebenbürgen 1890 nur bei durchschnittlich 39,3 Personen lag und sich erst bis 1910 auf 46,3 erhöhte. Sehr niedrig war der Fruchtbarkeitsindex bei den Rumänen in Südsiebenbürgen. Die Sachsen verhielten sich in der Frage der Geburtenbeschränkung ähnlich wie in Transdanubien. Um die Zersplitterung des bäuerlichen Besitzes zu verhindern, beschränkten sich die Familien auf ein bis zwei Kinder.

Wegen der hohen Geburten- und Sterberate, den frühen Eheschließungen und der hohen Fruchtbarkeit entspricht die demographische Struktur Ungarns um die Jahrhundertwende der Osteuropas, während sich die frühe Verbreitung der Geburtenbeschränkung wiederum dem demographischen Modell Westeuropas nähert. Demgegenüber führten die geringere Fruchtbarkeit, das höhere Lebensalter und die verhältnismäßig günstige Sterberate zu einer Sonderstellung Siebenbürgens in der demographischen Entwicklung des gesamten Landes.

Für die Bevölkerungsentwicklung wurde in dieser Epoche der Ausbau einer umfassenden Organisation des Gesundheitswesens zu einem wichtigen Faktor. Zwar hatte sich die medizinische Versorgung ab 1850 kontinuierlich verbessert, doch kam es auch bei ihr erst am Ende des Jahrhunderts zu einer bedeutenderen Veränderung. Während des Neoabsolutismus gab es in Klausenburg und Neumarkt „Landeskrankenhäuser”, darüber hinaus standen weitere 16 Krankenhäuser im Dienst der Kranken. Mit der 1887 eingeführten sog. Wiederholungsimpfung konnte auch die Pockengefahr beseitigt werden. 1876 regelte ein modernes Gesetz die Aufgaben von Staat, Komitaten und Gemeinden im Gesundheitsschutz, die Methoden der Kontrolle der Haushalte, Schulen und öffentlichen Einrichtungen. Die Städte und größeren Gemeinden waren verpflichtet, einen Arzt zu beschäftigen, während die Bevölkerung der kleineren Dörfer durch Kreisärzte betreut wurde, die ärmsten Patienten kostenlos. Die ärztliche und Krankenhausbetreuung wurde erheblich verbessert. 1893 standen nur 29 Krankenhäuser mit 1900 Betten zur Verfügung, 1913 waren es bereits 56 Krankenhäuser mit 5645 Betten. Bei der letzten Volkszählung vor dem Weltkrieg wurden im Gesundheitswesen 3001 Erwerbstätige registriert, davon 545 Ärzte und 523 Apotheker. (22 %, der Beschäftigten im Gesundheitswesen waren Rumänen, bei den Ärzten waren es 13 %.) Auf 100 000 Einwohner entfielen 29 ausgebildete Ärzte, 62 Hebammen und 191 Krankenhausbetten. Natürlich bestanden zwischen den Städten und Dörfern sowie zwischen den einzelnen Gegenden gewaltige Unterschiede bei den Verhältnissen im Gesundheitswesen. Damals gab es jährlich nahezu 500 Unfalltote. Die Zahl der Selbstmorde war mit rund 300 dreimal höher als 50 Jahre zuvor und erreichte besonders in den Drei Stühlen einen außergewöhnlich hohen Wert. Die Zahl der Morde lag jährlich bei 100, wobei hier Hunyad und die Drei Stühle an der Spitze lagen, sie war jedoch als Ergebnis der Verbürgerlichung der Verhaltensformen um mehr als die Hälfte geringer als jene, die ein halbes Jahrhundert zuvor registriert worden war. Die letzte große Ernte hielt der gewaltsame Tod während dieser Epoche im ersten Weltkrieg, in dem nach offiziellen Angaben {554.} allein bis Ende 1917 24 Promille der Gesamtbevölkerung Siebenbürgens an der Front fielen (vom Szeklerland sogar mehr als 37 Promille) und besonders hohe Kriegsverluste, z. B. um 20 %, die Jahrgänge 1895 /96 erlitten. Dazu kam noch die gestiegene Sterberate im Hinterland und, was noch stärker ins Gewicht fiel, die um 55 bis 58 % niedrigere Geburtenrate.

