4. Die Awarenzeit (567–827)

Das archäologische Fundmaterial des einstigen Awarenreiches, das sich auf fünf heutige Länder des mittleren Donauraumes ausdehnt, besteht zur Zeit aus mehr als 2 000 Fundorten mit in die Zehntausende gehenden Bestattungen – in mehreren Ländern vollständig erschlossene Gräberfelder mit mehreren hundert oder tausend Gräbern – und Hunderten von Hausresten awarenzeitlicher Dörfer. Die internationale Zusammenarbeit bei der Erforschung ist auch dann anzuerkennen, wenn die einzelnen „nationalen“ Archäologien in den chronologischen und ethnischen Fragen nicht immer übereinstimmen. All das bezieht sich aber leider nicht auf das östliche Drittel des Awarenreiches. Bei der ersten fachgemäßen Freilegung eines awarischen Gräberfeldes in Marosgombás vor dem ersten Weltkrieg (M. Roska, 1913) konnten nur 13 Gräber erschlossen werden (in Ungarn ging zu dieser Zeit die Zahl der freigelegten und publizierten awarischen Grabfunde bereits in die Tausende). {91.} Zur Veröffentlichung kam es nicht. Genauso verlief unmittelbar vor dem zweiten Weltkrieg der zweite Versuch, die von S. Ferenczi in Dreikirchen begonnene Ausgrabung (1938). Das Ergebnis waren 50 bis heute unveröffentlichte Gräber. Seither sind – bis in unsere Tage – nur als „Nebenprodukte“ anderer Ausgrabungen oder im Laufe von Rettungsgrabungen an einigen Orten 2–6 awarische Bestattungen zum Vorschein gekommen.

Die Rückständigkeit der Forschung sowie ihre Befangenheit läßt sich recht leicht durch Theoriebildung kaschieren. Die Interpretationen des in der letzten Zusammenfassung mit 12 (!) als awarisch bezeichneten Reiterbestattungen untermischten Fundortes – davon 5 „einzelne“ Reitergräber (wie sie außerhalb des heutigen „Transilvanien“ nicht bekannt sind!) – sprechen von einer hauchdünnen Schicht von „Reiternomaden“ über der „autochthonen römischen“ oder, bei anderen Autoren, der slawischen Bevölkerung. Man meint, die als „Mureş-Gruppe“ oder „Gîmbaş-Gruppe“ bezeichneten awarischen archäologischen Funde seien erst nach der großen inneren Umgestaltung des Awarenreiches, also erstmals nach 670 im Siebenbürgischen Hochland erschienen, und dann auch nur in einem Umkreis von insgesamt 40 × 50 Kilometern. Kleine Awarengruppen hätten hier ihr isoliertes Leben bis zum Sturz des Awarenreiches fortgesetzt, wobei man nicht wisse, was später mit ihnen geschah. Man ist bestrebt, die 100 Jahre bis 670 in Siebenbürgen mit dem „Weiterleben“ der oben bereits erwähnten Gepiden vom „Typ Band“ zuzüglich der „romanisierten Bevölkerung“ auszufüllen. – Eine solche Interpretation der awarischen Funde Siebenbürgens ist weder mit dem Forschungsstand der internationalen awarenzeitlichen Archäologie noch mit den historischen Gegebenheiten in Übereinstimmung zu bringen.

Eigenartigerweise spielte Siebenbürgen in der europäischen Geschichte der Awaren schon eine entscheidende Rolle, als sich das aus Inner- und Mittelasien nach Europa vordringende Volk noch gar nicht im Karpatenbecken niedergelassen hatte. Die mit Justinian I. verbündeten Awaren gelangten nach der Eroberung der Steppen nördlich des Schwarzen Meeres im Jahre 562 an die untere Donau, wo ihr Kagan Bajan „in der weiten Ebene die dichte Masse der Zelte aufschlagen ließ“.* Corippus, In laudem Iustini, III Von hier aus ersuchten sie das Reich um Einlaß, um eine endgültige Heimat. Dem verschloß sich der Kaiser zwar, ließ aber die Möglichkeit durchblicken, sie könnten das unter gepidischer Herrschaft stehende Pannonia Secunda erwerben, ein Gebiet, das sich ausgezeichnet als Quartiergebiet für die Awaren eignen würde. Entlang des Eisernen Tores oder durch die engen, langen Hochgebirgspässe der Südkarpaten war aber kein Durchbruch möglich, weshalb sich der junge tatkräftige Kagan zu einem verblüffenden Unternehmen entschloß. Er versuchte unter Zurücklassung des lagernden Volkes mit seinen Reitern an der Ostseite der Karpaten einen Zugang herauszufinden. In den 1500 bis 2000 Meter hohen Gebirgen und sich ihnen entlang erstreckenden, mehrere hundert Kilometer weiten Urwaldzonen fand sich jedoch kein für ein Volk mit Großviehhaltung geeigneter Übergang, die wenigen eventuell geeigneten Pässe waren durch starke gepidische Grenzverhaue verschlossen. So gelangten sie – entlang der Berge – zum östlichen Ende des Merowingerreiches (Gallige), wo sie aber von Sigebert I., König von Austrasien, angehalten und zur Umkehr gezwungen {92.} wurden (563). Da der Ende 565 auf den Thron gelangende neue byzantinische Kaiser Justin II. sie forthin weder mit Versprechungen noch mit Gold unterstützte, versuchten die Awaren im Winter 565/66, die untere Donau zu überqueren – allerdings ohne Erfolg. Da beschloß Bajan zum zweitenmal, über den bereits bekannten großen Umweg in die von Bergen geschützte, fruchtbare Tiefebene einzudringen.

Diesmal hatte er Erfolg, er schlug die Franken und nahm Sigebert gefangen, den er aber in der Hoffnung auf ein günstiges Bündnis freiließ. Dieses Bündnis mußte Sigebert mit den pannonischen Langobarden vermitteln, und das erschien unter den gegebenen politischen Verhältnissen nicht allzu schwer zu sein. Die Langobardenkönigin, die Gemahlin König Alboins, war nämlich Sigeberts Schwester. Dieses Gelegenheitsbündnis war für die Langobarden genauso wichtig wie für die vor den Türken fliehenden Awaren, denn in dem im Vorjahr ausgebrochenen langobardisch-gepidischen Krieg unterstützte Justin II. den Gepidenkönig Kunimund, und das byzantinisch-gepidische Bündnis drohte die Langobarden aufzureiben. Unter derartigen Voraussetzungen kam zu Beginn des Jahres 567 das historische Bündnis zwischen Awaren und Langobarden zustande, aufgrund dessen König Alboin von vornherein das Land und Volk der Gepiden den Awaren überließ.

Das von den Langobarden durch die Mährische Pforte in das Karpatenbecken geführte und dann vom Donauknie in die Große Ungarische Tiefebene eingedrungene awarische Reiterheer versetzte Gepidien den entscheidenden Schlag – die zeitgenössischen Byzantiner wußten (gegenüber dem Eigenlob der viel späteren langobardischen Chroniken) ganz genau, daß Bajan den „Staat der Gepiden zerschlagen hatte“.* Menander Protector, Excerpta de legationibus fragmenta 27–28 (pp. 195–198, 456–458) Nach dem ersten erfolglosen Angriff auf Sirmium im Herbst 567 nahm Bajan ganz Gepidien linksseitig der Donau in Besitz. In Siebenbürgen fielen die ersten Awaren entlang des Mieresch, von Westen aus ein und öffneten dem seit 5 Jahren jenseits der Berge wartenden awarischen Volk das Alttal über den Rotenturmpaß. Die Zerstörungen der aus zwei Richtungen einfallenden Awaren waren gewaltig. Die Mehrheit der Gepiden Siebenbürgens wurde offensichtlich vernichtet, was im frühen Mittelalter nicht allzu schwer war. Nur wer heute mit dicht bewohnten Ländern mit Millionen von Einwohnern rechnet, hält dies für unmöglich; die nur einige Zehntausende zählende Führungsschicht und die wenige Hunderttausende zählende Gesamtbevölkerung der damaligen Länder waren sehr verwundbar. Der Geograph von Ravenna vom Ende des 7. Jahrhunderts wußte sehr gut – erwähnt er es doch an zwei Stellen –, daß auf dem Gebiet der einstigen „Datia prima et secunda“ bzw. der älteren (magna) „Datia“, die auch Gepidia genannt wurde, „jetzt die Unen, mit anderen Namen Awaren wohnen“.* Ravennatis Anonymi Cosmographia I.11 – Datia… que modo Gipidia ascribuntur. in qua nunc Unorum gens habitare dinoscitur. IV. 14 – Datia prima et secunda, que et Gipidia appellstur. ubi modo Uni, qui et Avari inhabitant.