{553.} Tabelle 3. Bevölkerungswachstum in Siebenbürgen 1850–1910

Jahr

Siebenbürgen und Partium (1102 Quadratmeilen, 60700 km2) Siebenbürgen in den früheren Grenzen (998 Quadratmeilen, 54948 km2) Siebenbürgen in den Grenzen von 1876 (5780 km2)
anwesende Zivilbevölkerung in absoluten Zahlen durch-schnittliches jährliches Wachstum (‰) anwesende Zivilbevölkerung in absoluten Zahlen durch-schnittliches jährliches Wachstum (‰) anwesende Zivilbevölkerung in absoluten Zahlen durch-schnittliches jährliches Wachstum (‰)
1850 2 073 737 1 856 000 1 900 000
1857 2 172 748 6,7 1926 797
1869 2 393 206 8,1 2 101 727 7,3 2 152 805
1850–1869 + 319 469 (15,4 %) 7,6 + 245 727 (13,2 %) 6,6 +252 805 (13,3 %) 6,6
1880 2 084 048 –2,7
1890 2 251 216 7,0
1900 2 456 838 8,8
1910 2 658 159 7,9
1850–1910 +758 159 (39,9 %) 5,6
1869–1910 +505 354 (23,5 %) 5,2
1880–1910 + 574 111 (27,5 %) 8,1


Nicht nur der Unterhalt, sondern auch die Vermehrung der Bevölkerung waren sehr von einzelnen Naturkatastrophen oder Hungersnöten nach fallweisen schlechten Ernten abhängig, obwohl die staatlichen Verwaltungsorgane es in zunehmendem Maß als ihre Pflicht ansahen, den Bewohnern von Katastrophengebieten Hilfe zu leisten. Die Hilfsbereitschaft der Gesellschaft hat beispielsweise die Hungersnot 1864/65 abgemildert, und zur Jahrhundertwende nahm die behördliche Unterstützung der von einer schlechten Ernte heimgesuchten Dörfer in Form von billigem oder gar kostenlosem Getreide systematischen Charakter an. Auch nach dem Ende der verheerenden Hungersnöte kam es wegen der mangelhaften und einseitigen Ernährung mit Mais als Brotersatz häufig zur Pellagra. (Am besten ernährte sich das Volk in den Komitaten Kronstadt, Fogarasch und den Drei Stühlen.) Pro Person wurde in den 80er Jahren jährlich eine etwa dem Landesmittelwert entsprechende Summe von 65 Forint für Lebensmittel ausgegeben, doch war die Ernährung in Siebenbürgen ärmlicher, da der starke Obstverzehr nicht eine gesunde Lebensweise, sondern nur den Ersatz des Mangels sicherte. Sehr hoch war der Schnapsverbrauch, bei dem Klein-Küküllõ mit 41 Liter pro Kopf an der Spitze der Landesstatistik lag.

Bis zum Jahrhundertende verstärkte sich die horizontale Mobilität der Bevölkerung. Nach Rumänien waren auch bereits vor dem Ausgleich Rumänen, Szekler Frauen und Männer zur Arbeit ausgewandert. Ende der 70er Jahre veranschlagten die Behörden die Zahl der „ungarischen Untertanen” in Rumänien auf 40 000. Zwischen 1880 und 1900 wanderten etwa 70 000 aus, ein gutes Drittel von ihnen Szekler. Ihnen folgten in der Periode von der Jahrhundertwende bis zum Weltkrieg weitere 80 000 Personen. Diese Zahlen erfassen natürlich nicht jene, die heimlich die nach heutigen Begriffen nahezu unbewachte Grenze in den Karpaten überschritten. Zu berücksichtigen ist ferner, daß die meisten nach wie vor wegen einer kurz- oder längerfristigen Arbeit abwanderten und keineswegs eine Übersiedlung beabsichtigten. Dies erklärt die ganz niedrige Zahl auswandernder Kinder und den verhältnismäßig hohen Anteil der älteren Auswanderer über 50 Jahre. Im letzten Friedensjahr lebten bereits 200 000 in Ungarn geborene Menschen, also nicht nur Siebenbürger, in Rumänien.

Nach 1900, mit der zunehmenden Verschiebung der europäischen Auswanderungszone von Westen nach Osten, setzte auch in Siebenbürgen die Periode der Auswanderung nach Amerika ein. Innerhalb von 15 Jahren wanderten allein nach offiziellen Angaben 95 000 Menschen nach Amerika und 10 000 nach Deutscland aus. Das Gebiet zwischen Mieresch, den beiden Kokel und dem Alt war zum wahren Auswanderungszentrum geworden. In den Betrieben und Bergwerken von Pennsylvania, in den Fabriken in Ohio, New York und New Jersey wurden immer mehr Siebenbürger beschäftigt, und Auswanderer aller Nationalitäten fanden sich auch in den Großstädten wie New York, Cleveland oder Chicago.

Die Binnenmobilität war in Siebenbürgen geringer als in Ungarn; 1890 lebten lediglich 18 % der Bevölkerung in größerer Distanz von ihrem {555.} Geburtsort, in Transdanubien waren es nahezu doppelt so viele. Um die Jahrhundertwende verstärkte sich die Mobilität jedoch auch in Siebenbürgen. Die Zahl der Dörfer änderte sich in dieser Periode nicht, ihre Einwohnerzahl erhöhte sich nur unauffällig. Kaum mehr als 100 Dörfer hatten über 2000 Seelen gegenüber über 1800 Dörfern mit weniger als 1000 Einwohnern. Der verbreitetste Dorftyp besaß 500–1000 Einwohner. Unter Beibehaltung der Landschaftsspezifika blieben im Erzgebirge z. B. die sog. Streusiedlungen endlos langestreckter Dörfer erhalten, während andere, wie Langendorf bei Kronstadt (mit drei ebenfalls vom Hausgewerbe lebenden Gemeinden zusammenwachsend), bereits ein städtisches Äußeres annahmen. Riesengemeinden wie die rumänischen Dörfer Städterdorf oder Großdorf konnten durch die Wanderschäferei und andere ergänzenden Erwerbsaktivitäten einen beachtlichen Wohlstand erreichen, doch blieben sie gerade wegen dieser traditionellen Beschäftigung und teils wegen der Sogwirkung des nahen Hermannstadt an der Schwelle zur Urbanisierung stecken. Wegen des Verfalls der alten Kleinproduzenten-Eisenverarbeitung blieb auch dem ungarischen Eisenmarkt/Torockó ein solcher Entwicklungsweg verschlossen.

Die Triebkraft der horizontalen Binnenmobilität war die Urbanisierung. Die 27 Siedlungen, die am Ende der Periode auch im rechtlichen Sinne als Städte bezeichnet wurden, waren von 1850 bis 1910 schnell gewachsen, ihre Einwohnerzahl erhöhte sich von 149 471 auf 324 955. Die Zunahme der Stadtbevölkerung war demgegenüber natürlich stärker, da damals weitere gut 50 000 Menschen in Industrie- oder Bergbausiedlungen – wie Petroscheni oder Schylwolfsbach-wohnten, die in ihrem Urbanisierungsgrad keineswegs hinter der durchschnittlichen Kleinstadt in Siebenbürgen zurückblieben. Am Ende des Jahrhunderts lebte – ebenso wie in Oberungarn und Transdanubien – schon die Hälfte der Einwohner größerer Städte von der Industrie, vom Handel und Vertrieb; die Hälfte von ihnen waren Neuansiedler. Die Städte Siebenbürgens waren demnach nicht nur in ihrem Äußeren, sondern auch von ihrer Beschäftigungsstruktur her auf dem Wege der mitteleuropäischen Städteentwicklung geblieben.