Nach der awarischen Landnahme von 567/68 verringerte sich die Bedeutung Siebenbürgens stark (nicht aber die der östlichen Tiefebene und des Banats!), besonders als die Langobarden im Frühling 568 ihrem unheimlichen Verbündeten Pannonien überließen. Die frühesten Scheiterhaufenfunde innerasiatischen Typs im Karpatenbecken (beim Leichenschmaus verbrannte {93.} und in geringer Tiefe vergrabene Pferdegeschirre, Trensen, Steigbügel und Speerspitzen), die mit überraschender Sicherheit die früheste awarische Besetzung anzeigen, sind nur vom Austritt des Mieresch und der Aranka in die Tiefebene (Deutsch-St.-Peter) und einem Einzelfund an der Kleinen Kokel (Marteskirch) bekannt – diese gehören übrigens genauso zu den ältesten Steigbügeln Europas wie die ihnen ähnlichen aus Ungarn. An den Innenseiten der Pässe muß man, besonders in Siebenbürgen, mit frühawarischen Wächtersiedlungen rechnen, darauf verweisen die Goldmünze des Perserkönigs Chosrau I. (531–579), die mit aller Sicherheit ebenfalls durch die Awaren in die Umgebung Kronstadts gelangt ist, und auch die am Müllenbach/Sebesch und Alt gefundenen Goldmünzen Justins II. (565–572) und Mauricius Tiberius’ (582–602). Die Awaren benutzten die byzantinischen Münzen auch als Totenobolus; die Mehrheit solcher Münzen aus Siebenbürgen stammt vermutlich aus den in der Neuzeit verwüsteten, nicht beachteten Grabanlagen. Beweise dafür bilden der Solidus Justins II., der neben einem gestörten Skelett eines frühawarischen Friedhofes in Ispánlaka-Sugud gefunden wurde und ebenso unpubliziert blieb wie die 1970 ebendort freigelegten weiteren Awarengräber, darunter eine Pferde- oder Reiterbestattung mit goldenen oder vergoldeten Beigaben. Ein Beweis für ein awarisches Machtzentrum schon vor 600 im Gebiet um den Zusammenlauf von Aranyos, Mieresch und Kokel ist auch ein zu Beginn des vergangenen Jahrhunderts in Thorenburg neben einem Skelett gefundenes, prachtvolles großes goldenes Ohrgehänge mit großem Kugelanhänger, von solchem Ausmaß und Typ, wie im Karpatenbecken bisher nur 15 Paare entdeckt wurden.