Die Urbanisierung zeigte weder in der zeitlichen noch in der räumlichen Verteilung eine geradlinige Entwicklung. Der erste Aufschwung erfolgte in den zwei Jahrzehnten nach der bürgerlichen Revolution; zwischen 1870 und 1880 nahm die Bevölkerung der Städte kaum zu, um sich dann durch den Sog der schwungvollen kapitalistischen Entwicklung in den zwei Jahrzehnten nach 1890 sprunghaft um 100 000 zu erhöhen. In der unmittelbaren Nachbarschaft Siebenbürgens haben sich Sigeth, Sathmar, Großwardein, Arad und Temeschwar geradezu sprunghaft entwickelt und ihre Sogwirkung in jeder Richtung spürbar werden lassen. Kronstadt und das hochurbanisierte Hermannstadt wiederum beschritten den Weg eines soliden Wachstums, während kleine Städte wie Salzburg und Großschlatten aufgrund des Niederganges ihres Bergbaus stagnierten, bzw. letzteres sogar Bevölkerung verlor. Die typische Kleinstadt in Siebenbürgen ist allgemein durch eine langsamere Strukturentwicklung und die Bewahrung der Traditionen gekennzeichnet. Auch die Urbanisierung vermochte die vererbten regionalen Unterschiede nicht auszugleichen. 1910 lebten allgemein bereits 12,7 %, der Bevölkerung in Städten, während es im Szeklerland nur 7,3 %, aber auf dem einstigen Königsboden 22,1 % waren.

{556.} Die Anforderungen der sich verbürgerlichenden Gesellschaft führten ein Jahrzehnt nach dem Ausgleich auch zu einer veränderten Lage der 30 königlichen Freistädte bzw. der privilegierten Städte. 25 wurden zu „Städten mit geregeltem Rat” erklärt, wobei lediglich Neumarkt und Klausenburg den Munizipalstatus erhielten, der ihren traditionellen Privilegien entsprach. Die blühendste Entwicklung erlebte zweifelsohne Klausenburg, da die „Hauptstadt Siebenbürgens” bereits 1867 die bisher größte Siedlung, Kronstadt, im wesentlichen eingeholt hatte und in den folgenden vier Jahrzehnten mit einer weiteren 122prozentigen Steigerung der Einwohnerzahl überlegen an der Spitze lag; in seinem Äußeren blieb es zwar weiterhin mehr oder weniger eine „ebenerdige Stadt”, es schuf sich dennoch eine neue Infrastruktur und ein Stadtwerkesystem und schlug den Entwicklungsweg zu einer modernen Stadt ein.

Konfessionelle und ethnische Struktur

In dieser Periode ist Siebenbürgen nach wie vor eine der konfessionell buntesten Regionen des Kontinents. Durch die kapitalistische Umgestaltung traten keine Veränderungen in den religiösen Verhältnissen ein: Die konfessionelle Zugehörigkeit blieb ein wichtiger Gestaltungsfaktor des moralisch-politischen, kulturellen sowie demographischen Verhaltens der breiten Massen.

Die meisten Gläubigen hatte die griechisch-orthodoxe rumänische Kirche, dicht gefolgt von der griechisch-katholischen Kirche, die in erster Linie die Rumänen in Nordsiebenbürgen erfaßte. Die früheren vier „anerkannten Religionen” – die Römisch-Katholischen, Reformierten (Kalvinisten), Evangelischen (Lutheraner) und Unitarier – galten als Träger und Regulatoren des Glaubenslebens der ungarischen und sächsischen Bevölkerung. Die Sachsen waren großenteils evangelisch, die Szekler teils katholisch und teils reformiert, während der überwiegende Teil der Magyaren Siebenbürgens reformiert blieb. Auch die kleine unitarische Kirche bestand aus Magyaren. Mitglieder der israelitischen Kultusgemeinde wurden 1850 in den Statistiken nur mit wenigen Tausend registriert, größeres Gewicht hatten sie in der ganzen Periode eher in den benachbarten Städten Arad, Temeschwar und Großwardein. In Arad machten sie bereits 1869 11,34 % der Bevölkerung aus und in Großwardein 22,43 %; in Siebenbürgen näherte sich ihre Anzahl bis 1910 der der Unitarier.

Auch in konfessioneller Hinsicht bildeten die Städte oftmals Inseln in ihrer Umgebung. Während die Katholiken um die Jahrhundertwende 13,3 % der Gesamtbevölkerung ausmachten, stellten sie 25,9 % der Stadtbevölkerung. Bei den Reformierten betrug das Verhältnis 14,7:23,4 % bei den Evangelischen 9,0:16,1 %, bei den Unitariern 2,6:2,4 % und bei der israelitischen Kultusgemeinde 2,1:6,3 %, bei den Griechisch-Orthodoxen dagegen 30,3:15,0 % und bei den Griechisch-Katholischen 28,0:11,6.

Unter den Konfessionen differenzierte auch die Bevölkerungszunahme. Der Zuwachs der Evangelischen ging in den Jahren von 1851 bis 1857 bereits auf 1,2 Promille zurück, bei den Unitariern betrug er 6,6, bei den Reformierten 7,1, bei den Römisch-Katholischen 9,1, bei den Griechisch {558.} Katholischen 5,7 und bei den Orthodoxen 6,8 Promille. Diese Tendenzen haben sich auch später nicht grundlegend geändert. Stets war der Zuwachs bei den Katholiken und Reformierten am höchsten (nur übertroffen von dem der wenigen Israeliten) und bei den Evangelischen am ungünstigsten. Ein noch geringerer Wert kann lediglich bei der katholischen schwäbischen Bauernschaft des Banats verzeichnet werden.

{557.} Tabelle 4. Konfessionelle Verteilung der Bevölkerung Siebenbürgens, 1850–1910


Konfession
1850* Erste Spalte: zusammen mit dem Partium, zweite Spalte: im Gebiet nach 1876 (Bevölkerung mit Wohnrecht)
Quelle: Magyar Statisztikai Évkönyv. Új Folyam (Ungarisches Statistisches Jahrbuch. Neue Folge), Bd. 9 (1902); Bd. 19 (1911); Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen. Neue Serie), Bd. 5 (1907); OL, F 551
1880 1900 1910 1850* Erste Spalte: zusammen mit dem Partium, zweite Spalte: im Gebiet nach 1876 (Bevölkerung mit Wohnrecht)
Quelle: Magyar Statisztikai Évkönyv. Új Folyam (Ungarisches Statistisches Jahrbuch. Neue Folge), Bd. 9 (1902); Bd. 19 (1911); Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen. Neue Serie), Bd. 5 (1907); OL, F 551
1880 1900 1910
absolute Zahlen %
Römisch-Katholische 219 536 211 622 263 816 331 199 375 325 10,6 11,37 12,7 13,3 14,0
Griechisch-Katholische 664 154 543 530 575 866 691 896 749 404 32,2 29,20 27,5 28,0 28,0
Orthodoxe 621 852 600 474 662 936 748 928 792 864 30,2 32,26 31,8 30,3 29,6
Evangelische 196 356 195 956 199 551 222 346 229 028 9,5 10,53 9,6 9,0 8,6
Reformierte 298 136 252 342 296 395 364 704 399 312 14,5 13,56 14,2 14,7 14,9
Unitarier 45 112 45 089 55 068 64 494 67 749 2,2 2,42 2,6 2,6 2,5
jüdische Kultusgemeinde 15 606 11 692 29 993 53 056 64 074 0,8 0,63 1,4 2,1 2,4
Sonstige 893 893 423 366 611 0,04 0,05 0,2 0,0 0,0