Für das die weiten Ebenen und sanften Abhänge des Karpatenbeckens besetzende und dann besiedelnde awarische Gemeinvolk waren die von bewaldeten Bergen umgebene kleine Siebenbürgische Heide und ihre wenigen Täler anfangs kaum attraktiv. Nach Abschluß der ersten großen Kriegsperiode gegen Byzanz (601/02), als die Awaren gezwungen waren, sich im Karpatenbecken endgültig niederzulassen, finden sich auch in Siebenbürgen Spuren eines neuen awarischen Machtzentrums, obwohl dessen Bedeutung vorerst schwer festzustellen ist. Auf alle Fälle lebten um und nach 600 auch Vornehme hier, wie dies die – leider ohne nähere Fundortangabe – aus„ Siebenbürgen“ stammenden awarischen goldenen Ohrringe mit Pyramidenanhänger vom Typ Szentendre und Typ Deszk beweisen. Ihr Zentrum läßt sich im Gebiet um Karlsburg lokalisieren, wo ein silberner Pferdegeschirrbeschlag und eine zeitgleiche byzantinische Schnalle zutage kamen. Wichtig sind die als awarisches Goldschmiedewerkzeug dienenden Preßmodeln aus dem Tal der beiden Kokel (Elisabethstadt und Korond) als Beleg dafür, daß die Awaren die als Rangabzeichen benützten Gürtel- und Pferdegeschirrbeschläge auch in Siebenbürgen selbständig hergestellt haben. Eine den Reiter mit seinem Pferd bestattende awarische Gruppe siedelte in Straßburg und in Bandorf, wo sie sich in einem Gepidendorf niederließ und am Rande des gepidischen Gräberfeldes zu bestatten begann. Ihre eigenartigen Bestattungsriten und Trachten stimmen mit denen der Awaren in der Tiefebene und in Pannonien überein. Auf eine Ansiedlung der Awaren vor 630 deuten außer den erwähnten Funden auch noch die handgeformten Gefäße awarischen Typs (Mühlendorf, Marosnagylak und Csapószentgyörgy). Allerdings fehlt bisher jegliche Spur der frühawarischen Ansiedlung im gesamten Samoschtal. Das bezieht sich selbstverständlich nicht auf die östliche Tiefebene, das {94.} Érgebiet, das Mieresch-Aranka-Dreieck und das Banat, Gegenden, die dem frühawarischen Siedlungsgebiet organisch einverleibt wurden – mit für die Awaren so wichtigen Funden wie den Reitergräbern und der Grabgruppe von Érmihályfalva, dem Reitergrab eines Goldschmiedes von Fönlak, dem durch eine vor 625 geprägte Goldmünze des Heraclius datierten awarischen Reitergrab mit Helm, Panzer und Schwert von Deutsch-St.-Peter oder im Süden den Frauenbestattungen (Ohrringe mit großen Kugelanhängern aus Silber) von Deutsch-Orawitz und den frühawarischen Grabfunden von Orschowa.

Nach der Niederlage bei der Belagerung von Konstantinopel im Jahre 626 und einem fehlgeschlagenen Streifzug nach Italien im Jahre 628 wurde das Awarenreich ab 630 von einer allgemeinen Krise heimgesucht. Im Westen und Südwesten machten sich slawische Stämme unabhängig, im Osten wandte sich ihr bulgarischer Verbündeter gegen sie und gründete ein neues Steppenreich. Selbst von inneren Kämpfen blieb das Awarenland nicht verschont. Wichtige archäologische Beweise der Ereignisse von 630–638 sind gerade aus Siebenbürgen bekannt. Damals wurden die Bestattungen im Gräberfeld von Bandort endgültig eingestellt, die Gräber – auch die awarischen – wurden durchwühlt und ausgeraubt. Zur gleichen Zeit wurde auch der einzige aus der Awarenzeit bekannte große Goldmünzschatz von Firtoschvar versteckt (wenigstens 237 Solidi, der letzte 625 in Byzanz geprägt), kurz danach mag es dann zu der Katastrophe gekommen sein, die zu seiner Verbergung geführt hatte. Schließlich sind nur aus Gräbern Siebenbürgens solche eigenartig geformten und verzierten Lanzen- und Speerspitzen mit durchbrochener Klinge bekannt, die zu dieser Zeit ausschließlich in den pontischen Steppen in Gebrauch waren, sowie Frauen in slawischer Tracht, wahrscheinlich ostslawische Frauen, die die Begleiterinnen dieser Krieger waren. Sie mögen Ostawaren oder andere verbündete türkische Elemente gewesen sein, die zur Gründungszeit des bulgarischen Khanats (635) in das jenseits der Berge liegende Awarenland flüchteten (Marosgombás und Dreikirchen).

Bisher sind aus Siebenbürgen wenige awarische Siedlungen aus dem 7. Jahrhundert bekannt (Mühlbach, Mühlendorf-Borsóföld, Radnuten-Csapószentgyörgy und Lapos, Schäßburg-Weingärten, Bözöd), sie unterscheiden sich mit ihren halb in die Erde eingetieften, kleinen Hütten mit steinernem Herd in nichts von den awarischen Häusern in der östlichen Tiefebene (Bihar) sowie den großen Awarensiedlungen in Ungarn; auch die in der Füllerde der Häuser gefundenen Scherben handscheibengedrehter oder von Hand geformter Gefäße sind ähnlich.

Zur Zeit Konstantins IV. (668–685), kurz vor der bulgarischen Landnahme an der Donau (die auf die Gründung und Ausdehnung des Chasarenreiches zurückzuführen ist), strömten aus ihren früheren Quartiergebieten vertriebene ethnische Gruppe des Ostens – teils Onogur-Bulgaren (= Wangaren), oder zum größeren Teil doch mit den Awaren verwandte türkische Gruppen, darunter vielleicht auch Chazaren – ins Gebiet des Awarenreiches. Im Norden und Nordwesten werden die awarischen Siedlungs- und über sie hinaus die politischen Grenzen weit vorgeschoben, während im Reichsinneren zahlreiche frühere Siedlungen verschwinden und neue entstehen – letztere auch mit neuen Gräberfeldern der Neuansiedler, in denen sich aus den frühawarischen Zeiten nicht ableitbare neue Riten, Pferdegeschirre, Waffen und Trachten {95.} dokumentieren. Diese neue Periode wird im Banat durch Grabfunde mit Goldmünzen Constans’ II. und Konstantins IV. bestätigt, die aber in Siebenbürgen – leider – bisher fehlen.

Es finden sich in Siebenbürgen aber kleinere und größere Grabgruppen der neuen Ansiedler mit ihren neuartigen Waffen – Säbeln – und Steigbügeln, die den flachsohligen Stiefeln angepaßt sind, mit Seitenstangentrensen, Phaleren und Anhängerschmuck für die Pferde (Csákó: von hier sind auch zeitgenössische Häuser mit steinernem Herd bekannt, Birnbaum, Kreutz, Egisdorf und Marosnagylak). Neue Siedler begannen im Gräberfeld von Dreikirchen zu bestatten, und in Jerischmarkt entstand ein neues Gräberfeld. Laut Zeugnis eines goldenen Fingerringes lebte einer ihrer Führer – Fürsten – im Gebiet von Karlsburg und wurde auch dort begraben. Diese etwa ein Vierteljahrhundert dauernde – in den byzantinischen und fränkischen schriftlichen Quellen gar nicht oder nur indirekt erwähnte – Umgestaltungsperiode im gesamten Awarenreich ist ziemlich schlecht bekannt, auf ihre wirkliche Bedeutung ist die Forschung erst vor kurzem aufmerksam geworden. Aus der Verschmelzung der gesamten früheren und späteren Volkswellen und Traditionen bestimmte die Archäologie die Entstehung einer neuen Kunst und bezeichnete sie nach ihren häufigsten Motiven als das Jahrhundert der aus Bronze gegossenen Gürtel- und Pferdegeschirrbeschläge mit Greifen-Ranken-Dekor. Das Wesen dieser Periode ist der Übergang in die Seßhaftigkeit. Die Dörfer werden überall zum ständigen Wohnsitz, die Völker des Awarenreiches sind auf inneren und äußeren Druck hin gezwungen, allgemein zu Ackerbau und Viehzucht überzugehen und nur ausnahmsweise als Hirten zu leben. Als Zeichen für die sich seit Ende des 7. Jahrhunderts immer mehr stabilisierende Lebensform können ca. 70–80 % der bekannten großen awarenzeitlichen Gräberfelder, nicht selten aus Tausenden von Gräbern bestehende Dorfgräberfelder mit Bestattungen von 4 bis 6 Generationen gelten.