Zwischen den einzelnen Konfessionen erhoben sich starke Trennwände, die jedoch nicht unüberwindbar waren. Um die Jahrhundertwende wurden in Siebenbürgen jährlich 2000 bis 3000 Mischehen geschlossen, immerhin über 10 % aller Eheschließungen. Mischehen gab es natürlich vorwiegend innerhalb einer Nationalität, so war die katholisch-reformierte Mischung recht erheblich. Die Assimilation des zahlenmäßig wachsenden Judentums ging im allgemeinen ohne Konfessionswechsel vor sich. 1880 bekannten sich 44,73 % der Juden als Magyaren, 1900 aber bereits 64,0 %, was darauf hindeutet, daß die Juden – bis auf wenige Ausnahmen – den Weg der Magyarisierung beschritten.

Die wirtschaftlich-gesellschaftlichen Veränderungen in diesen über 50 Jahren führten zu keinen größeren Verschiebungen in der Proportion der einzelnen ethnischen Gruppen. Die Volkszählung von 1850 bestimmte den Anteil der Magyaren im damaligen Siebenbürgen auf 26 % der Bevölkerung. Diese Zahl wurde später amtlich auf 28,2 % korrigiert. Selbst wenn diese Angabe der Wahrheit auch sehr nahe kommen sollte, bedeutete sie auf jeden Fall die denkbar niedrigste Grenze. Die Volkszählung von 1869, nach dem Ausgleich, verzichtete aus politischer Vorsicht auf die Erhebung der Zugehörigkeit zu einer Nationalität, so daß lediglich die Berechnungen des Statistikers Károly Keleti eine Orientierung bieten könnten (er wies 31 % Magyaren, 58 % Rumänen und 11 % Deutsche nach). Die ab 1880 alle zehn Jahre stattfindenden Volkszählungen erhoben dann aber systematisch – formal nicht nach der Nationalität fragend – die Muttersprachenverhältnisse. Obwohl diese Statistik sicher Einseitigkeiten aufwies, so war das Amt für Statistik selbst um Genauigkeit bemüht und versuchte vor allem bei den Zählungen von 1900 und 1910 den Anteil der Magyaren korrekt festzulegen.

In der hier behandelten Periode haben sich alle drei ethnischen Gruppen zahlenmäßig vergrößert, wenn auch die Zunahme der Sachsen bereits lange vor dem Weltkrieg im Grunde stagnierte. Auch in Siebenbürgen hat sich der Anteil der Magyaren – wie im gesamten Habsburgerreich – am schnellsten erhöht. In den letzten drei Jahrzehnten machte ihr Zuwachs 287 740 aus, d. h. 45,63 %, so daß ihr Anteil bis 1910 im historischen Siebenbürgen auf mehr als 34 % angewachsen war. Eine der Ursachen für dieses sprunghaft schnelle Wachstum war die stärkere natürliche Vermehrung der Ungarn. Die Regionen mit niedriger Fruchtbarkeit befanden sich-wie gesagt-vor allem in den vorwiegend von Rumänen und Sachsen bewohnten Gebieten, und ebenso verweist die ungünstige Zuwachsrate der Griechisch-Orthodoxen auf die besondere demographische Lage der Rumänen. Eine Tendenz zum Ausgleich setzt erst in den Jahren vor dem ersten Weltkrieg ein. (Die natürliche Vermehrung der im ungarischen Staat lebenden Rumänen betrug zwischen 1896 und 1900 5,8 % zwischen 1909 und 1912 10 %.) Auch die Auswanderungswelle belastete in Siebenbürgen die einzelnen Nationalitäten unterschiedlich: Es wanderten weit mehr Rumänen aus als Magyaren; laut offiziellen Angaben verließen Ungarn von 1899 bis 1913 130 000 Rumänen.