Das Vorhandensein ähnlicher später Gräberfelder aus dem 7. bis 8. Jahrhundert in Siebenbürgen wird entweder durch als „Einzelgräber“ bezeichnete Reiterbestattungen (Harendorf, Musendorf und Magyarlapád) oder durch Gräberfeldanlagen bestätigt, die durch Gürtelbeschläge mit Greifen-Ranken-Dekor, aus Bein geschnitzte Nadelbehälter und zeitgenössischen Schmuck wie Ohrgehänge mit sternverziertem Halbmondanhänger (Dreikirchen, Jerischmarkt, Lesnyek, Szentgyörgyválya) charakterisiert sind. Nicht viel günstiger ist die Situation im Ostbanat (Temeschwar-Modoser Brücke), am Ostrand des Gebietes zwischen Kreisch und Mieresch (Székudvar) und in der Érgegend (Székelyhid und Érdengeleg). Aus dieser Periode sind vom Gelände Karlsburg-Stadion kleine Hütten mit Steinherd bzw. ein auf der Erdoberfläche errichtetes Haus bekannt. Die Bewohner der Siedlung hielten Schafe und Rinder; ihre Häuser werden außer durch Scherben handgeformter und auf der Handscheibe gedrehter Gefäße auch durch ein bronzenes Ohrgehänge mit sternverziertem Halbmondanhänger wie aus den Gräberfeldern datiert. Spätawarenzeitliche kleine Hütten mit steinernem Herd wurden auch aus Bihar veröffentlicht. Von vielen Gräbern und Siedlungen weiß man nur, daß sie einst existierten, aber in Siebenbürgen lassen sich auch daraus wichtige Schlußfolgerungen ziehen: Die Awaren hatten sich im 8. Jahrhundert – aber erst dann – tatsächlich in das südlich des Aranyos und westlich der Großen Kokel liegende Miereschtal und die {97.} umliegenden Ebenen zurückgezogen. Während sich also im Awarenreich die awarische Besiedlung ausdehnte, verringerte sie sich in Siebenbürgen und nahm, wie sich aus den vielen Reiterkriegern schließen läßt, militärischen Charakter an – dazu bewogen durch das immer stärkere Vordringen der slawischen Siedler nach Westen. Das herrschende Element blieben aber bis zum Ende die Awaren. Einen ausgezeichneten Beweis dafür liefert das slawische Urnengräberfeld von Pretai 2, aus dem auch eine awarische Pferdebestattung und nach awarischem Ritus in awarischer Tracht bestattete Awaren zum Vorschein kamen. Diese und wahrscheinlich auch einige andere ähnliche Siedlungen können als früheste – und darum umstrittene – Erklärung für die zweifache Benennung des Flusses Küküllõ/Kokel dienen. Die türkische Benennung kükäläγ = ung. kökényes (schlehdornig) ging aus dem Awarischen über das Bulgarische ins Ungarische und dann vom Ungarischen ins Sächsisch-Deutsche (Kokel) über. Als damit zeitgleich ist die gleichbedeutende slawische Benennung trnava zu betrachten, die dann die nach Siebenbürgen einwandernden ersten Rumänen von den Slawen übernahmen und bewahrten (Tîrnava).

Karte 6. Bevölkerung Siebenbürgens und der östlichen Tiefebene 567–895

{96.} Karte 6. Bevölkerung Siebenbürgens und der östlichen Tiefebene 567–895
1 = frühawarische Funde, 567–675, 2 = byzantinische Goldmünzen in der frühawarischen Periode von Justin II. bis Konstantin III., 565–641, 3 = awarenzeitliche Zeugnisse der Gepiden, 567–630/675, 4 = spätawarische Gräberfelder und Siedlungen, 600–895, 5 = slawische Siedlungen, 6 = slawische Urnengräber und Brandgräberfelder, 7 = Hügelgräber der slawischen Bevölkerung vom Typ Szilágynagyfalu, 8 = dieselben, mit spätawarischem Gürtelschmuck, 9 = Siedlungen der slawischen Bevölkerung vom Typ Szilágynagyfalu, 10 = archäologische Spuren der bulgarischen Eroberer, seit 826, 11 = awarisches Siedlungsgebiet, 12 = slawisches Siedlungsgebiet, 13 = geschlossenes bulgarisches Siedlungsgebiet

Soweit die wenigen awarischen Funde des 8. Jahrhunderts eine Beurteilung erlauben, weist die Hinterlassenschaft der geistigen (Riten) und materiellen Kultur der Awaren Siebenbürgens keine „transilvanischen“ Eigenarten auf. Die gegossenen Gürtelbeschläge, Phaleren, Waffen und Pferdegeschirre hätten an jedwedem Punkt des Awarenreiches zum Vorschein kommen können. Somit hielt also die Entwicklung der Awaren Siebenbürgens mit der allgemeinen inneren awarischen Entwicklung Schritt. Gleichzeitig sind aber die Details der Entwicklung aufgrund der wenigen zur Verfügung stehenden Funde und Befunde vorerst noch unklar.