{559.} Tabelle 5. Die Bevölkerung Siebenbürgens nach Muttersprache 1850–1910

Bevölkerung

1850* Erste Spalte: mit dem Partium zusammen (von Czoernig korrigierte Zahlen), zweite Spalte: das Gebiet nach 1876, originale Zahlen der Volkszählung. Quelle: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen, Neue Serie). Bd. 64. Budapest 1920; OL, F. 551 1880 1900 1910 1850* Erste Spalte: mit dem Partium zusammen (von Czoernig korrigierte Zahlen), zweite Spalte: das Gebiet nach 1876, originale Zahlen der Volkszählung. Quelle: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen, Neue Serie). Bd. 64. Budapest 1920; OL, F. 551 1880 1900 1910
Bevölkerung Zivil-
bevölker.
Gesamt-
bevölker.
Gesamt-
bevölker.
%
Ungarn 585 342 488 927 630 477 806 406 909 003 28,23 26,11 30,25 32,82 34,20
Deutsche 219 374 219 204 211 748 229 889 231 403 10,23 10,27 10,16 9,36 8,71
Rumänen 1 202 050 1 091 208 1 184 883 1 389 303 1 464 211 57,97 58,28 56,85 56,55 55,08
Slowaken 1 092 2 209 2 341 0,05 0’09 0,09
Armenier 7 879 7 372 3 450 0,38 0,39 0,17
Juden/jiddisch 6 220 11 760 0,30 0,63
Zigeuner 52 665 77 201 48 064 2,54 4,12 2,31
Sonstige 207 3 765 4 334 29 031 51 201 0,01 0,20 0,21 1,18 1,93
Insgesamt 2 073 737 1 872 437 2 084 048 2 456 838 2 658 159 100,00 100,00 100,00 100,00 100,00


{560.} Kurz vor dem Weltkrieg waren die Rumänen nahe daran, den Slowaken und Deutschen den ersten Platz bei der Auswanderung streitig zu machen.

Die Anzahl der Magyaren im gesamten Siebenbürgen wurde zudem geringfügig durch die Assimilation erhöht. Die Juden wurden auch im engeren Siebenbürgen zu Magyaren, ebenso schließlich die Armenier und die einige tausend Tschechen, Polen und Italiener, die durch die Industrialisierung in das östliche Grenzland der Monarchie verschlagen worden waren.

Die sprachlich-ethnische Assimilation wurde in der Blütezeit der nationalen Entwicklung aus einer demographischen und gesellschaftlichen Erscheinung zur wichtigen politischen Frage. Die ethnische Pluralität Siebenbürgens war für jede Nation ein besonderer Grund, um den eigenen Bestand besorgt zu sein bzw. ihn nach Möglichkeit zu vergrößern. Aus dem Abstand nahezu eines Jahrhunderts ist festzustellen, daß es unter den Sachsen und Rumänen keine substantielle Assimilation gegeben hat. Die absolute Zahl der Rumänen stieg sogar im Szeklerland an, doch wurde ein Teil dieses Wachstums gewiß von der Assimilationsbewegung an die Magyaren aufgezehrt. Ein gewisser Raumgewinn der Rumänen bleibt also zu verzeichnen: Bis zur Jahrhundertwende hatten sie im Komitat Küküllõ die absolute Mehrheit erreicht und ihr Gewicht in mehreren Komitaten vergrößert. Sie lebten insgesamt in großen geschlossenen Gebieten, gehörten anderen Konfessionen an und unterschieden sich auch in ihrer Gesellschaftsstruktur von den Sachsen und Magyaren, wodurch die Möglichkeit einer Verschmelzung ebenfalls eingeschränkt wurde.

Wegen der Konzentration der kapitalistischen Entwicklung auf die Städte, des ungarischen Charakters der Städte oder ihres hohen ungarischen Anteils bezeichneten die Zeitgenossen die Städte als „Schmelzöfen der Magyarisierung”. Mehr als 90 % der Einwohner des bedeutenden Klausenburg oder des kleinen Oberwinz, mehr als 80 der von Desch, Thorenburg und Sächsisch-Reen sprachen ungarisch. In Schloßberg erhöhte sich von 1880 bis 1890 der Anteil der Magyaren von 37,5 auf 46,9 %, in Karlsburg von 35,3 auf 42,3 %. Die assimilierende Wirkung der Städte war jedoch bei weitem nicht uneingeschränkt. In der oben erwähnten Periode ging beispielsweise die ungarische Bevölkerung Straßburgs von 77,5 auf 71 % zurück. Die breiten Massen der Dorfbevölkerung wurden von der Assimilation kaum erfaßt. Allein schon der relativ niedrige Organisationsgrad der Staatsmacht war ein Garant dafür, daß die kleineren und größeren ethnisch noch ungemischten Siedlungsgebiete nicht gefährdet wurden. Die ungarische Geschichtsschreibung schätzt den Assimilationsverlust des rumänischen Volkes im gesamten historischen Ungarn zwischen 1850 und 1910 auf maximal 100 000 Personen.

Der multinationale Charakter blieb im historischen Siebenbürgen als eine sich auf alle Gebiete des Lebens auswirkende Realität bestehen; das zeigt sich daran, daß in den 50 Jahren des Dualismus das Ausmaß der Kenntnis der ungarischen Sprache bis zum Schluß bescheiden geblieben ist. Von den Nicht-Magyaren bekannten sich 1880 nur 109 190 Personen (7,57 %) und auch 1910 nur 266 863 Personen (15,2 %) dazu, die ungarische Sprache zu beherrschen. Diese Zahlen zeigen die Realität einer tatsächlich entschwundenen Periode: Millionen konnten ihr alltägliches Leben führen, ohne sich die offizielle Sprache ihres Staates angeeignet zu haben.

{561.} Tabelle 6. Stadt- und Dorfbevölkerung nach Muttersprache 1880/1910


Jahr

Bezeichnung
Ungarn Rumänen Deutsche Sonstige Gesamtbevölkerung
in 1000 % in 1000 % in 1000 % in 1000 % in 1000 %
1880 Stadtbevölkerung 104 48,6 51 23,8 51 23,8 8 3,8 214 100,0
Dorfbevölkerung 526 28,1 1134 60,6 161 8,7 49 2,6 1870 100,0
insgesamt 630 30,2 1185 56,9 212 10,2 57 2,7 2084 100,0
1890 Stadtbevölkerung 123 51,9 57 24,0 50 21,1 7 3,0 237 100,0
Dorfbevölkerung 575 28,6 1220 60,6 168 8,3 51 2,5 2014 100,0
insgesamt 698 31,0 1277 56,7 218 9,7 58 2,6 2251 100,0
1900 Stadtbevölkerung 167 55,7 72 24,0 56 18,7 5 1,6 300 100,0
Dorfbevölkerung 648 29,8 1325 60,9 177 8,1 27 1,2 2177 100,0
insgesamt 815 32,9 1379 56,4 233 9,4 32 1,3 2477 100,0
1910 Stadtbevölkerung 204 59,0 80 23,1 56 16,2 6 1,7 346 100,0
Dorfbevölkerung 714 30,6 1392 59,7 178 7,6 48 2,1 2332 100,0
insgesamt 918 34,3 1472 55,0 234 8,7 54 2,0 2678 100,0


Bemerkung: 1880 wurden die der Sprache noch nicht mächtigen nicht auf die Muttersprachen aufgeschlüsselt; dies geschah erst nachträglich aufgrund der Anteile der einzelnen Muttersprachen

Quelle: Magyar Statisztikai Közlemények. Új sorozat (Ungarische Statistische Mitteilungen, Neue Serie). Bd. 27, 104 und Bd. 42.